HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 489
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 22/23, Beschluss v. 08.03.2023, HRRS 2023 Nr. 489
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 5. Oktober 2022 - auch zugunsten der Einziehungsbeteiligten - im Ausspruch über die Einziehung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 19 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt; hiervon hat es wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sechs Monate als vollstreckt erklärt. Zudem hat das Landgericht gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 9.015.431,48 € angeordnet, gegen die Einziehungsbeteiligte in Höhe von 4.035.516,87 €, davon in Höhe von 3.817.258,10 € gesamtschuldnerisch mit dem Angeklagten. Die gegen seine Verurteilung gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, hat - unter Erstreckung auf die Einziehungsbeteiligte - den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts ließ sich der Angeklagte von unbekannt gebliebenen Hintermännern im Zeitraum von Februar 2013 bis September 2014 sowohl mit seinem Einzelunternehmen A. als auch mit der Einziehungsbeteiligten, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer er damals war, beim Handel mit Kupferkathoden in eine „Mehrwertsteuerbetrugskette“ einspannen. Er ließ sich von der B. GmbH und der W. GmbH, seinen vermeintlichen Abnehmern, Gutschriften unter Umsatzsteuerausweis erteilen; der E. mbH händigte der Angeklagte Rechnungen mit ausgewiesener Umsatzsteuer aus. Dazu, ob er überhaupt und gegebenenfalls von wem er zuvor die Kupferkathoden bezog, verhält sich das Urteil nicht. Die E. mbH veräußerte die Kathoden im Wesentlichen an die L. GmbH, die ihrerseits an die Unternehmen der endverarbeitenden Industrie oder an Metallgroßhändler weiterlieferte. Zur Begleichung des überwiegenden Teils der (angeblichen) Kaufpreisansprüche ließ sich der Angeklagte von der E. mbH deren Forderungen gegen ausländische Unternehmen abtreten.
Der Angeklagte verbuchte sowohl bei seiner Einzelfirma als auch bei der Einziehungsbeteiligten insgesamt deutlich mehr als 230 Scheinrechnungen und machte daraus unberechtigt Vorsteuer geltend, um die Umsatzsteuerzahllasten deutlich zu reduzieren. In den Fällen 1 bis 4 (Einzelunternehmen; September, Oktober und Dezember 2013 sowie Februar 2014; Gesamtvorsteuerbetrag: 1.302.660,51 €) und 12 bis 19 der Urteilsgründe (Einziehungsbeteiligte; Februar bis September 2014; Gesamtvorsteuerbetrag: 4.035.516,87 €) gab er auf elektronischem Wege die Umsatzsteuervoranmeldungen rechtzeitig ab, in den Fällen 5 bis 11 der Urteilsgründe (Einzelunternehmen; Februar bis Juni und November 2013 sowie Januar 2014; Gesamtumsatzsteuerbetrag: 3.895.512,86 €) verspätet.
Der Angeklagte erhielt für jede Lieferung unter anderem einen Barscheck mit einem Betrag in Höhe von 19 % des Ausgangsumsatzes. Die Schecks löste er ein und beglich davon die geringen Provisionen der Rechnungsschreiber in bar; rund 200 € behielt er jeweils für sich.
b) Das Landgericht hat in den Fällen 1 bis 4 sowie 12 bis 19 der Urteilsgründe die Steuerersparnis in Höhe der unberechtigten Vorsteuerabzüge abgeschöpft; in den übrigen Fällen hat es allerdings die „verspätet fällig gestellten“ Umsatzsteuerbeträge (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) für maßgeblich gehalten und insoweit nicht auf die unberechtigt gezogene Vorsteuer mit einem Gesamtbetrag von 3.885.638,13 € abgestellt. Dabei hat das Landgericht in den Fällen 12 bis 19 der Urteilsgründe nicht nur einen Vermögensvorteil bei der Einziehungsbeteiligten angenommen, sondern auch beim Angeklagten, und zwar - nach Abzug eines 4 %-Sicherheitsabschlags - in Bezug auf 15 % der von der E. mbH im Zeitraum von Februar bis September 2014 mittels Barschecks vereinnahmten Kaufpreisgelder in Höhe von insgesamt 25.448.387,32 €.
2. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1 Alternative 1, § 73c Satz 1 StGB) hält mitsamt den zugehörigen Feststellungen der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Auch innerhalb einer Umsatzsteuerhinterziehungskette ergibt sich ein messbarer wirtschaftlicher und damit abschöpfbarer Vorteil nur für denjenigen Tatbeteiligten, in dessen Vermögen sich eine Steuerersparnis niederschlägt, also insbesondere bei den Unternehmern, die ihre aus realen Ausgangsumsätzen resultierenden Umsatzsteuerzahllasten durch Verrechnung (vgl. § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG) mit aus Eingangsscheinrechnungen gezogenen Vorsteuern zu Unrecht verringern. Dies ist bei den zwischengeschalteten bloßen Rechnungsschreibern, deren Steuerschuld sich aus § 14c Abs. 2 Satz 2, § 13a Abs. 1 Nr. 4 UStG ergibt, nicht der Fall. Dies gilt umfassend, also auch insoweit, als sie mit den unberechtigt aus Eingangsscheinrechnungen gezogenen Vorsteuerbeträgen ihre sich allein aus § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG ergebenden Zahllasten sogleich wieder vermindern (BGH, Beschluss vom 25. März 2021 - 1 StR 28/21, BGHR StGB § 73c Satz 1 Erlangtes 6 Rn. 8-10; anders noch BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2020 - 1 StR 555/19 Rn. 13 und vom 5. Juni 2019 - 1 StR 208/19, BGHR StGB § 73c Satz 1 Erlangtes 1 Rn. 4, 12 aE, 14 ff.; vgl. auch Wulf, Stbg 2020, 223, 228 f.).
b) Die Urteilsgründe sind widersprüchlich, ob der Angeklagte mit seinem Einzelunternehmen bzw. die Einziehungsbeteiligte tatsächlich steuerbare Ausgangsumsätze ausführte (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 UStG) oder sich ihre Steuerschulden nur aus der Ausgabe von Scheinrechnungen bzw. dem Ausstellenlassen von Scheingutschriften jeweils unter Umsatzsteuerausweis ergaben. So werden das Einzelunternehmen und die GmbH auf UA S. 15 als Zwischenhändler eingeordnet, die Umsätze mit den Abnehmern ‚tätigten‘ (etwa UA S. 8, 32); der Angeklagte, der kein Strohmann gewesen sei, habe „die wesentlichen Entscheidungen getroffen“ (UA S. 17). Auf UA S. 4 werden die beiden Unternehmen hingegen als „missing trader“ eingeordnet und der Angeklagte habe „nie tatsächliche Lieferungen von Kupferkathoden gesehen“ (UA S. 48) bzw. „empfangen“ (UA S. 50), wobei offenbleibt, ob sich diese Feststellung nur auf die Scheingeschäfte mit den Rechnungsschreibern auf der Eingangsumsatzseite bezieht. In der rechtlichen Würdigung wird die Steuerschuldnerschaft allein mit § 13a Abs. 1 Nr. 4, § 14c Abs. 2 UStG, § 13 Abs. 1 Nr. 4 UStG aF begründet (UA S. 50). Auf dieser Grundlage kann der Senat nicht beurteilen, ob der Angeklagte mit ausreichender Verfügungsmacht an seine drei Abnehmer lieferte und damit leistender Unternehmer war (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 26. Juli 2022 - 1 StR 134/22 Rn. 8) oder sich nur bei der Herstellung der falschen Gutschrifts- bzw. Rechnungslage am „Umsatzsteuerbetrug“ beteiligte.
In den Fällen 12 bis 19 der Urteilsgründe sind zudem - anders als bei weitergereichten Vermögensgegenständen - die Vervielfältigung ersparter Aufwendungen und damit nachfolgend eine Gesamtschuld grundsätzlich - mit Ausnahme etwa der Konstellation mehrerer über ein Einzelunternehmen Verfügungsberechtigter (dazu BGH, Beschluss vom 1. Juni 2021 - 1 StR 127/21 Rn. 16-18, 26) - nicht denkbar (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 17. November 2022 - 1 StR 323/22 Rn. 8 mwN): Entweder schlagen sich die Steuerersparnisse allein im Vermögen der Einziehungsbeteiligten nieder oder - sollte tatsächlich allein der Angeklagte im Außenverhältnis der Verpflichtete gewesen sein und die Einziehungsbeteiligte im Einverständnis mit den Abnehmern nur „vorgeschobener Mantel“ (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 - 1 StR 529/19, BGHR StGB § 73 Erlangtes 33 Rn. 16) - in dessen Vermögen; mit dem „Niederschlagen“ sind die Ersparnisse sogleich verbraucht.
c) Auf die von den Abnehmern in Höhe des - tatplangemäß nicht an den Fiskus abgeführten - Umsatzsteueranteils vereinnahmten Gelder kann die Einziehung von vornherein nicht gestützt werden. Diese sind nicht „durch“ die Steuerstraftaten erlangt (§ 73 Abs. 1 Alternative 1, § 73c Satz 1 StGB), und zwar bereits nicht in zeitlicher Hinsicht. Die Steuerersparnisse werden erst im anschließenden Festsetzungsverfahren erzielt (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 Variante 3, § 150 Abs. 1 Satz 3, § 168 Satz 1 AO; § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG); mithin fehlt es an der Kausalität zwischen der Tat und dem daraus erzielten Vermögensvorteil (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2022 - 1 StR 376/22 Rn. 7, 11).
d) Der Senat schließt aus, dass sich der unter 2. b) ausgeführte Rechtsfehler auf die Strafzumessung ausgewirkt hat. Denn es steht fest, dass dem Fiskus durch den unberechtigten Vorsteuerabzug, den Schwerpunkt des Unrechts auch in den Fällen 5 bis 11 der Urteilsgründe, im Steuerschuldverhältnis zum Angeklagten Umsatzsteuer zumindest in Höhe von insgesamt 9.223.815,51 € vorenthalten worden ist; sowohl die verhängten Einzelstrafen als auch die Gesamtstrafe erweisen sich unabhängig von der exakten Einordnung des Angeklagten in die „Umsatzsteuerbetrugskette“ bereits wegen des Ausmaßes der Steuerhinterziehung als äußerst maßvoll.
2. Die Sache bedarf nach alledem zur Einziehung der neuen Aufklärung und Bewertung. Sollte der Angeklagte nur in die Rechnungs-, nicht aber in die Lieferkette eingespannt gewesen sein, sind gegebenenfalls seine vereinnahmten Provisionen in Höhe von 200 € pro Lieferung oder gar seine tatsächlich erzielten Geschäftsführergehälter als Tatlohn (§ 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB) einzuziehen.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 489
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede