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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 244

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 411/23, Beschluss v. 12.01.2024, HRRS 2024 Nr. 244


BGH 1 StR 411/23 - Beschluss vom 12. Januar 2024 (LG Mannheim)

Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens (Revisionsbegründung: Erforderlichkeit eines Sachvortrags zu einer Einwilligung der zu begutachtenden Person in die Untersuchung).

§ 244 Abs. 2, Abs. 4 Satz 1 StPO; § 344 Abs. 2 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Für Zulässigkeit der Rüge, das Tatgericht einen Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten unter Verstoß gegen § 244 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 2 StPO abgelehnt, ist ein Sachvortrag zur Einwilligung der zu begutachtenden Person in die Untersuchung jedenfalls in den Fällen nicht erforderlich, in denen das Tatgericht den Antrag auf Begutachtung wegen eigener Sachkunde abgelehnt hat.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim wird mit Zustimmung des Generalbundesanwalts von der Einziehung der im Urteil näher bezeichneten MicroSD-Speicherkarte abgesehen; die Einziehungsentscheidung entfällt.

2. Im Übrigen wird die Revision mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit Diebstahl schuldig ist.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Es hat ferner die Einziehung einer im Urteil näher bezeichneten MicroSD-Speicherkarte angeordnet. Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Mit Zustimmung des Generalbundesanwalts hat der Senat aus prozessökonomischen Gründen zur Vermeidung einer neuen Hauptverhandlung nach § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO von einer Einziehung der im Urteil näher bezeichneten MicroSD-Speicherkarte abgesehen. Die Einziehungsentscheidung entfällt.

2. Die Verfahrensbeanstandungen vermögen dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat Folgendes:

a) Es kann letztlich dahinstehen, ob die Rüge, das Landgericht habe bei der Ablehnung des Antrags auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gegen § 244 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 2 StPO verstoßen, deshalb unzulässig ist, weil zu einer Einwilligung der Geschädigten in eine Exploration nichts vorgetragen worden ist. Die Verfahrensbeanstandung erweist sich jedenfalls aus den zutreffenden Gründen der Zuleitungsschrift des Generalbundesanwalts als unbegründet. Soweit der Senat in früheren Entscheidungen (vgl. Beschlüsse vom 8. Januar 2013 - 1 StR 602/12 und vom 5. Oktober 2004 - 1 StR 284/04) einen Sachvortrag zur Einwilligung der zu begutachtenden Person in die Untersuchung für erforderlich gehalten hat, hält er hieran jedenfalls für die Fälle, in denen das Tatgericht den Antrag auf Begutachtung wegen eigener Sachkunde abgelehnt hat, aus den Gründen der Beschlüsse des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 21. August 2014 (3 StR 208/14 Rn. 4) und des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 16. Februar 2021 (4 StR 517/20 Rn. 6) nicht fest.

b) Die Rüge, die Strafkammer habe den Antrag des Beschwerdeführers auf Auswertung der Standortdaten seines Handys zum Beweis dafür, dass dieses zur Tatzeit nicht im Funkzellenbereich des Tatorts eingeloggt war, sondern sich der Beschuldigte mit diesem anderenorts aufhielt, rechtsfehlerhaft wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels abgelehnt (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 4 StPO), ist unbegründet. Das Landgericht hat den Antrag zum Nachweis einer Negativtatsache rechtsfehlerfrei als Beweisantrag gemäß § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 4 StPO verbeschieden. Auch hätte sich die Auswertung der Standortdaten dem Landgericht nicht aufdrängen müssen (§ 244 Abs. 2 StPO).

c) Ebenso wenig dringt die Revision mit der Rüge durch, das Landgericht habe die Beiziehung von Personalakten rechtsfehlerhaft als für die Schuld- und Straffrage aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos abgelehnt (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO). Ungeachtet der Frage, ob das Beweisbegehren als Beweisantrag zu qualifizieren oder - wofür viel spricht - mit Blick darauf, dass sich der Antrag unspezifiziert auf Beiziehung der gesamten Personalakte bezogen hat, lediglich als Beweisermittlungsantrag anzusehen ist (vgl. zu Krankenunterlagen: BGH, Urteil vom 23. Juli 1997 - 3 StR 71/97 Rn. 6 ff.; allgemein zu Akten als Urkundensammlungen: BGH, Urteile vom 7. Mai 1954 - 2 StR 27/54, BGHSt 6, 128 und vom 30. August 1990 - 3 StR 459/87, BGHSt 37, 168, 172; vgl. auch Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 106), erweist sich die Ablehnungsentscheidung als rechtsfehlerfrei.

d) Soweit der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen das faire Verfahren und eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO) wegen fehlender Erteilung von Abschriften in der Hauptverhandlung verkündeter Beschlüsse (§ 35 Abs. 1 Satz 2 StPO) und fehlender Gewährung von Akteneinsicht in das vorläufige Protokoll gerügt hat, dringt er auch damit jedenfalls in der Sache nicht durch, da dem Revisionsvorbringen nicht zu entnehmen ist, dass er hierdurch in seinem Recht auf Verteidigung beeinträchtigt worden wäre.

3. Die materiellrechtliche Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge hat im Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt. Das Landgericht hat die rechtsfehlerfrei unter § 177 Abs. 1 und 5 Nr. 1 StGB subsumierte Tat lediglich unzutreffend als „sexuellen Übergriff“ bezeichnet. Der Senat korrigiert dies in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 4 StPO; angesichts des nur geringfügigen Erfolgs der Revisionen ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (zur Einheitlichkeit der Kostenentscheidung nach § 473 Abs. 4 StPO bei vollständigem oder teilweisem Absehen von der Einziehungsentscheidung nach § 421 Abs. 1 StPO vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 2021 - 5 StR 458/20 Rn. 3 ff. mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 244

Bearbeiter: Christoph Henckel