HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 529
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 60/21, Beschluss v. 06.04.2021, HRRS 2021 Nr. 529
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 18. November 2020 aufgehoben
a) in den Fällen II. Nrn. 4., 5., 7., 8., 10. und 11. der Urteilsgründe;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 27 Fällen, davon in zwei Fällen im Versuch, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf eine unausgeführte und damit unzulässige Verfahrensrüge sowie die Rüge einer Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Die Verurteilung wegen Hinterziehung von Körperschaft- und Gewerbesteuern in den Jahren 2011, 2012 und 2013 (Taten in den Fällen II. Nrn. 4., 5., 7., 8., 10. und 11. der Urteilsgründe) hält der auf die Sachrüge gebotenen rechtlichen Überprüfung nicht stand, weil es dem Urteil an Feststellungen fehlt, aus denen sich eine Tatvollendung in den genannten Fällen ableiten lässt.
Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift vom 10. März 2021 zutreffend Folgendes ausgeführt:
…„Bei Veranlagungssteuern wie der Körperschaft- und Gewerbesteuer ist die Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) vollendet, wenn aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben zu niedrige Festsetzungen vorgenommen werden (vgl. Jäger in Klein, AO, 15. Auflage, § 370 Rn. 90 mwN). Im Fall der Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) ist die Tat in dem Zeitpunkt vollendet, in dem ein Schätzungsbescheid mit zu niedrigen Festsetzungen bekannt gegeben wird (vgl. Senat, Beschluss vom 22. August 2012 - 1 StR 317/12 -, juris Rn. 14) oder wenn zuvor die Veranlagungsarbeiten für die betreffende Steuerart und den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 2. November 2010 - 1 StR 544/09 -, juris Rn. 77 mwN).
b) Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte als faktischer Geschäftsführer (§ 35 AO) in den Veranlagungszeiträumen 2011, 2012 und 2013 zu den jeweiligen Abgabeterminen (31. Mai des Folgejahres) keine Körperschaft- und Gewerbesteuererklärungen für die C. UG abgegeben. Erst nach Bekanntgabe des sich gegen ihn richtenden Ermittlungsverfahrens und seiner Bestellung zum Geschäftsführer der C. UG gab er unter dem 8. Juni 2016 entsprechende Erklärungen ab, in denen er unrichtige Angaben zu den Betriebsausgaben tätigte (UA S. 8 ff.). Diese Feststellungen allein tragen die Annahme jeweils vollendeter Körperschaft- und Gewerbesteuerhinterziehungen zugunsten der C. UG in den Jahren 2011, 2012 und 2013 nicht.
Soweit mit Blick auf die jeweils unterlassene fristgerechte Abgabe von Steuererklärungen eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) in Frage kommt, kann den Urteilsfeststellungen nicht entnommen werden, ob … gegen den Angeklagten Schätzungsbescheide gegen die C. UG ergangen waren … und - wenn dies nicht erfolgt sein sollte - wann die Veranlagungsarbeiten beim zuständigen Finanzamt D. für die Körperschaft- und Gewerbesteuern in den Jahren 2011, 2012 und 2013 jeweils im Großen und Ganzen abgeschlossen waren. Letztgenannte Lücke kann dabei nicht über die Feststellung des rund ein Jahr nach dem gesetzlichen Abgabetermin erfolgten Abschlusses der Veranlagungsarbeiten beim Finanzamt D. bezüglich der Körperschaft- und Gewerbesteuern für das Jahr 2009 (UA S. 5) geschlossen werden. Für eine Übertragung jenes Wertes auf spätere Zeiträume ermangelt es bereits an einer verlässlichen Grundlage. Überdies könnte dies nicht über die vordringliche Beantwortung der Frage hinweghelfen, ob und wenn ja mit welchem Inhalt vor dem Abschluss der Veranlagungsarbeiten Schätzungsbescheide erlassen worden waren.
Die Verurteilung wegen vollendeter Steuerhinterziehung wird auch nicht durch die verspätet unter dem 8. Juni 2016 erfolgte Abgabe der jeweiligen Steuererklärungen getragen. Soweit der Angeklagte in diesen Erklärungen unrichtige Angaben zu den Betriebsausgaben gemacht hatte, lässt sich den Urteilsfeststellungen nicht entnehmen, dass diese zu niedrige Steuerfestsetzungen bewirkt hatten. Der Zusammenhang der Urteilsgründe streitet vielmehr für die Bewertung, jene wahrheitswidrig erklärten Betriebsausgaben waren (auch) steuerlich nicht anerkannt worden und hatten sich demzufolge nicht steuermindernd bei der Festsetzung ausgewirkt (UA S. 9 und 29).
c) Der vorgenannte Rechtsfehler hat die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen der Taten 4, 5, 7, 8, 10 und 11 und der zugehörigen Einzelstrafen zur Folge und zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Eine Aufhebung von Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) bedarf es nicht, da diese von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Das neue Tatgericht wird jedoch zu dem Erlass und Inhalt von Schätzungs-/Festsetzungsbescheiden sowie dem Abschluss der Veranlagungsarbeiten ergänzende Feststellungen zu treffen haben, welches Auswirkungen auf die Höhe der verkürzten Steuern im Falle vollendeter Steuerhinterziehungen haben kann.“
Dem schließt sich der Senat an.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 529
Externe Fundstellen: NJW 2022, 99; NStZ 2021, 746; StV 2021, 735
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede