HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 662
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 290/21, Urteil v. 05.04.2022, HRRS 2022 Nr. 662
1. Die Revision des Angeklagten Do. gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 8. Februar 2021 wird verworfen.
Der Angeklagte Do. trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil hinsichtlich der Angeklagten Da. und A. mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten Do. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt; die Angeklagten Da. und A. hat es aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Der Angeklagte Do. wendet sich mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihren auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen die Freisprüche. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben Erfolg; das des Angeklagten Do. hat keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Die Angeklagten Do. und Da. sowie A. waren mit dem späteren Geschädigten D. befreundet. Am 8. Februar 2020 kam es gegen 22.00 Uhr in N. zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen, bei der eine Person lebensgefährlich verletzt wurde. Die Mobiltelefone von D. und A. waren an diesem Abend in Funkzellen in N. eingebucht.
Am 13. Februar 2020 griffen K. und eine weitere Person D. gegen 16.44 Uhr vor dessen Friseursalon in P. an, in dem sich die drei Angeklagten aufhielten. Die beiden Angreifer fügten D. mit einem Messer lebensgefährliche Verletzungen zu. Nachdem die drei Angeklagten erkannt hatten, dass es sich bei dem Schwerverletzten um ihren Freund D. handelte, verfolgten sie in stillschweigendem Einvernehmen mit drei weiteren Männern die beiden Angreifer, um sie „nicht ungestraft“ davonkommen zu lassen. Einer der drei unbekannten Verfolger hielt dabei eine Schusswaffe in der Hand. An einer Straßeneinmündung blieb die sechsköpfige Verfolgergruppe kurz stehen und einer der unbekannten Verfolger hob eine Schusswaffe mit dem Lauf nach oben auf Kopfhöhe. Die anderen Verfolger standen um ihn herum und nahmen die Schusswaffe wahr. Nun beschlossen alle sechs Verfolger - jedenfalls durch stillschweigende Übereinkunft - den beiden Angreifern einen Denkzettel zu verpassen und sie gemeinsam, auch unter Einsatz der Schusswaffe, zu verletzen. Deren Tötung nahmen sie zumindest billigend in Kauf. Sodann setzten sie die Verfolgung der beiden Angreifer fort. Kurz vor einer weiteren Straßeneinmündung trennten sich die Verfolgten. K. lief nach links in den Biergarten einer an der Straßenecke gelegenen Gaststätte, dann weiter auf die einmündende Straße und wandte sich nach links.
Der Angeklagte Do. setzte K. durch den Biergarten nach, gefolgt von zwei der unbekannten Verfolger. Der Angeklagte Da. blieb in dem Biergarten stehen. Der Angeklagte A. und ein weiterer unbekannter Verfolger setzten dem unbekannten Tatgenossen des K. nach. Dieser entkam ihnen jedoch.
Der Angeklagte Do. brachte K. etwa 20 bis 30 Meter entfernt von dem Biergarten zu Boden. Dann trat er ihm mit seinem beschuhten Fuß nach einer weit ausholenden Bewegung zweimal wuchtig - dem gemeinsamen Tatentschluss entsprechend - in das Gesicht, wobei er dessen Tod billigend in Kauf nahm. Augenzeugen machten die drei um den Geschädigten stehenden Männer durch Zurufe auf sich aufmerksam. Nachdem diese kurz in Richtung der Zeugen geblickt hatten, schoss einer der unbekannten Verfolger dem Geschädigten gezielt in Nähe der rechten Leiste in den Oberschenkel, wobei er dessen Tod zumindest billigend in Kauf nahm. Der andere unbekannte Verfolger versetzte dem Geschädigten zwei Stiche - einer davon 10,5 Zentimeter tief - mit einem langen, scharfen und spitzen Werkzeug in den Oberschenkel. Alle drei gingen davon aus, dass die Verletzungen des Geschädigten K. nicht tödlich waren. Sie waren sich jedoch in stillschweigender Übereinkunft einig, dass sie ihr Ziel, ihm eine Lektion zu erteilen, erreicht hatten, und rannten gemeinsam zu dem Angeklagten Da. zurück. Dort trafen auch der Angeklagte A. und der weitere unbekannte Verfolger ein. Gemeinsam traten sie den Rückweg an.
2. Das Landgericht hat bei dem Angeklagten Do. einen Rücktritt vom versuchten Totschlag gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB angenommen, weil er und die beiden ebenfalls auf K. einwirkenden Täter nach Erreichen ihres „außertatbestandlichen“ Ziels, diesem eine Lektion zu erteilen, einvernehmlich von weiteren möglichen Tathandlungen abgesehen hatten. Es hat ihn deshalb lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB) verurteilt.
Die Angeklagten Da. und A. hat das Landgericht freigesprochen, weil sich diese weder eines gemeinschaftlich begangenen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB zum Nachteil des Geschädigten K. strafbar gemacht hätten noch einer Beihilfe hierzu. Eine Zurechnung der Körperverletzungshandlungen über § 25 Abs. 2 StGB scheide aus, da die Angeklagten Da. und A. weder einen Tatbeitrag im Ausführungsstadium noch einen prägenden Tatbeitrag im Vorbereitungsstadium geleistet hätten. Der Tatentschluss sei spontan gefasst worden, sodass der Tat keine lange Planungsphase vorangegangen sei und sie keine herausgehobene Stellung hätten erlangen und auch keinen Tatbeitrag von einem solchen Gewicht hätten leisten können, dass dies eine (mit)täterschaftliche Stellung hätte begründen können. Auch eine Strafbarkeit wegen Beihilfe scheide aus, weil diese beiden Angeklagten keinen Tatbeitrag geleistet hätten, der sich auf die Tatausführung ausgewirkt habe; denn ihre Mitwirkung an der Verfolgung sei nicht über ihre bloße Anwesenheit hinausgegangen. Eine Strafbarkeit wegen Verabredung zum versuchten Totschlag zum Nachteil des Geschädigten K. komme nicht in Betracht, da die Angeklagten strafbefreiend zurückgetreten seien. Der Angeklagte A. habe sich auch nicht durch die Verfolgung des (später entkommenen) zweiten Täters strafbar gemacht, weil sich nicht habe feststellen lassen, dass er auf diesen Täter mit potentiell tödlicher Gewalt habe einwirken wollen.
Die Revision des Angeklagten Do. hat keinen Erfolg. Der auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhende Schuldspruch hält revisionsrechtlicher Prüfung stand. Auch der Strafausspruch ist nicht zu beanstanden.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen die Freisprüche haben jedenfalls deswegen Erfolg, weil das Landgericht eine Beteiligung am vollendeten Delikt der gefährlichen Körperverletzung, zumindest in der Tatvariante der gemeinschaftlichen Begehung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB), mit rechtsfehlerhaften Erwägungen abgelehnt hat.
1. Das Landgericht hat sich bei der Prüfung einer mittäterschaftlichen Beteiligung (§ 25 Abs. 2 StGB) bereits nicht mit den dem Tatplan entsprechenden Mitwirkungshandlungen der Angeklagten Da. und A. befasst, die diese bei der Verfolgung der beiden Angreifer bis kurz vor Eintritt in das Versuchsstadium durch Do. geleistet haben.
a) Wegen Beteiligung an einer Straftat kann sich auch derjenige als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) oder Teilnehmer (§ 26 ff. StGB) strafbar machen, der lediglich im Vorbereitungsstadium der Tat einen Tatbeitrag leistet, wenn die Tat entsprechend des gemeinsam gefassten Tatplans begangen wird. Bei einer Beteiligung mehrerer an der Tat, kann durch die Aufgabe von Vorbereitungshandlungen eine Bestrafung wegen Beteiligung an der (versuchten oder vollendeten) Tat allenfalls dann vermieden werden, wenn bis zu diesem Zeitpunkt noch kein fortwirkender oder noch wirksam werdender Tatbeitrag erbracht ist (BGH, Urteil vom 13. März 1979 - 1 StR 739/78 Rn. 8 mwN, BGHSt 28, 346, 348 = „Rücktritt“ vor dem Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 24 Rn. 38; MüKo-StGB/Hoffmann-Holland, 4. Aufl. 2020, § 24 Rn. 156). Hat ein Angeklagter dagegen auf der Grundlage gemeinsamen Wollens die Tatbestandsverwirklichung fördernde Vorbereitungs- und Unterstützungshandlungen erbracht, hat er insbesondere den in der Mitverabredung der Tat liegenden psychischen, die Tatgenossen bestärkenden Tatbeitrag geleistet, verlieren diese Tatbeiträge nicht dadurch ihre Bedeutung, dass er sich noch im Stadium der Vorbereitung entschließt, an der tatbestandsmäßigen Ausführungshandlung nun doch nicht teilzunehmen. Das innere Lossagen eines Tatbeteiligten von der Tat ist wirkungslos. Wird die Tat vollendet, ist er infolgedessen an der vollendeten Tat beteiligt (BGH, Urteile vom 13. März 1979 - 1 StR 739/78 Rn. 8 mwN, BGHSt 28, 346, 348; vom 12. Juli 2001 - 4 StR 104/01 Rn. 5 und vom 27. September 1983 - 5 StR 379/83 Rn. 7; BGH, Beschlüsse vom 11. März 1999 - 4 StR 56/99 Rn. 12 und vom 4. Juni 2019 - 4 StR 65/19); wird sie nur versucht, ist er an der versuchten Tat beteiligt.
b) Der Tatbeitrag des Angeklagten Da. könnte sich daher als in arbeitsteiligem Zusammenwirken erbrachter Teil der Handlung der anderen fünf Tatbeteiligten und umgekehrt deren Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils darstellen, mit dem übergeordneten und hinsichtlich des Geschädigten K. auch erreichten Ziel, die Angreifer gemeinsam zu stellen und zumindest mit Fußtritten zu verletzen. Hätte die Mitwirkung an bzw. die Aufnahme der Fortführung der Verfolgung in dem Einholen des Geschädigten fortgewirkt oder zumindest den Tatwillen der Handelnden bestärkt, wäre die Art der Beteiligung an der Tat zum Nachteil des Geschädigten K. nach den allgemeinen Grundsätzen zu prüfen (zum rechtlichen Maßstab BGH, Beschlüsse vom 12. August 2021 - 3 StR 441/20 Rn. 50 mwN und vom 28. April 2020 - 3 StR 85/20 Rn. 4).
2. Nichts anderes gilt für den Angeklagten A.; auch diesem könnten die zu K. s Lasten gemeinschaftlich begangenen und damit gefährlichen Körperverletzungen aufgrund des gemeinsamen Tatplans zuzurechnen sein.
Da die Urteilsgründe dem Senat eine abschließende rechtliche Prüfung der Strafbarkeit der Angeklagten Da. und A. nicht ermöglichen, bedarf die Sache insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Aufrechterhaltung von Feststellungen eines freisprechenden Urteils scheidet regelmäßig aus, weil der Angeklagte es insoweit nicht hätte anfechten können (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 353 Rn. 15a mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 662
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede