HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 968
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 172/21, Beschluss v. 30.06.2021, HRRS 2021 Nr. 968
1. Auf die Revision des Angeklagten B. wird das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 18. Januar 2021 - auch zugunsten des Mitangeklagten W. - aufgehoben
a) in den Fällen II. 52. und II. 55. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen,
b) im weitergehenden gesamten Strafausspruch und im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs sowie
c) im Ausspruch über die Einziehung mit den zugehörigen Feststellungen.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in drei Fällen, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs mit einem Monat sowie ?die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 4.355 € gesamtschuldnerisch mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten W. angeordnet. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten B., mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat - unter Erstreckung auf den Mitangeklagten W. - den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieb der Angeklagte B. zusammen mit dem Mitangeklagten W. ab Anfang Januar 2020 von einer gemeinsam dauerhaft genutzten Dachgeschosswohnung aus einen Handel mit Marihuana, ab Mai 2020 zudem mit Kokain und Amphetamin. Die beiden Angeklagten lagerten das erworbene Rauschgift im ?Raucherzimmer?, um es dort zu verkaufsfertigen Kleinmengen zu portionieren, zu verpacken und anschließend gewinnbringend zu veräußern; einen geringeren Anteil von jeweils rund 30 % benötigten sie zum Eigenkonsum.
Am 23. April 2020 bewahrten die Angeklagten ein Kilogramm Marihuana mit einer zum Weiterverkauf bestimmten Wirkstoffmenge von geschätzt 70 Gramm THC (Wirkstoffgehalt von 10 %) auf; hiervon veräußerte der Mitangeklagte W. gemäß dem gemeinsamen Tatplan bis zum 8. Mai 2020 mindestens 90 Gramm (Fall II. 52. der Urteilsgründe). Am 13. Mai 2020 befanden sich ?noch 800,08 Gramm Marihuana? (UA S. 18) im Raucherzimmer mit einer zum Weiterverkauf bestimmten Wirkstoffmenge von 80,31 Gramm (Wirkstoffgehalt von 14,34 %), zudem 149 Gramm Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 8,6 % Amphetaminbase und 14,62 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 78,91 % Kokainhydrochlorid (Fall II. 55. der Urteilsgründe). Diese Rauschgiftmittel wurden bei der Durchsuchung ebenso sichergestellt wie 2.750 € Bargeld im Raucherzimmer und 1.105 € Bargeld beim Mitangeklagten W. (UA S. 22).
2. Das Urteil hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung teilweise nicht stand.
a) Die Annahme von Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1 StGB) begegnet bezüglich der Fälle II. 52. und 55. der Urteilsgründe durchgreifenden Bedenken.
aa) Insbesondere wegen des Wortes ?noch? drängt sich auf, dass es sich bei den am 13. Mai 2020 sichergestellten 800,08 Gramm Marihuana um eine Restmenge der ab dem 23. April 2020 in der Dachgeschosswohnung ?gebunkerten? 1.000 Gramm Marihuana handelte, die damit zu derselben Bewertungseinheit gehörten. Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilgründe ist nicht zu entnehmen, dass die beiden Angeklagten die 1.000 Gramm Marihuana innerhalb des kurzen Tatzeitraums bis zum 13. Mai 2020 vollständig veräußerten; solches ist insbesondere nicht aus der beweiswürdigenden Erwägung zu schließen, dass neben dem Auffinden eines ?szenetypischen? durchsichtigen Plastikbeutels der Umfang des sichergestellten Bargeldes den Handel mit einem Kilogramm Marihuana belege (UA S. 22). Denn es fehlen weitere tragende Ausführungen dazu, dass das sichergestellte Bargeld in Höhe von 3.855 € allein aus dem Abverkauf des einen Kilogramms Marihuana ab dem 23. April 2020 stammte.
bb) Auch das erworbene Amphetamin und Kokain können hier nicht die Annahme von Tatmehrheit begründen. Zwar besteht kein Anhalt für einen einheitlichen Erwerbsvorgang; es drängt sich aber allein mit Blick auf die räumlichen Verhältnisse auf, dass die Angeklagten das Marihuana, das Amphetamin und das Kokain zu einem Verkaufsvorrat im Raucherzimmer vereinten, was zu einer Bewertungseinheit führen würde. Erst recht ist nicht auszuschließen, dass die tatbestandlichen Ausführungshandlungen bezüglich der drei verschiedenen Betäubungsmittelarten sich durch das gemeinsame Ausüben der Verfügungsgewalt infolge engen räumlichen und zeitlichen Vorrätighaltens zur Veräußerung zumindest überschnitten (§ 52 Abs. 1 Alternative 2 StGB; vgl. zum Ganzen BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2018 - 3 StR 88/18, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Konkurrenzen 6 Rn. 6 f.; vom 12. November 2019 - 1 StR 310/19 Rn. 6 und vom 5. Juni 2019 - 2 StR 287/18 Rn. 8).
cc) Eine Abänderung des Schuldspruchs, gleich ob auf einen Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge oder zumindest eine tateinheitliche Begehung, ist dem Senat indes wegen der Unsicherheiten bezüglich des Zusammenhangs zwischen den Marihuanamengen verwehrt. Denn insbesondere hat das Landgericht den Wirkstoffgehalt der Menge von einem Kilogramm aus der Tat vom 23. April 2020 geschätzt und nicht etwa mit 14,34 % bestimmt.
dd) Der Konkurrenzfehler nötigt zur Aufhebung des diese beiden Taten betreffenden Schuldspruchs mitsamt den zugehörigen Feststellungen sowie des gesamten Strafausspruchs, was die Neubestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs (§ 67 Abs. 2 Satz 2, 3, Abs. 5 Satz 1 StGB) nach sich zieht. Das neue Tatgericht wird die Wirkstoffmenge des Kokains zutreffend zu bestimmen haben (vgl. Seite 2 der Antragsschrift des Generalbundesanwalts).
b) Die Einziehungsentscheidung hat ebenfalls keinen Bestand.
aa) Dies folgt bereits aus der Unklarheit, ob das Landgericht das beschlagnahmte (gegenständliche) Bargeld nach § 73 Abs. 1 StGB einziehen oder die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB anordnen wollte, was eine Geldforderung des Staates begründen würde. Die Begründung der Einziehung (UA S. 54) ist widersprüchlich: Zum einen soll ?Wertersatz? eingezogen werden; zum anderen sollte nach dem an derselben Urteilsstelle referierten Beschränkungsbeschluss (§ 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO) ?wegen der schlechten Vermögensverhältnisse der Angeklagten … von einer weitergehenden Einziehung über den insgesamt sichergestellten Betrag von 4.355 Euro hinaus abgesehen? werden, was eine gegenständliche Einziehung bedeutet.
bb) In der Höhe ist ein Betrag von 4.355 € rechnerisch nicht belegt, sondern allenfalls ein solcher von 3.855 € (UA S. 22). Zudem ist eine Mitverfügungsgewalt des Angeklagten B. am beim Mitangeklagten W. sichergestellten Bargeld (1.105 €) nicht festgestellt. Eine solche ergibt sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe; im Gegenteil veräußerte der Nichtrevident in einer Vielzahl von weiteren Fällen Rauschgift, woran sich der Angeklagte B. nicht beteiligte.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 968
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede