HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 422
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 310/20, Beschluss v. 23.12.2020, HRRS 2021 Nr. 422
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 19. März 2020 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 62 Fällen, Betruges in 35 Fällen und Steuerhinterziehung in 37 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges (§ 263 StGB) in 35 Fällen im Hinblick auf die Meldung zu niedriger Bruttolohnsummen und Abführung zu niedriger Beiträge für die Monate September 2016 bis Juli 2019 an die SOKA-Bau im Rahmen des Urlaubskassenverfahrens im Baugewerbe (Fälle 63 bis 97 der Urteilsgründe) ist rechtsfehlerfrei.
Der Angeklagte war gemäß den §§ 6, 18 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) verpflichtet, der SOKA-Bau für jeden Kalendermonat bis zum 15. des folgenden Monats den beitragspflichtigen Bruttolohn zu melden und die fälligen Beiträge für die von ihm geleitete R. GmbH bis zum 20. des dem Abrechnungszeitraum folgenden Monats abzuführen. Dieser Pflicht kam er nicht ordnungsgemäß nach, indem er für die Monate September 2016 bis Juli 2019 zu niedrige Bruttolöhne anmeldete und entsprechend zu niedrige Beiträge an die SOKA-Bau zahlte. Für die R. GmbH galt diese Bestimmung unabhängig davon, ob es sich bei ihr um ein unmittelbar tarifgebundenes Unternehmen handelte oder ob sie dem Tarifvertrag aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärung des VTV unterlag. Die Allgemeinverbindlicherklärungen für die verfahrensgegenständlichen Kalenderjahre waren - im Gegensatz zu vorangegangenen Zeiträumen (vgl. BAG, Beschluss vom 21. September 2016 - 10 ABR 48/15 Rn. 153 ff.; BGH, Beschluss vom 8. Juni 2017 - 1 StR 614/16 Rn. 7) - auch wirksam (vgl. BAG, Beschlüsse vom 21. März 2018 - 10 ABR 62/16 und vom 20. November 2018 - 10 ABR 12/18 Rn. 14 ff.).
Der Umstand, dass die Meldungen an die SOKA-Bau gemäß § 4 VTV elektronisch abzugeben waren, steht der Annahme einer Täuschung und irrtumsbedingten Vermögensverfügung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB bei den zuständigen Mitarbeitern der SOKA-Bau nicht entgegen. Nach den Urteilsfeststellungen unterließen sie in Unkenntnis der tatsächlichen monatlichen Bruttolohnsummen die Einforderung der ausstehenden Beiträge (UA S. 14, 27). Entgegen der Auffassung der Revision ist nicht von Bedeutung, ob in die Geltendmachung von gemeldeten Beiträgen Mitarbeiter der SOKA-Bau eingebunden waren oder ob dies rein elektronisch erfolgte. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Mitarbeiter der SOKA-Bau in den Fällen, in denen monatliche Meldungen erfolgten, allgemein von einer Geltendmachung der geschuldeten Beiträge absahen und dabei das generelle sachgedankliche Mitbewusstsein hatten, dass es in diesen Fällen auch im Hinblick auf die Beitragshöhe eines Einschreitens nicht bedurfte. Einer detaillierten Darstellung der konkreten Aufgabengebiete der Mitarbeiter der SOKA-Bau bedurfte es dabei in den Urteilsgründen nicht.
Durch die irrtumsbedingte Nichtgeltendmachung der nicht gemeldeten Beitragsteile ist auch ein Schaden im Vermögen der SOKA-Bau entstanden. Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwerts seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 2. Februar 2016 - 1 StR 437/15 Rn. 33). Der SOKA-Bau ist damit durch die täuschungsbedingt unterlassene Geltendmachung der ausgehend vom VTV geschuldeten und nicht abgeführten Beitragsteile unabhängig davon ein Vermögensschaden entstanden, ob und ggf. in welcher Höhe die R. GmbH zu einem späteren Zeitpunkt Erstattungsbeträge hätte geltend machen können. Die sich aus dem Tarifvertrag ergebenden Ansprüche auf Beitragszahlung sind Bestandteile des Vermögens der SOKA-Bau. Dies wird durch den Umstand, dass die SOKA-Bau die von den Arbeitgebern zu zahlenden Beträge ansammelt und hiermit im Rahmen ihrer Zwecksetzung wirtschaftet (vgl. zum Zweck des Urlaubskassenverfahrens: BAG, Urteil vom 25. Oktober 1984 - 6 AZR 35/82 Rn. 19 f.), nicht in Frage gestellt, zumal das Urlaubskassenverfahren die Bezahlung gleichmäßig auf alle Arbeitgeber der Branche verteilen soll (BAG aaO Rn. 19 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 422
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 177
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede