HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 650
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 82/21, Beschluss v. 19.05.2021, HRRS 2021 Nr. 650
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 2. November 2020 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen verbrachte der Angeklagte, der als Fernfahrer mit seinem Lkw in Deutschland unterwegs war, am 4. April 2020 den Nachmittag mit weiteren Lkw-Fahrern auf dem Parkplatz W. an der Autobahn 8. Die insgesamt etwa neun Fahrer aßen gemeinsam, hörten Musik und tranken Alkohol. Der Geschädigte Z. rasierte dem Angeklagten im Verlauf des Nachmittags auf dessen Bitte mit einer Haarschneidemaschine die Kopfhaare. Noch bevor der Geschädigte fertig war, beschwerte sich der Angeklagte über den Haarschnitt. Dabei ereiferte er sich immer mehr, zog gar seine Hose herunter und bekundete, dass sein Kopf nun aussehe wie sein Hinterteil. Er wurde von zwei der anwesenden Fernfahrer beruhigt und zur Kabine seines Lkws geleitet, in die er sich zunächst zurückzog.
Ungefähr 30 Minuten später, gegen 18.05 Uhr, stieg der Angeklagte - noch immer aufgebracht über den Haarschnitt - wieder aus dem Lkw aus. Er nahm ein spitz zulaufendes Messer mit zehn Zentimeter langer Klinge mit. Er war entschlossen, den Geschädigten mit dem Messer zu verletzen, um sich für den Haarschnitt zu rächen, und begab sich zu dessen Lkw. Dort angekommen wiederholte er seinen Vorwurf und stach sodann unvermittelt mit dem Messer zweimal auf den Geschädigten ein. Dieser erlitt eine Stichverletzung im Bereich der rechten Hüfte sowie eine weitere im Bereich des linken Oberbauchs.
Die Verletzungen des Geschädigten wurden anschließend im Krankenhaus operativ versorgt. Der Geschädigte verstarb dort am 7. April 2020; er ist nicht ausschließbar allein an einem - aufgrund einer Vorschädigung seines Herzens jederzeit möglichen - Herzinfarkt verstorben, ohne dass sich der von dem Angeklagten in Gang gesetzte Kausalverlauf begünstigend ausgewirkt hätte.
Eine dem Angeklagten um 22.29 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,39 Promille; zurückgerechnet führt dies zu einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 3,47 Promille zur Tatzeit. Die Strafkammer hat - gestützt auf die Ausführungen der rechtsmedizinischen Sachverständigen - nicht ausschließen können, dass sich die Berauschung in einem wesentlichen Umfang im Tatentschluss niedergeschlagen beziehungsweise auf den Tatentschluss ausgewirkt habe. Vor diesem Hintergrund hat sie die alkoholbedingte Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit als rechtserheblich gewertet. Das Landgericht hat jedoch von der Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB keinen Gebrauch gemacht, da sich der Angeklagte selbstverschuldet betrunken und damit in den Zustand der verminderten Schuldfähigkeit versetzt habe.
2. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Dabei kann der Senat offen lassen, ob das Landgericht die allein auf das schuldhafte Betrinken gestützte Ablehnung der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hier rechtsfehlerfrei begründet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2017 - GSSt 3/17, BGHSt 62, 247 Rn. 42 f.; 58).
Jedenfalls erweisen sich die Erwägungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne von § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB verneint hat, als rechtsfehlerhaft. Denn das Landgericht hat strafschärfend berücksichtigt, dass zwischen dem Anlass der Tat und der Reaktion des Angeklagten ein eklatantes Missverhältnis bestand, obwohl die - rechtsmedizinische - Sachverständige, deren Ausführungen es sich nach eigener Überprüfung in vollem Umfang angeschlossen hat, insbesondere die Unfähigkeit des Angeklagten, sich aus dem Ärger über den Haarschnitt zu lösen, als Ausdruck seines alkoholbedingt funktionsgestörten Verhaltens angesehen hat (UA S. 18). Vor dem Hintergrund des Regelungszwecks des § 21 StGB verbietet es sich aber regelmäßig, das Verhalten, in dem die eingeschränkte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Ausdruck kommt, strafschärfend zu dessen Lasten in die Strafzumessung einzustellen. Jedenfalls wäre insoweit zu bedenken und erörtern gewesen, ob nicht die Vorwerfbarkeit des Missverhältnisses von Anlass und Reaktion des Angeklagten gerade wegen dessen alkoholbedingt beeinträchtigter Steuerungsfähigkeit, die in der Tat zum Ausdruck gekommen ist, erheblich gemindert sein könnte.
3. Da die dem Strafausspruch zugrundeliegenden Feststellungen von dem Rechtsfehler betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO), unterliegen auch sie der Aufhebung. Das neue Tatgericht wird dabei Gelegenheit haben, auch die Voraussetzungen des § 21 StGB - naheliegend unter Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen - erneut zu prüfen.
4. Der Senat verweist die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück, da eine Zuständigkeit des Schwurgerichts nicht mehr besteht. Das neue Tatgericht wird bei der Prüfung eines minder schweren Falls nach § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB gegebenenfalls auch den vertypten Strafmilderungsgrund nach § 21 StGB in den Blick zu nehmen haben (zur Prüfungsreihenfolge vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2019 - 1 StR 14/19 Rn. 8 f. mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 650
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede