hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 618

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 47/23, Beschluss v. 23.03.2023, HRRS 2023 Nr. 618


BGH 1 StR 47/23 - Beschluss vom 23. März 2023 (LG Stuttgart)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (erforderliche Darstellungen im Urteil).

§ 63 StGB; § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 27. Oktober 2022 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den objektiven Tatumständen aufrechterhalten.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Im Straf- und Sicherungsverfahren hat das Landgericht die Angeklagte freigesprochen und gemäß § 63 Satz 2 StGB ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist ihr Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Das Tatgericht hat die der Unterbringungsanordnung zugrundeliegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die außerordentlich belastende Maßregel nachzuvollziehen. Sind die Anlasstaten nur als geringfügig einzuordnen, gelten gemäß § 63 Satz 2 StGB noch strengere Darlegungsanforderungen: Die besonderen Umstände im Sinne dieser Vorschrift müssen die schmale Tatsachenbasis in Folge der anders gelagerten Anlassdelikte ausgleichen (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 25. November 2020 - 1 StR 420/20 Rn. 4 und vom 23. Januar 2019 - 2 StR 523/18, BGHR StGB § 63 Satz 2 besondere Umstände 1 Rn. 12; je mwN).

2. Daran gemessen begegnet die vom Landgericht getroffene Prognoseentscheidung durchgreifenden Bedenken. Nachdem das Landgericht weder ein Inbrandsetzen eines wesentlichen Gebäudeteils hatte feststellen noch sich vom subjektiven Tatbestand der schweren Brandstiftung, die hier als einzige „erhebliche“ Tat im Sinne des § 63 Satz 1 StGB in Betracht gekommen wäre, eine Überzeugung hatte bilden können, hätte es der Darlegung besonderer Umstände im Sinne des § 63 Satz 2 StGB bedurft. Dies hat die Strafkammer jedoch versäumt. Sie hat lediglich die Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen, dass die Angeklagte, die unter einer paranoiden Schizophrenie leidet, mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen und dadurch die Allgemeinheit gefährden werde, wiedergegeben (UA S. 59), ohne dies mit Tatsachen zu belegen. Die den fünf Anlasstaten vor- bzw. nachgelagerten Vorfälle erscheinen als ebenso wenig ausreichend gewichtig und lassen vor allem keine Steigerung der Gefährlichkeit bei der nicht vorgeahndeten Angeklagten erkennen. Auch das „zunehmend aggressive und bedrohliche Verhalten“ der Angeklagten in der einstweiligen Unterbringung (UA S. 8, 60) wird nicht präzisiert. Was das Brandgeschehen betrifft, bei welchem lediglich der Duschkopf aus Kunststoff brannte, die Duschkabine durch Flammen beschädigt und das restliche Badezimmer mit einer Rußschicht überzogen war (UA S. 18), so widerspricht die Annahme einer Gefährdung der Bewohner des Mehrfamilienhauses (UA S. 61) den mithilfe eines Brandsachverständigen getroffenen Feststellungen und der Beweiswürdigung zu diesem Nachtatgeschehen (UA S. 47 f.), in die das Landgericht die vorübergehende Abwesenheit der Angeklagten eingestellt hat. Da die Badezimmertür geschlossen war, konnte keine erhebliche Menge an Rauchgas austreten.

3. Die Feststellungen zu den objektiven Tatumständen sind vom Rechtsfehler nicht betroffen und haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Übrigen ist die Sache naheliegender Weise unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen (§ 246a StPO) neu zu verhandeln. Angesichts der nach ihrem Gewicht die Voraussetzungen des § 63 Satz 1 StGB bei Weitem nicht erfüllenden Anlasstaten (versuchte gefährliche Körperverletzung durch das - vergebliche - Werfen eines Steines, der von einer Balkonbrüstung abprallte; [tätliche] Beleidigungen; Sachbeschädigung) und des Vollzugs der einstweiligen Unterbringung (§ 126a StPO) von einem Jahr erscheint die Sache besonders eilbedürftig.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 618

Bearbeiter: Christoph Henckel