HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 927
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 126/24, Beschluss v. 14.05.2024, HRRS 2024 Nr. 927
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 24. November 2023 in dem die Angeklagten L. und Z. betreffenden Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit räuberischer Erpressung, mit gefährlicher Körperverletzung und mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und wegen Diebstahls in sechs Fällen jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Zudem hat es ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit einem Vorwegvollzug der Strafe von drei Jahren und zwei Monaten angeordnet sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen.
Die zugunsten der Angeklagten eingelegten und auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft sind jeweils wirksam auf den die Angeklagten beschwerenden Maßregelausspruch beschränkt. Die Rechtsmittel, über die der Senat im Beschlusswege entscheiden kann (BGH, Beschluss vom 10. November 2015 - 1 StR 482/15 Rn. 23), haben Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Das Landgericht hat zwar nach § 64 Satz 1 StGB rechtsfehlerfrei einen Hang der Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Betäubungsmitteln, den symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang und den abgeurteilten Delikten sowie die Gefahr bejaht, dass die Angeklagten infolge ihres Hangs weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen werden. Die Urteilsgründe belegen aber nicht, dass die nach § 64 Satz 2 StGB erforderliche Erfolgsaussicht besteht.
a) Diese setzt voraus, dass aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen. Durch die Neufassung des § 64 StGB sind die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose „moderat angehoben“ worden, indem jetzt eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ vorausgesetzt wird. Die Beurteilung einer derartigen Erfolgsaussicht ist - wie auch vor der Neufassung - im Rahmen einer richterlichen Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände zu prüfen. Hierzu gehören insbesondere solche, die die Sucht des Täters und deren Behandlungsfähigkeit unmittelbar kennzeichnen - insbesondere Art und Stadium der Sucht. Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung sind prognoseungünstige Gesichtspunkte - hierzu gehört ein verfestigter und langjähriger Rauschmittelkonsum - nun stärker zu gewichten als vorher (eingehend BT-Drucks. 20/5913 S. 70 f.; BR-Drucks. 687/22 S. 79 f.). Erforderlich ist deshalb, dass in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie zu erkennen sind, die nicht nur die Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung, sondern die positive Feststellung der hohen Wahrscheinlichkeit einer konkreten Erfolgsaussicht tragen (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2023 - 1 StR 214/23 Rn. 18).
b) Das Landgericht hat zwar das Erfordernis einer solchen Gesamtwürdigung erkannt. Die niedergelegten Erwägungen lassen aber weder erkennen, ob sie sich an dem neuen Maßstab orientiert haben, noch ist sicher anzunehmen, ob und inwieweit es sich dabei um diejenigen der Strafkammer handelt oder ausschließlich um Einschätzungen des Sachverständigen.
Die Formulierungen auf Seiten 69 und 70 der Urteilsgründe, bei den Angeklagten seien „genügend tatsächliche Anhaltspunkte“ bzw. „noch ausreichend tatsächliche Anhaltspunkte“ für einen Behandlungserfolg zu erkennen, legen vielmehr nahe, dass das Landgericht von einem unzutreffenden Prüfungsmaßstab ausgegangen ist. Zudem ist zu besorgen, dass das Landgericht für die Beurteilung der Erfolgsaussicht der Behandlung den prognoseungünstigen Umstand, dass die zum Urteilszeitpunkt 35 und 37 Jahre alten Angeklagten, bei denen sich die Abhängigkeiten bereits in der Jugendzeit entwickelt hatten und die seit vielen Jahren von harten Betäubungsmitteln abhängig sind und deshalb substituiert werden, rechtsfehlerhaft nicht mit dem ihm zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung eingestellt hat. Eine Erläuterung, weshalb dennoch die langjährig verfestigte Polytoxikomanie der Angeklagten einem Therapieerfolg nicht entgegensteht, fehlt. Zudem lässt sich die langjährige Drogenabhängigkeit der Angeklagten ohne eingehende Darlegung nicht mit der verhältnismäßig kurzen Therapiedauer von nur 18 Monaten vereinbaren.
2. Die aufgeführten Mängel führen zur Aufhebung des Maßregelausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Damit entfällt zugleich die Anordnung des Vorwegvollzugs. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung, bei der sich das neue Tatgericht wiederum sachverständiger Hilfe bedienen muss (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 927
Bearbeiter: Christoph Henckel