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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 978

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 287/20, Urteil v. 29.06.2021, HRRS 2021 Nr. 978


BGH 1 StR 287/20 - Urteil vom 29. Juni 2021 (LG München I)

Aufklärungsrüge (Begründungsanforderungen); Inbegriffsrüge (keine umfassende Auseinandersetzung mit allen Beweismitteln im Urteil erforderlich).

§ 244 Abs. 2 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 261 StPO; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Für die erforderliche Begründung einer Aufklärungsrüge ist eine bestimmte Tatsache, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, und das Beweismittel zu bezeichnen, dessen es sich hätte bedienen sollen. Darüber hinaus muss bestimmt behauptet und konkret angegeben werden, welche Umstände das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen und welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre. Wird ein Aufklärungsmangel aus dem Inhalt einer im Ermittlungsverfahren erfolgten Zeugenvernehmung hergeleitet, so bedarf es grundsätzlich deren vollständiger inhaltlicher Wiedergabe.

Entscheidungstenor

1. Die Revisionen der Angeklagten G. und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 22. November 2019 werden verworfen.

2. Die Angeklagte trägt die Kosten ihres Rechtsmittels. Die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Das Landgericht hat die Angeklagte G. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Den Angeklagten K. hat es wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zehn Fällen, in zwei Fällen in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln, sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Das Landgericht hat die Angeklagten G. und K. im Übrigen und den Angeklagten B. insgesamt freigesprochen.

Die Angeklagte G. greift mit ihrer auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision ihre Verurteilung an. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revisionen auf die Teilfreisprüche der Angeklagten G. und K. sowie auf den Freispruch des Angeklagten B. beschränkt. Insoweit beanstandet sie das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel bleiben insgesamt ohne Erfolg.

II.

Das Landgericht hat die Angeklagten G. und K. vom Vorwurf der schweren Zwangsprostitution jeweils in Tateinheit mit besonders schwerer Zwangsprostitution, mit schwerem und besonders schwerem Menschenhandel sowie mit Zuhälterei in neun Fällen und den Angeklagten B. vom Vorwurf der schweren Zwangsprostitution jeweils in Tateinheit mit besonders schwerer Zwangsprostitution, mit schwerem und besonders schwerem Menschenhandel und mit Zuhälterei aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Angeklagten G. und K. wurden darüber hinaus freigesprochen, soweit ihnen noch weitere Betäubungsmitteldelikte in der Anklageschrift zur Last gelegt wurden.

1. Nach den Urteilsfeststellungen betrieben die Angeklagten G. und K. im Zeitraum Februar 2017 bis August 2018 den Bordellbetrieb „A.“ und die dazugehörige Table-Dance-Bar „E.“ in M. In diesem Zeitraum waren in dem Bordell - bei unterschiedlicher Zeitdauer der Beschäftigung - unter anderen acht Frauen und ein Mann aus Rumänien, Ungarn und Bulgarien als Prostituierte tätig. Die Zeugin P. war zum Zeitpunkt ihrer Tätigkeit 18 Jahre alt. Die Prostituierten wohnten jeweils in einem Zimmer des Bordells, in dem sie auch der Prostitution nachgingen. Die Angeklagten boten den Prostituierten eine feste Tagesmiete von 100 Euro oder eine anteilige, von ihren Tageseinnahmen abhängige Mietzahlung von 50 bis 100 Euro an. Die Mietnebenkosten waren im Mietpreis ebenso enthalten wie die nichtalkoholischen Getränke an der Bar. Auch die vom Angeklagten K. eingekauften Lebensmittel standen ihnen kostenlos zur Verfügung. Zu Beginn der Tätigkeit einer Prostituierten beauftragten die Angeklagten G. und K. mit deren Einverständnis einen Fotografen, Fotos von den Prostituierten zu fertigen, mit denen in einem Schaukasten im Eingangsbereich des Bordells und im Internet Werbung betrieben wurde. Die hierfür in unterschiedlicher Höhe anfallenden Kosten hatten die Prostituierten zu tragen.

Die Öffnungszeiten der Table-Dance-Bar und des angeschlossenen Bordellbetriebs waren unter der Woche von 20.00 Uhr bis 3.00 Uhr, am Wochenende von 17.00 Uhr bis 5.00 Uhr. Außerhalb der Öffnungszeiten konnten Freier bei einer Prostituierten an deren persönlicher Klingel nach sexuellen Dienstleistungen nachfragen. Den Prostituierten stand es frei, nicht genehme Freier abzulehnen. Während der Öffnungszeiten sollten gewünschte Abwesenheiten der Prostituierten mit den Angeklagten abgesprochen werden. Die Preise für die sexuellen Dienstleistungen waren mit zeitlicher Staffelung als Mindestpreis festgelegt. Dies wurde von den Prostituierten akzeptiert. Etwaige Aufpreise für „Extras“ an sexuellen Dienstleistungen verblieben den Prostituierten. Die Einnahmen wurden von den Prostituierten nach jedem Kundenbesuch in einem Heft eingetragen und der Geldbetrag in einem mit ihrem Namen versehenen Umschlag in einen Tresor eingeworfen; nach der Abrechnung erhielten die Prostituierten den Betrag nach Abzug der Tagesmiete und etwaiger Schulden in der Regel ausgehändigt. An der Kasse am Bartresen konnten sie sich bei Bedarf Beträge bis zu 80 Euro entnehmen, die in die Abrechnung eingestellt wurden. Bei angebotenen Escort-Terminen wurden die Einnahmen zwischen den Prostituierten und den Angeklagten aufgeteilt; die Prostituierten hatten jedoch die Fahrtkosten zu tragen.

Das Landgericht vermochte nicht festzustellen, dass die Angeklagten eine Prostituierte jemals mit körperlicher Gewalt oder mit der Drohung mit körperlicher Gewalt oder mit der Drohung mit einem empfindlichen persönlichen oder wirtschaftlichen Nachteil veranlassten oder auch nur veranlassen wollten gegen ihren Willen einen an ihrer persönlichen Klingel läutenden Kunden zu bedienen. Der Angeklagte K. habe lediglich seinen Unmut bekundet, weil die Kunden sonst ausbleiben könnten. Die Prostituierten seien - auch während der Öffnungszeiten der Bar und des Bordells - nicht am Verlassen der Örtlichkeiten gehindert worden. Die Videokameras in der Table-Dance-Bar und im Korridor des Bordells hätten zur Sicherheit im Betrieb beigetragen. Eine Kontrolle der Prostituierten und eine nachträgliche Auswertung der Aufzeichnungen durch die Angeklagten habe nicht festgestellt werden können, ebenso wenig, dass die Videoüberwachung dazu diente, die Prostituierten von der Aufgabe ihrer Tätigkeit abzuhalten. Ein entsprechender Wille sei bei den Angeklagten nicht vorhanden gewesen. Soweit der Angeklagte K. vier Körperverletzungshandlungen zum Nachteil der Zeugin R. begangen habe, sei dies im Rahmen von Beziehungsstreitigkeiten erfolgt. Zu der Körperverletzungshandlung der Angeklagten G. gegenüber der Zeugin Bo. sei es wegen eines Streits über die Zahlung der Miete gekommen, weil die Angeklagte sich über das Verhalten der Geschädigten geärgert habe. In beiden Fällen habe kein Zusammenhang mit der Prostitutionsausübung bzw. -fortsetzung bestanden.

2. Nach den Urteilsfeststellungen lernte der Angeklagte B. die Zeugin Bo. im Februar 2018 als Kollegin in einer Autofabrik in Ungarn kennen. Sie hatte bereits Mitte 2017 drei Monate als Prostituierte gearbeitet. Der Angeklagte B. machte Bo., die ihm ihre Zuneigung entgegenbrachte, in Ungarn mit der Angeklagten G. bekannt. In Kenntnis des Umstands, dass die Angeklagte G. in M. ein Bordell betrieb, fuhr die Zeugin Bo. mit ihr am 13. März 2018 nach M., um sich dort den Bordellbetrieb anzusehen und bei Gefallen erneut der Prostitution nachzugehen. Der Angeklagte B. verblieb in Ungarn. Bo. entschloss sich, im Bordell zu arbeiten. Die Beendigung ihrer Tätigkeit war ihr jederzeit möglich; sie verblieb im Besitz ihres Ausweises und ihrer beiden Smartphones. Als sie am 5. April 2018 aus persönlichen Gründen nach Ungarn fahren wollte, besorgte ihr die Angeklagte Gö. eine Bahnfahrkarte; Bo. verpasste aber den Zug. Auf ihren Wunsch reiste der Angeklagte B. am 6. April 2018 nach M. und übernachtete am 7. April auf den 8. April 2018 bei der Zeugin Bo. in deren Zimmer im Bordell. In dieser Nacht hat er die körperliche Auseinandersetzung der Angeklagten G. zum Nachteil der Zeugin Bo. miterlebt. Er hat sich aber herausgehalten, nachdem er von der Angeklagten G. hierzu aufgefordert worden war.

III.

1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen die Teilfreisprüche der Angeklagten G. und K. sind als auf die Strafvorwürfe zum Nachteil der neun Prostituierten beschränkt anzusehen.

a) Zwar hat die Staatsanwaltschaft in der Revisionsbegründung lediglich eine Beschränkung auf die Teilfreisprüche hinsichtlich der Angeklagten G. und K. erklärt und insoweit die Aufhebung des Urteils beantragt. Dieser Revisionsantrag steht jedoch mit dem übrigen Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang (vgl. BGH, Urteil vom 14. Oktober 2020 - 1 StR 33/19 Rn. 17 f. mwN). Danach umfasst das Revisionsvorbringen nicht die wegen weiterer in der Anklageschrift angeführter Betäubungsmitteldelikte erfolgten Teilfreisprüche.

b) Hingegen können die angeklagten und verurteilten Körperverletzungshandlungen zum Nachteil der Zeuginnen Bo. und R. nicht wirksam vom Rechtsmittelangriff ausgenommen werden. Insoweit besteht - ungeachtet des Konkurrenzverhältnisses - ein untrennbarer Zusammenhang mit den den Angeklagten G. und K. wegen der im Rahmen der Prostitutionsausübung vorgeworfenen Taten, wegen derer sie freigesprochen worden sind. Die den Körperverletzungsdelikten zugrundeliegenden Sachverhalte können als mögliche Tatmodalität einer Ausbeutung bzw. einer Ausnutzung einer Zwangslage (§ 181a Abs. 1 Nr. 1, § 232 Abs. 1 Nr. 1a StGB) der Geschädigten nicht getrennt beurteilt werden.

2. Die von der Staatsanwaltschaft erhobenen Verfahrensrügen dringen nicht durch.

a) Die Inbegriffsrüge (§ 261 StPO), wonach das Landgericht es unterlassen habe, die unterschiedlichen Einlassungen des Angeklagten B. zu würdigen und die in der Hauptverhandlung verlesenen Protokolle über die Haftbefehlseröffnung am 12. September 2018 und die mündliche Haftprüfung am 5. November 2018 in den Urteilsgründen wiederzugeben und in die Beweiswürdigung einzustellen, ist unbegründet. Allein aus dem Umstand, dass ein Beweismittel oder der Inhalt einer Einlassung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren in den Urteilsgründen unerwähnt bleibt, kann noch nicht geschlossen werden, dass dies im Rahmen der Beweisbewertung übergangen worden ist. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur erschöpfenden Würdigung der Beweise liegt nur dann vor, wenn sich die Erörterung des Beweisinhalts mit Rücksicht auf die sonstigen Feststellungen aufdrängen musste (vgl. BGH, Urteile vom 8. März 2018 - 3 StR 571/17 Rn. 6 und vom 17. März 2015 - 2 StR 281/14 Rn. 18). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Angeklagte B. hat in der Hauptverhandlung bestritten, dass er die Zeugin Bo. mit unrichtigen Versprechungen zur Aufnahme einer Tätigkeit als Prostituierte in Deutschland veranlasst habe. Die Zeugin habe vielmehr aus eigenem Antrieb die Tätigkeit aufgenommen, nachdem er ihr den Kontakt zur Angeklagten G. vermittelt habe. In den Vernehmungen vor dem Ermittlungsrichter hatte der Angeklagte noch angegeben, keine Kenntnis davon gehabt zu haben, dass die Zeugin Bo. als Prostituierte im Bordell der Angeklagten G. arbeitete, sondern gedacht zu haben, dass sie als Bardame tätig gewesen sei.

Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung als nicht widerlegt angesehen. Maßgeblich hierfür war, dass die Angaben der Zeugin Bo., die sie im Ermittlungsverfahren gemacht hatte und die in der Hauptverhandlung durch Vernehmung der Polizeibeamtin eingeführt wurden, aufgrund der inhaltlichen Widersprüche durch die Beweisaufnahme erschüttert wurden (UA S. 220 ff.). Die Änderung des Einlassungsverhaltens des Angeklagten B. in der Hauptverhandlung im Vergleich zu seinen Angaben im Ermittlungsverfahren spielten insoweit keine Rolle, so dass sich eine explizite Darstellung und Erörterung dieser Angaben in den Urteilsgründen nicht aufdrängte.

b) Soweit die Revision beanstandet, dass das Landgericht nicht auf eine persönliche Einvernahme der Zeugin Bo. hingewirkt habe, nachdem diese einer Ladung zur Hauptverhandlung nicht nachgekommen war, ist die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO sind die behaupteten Verfahrensmängel so genau mitzuteilen, dass vom Revisionsgericht geprüft werden kann, ob der geltend gemachte Verfahrensverstoß vorliegt, wenn die mitgeteilten Tatsachen bewiesen werden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, eine bestimmte Tatsache, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, und das Beweismittel zu bezeichnen, dessen es sich hätte bedienen sollen. Darüber hinaus muss bestimmt behauptet und konkret angegeben werden, welche Umstände das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen und welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre. Wird ein Aufklärungsmangel aus dem Inhalt einer im Ermittlungsverfahren erfolgten Zeugenvernehmung hergeleitet, so bedarf es grundsätzlich deren vollständiger inhaltlicher Wiedergabe (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2007 - 1 StR 317/07).

An letzterem fehlt es vorliegend. Ausführungen zu der Beweisbehauptung und dem Ergebnis der unterbliebenen persönlichen Einvernahme der Zeugin Bo. enthält der Revisionsvortrag ebenso wenig wie eine vollständige Wiedergabe der polizeilichen Zeugenvernehmung. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob das Landgericht sich hätte gedrängt sehen müssen, die Zeugin nochmals zur Hauptverhandlung zu laden oder andere Möglichkeiten einer Einvernahme in Betracht zu ziehen.

c) Auch die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) betreffend die Zeugin P., die einer Ladung zum Hauptverhandlungstermin nicht gefolgt war, ist unzulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Revisionsführerin unterlässt es mitzuteilen, welche Angaben die Zeugin in der Hauptverhandlung tätigen werde und weshalb dies für eine konkrete Beweisbehauptung sowie eines Beweisergebnisses ausreicht, so dass das Tatgericht sich zur persönlichen Einvernahme der Zeugin hätte gedrängt sehen müssen. Aus der von der Revision mitgeteilten polizeilichen Einvernahme der Zeugin im Wege der Rechtshilfe, die vom Tatgericht wegen Widerspruchs der Verteidigung nicht verlesen und auch nicht verwertet wurde, ergeben sich keine Tatsachen, die belegen, dass die Angeklagten G. und K. damit befasst waren, die zur Tatzeit 18-jährige Zeugin zur Aufnahme der Prostitution zu veranlassen. Auch sind keine Anhaltspunkte in dieser Aussage ersichtlich, dass die Angeklagten Kenntnis von den Umständen der Verbringung der Zeugin nach Deutschland und dem Einbehalt ihrer Einnahmen durch die anderweitig Verfolgten T. und S. erlangt haben.

d) Schließlich sind auch die (zusammengefassten) Aufklärungsrügen (§ 244 Abs. 2 StPO) hinsichtlich der Zeugen Bi., L. und Le. unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Revision gibt die Aussagen der benannten und in der Hauptverhandlung auf Ladung des Gerichts nicht erschienen Zeugen nicht (vollständig) wieder, die sie jeweils im Ermittlungsverfahren bei polizeilichen Vernehmungen gemacht haben und die durch die Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt wurden. Es kann daher nicht überprüft werden, ob der Tatrichter sich gedrängt sehen musste, die Zeugen zu bestimmten Beweisbehauptungen, die von der Revision nicht dargelegt werden, in der Hauptverhandlung persönlich zu hören.

e) Der von der Revision behauptete Verstoß gegen die Kognitionspflicht (§ 264 StPO) liegt nicht vor.

Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Anklageschrift u.a. gemäß „§§ 154 Abs. 1, 154a Abs. 1 StPO“ von der Verfolgung von Taten bzw. Tatteilen abgesehen, soweit die Angeklagten G. und K. Geldbeträge für Werbeinserate von fünf Prostituierten vereinnahmt haben, die jedoch nicht veranlasst wurden, weil die Angeklagten die Gelder entsprechend ihrer vorgefassten Absicht für sich selbst verwendet haben (§ 263 StGB).

Ungeachtet der Frage, ob die vom Landgericht nicht vorgenommene Wiedereinbeziehung der Betrugsvorwürfe bereits mit der Sachrüge als materiellrechtlicher Mangel angreifbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1995 - 1 StR 320/95 Rn. 8) oder ob eine den Zulässigkeitsanforderungen gerecht werdende Verfahrensrüge zu erheben ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 - 4 StR 370/95 Rn. 20 ff.), war eine Wiedereinbeziehungsentscheidung durch das Tatgericht von sich aus nicht veranlasst. Bei den Betrugsvorwürfen - ebenso wie bei den abgeurteilten Körperverletzungshandlungen zum Nachteil der Zeuginnen Bo. und R. - handelte es sich um rechtlich selbständige Taten (§ 53 StGB). Die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft bezog sich sowohl auf abtrennbare Tatteile nach § 154a StPO als auch auf selbständige Taten nach § 154 StPO. Unabhängig davon, dass die Angeklagten zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, war daher vom Landgericht nicht darauf hinzuwirken, dass die eingestellten Betrugsvorwürfe nach § 154 Abs. 4 StPO wiederaufgenommen werden.

3. Die Freisprüche der Angeklagten G., K. und B. weisen keinen durchgreifenden sachlichrechtlichen Rechtsfehler auf.

Zu den Einzelbeanstandungen der Revision ist Folgendes auszuführen:

a) Die Einwände der Staatsanwaltschaft gegen die Beweiswürdigung greifen nicht durch.

Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht übertragen (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, die Ergebnisse der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein. Es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder der Tatrichter überspannte Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung gestellt hat. Liegen solche Fehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näherliegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. August 2018 - 3 StR 651/17 Rn. 41).

Gemessen an diesen Grundsätzen hält die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtlicher Nachprüfung stand.

aa) Dies gilt auch für die Würdigung der Beweise für die dem Angeklagten B. vorgeworfenen Tat zum Nachteil der Zeugin Bo. Soweit das Landgericht sich nicht die Überzeugung zu verschaffen vermochte, dass der Angeklagte sie mit unzutreffenden Versprechungen zur erneuten Aufnahme einer Tätigkeit als Prostituierte in Deutschland veranlasste, nimmt der Senat dies auch mit Blick auf die vom Landgericht gewürdigten Telefonate der Beteiligten (UA S. 231 ff.) hin.

bb) Ohne Rechtsfehler ist auch die Würdigung des Landgerichts, dass die Körperverletzungshandlung der Angeklagten G. gegenüber der Zeugin Bo. aus Verärgerung erfolgte, nicht jedoch um die Zeugin zur Fortsetzung der Prostitutionsausübung zu veranlassen. Gleiches gilt für die Verneinung einer auslandsspezifischen Hilflosigkeit oder Ausbeutung der Zeugin Bo. .

cc) Ebenso rechtsfehlerfrei ist die Beweiswürdigung des Landgerichts, dass die Körperverletzungshandlungen des Angeklagten K. zum Nachteil der Geschädigten R. ihren Grund lediglich in ihrer gemeinsamen Beziehung hatten. Das Landgericht hat zudem eine Ausbeutung der Geschädigten mit nicht zu beanstandender Begründung verneint, soweit sie mit dem Angeklagten K. nach eigenen Angaben mit ihren Einnahmen eine „gemeinsame Kasse“ geführt hat. Mit ihren Ausführungen nimmt die Revision lediglich eine eigene Bewertung der Beweisergebnisse vor.

2. Entgegen dem Revisionsvorbringen besorgt der Senat ferner nicht, dass das Landgericht bei Anwendung sachlichen Rechts einen unzutreffenden Prüfungsmaßstab angewendet hat. Zwar ist der Revision zuzugeben, dass das Landgericht bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen der § 232 Abs. 1, § 232a Abs. 1 Nr. 1 StGB zum Nachteil der 18-jährigen Zeugin P. rechtlich unzutreffend ausführt, dass die freiwillige Aufnahme und Fortsetzung der Prostitution von „Personen über 18, aber unter 21 Jahren in Deutschland nicht strafbar ist, sofern nicht ein Täter eine Zwangslage ausnutzt“ (UA S. 205; entgegen der rechtlich zutreffenden Bewertung auf UA S. 75). Die Strafkammer hat jedoch maßgeblich vorangestellt, dass die Angeklagten G. und K. keine Kenntnis von den Umständen hatten, die die Geschädigte zur Aufnahme der Prostitutionstätigkeit durch die anderweitig Verfolgten T. und S. veranlasst haben. Entgegen dem Vortrag der Revision ist aus der Formulierung auf UA S. 205 nicht zu folgern, dass dem Landgericht die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 232, 232a, 181a StGB „insgesamt nicht geläufig“ sind. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist insoweit ersichtlich, dass das Landgericht die tatbestandlichen Voraussetzungen der ausbeuterischen und dirigierenden Zuhälterei (§ 181a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB) sowie der Ausbeutung im Sinne von § 232 StGB ohne Rechtsfehler verneint hat. Auch die Anforderungen zum subjektiven Tatbestand dieser Vorschriften hat die Strafkammer nicht überspannt.

IV.

Die Revision der Angeklagten G. ist aus der Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 978

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 345

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede