HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1083
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 171/23, Beschluss v. 15.08.2023, HRRS 2023 Nr. 1083
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 2. März 2023 aufgehoben
a) im gesamten Strafausspruch; jedoch werden die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten mit Ausnahme derjenigen, die die Höhe der hinterzogenen Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlag betreffen; diese werden aufgehoben;
b) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen, soweit sie einen Betrag von 349.479,59 € übersteigt.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 48 Fällen und wegen Steuerhinterziehung in 31 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat und von der sechs Monate zur Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten; zudem hat es gegen den Angeklagten eine Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 95 € verhängt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 410.462,21 € angeordnet. Mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beschäftigte der Angeklagte in der von ihm betriebenen Pizzeria im Tatzeitraum von Januar 2011 bis Dezember 2014 zahlreiche Arbeitnehmer, denen er ihren Lohn vollständig oder auch nur teilweise „schwarz“ auszahlte und für die er Sozialabgaben nicht oder nicht vollständig abführte; zudem erklärte er in seinen Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2011 bis 2013 zu geringe Umsätze. Für den Zeitraum von September 2011 bis Dezember 2013 gab er Lohnsteueranmeldungen mit zu geringen Löhnen ab; hierdurch verkürzte er nach den Berechnungen des Landgerichts 60.982,62 € an Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag.
2. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Schuldspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Hingegen hat der Strafausspruch keinen Bestand.
a) In den Fällen der Hinterziehung von Lohnsteuer (Gliederungspunkt C. VI. der Urteilsgründe) hat das Landgericht den Schuldumfang rechtsfehlerhaft ermittelt. Zwar hat es die der Berechnung der Lohnsteuer zu Grunde liegenden Schwarzlohnzahlungen im Zusammenhang mit der Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt rechtsfehlerfrei festgestellt. Jedoch hat die Strafkammer den Hinterziehungsbetrag sodann nicht anhand der festgestellten (Netto-)Lohnsummen ermittelt, sondern hierfür die nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV hochgerechneten Bruttogehälter angesetzt (UA S. 60). Damit ist dem Landgericht aus dem Blick geraten, dass die hinterzogene Lohnsteuer wegen des im Steuerrecht geltenden Zuflussprinzips (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 Rn. 16) auf der Grundlage der - tatsächlich gezahlten - Nettolöhne zu ermitteln ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09 Rn. 29).
b) Der Schuldspruch ist von dem Rechtsfehler nicht berührt; der Senat kann ausschließen, dass sich die fehlerhafte Berechnung der hinterzogenen Lohnsteuer dergestalt auf die Verwirklichung des Tatbestands auswirkt, dass dieser entfällt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 24. September 2019 - 1 StR 346/18, BGHSt 64, 195 Rn. 43 mwN).
c) Der aufgezeigte Rechtsfehler zieht jedoch die Aufhebung der Einzelstrafaussprüche in den Lohnsteuerhinterziehungsfällen nach sich. Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine insgesamt stimmige Strafzumessung zu ermöglichen, hebt der Senat auch die in den übrigen Fällen verhängten Einzelstrafen auf. Außerdem unterliegt die Einziehungsentscheidung der Aufhebung, soweit sie auf die rechtsfehlerhaft berechnete Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlag entfällt. Die Einziehungsentscheidung im Übrigen bezieht sich auf die Einziehung der ersparten Sozialversicherungsabgaben und hinterzogenen Umsatzsteuer; sie ist von dem Rechtsfehler nicht betroffen und bleibt unberührt.
d) Der Rechtsfehler nötigt zudem zur Aufhebung der Feststellungen, soweit die Höhe der hinterzogenen Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlag betroffen ist. Die übrigen Feststellungen sind hiervon nicht betroffen und haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
3. Das neue Tatgericht wird (auch) für die Fälle der Lohnsteuerhinterziehung (neue) Strafen auszuwerfen haben. Soweit sich für diese Fälle aus den Urteilsausführungen eine ausdrückliche Zuweisung von Einzelstrafen nicht ergibt (vgl. UA S. 62), steht das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) dem nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2023 - 3 StR 353/22 Rn. 14). Es wird zudem Gelegenheit haben, die Höhe des Tagessatzes (§ 40 Abs. 2 StGB) nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 25. April 2017 - 1 StR 147/17 Rn. 7 ff.) auch unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtungen des Angeklagten neu zu bestimmen.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1083
Bearbeiter: Christoph Henckel