HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 421
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 24/21, Beschluss v. 23.02.2021, HRRS 2021 Nr. 421
1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 21. September 2020 aufgehoben, soweit die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
2. Die weitergehende Revision der Beschuldigten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision der Beschuldigten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufgeführten Gründen rechtlicher Überprüfung stand. Jedoch unterliegt das Urteil der Aufhebung, soweit der Beschuldigten die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung nicht gewährt worden ist (§ 67b Abs. 1 StGB).
1. Die Begründung des Landgerichts, mit der es die Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung nach § 67b Abs. 1 StGB abgelehnt und die „diskutierten Maßnahmen“ dem Vollstreckungsverfahren überlassen hat (UA S. 35), hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Mit der Möglichkeit zur Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung nach § 67b Abs. 1 StGB soll gerade dem Bedürfnis Rechnung getragen werden, den Vollzug einer angeordneten Unterbringung zu vermeiden, wenn der Zweck der Maßnahme durch mildere Maßnahmen erreicht werden kann. Mit der Anordnung der Unterbringung ist daher zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel auch so erreicht werden kann. Als besondere Umstände kommt dabei neben der Therapiebereitschaft etwa auch das Greifen von außerstrafrechtlichen Sicherungssystemen mit den Möglichkeiten der Betreuung nach Bürgerlichem Gesetzbuch, der Unterbringung in einem betreuten Wohnen oder der Depotabgabe von Psychopharmaka in Betracht (vgl. nur BGH, Urteil vom 3. August 2017 - 4 StR 193/17 Rn. 20 mwN). Insbesondere ist auch zu prüfen, ob die im Fall einer Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung nach § 67b Abs. 2 StGB kraft Gesetzes eintretende Führungsaufsicht und damit verbundene Überwachungsmöglichkeiten und die Aussicht eines im Fall eines Weisungsverstoßes drohenden Widerrufs der Vollstreckungsaussetzung nicht bereits eine hinreichende Gewähr dafür bieten, dass sich ein Betroffener der beabsichtigten, die Gefahr weiterer Taten ausschließender Behandlungen unterzieht (BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2020 - 6 StR 108/20 Rn. 3 f.; vom 23. November 2010 - 5 StR 492/10 Rn. 12 und vom 20. Juli 2010 - 4 StR 291/10 Rn. 6). Dies erfordert eine umfassende Gesamtwürdigung.
b) Diesen Anforderungen tragen die Wertungen des Landgerichts nicht ausreichend Rechnung, da es an einer umfassenden, alle hier relevanten Gesichtspunkte berücksichtigenden Gesamtabwägung fehlt.
Dabei hat das Landgericht vor allem nicht in den Blick genommen, dass die von der nicht vorgeahndeten 69-jährigen Beschuldigten begangene erhebliche Anlasstat schon mehr als zwei Jahre zurückliegt und von ihr in der Folge nur geringfügigere weitere Taten begangen wurden. Zudem leidet die Beschuldigte bereits altersbedingt an körperlichen Einschränkungen, so dass die von ihr ausgehende Gefährdung für die Allgemeinheit weiter abnehmen wird. Hinzu kommt, dass die Beschuldigte alle bisherigen Taten auf Grund einer zur Schuldunfähigkeit führenden, inzwischen chronifizierten paranoiden Wahnstörung als krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB nur gegenüber Personen aus ihrer Nachbarschaft begangen hatte. Zwar sieht das Landgericht zutreffend, dass die Beschuldigte bisher nicht zu einem Umzug bereit und auch nicht ausreichend therapiewillig ist, weil sie sich weigert, regelmäßig die zur Behandlung ihrer paranoiden Schizophrenie notwendigen Medikamente einzunehmen, so dass freiwillige ambulante Behandlungen bisher nicht möglich waren. Das Landgericht erörtert jedoch nicht, ob die von der Beschuldigten ausgehenden Gefährdungen für die Allgemeinheit durch geeignete Weisungen nach § 68b Abs. 1 StGB im Rahmen der im Fall einer zur Bewährung ausgesetzten Unterbringung eintretenden Führungsaufsicht nach § 67b Abs. 2 StGB zumindest so stark abgeschwächt und gleichzeitig eine Bereitschaft zur dauerhaften medikamentösen Therapie geweckt werden können, dass auch die Chancen zur Aufnahme etwa in eine betreute Wohnform erhöht werden. Auch die Möglichkeit einer Ausweitung der für die Beschuldigte bereits bestehenden zivilrechtlichen Betreuung um das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitsfürsorge wird nur pauschal als „zeitnah nicht realisierbar“ (UA S. 34) verneint, ohne hier auch entsprechende Maßnahmen im Wege der einstweiligen Anordnung (§§ 300, 293 Abs. 1 Satz 1 FamFG) in den Blick zu nehmen. Vor diesem Hintergrund erscheint es daher notwendig, die Frage einer Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung nach § 67b Abs. 1 StGB im Rahmen einer neuen Hauptverhandlung nochmals eingehend zu prüfen. Dabei sind die bisherigen Erfahrungen aus der erst seit dem Erlass der Ausgangsentscheidung vollstreckten vorläufigen Unterbringung (§ 126a StPO) einzubeziehen.
2. Die bisherigen Feststellungen können bestehen bleiben, da sie vom aufgezeigten Wertungsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter kann aber - insbesondere was die Aussetzungsfähigkeit der Unterbringung angeht - ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 421
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 245; StV 2022, 310
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede