HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 357
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 424/21, Beschluss v. 25.01.2022, HRRS 2022 Nr. 357
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 13. Juli 2021
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte schuldig ist
aa) im Fall II. 1. a) der Urteilsgründe der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes,
bb) im Fall II. 1. b) der Urteilsgründe der besonders schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes,
b) aufgehoben
aa) in den Fällen II. 1. c), II. 1. d) und II. 1. e) der Urteilsgründe,
bb) im gesamten Strafausspruch.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, mit Freiheitsberaubung und mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes, mit Freiheitsberaubung und mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Verbreitens kinderpornografischer Schriften und wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften in Tateinheit mit Besitz jugendpornografischer Schriften in zwei Fällen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt.
Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. a) In den Fällen II. 1. a) und II. 1. b) der Urteilsgründe hält der Schuldspruch revisionsrechtlicher Überprüfung überwiegend stand. Nur die jeweiligen tateinheitlichen Verurteilungen wegen Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) und vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) bzw. gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 StGB) müssen wegen eingetretener Verfolgungsverjährung entfallen.
Bei einer tateinheitlichen Verurteilung läuft die Verjährungsfrist für jedes einzelne Delikt gesondert (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - 1 StR 29/21 Rn. 13 mwN). Die Verjährungsfrist für die am 11./12. November 2006 und am 18. Dezember 2007 begangenen Taten betrug hinsichtlich der vorsätzlichen Körperverletzung sowie der Freiheitsberaubung fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) sowie hinsichtlich der gefährlichen Körperverletzung zehn Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB). Unterbrechungsmaßnahmen sind vor Ablauf dieser Verjährungsfristen nicht ergriffen worden.
b) Der Schuldspruch in den Fällen II. 1. c), II. 1. d) und II. 1. e) der Urteilsgründe ist nicht frei von Rechtsfehlern.
Insoweit führt der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend aus:
„Unabhängig davon, ob es sich beim Anbieten der Bild- und Videodateien über das Filesharing-Netzwerk Gigatribe in Fall II 1 c um ein Verbreiten (§ 184b Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB) - so die Strafkammer -, ein öffentlich Zugänglichmachen (§ 184b Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB) oder eine Drittbesitzverschaffung (§ 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB) kinderpornografischer Schriften handelt, wird die tatmehrheitliche Verurteilung des Angeklagten jeweils wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften (§ 184b Abs. 3 StGB) in Tateinheit mit Besitz jugendpornografischer Schriften (§ 184c Abs. 3 StGB) in den Fällen II 1 d und II 1 e nicht von den Feststellungen getragen. In dem Sachverhalt, der den drei Fällen zu Grunde liegt, kommt auch eine tateinheitliche Begehung der verwirklichten Delikte in Betracht.
Der zeitgleiche Besitz von verbreiteten oder öffentlich zugänglich gemachten und darüberhinausgehenden kinderpornografischen Schriften verknüpft den unerlaubten Besitz kinderpornografischer Schriften mit jeder Verbreitungshandlung zu einer einheitlichen Tat. Zwar verdrängen die Tathandlungsvarianten des Verbreitens und des öffentlich Zugänglichmachens kinderpornografischer Schriften nach § 184b Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 und Var. 2 StGB grundsätzlich diejenige des unerlaubten Besitzes solcher Schriften gemäß § 184b Abs. 3 StGB als subsidiären Auffangtatbestand. Dies betrifft jedoch ausschließlich den Zeitraum der Zugänglichmachung, nicht die Zeit danach, und nur die zugänglich gemachten Dateien. Geht der Besitz in zeitlicher und quantitativer Hinsicht über den für das Verbreiten beziehungsweise öffentlich Zugänglichmachen erforderlichen Besitz hinaus, tritt das Dauerdelikt des verbotenen Besitzes kinderpornografischer Schriften tateinheitlich neben das jeweilige Verbreitungsdelikt. Dabei liegt dem verbotenen Besitz mehrerer kinderpornografischer Schriften ein einheitlicher Verstoß gegen § 184b Abs. 3 StGB zu Grunde. Bei gleichzeitigem Besitz von verbreiteten beziehungsweise öffentlich zugänglich gemachten kinderpornografischen Schriften und weiterem, darüberhinausgehend gespeicherten Material bleibt danach kein Raum für eine tatmehrheitliche Verurteilung (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 - 2 StR 321/19 -, Rn. 18 f. m. w. N.). Da es sich bei der Drittbesitzverschaffung gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB um eine dem Verbreiten und öffentlich Zugänglichmachen nach § 184b Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 und Var. 2 StGB gleichgestellte Tatbestandsvariante handelt (vgl. BT-Drs. 15/350, S. 20 f.), kann insoweit nichts anderes gelten.
Nach den Urteilsgründen liegt es nahe, dass der Angeklagte, als er die Bild- und Videodateien aus Fall II 1 c am 19. Januar 2018 zum Herunterladen anbot, bereits einen großen Teil der Dateien in Besitz hatte, die Gegenstand von Fall II 1 d sind. Die Dateien aus Fall II 1 d wurden unter anderem auf EDV-Geräten aufgefunden, die bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten am 25. Juli 2018 sichergestellt wurden (UA S. 37 ff.). Da zunächst nur die Wohnung des Angeklagten durchsucht wurde, nicht aber sein Wohnwagen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte auch Dateien aus Fall II 1 e bereits zuvor in Besitz hatte. Gegenstand von Fall II 1 e sind Dateien aus elektronischen Geräten, die am 28. Oktober 2020 in der Wohnung des Angeklagten und seinem Wohnwagen sichergestellt wurden (UA S. 39 f.). Auch gleichzeitiger Besitz von kinderund jugendpornografischem Material an verschiedenen Orten würde nur eine Tat darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2019 - 2 StR 198/19 -).
Da die Urteilsgründe keine Angaben dazu enthalten, seit wann der Angeklagte sich im Besitz der jeweiligen Dateien befand, und weder eine tateinheitliche noch eine tatmehrheitliche Begehung von vorneherein ausscheidet, erscheint eine eigene Sachentscheidung des Senats entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ausgeschlossen.“
2. Der Strafausspruch hat ebenfalls keinen Bestand.
In den Fällen II. 1. c), II. 1. d) und II. 1. e) der Urteilsgründe bedingt bereits die Aufhebung der Schuldsprüche den Wegfall der entsprechenden Einzelstrafen.
In den Fällen II. 1. a) und II. 1. b) der Urteilsgründe führt die Änderung des Schuldspruchs zur Aufhebung der hierfür verhängten Strafen. Anders als der Generalbundesanwalt vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die verjährten Tatbestände der Freiheitsberaubung und der vorsätzlichen bzw. gefährlichen Körperverletzung sich auf die Bildung der entsprechenden Einzelstrafen ausgewirkt haben. Damit entfällt auch die Gesamtstrafe.
3. Die bisherigen Feststellungen zum Schuldspruch in den Fällen II. 1. c), II. 1. d) und II. 1. e) der Urteilsgründe sowie zur Strafzumessung bleiben aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO), da sie von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht berührt werden. Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 357
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede