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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 110

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 359/23, Beschluss v. 12.12.2023, HRRS 2024 Nr. 110


BGH 1 StR 359/23 - Beschluss vom 12. Dezember 2023 (LG Hagen)

Einziehung (Erlangtes Etwas bei der Hinterziehung von Verbrauchsteuern: erforderliche Zugriffs- und Verwertungsmöglichkeit hinsichtlich der steuerpflichtigen Waren).

§ 73 Abs. 1 StGB; § 370 Abs. 1 AO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 27. März 2023 - auch soweit es den Mitangeklagten M. betrifft - im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen aufgehoben; die Einziehungsanordnungen entfallen. Soweit der Mitangeklagte Gu. betroffen ist, erstrecken sich die Aufhebung und das Entfallen der Einziehungsanordnung auf den 5.200 Euro übersteigenden Betrag.

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden als unbegründet verworfen.

3. Die Beschwerdeführer haben jeweils die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen; jedoch trägt die Staatskasse die Kosten, die die Einziehung betreffen, sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der revidierenden Angeklagten.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt sowie die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat es den Wert von Taterträgen in Höhe von 539.777,12 Euro eingezogen. Die nicht revidierenden Mitangeklagten M. und Gu. hat das Landgericht ebenfalls wegen Steuerhinterziehung zu Freiheitsstrafen verurteilt und gegen sie Einziehungsanordnungen - zum Teil gesamtschuldnerisch - in Höhe von mehreren Millionen Euro getroffen.

Die mit der Beanstandung der Verletzung materiellen Rechts geführten Revisionen der Angeklagten führen, auch soweit die Mitangeklagten M. und Gu. betroffen sind, zur Aufhebung und zum Entfallen der Einziehungsanordnungen, bei Gu. jedoch nur der Einziehung von Taterträgen, die einen Betrag von 5.200 Euro übersteigen. Im Übrigen sind die Rechtsmittel der Angeklagten unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

Der Schuld- und Strafausspruch gegen die Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Einziehungsentscheidungen erweisen sich hingegen als rechtsfehlerhaft. Die Anordnungen sind daher aufzuheben; der Senat entscheidet entsprechend § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst und lässt sie entfallen.

Der Generalbundesanwalt hat - bezogen auf jeden Angeklagten - hierzu ausgeführt:

„Die Voraussetzungen für die angeordnete Einziehung des Werts der hergestellten Zigaretten gemäß § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB liegen nicht vor.

Der Angeklagte hat nichts ‚durch‘ die Tat erlangt gemäß § 73 Abs. 1 StGB. Bei der Hinterziehung von Tabaksteuer ist ein unmittelbar messbarer wirtschaftlicher Vorteil nur gegeben, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des Täters dadurch niederschlägt, dass er aus den Tabakwaren einen Vermögenszuwachs erzielt (Senat, Beschluss vom 23. Juli 2020 - 1 StR 78/20, Rn. 3 m. w. N.). Die Annahme eines Vermögenszuwachses setzt voraus, dass der Täter eine wirtschaftliche Zugriffs- oder Verwertungsmöglichkeit hinsichtlich dieser Waren hat, über diese also wirtschaftlich (mit-)verfügen kann (Senat a. a. O. Rn. 4). Das ist zu verneinen. Der Angeklagte war bei seiner Beteiligung an der illegalen Herstellung von Zigaretten für unbekannte Hintermänner tätig, die nach den sinngemäß verstandenen Urteilsgründen allein über die hergestellten Zigaretten verfügen konnten.“

Dem schließt sich der Senat an. Die Aufhebung der Einziehungsanordnung und deren Entfallen erstrecken sich gemäß § 357 Satz 1 StPO auch auf die Mitangeklagten M. und Gu., bei letzterem jedoch nur in Höhe des 5.200 Euro übersteigenden Betrages, weil dieser als Entlohnung „für“ die Tat 5.200 Euro erlangt hat (§ 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB).

Der Senat sieht jedoch keinen Anlass, eine Entscheidung gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO über die von den Angeklagten erlangte freie Verpflegung in Form von Lebensmitteln zu treffen. Das Landgericht hat hierzu schon keine Ausführungen gemacht. Zudem erscheint es zweifelhaft, dass die Angeklagten die Lebensmittel „für“ die Tat erlangt haben.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels beruht auf § 473 Abs. 1 StPO; die Kosten und notwendigen Auslagen der revidierenden Angeklagten, die die Einziehung betreffen, fallen jedoch der Staatskasse zur Last (§ 473 Abs. 4, § 465 Abs. 2 StPO analog; vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2021 - 1 StR 423/20, BGHR StPO § 473 Abs. 4 Quotelung 8 Rn. 6 ff.).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 110

Bearbeiter: Christoph Henckel