HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1051
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 74/22, Urteil v. 14.06.2023, HRRS 2023 Nr. 1051
Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 4. Oktober 2021, soweit es den Angeklagten betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 54 Fällen und wegen Steuerhinterziehung in 28 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat; zudem hat es gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe ersparter Sozialversicherungsbeiträge mit einem Betrag von 604.233,56 € und in Höhe verkürzter Lohnsteuer mit einem Betrag von 131.014,86 € angeordnet. Mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die zuungunsten des Angeklagten erhobene Revision der Staatsanwaltschaft ist ebenfalls begründet, auch soweit sie nach § 301 StPO zugunsten des Angeklagten wirkt.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts stellten der Angeklagte und der frühere Mitangeklagte G. beginnend im Jahr 2016 rumänische Arbeitnehmer in Dienst. Diese ließen sie - zumeist gegen feste Stundenverrechnungssätze von 13 € bis 15 € oder gegen auf dieser Basis berechnete Pauschalen - für die E. GmbH arbeiten. Bei der E. GmbH handelte es sich um ein bundesweit agierendes Unternehmen für Schadstoffsanierung und Gebäudeabbruch. Die durchweg in Vollzeit tätigen Arbeiter wurden entweder gar nicht oder lediglich als Teilzeitbeschäftigte zur Sozialversicherung angemeldet. Im letztgenannten Fall beglichen der Angeklagte und G. die fälligen Beiträge nur teilweise. Die Meldungen bei den zuständigen Finanzbehörden unterblieben gleichfalls ganz oder teilweise.
a) Im Tatzeitraum von August 2016 bis November 2020 schlossen der Angeklagte und G. sich hierbei mit dem gesondert Verfolgten S. zusammen. In arbeitsteiligem Zusammenwirken bei dem „gemeinsamen [Betrieb] der verwendeten (Einzel-)Unternehmen“ (UA S. 26) fungierte S. als Firmeninhaber und wirtschaftlich Berechtigter; zudem war er maßgeblich für das Anwerben und die Unterbringung rumänischer Arbeitskräfte verantwortlich. Der Angeklagte war für den Kontakt zu der E. GmbH zuständig und sorgte dafür, dass möglichst viele Arbeiter bei dieser eingesetzt wurden. G. war in erster Linie vor Ort auf den Baustellen tätig „und trat den Arbeitern gegenüber als unmittelbarer Chef auf“ (UA S. 27); später rekrutierte auch er Arbeitnehmer.
Nachdem in der ersten Jahreshälfte 2019 zwei Insolvenzanträge gegen bzw. durch S. gestellt worden waren, führten dieser sowie der Angeklagte und G. „das Unternehmen“ (UA S. 26) unter wechselnden, zeitlich aufeinander folgenden Namen von verschiedenen dem S. nahestehenden Personen, die diesem jeweils Vollmacht erteilten, fort. An der arbeitsteiligen Vorgehensweise der drei Beteiligten änderte sich hierdurch jeweils nichts.
Im Zeitraum von August 2016 bis November 2020 wurden den Sozialversicherungsträgern Beiträge in Höhe von insgesamt 553.629,51 € (Taten 1 bis 45 der Urteilsgründe) und dem Fiskus Lohnsteuern in einer Gesamthöhe von 122.468,10 € vorenthalten (Taten 55 bis 77 der Urteilsgründe).
b) Im Tatzeitraum von April 2020 bis August 2020 stellten der Angeklagte und G. zudem ohne S. s Beteiligung rumänische Arbeitnehmer in Dienst, die sie für die E. GmbH arbeiten ließen, obwohl die Arbeitnehmer nicht oder nicht vollständig zur Sozialversicherung und bei den Finanzbehörden gemeldet worden waren. Hierdurch erlitten die Sozialversicherungsträger einen Beitragsausfall in Höhe von insgesamt 50.604,05 € (Taten 46 bis 54 der Urteilsgründe). Den Finanzbehörden entgingen Lohnsteuern in Höhe von insgesamt 8.546,76 € (Taten 78 bis 82 der Urteilsgründe).
Zur Verschleierung von Schwarzlohnzahlungen innerhalb des Systems der E. GmbH verwendeten die dortigen Verantwortlichen nicht leistungshinterlegte sogenannte Abdeckrechnungen, welche auch unter den Namen der durch die Angeklagten verwendeten Firmen erstellt und verwendet worden waren.
2. Der Schuldspruch hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Betreffend die Fälle 1 bis 54 der Urteilsgründe belegen die Feststellungen die von § 266a Abs. 1 und 2 StGB vorausgesetzte Stellung des Angeklagten als - zumindest faktischer - Arbeitgeber der rumänischen Arbeiter nicht.
aa) Ob eine Person Arbeitgeber im Sinne von § 266a StGB ist, richtet sich nach dem Sozialversicherungsrecht, das seinerseits diesbezüglich auf das Dienstvertragsrecht der §§ 611 ff. BGB abstellt. Arbeitgeber ist danach derjenige, dem gegenüber der Arbeitnehmer zur Erbringung von Arbeitsleistungen gegen Entgelt verpflichtet ist und zu dem er in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht, das sich vor allem durch die Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb des Arbeitgebers ausdrückt. Das Bestehen eines solchen Beschäftigungsverhältnisses zum Arbeitgeber bestimmt sich dabei nach den tatsächlichen, in eine Gesamtbetrachtung einzustellenden Gegebenheiten (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2020 - 1 StR 33/19 Rn. 10; Beschlüsse vom 23. März 2022 - 1 StR 511/21 Rn. 15 und vom 16. Januar 2019 - 5 StR 249/18 Rn. 26; jeweils mwN).
bb) Zu einer Arbeitgeberstellung des Angeklagten hat das Landgericht keine tragfähigen Feststellungen getroffen.
(1) Rechtsfehlerhaft hat es weder bestimmt, auf welche Weise der Angeklagte monatlich zur Ausgestaltung die Beschäftigungsverhältnisse beitrug, noch dargelegt, weshalb hiernach in der Gesamtschau der Angeklagte als gegenüber den rumänischen Arbeitern Dienstberechtigter erscheint. Die Urteilsgründe lassen bereits grundlegende Feststellungen dazu vermissen, wer die rumänischen Arbeiter im Einzelnen anstellte, wer ihnen gegenüber in welchem Umfang weisungsbefugt war und von wem sie ihre Gehaltszahlungen erhielten, ferner, wer sie teilweise zur Sozialversicherung meldete und die hieraus resultierenden Zahlungsverpflichtungen (teilweise) erfüllte.
Entsprechendes gilt hinsichtlich des Verweises der Strafkammer auf die Bereitstellung der rumänischen Arbeiter bei der E. GmbH durch eine Reihe von nicht näher spezifizierten, allein namentlich benannten „(Einzel-)Unternehmen“ sowie auf deren - mit der Rechtsform des Einzelunternehmens nicht ohne Weiteres in Einklang stehenden - „gemeinsamen Betrieb“ durch den Angeklagten, G. und S. (UA S. 26; Fälle 1 bis 45 der Urteilsgründe). Vielmehr deuten die Verweise in diesem Zusammenhang auf S. als „wirtschaftlich Berechtigte[n]“, der (weiterhin) „die Verantwortung trug“ und dem die Rolle als „formaler Firmeninhaber“ zukam (UA S. 27), auf eine zentrale Position seinerseits auch im Verhältnis zu dem Angeklagten und dem früheren Mitangeklagten hin. Eine mittäterschaftliche Zurechnung von dessen etwaiger Arbeitgeberstellung zulasten des Angeklagten kommt nicht in Betracht. Denn bei § 266a StGB handelt es sich um ein Sonderdelikt, das nur von einem Arbeitgeber verwirklicht werden kann (BGH, Beschluss vom 1. September 2020 - 1 StR 58/19, BGHSt 65, 136 Rn. 28 mwN).
(2) Soweit der Angeklagte und G. die Taten 46 bis 54 der Urteilsgründe - ohne S. - unter Einbindung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder (offenbar) eines weiteren Einzelunternehmens begingen, erhellt sich gleichfalls weder die jeweilige gesellschaftsrechtliche Einbindung des Angeklagten (§ 14 StGB) noch, damit einhergehend, seine Stellung als Arbeitgeber der rumänischen Arbeiter.
cc) In der Folge ist den Urteilsgründen des Weiteren nicht, auch nicht im Gesamtzusammenhang zu entnehmen, dass und gegebenenfalls auf welche Weise der Angeklagte zu jeder einzelnen der insgesamt 54 Vergehen des § 266a StGB einen (monatlichen) Tatbeitrag erbrachte. Bereits deswegen ist - bei Nichterweislichkeit einer Arbeitgeberstellung - eine Schuldspruchänderung durch den Senat auf Beihilfe (§ 27 StGB) ausgeschlossen.
b) Entsprechend verhält es sich mit Blick auf die Verurteilung des Angeklagten wegen Hinterziehung von Lohnsteuer in 28 Fällen gemäß § 370 Abs. 1 AO (Fälle 55 bis 82 der Urteilsgründe).
aa) Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, lässt sich zu den Fällen 61 bis 65, 76 und 77 der Urteilsgründe zumindest dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe eine Verurteilung des Angeklagten wegen Nichtabgabe von Lohnsteueranmeldungen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO entnehmen. Täter - auch Mittäter - einer solchen Steuerhinterziehung durch Unterlassen kann nur sein, wer selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (BGH, Urteile vom 23. Oktober 2018 - 1 StR 454/17, BGHSt 63, 282 Rn. 19 und vom 9. April 2013 - 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218 Rn. 64). Die Pflicht zur Abgabe einer Lohnsteueranmeldung trifft nach § 149 AO in Verbindung mit § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG den Arbeitgeber. Arbeitgeber im Sinne des Lohnsteuerrechts ist grundsätzlich derjenige, dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung schuldet, unter dessen Leitung er tätig wird oder dessen Weisung er zu befolgen hat. Dies ist regelmäßig der Vertragspartner des Arbeitnehmers aus dem Dienstvertrag (BFH, Urteile vom 4. November 2021 - VI R 22/19, BFHE 275, 85 Rn. 14; vom 13. Juli 2011 - VI R 84/10, BFHE 234, 204 Rn. 15 und vom 19. Februar 2004 - VI R 122/00 Rn. 13, BFHE 205, 216, 218). Insoweit gelten die vorstehenden Ausführungen zur Arbeitgeberstellung entsprechend; eine Stellung des Angeklagten als Arbeitgeber der rumänischen Arbeiter ist nicht belegt.
bb) Soweit das Landgericht den Angeklagten in den Fällen 55 bis 60, 66 bis 75 sowie 78 bis 82 der Urteilsgründe wegen Hinterziehung von Lohnsteuer gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verurteilt hat, kommt zwar als Täter nicht nur der Steuerpflichtige, sondern grundsätzlich jedermann in Betracht, sofern er den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht. Mittäter kann daher auch eine Person sein, der das Gesetz keine steuerlichen Pflichten zuweist, sofern nur die Voraussetzungen einer gemeinschaftlichen Begehungsweise im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB gegeben sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 7. Oktober 2014 - 1 StR 182/14 Rn. 34 und vom 9. April 2013 - 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218 Rn. 42). Nach dem Vorgesagten fehlt es aber an konkreten Feststellungen der Strafkammer zu einer Einbindung des Angeklagten in den Betrieb der „(Einzel-) Unternehmen“, insbesondere einer täterschaftlichen Mitwirkung seinerseits bei der Erstellung der jeweiligen Lohnsteueranmeldungen.
c) Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung tragfähige Feststellungen zu einer Arbeitgeberstellung getroffen werden können; jedenfalls kommt eine Beteiligung als Gehilfe (§ 27 StGB) in Betracht. Da, wie ausgeführt, bislang nicht nachgewiesen ist, dass dem Angeklagten sämtliche vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge bzw. Lohnsteuerverkürzungsbeträge für jeden Monat zuzurechnen sind, können bereits deswegen keine Feststellungen aufrechterhalten werden (§ 353 Abs. 2 StPO).
3. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat ebenfalls Erfolg. Sie führt zulasten und zugunsten (§ 301 StPO) des Angeklagten schon auf die Sachrüge zur vollständigen Aufhebung des angefochtenen Urteils. Der Erörterung einer Aufklärungsrüge, als welche die Beanstandung des Unterlassens näherer Feststellungen zu den sogenannten Abdeckrechnungen gegebenenfalls auszulegen sein könnte, bedarf es daher nicht.
a) Die Staatsanwaltschaft hat ihre zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Eine solche Beschränkung eines Rechtsmittels ist zwar grundsätzlich zulässig (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2017 - 4 StR 547/16 Rn. 20 mwN). Die in der Regel gegebene Trennbarkeit zwischen Schuld- und Strafausspruch einerseits sowie zwischen Schuldausspruch und Einziehungsanordnung andererseits ist aber - ausnahmsweise - zu verneinen, wenn die Schuldfeststellungen eine Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs nicht ermöglichen. Dies ist der Fall, wenn unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat. Derartige Feststellungen können Grundlage weder eines Strafausspruchs noch einer Einziehungsanordnung sein (vgl. BGH, Urteile vom 19. März 2013 - 1 StR 318/12 Rn. 85 und vom 22. Mai 2012 - 1 StR 103/12 Rn. 27; jeweils mwN; vgl. ferner BGH, Urteil vom 14. Januar 2015 - 1 StR 93/14 Rn. 58).
b) So verhält es sich hier. Wie vorstehend unter 2. dargelegt, tragen die bisher getroffenen Feststellungen die Schuldsprüche nicht und bieten deshalb keine Grundlage für die Prüfung eines Rechtsfolgenausspruchs, so dass die Rechtsmittelbeschränkung unwirksam ist. Somit führt auch die Revision der Staatsanwaltschaft zur Aufhebung des Urteils insgesamt. Daher gilt für das neue Tatgericht das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) nicht (vgl. BGH, Urteile vom 19. März 2013 aaO Rn. 86 und vom 22. Mai 2012 aaO Rn. 28 mwN).
c) Das in der ersten Hauptverhandlung im Hinblick auf die Verständigung nach § 257c StPO abgelegte Geständnis des Angeklagten ist nicht zu dessen Nachteil zu verwerten, wenn das neue Tatgericht sich nicht von sich aus an die vom Erstgericht zugesagte Strafobergrenze binden will (vgl. BGH, Urteile vom 23. November 2022 - 5 StR 347/22 Rn. 25 f., 31 mwN und vom 26. Mai 2021 - 2 StR 439/20, BGHR StPO § 257c Abs. 3 Satz 2 Strafrahmen 5 Rn. 39 f.).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1051
Bearbeiter: Christoph Henckel