HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1189
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 270/19, Beschluss v. 25.07.2019, HRRS 2019 Nr. 1189
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 8. Februar 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Die hiergegen gerichtete auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts feierten der Angeklagte und dessen Lebensgefährtin, M., am Abend des 26. Mai 2018 mit verschiedenen anderen Personen, insbesondere der Zeugin W. und dem späteren Geschädigten, K., in ihrer Wohnung, wobei alle erhebliche Mengen an alkoholischen Getränken zu sich nahmen. Der Geschädigte, bei dem es sich um eine neuere Bekanntschaft der Zeugin W. handelte, verhielt sich im Laufe des Abends immer wieder respektlos und provokant; unter anderem prahlte er damit, schon gesehen zu haben, wie Menschen getötet worden seien, und auch selbst schon getötet zu haben. Wegen abfälliger Äußerungen des Geschädigten zum Tod des Bruders der Zeugin M. und dessen Beerdigung war der Angeklagte aufgebracht. Im Laufe des Abends zogen sich der Angeklagte und der Geschädigte für einige Minuten in das Schlafzimmer zurück; eine Verhaltensänderung der beiden war danach nicht festzustellen.
Nachdem alle Gäste bis auf die Zeugin W. und den Geschädigten die Zusammenkunft verlassen hatten, feierten die Verbliebenen noch eine Weile weiter, insbesondere tranken sie weiteren Alkohol und tanzten. Gegen 3.00 Uhr saß der Geschädigte auf einem Hocker vor dem Wohnzimmertisch mit dem Rücken zum Raum und aß, während die Zeugin W. ihm gegenüber auf der Couch saß, die Zeugin M. in der Küchenzeile mit dem Rücken zum Wohnbereich aufräumte und der Angeklagte hinter dem Geschädigten im Wohnbereich auf- und abging. Der Angeklagte, der aufgrund seiner erheblichen Alkoholisierung und einer möglichen affektiven Erregung nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt war, nahm ein spitz zulaufendes Küchenmesser mit einer Klingenlänge von zwölf cm und einer maximalen Klingenbreite von zwei cm, das möglicherweise zuvor auf dem Couchtisch gelegen hatte, und stach mit diesem von hinten seitlich einmal in den Hals des mit dem Rücken zu ihm gewandt sitzenden Geschädigten. Aufgrund des Stichs, der über eine Länge von ca. elf cm leicht absteigend nach links vorne unten in den Halsbereich des Geschädigten eindrang und an der Innenseite des Wirbelbogens des VI. Halswirbels endete, stürzte der Geschädigte, der nicht mit einem Angriff des Angeklagten auf seine körperliche Unversehrtheit gerechnet hatte, nach rechts vom Hocker auf den Boden und verstarb wenige Minuten später. Der Angeklagte handelte in dem sicheren Wissen, dass der Stich zum Tod des Geschädigten führen würde. Er nutzte die Arglosigkeit und die hierdurch bedingte Wehrlosigkeit des Geschädigten in feindlicher Willensrichtung bewusst zu dessen Tötung aus.
2. Der Angeklagte hat die Tat bestritten. Seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten hat das Landgericht insbesondere auf die Aussage der Zeugin W., daneben aber auch auf das Spurenbild am Tatort und die Ausführungen der Sachverständigen zum Obduktionsergebnis sowie die polizeiliche Aussage der Zeugin M. gestützt. Im Einzelnen hat es ausgeführt, ein Unfall oder Suizid sei bereits nach dem objektiven Spurenbild und dem Obduktionsergebnis ausgeschlossen. Auch von einer Täterschaft der Zeuginnen M. und W. sei nicht auszugehen. Was die Zeugin W. betreffe, habe diese nach eigener Aussage, die - von der ursprünglich behaupteten Unfallversion abgesehen - insoweit „stets konsistent“ gewesen sei (UA S. 53) und auch mit der ersten Aussage der Zeugin M. in Einklang stehe, bei der Tat gegenüber dem Geschädigten auf der Couch gesessen. Die Täterschaft des Angeklagten sei durch die Aussage der Zeugin W., die anders als die Einlassung des Angeklagten mit dem Spurenbild und dem Obduktionsergebnis in Einklang stehe, belegt. Die Angaben der Zeugin W. seien insbesondere auch deshalb glaubhaft, weil sie im Kern - insbesondere zur Stichführung - „detailreich und präzise“ (UA S. 55, ähnlich auch UA S. 57) gewesen seien. Dass die Schilderung des Tatgeschehens durch die Zeugin „in Randbereichen nicht durchgehend konsistent“ (UA S. 56) gewesen sei, stehe der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin nicht entgegen, weil es hierfür plausible Erklärungen gebe.
Das Urteil hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Der Schuldspruch hat keinen Bestand, weil die Täterschaft des Angeklagten nicht tragfähig beweiswürdigend belegt ist.
a) Das Landgericht hat zwar gesehen, dass in einem Fall, in dem die Entscheidung - wie hier - im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben der Tatrichter folgt, eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung eines gegebenenfalls feststellbaren Aussagemotivs sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben erforderlich ist (vgl. BGH, Urteile vom 13. März 2019 - 2 StR 462/18 Rn. 13 mwN und vom 22. Oktober 2014 - 2 StR 92/14 Rn. 9 f. mwN); auch existiert kein Erfahrungssatz des Inhalts, dass einem Zeugen nur entweder insgesamt geglaubt oder insgesamt nicht geglaubt werden darf (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2017 - 5 StR 520/17 Rn. 6; MüKo-StPO/Miebach, 1. Aufl. 2016, § 261 Rn. 225 mwN). Allerdings muss das Tatgericht eine belastende Aussage, wenn es dieser nur teilweise folgen will oder es die Aussage sogar in Teilen als bewusst falsch erachtet, nicht nur mit besonderer Sorgfalt würdigen, sondern es muss regelmäßig zudem außerhalb der Aussage liegende gewichtige Gründe benennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2017 - 5 StR 520/17 Rn. 6; Urteile vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 159 und vom 17. November 1998 - 1 StR 450/98, BGHSt 44, 256, 257).
b) Diesen Anforderungen wird das landgerichtliche Urteil nicht gerecht.
aa) Soweit das Landgericht die für seine Überzeugungsbildung maßgebliche Aussage der Zeugin W., der es nur teilweise gefolgt ist („soweit … gefolgt werden konnte“ UA S. 35), als „im Kern detailreich und präzise“ (UA S. 55, ähnlich auch UA S. 57) beziehungsweise nur „in Randbereichen nicht durchgehend konsistent“ (UA S. 56) gewürdigt hat, steht dies zu den weiteren beweiswürdigenden Ausführungen im Widerspruch. Hiernach hat die Zeugin in den verschiedenen Vernehmungen zu ihren Beobachtungen des eigentlichen Tatgeschehens - der Stichführung durch den Angeklagten - divergierende Angaben gemacht und zudem ein mit dem Obduktionsergebnis nicht zu vereinbarendes Verhalten des Geschädigten nach dem Stich geschildert, was aber, so das Landgericht, jeweils mit einer unbewussten Füllung einer Wahrnehmungslücke mit Erfahrungswissen zu erklären sei. Die vom Landgericht festgestellten Abweichungen in der Aussage der Zeugin zur Ausführung des Stichs - diese habe zunächst angegeben, dass sie gesehen habe, wie der Angeklagte das Messer in der Hand gehalten und es dem Geschädigten in den Hals gestoßen habe (Aussagen im Rahmen der polizeilichen Vernehmung am 30. Mai 2018 [UA S. 25] und der ermittlungsrichterlichen Vernehmung am 12. Juni 2018 [UA S. 27]), und dann erklärt, dass sie (erst) von ihrem Handy aufgeblickt habe, als das Messer schon ein Stück weit im Hals des Geschädigten gesteckt habe (Aussage in der Hauptverhandlung am 22. Januar 2019 [UA S. 29]), bis sie schließlich bekundet habe, dass sie erst hingesehen habe, als der Stich bereits geschehen sei, der Angeklagte aber noch die Hand am Messer gehabt habe (Aussage in der Hauptverhandlung am 24. Januar 2019 [UA S. 30]) - betreffen nicht nur Randbereiche, sondern das eigentliche Tatgeschehen. Gleiches gilt für die mit dem Obduktionsergebnis und der Spurenlage nicht zu vereinbarende Darstellung der Zeugin, der Geschädigte habe sich nach dem Stich zunächst erhoben und sei dann nach links vom Hocker gestürzt. Die Würdigung der Aussage der Zeugin als „im Kern detailreich und präzise“ und nur „in Randbereichen nicht durchgehend konsistent“ ist mit diesen vom Landgericht selbst aufgezeigten Abweichungen in den Aussagen der Zeugin sowie der objektiv unrichtigen Darstellung zum Sturz des Geschädigten nicht vereinbar.
Im Übrigen hat die Zeugin nach den Ausführungen des Landgerichts auch zu weiteren zentralen Punkten keine konstanten Angaben gemacht, nämlich dazu, ob der Geschädigte und der Angeklagte zur Tatzeit gesessen oder gestanden hätten (vgl. insoweit die Wiedergabe der Aussage der Zeugin in der polizeilichen Vernehmung am 30. Mai 2018 durch den Zeugen KHK Ko., wonach sich die Zeugin diesbezüglich nicht festgelegt habe beziehungsweise sich nicht sicher gewesen sei [UA S. 25, 26] einerseits und wonach der Geschädigte nach Aussage der Zeugin bei der Tat auf dem Hocker gesessen und der Angeklagte hinter ihm gestanden habe [vgl. z.B. UA S. 36 und 54] andererseits) und welche Hand der Angeklagte bei Ausführung des Stichs auf die Schulter des Geschädigten gelegt und mit welcher er den Stich geführt habe (vgl. Aussage der Zeugin am 12. Juni 2018, wonach der Angeklagte mit der rechten Hand das Messer geführt habe, während seine linke Hand auf der Schulter des Geschädigten gelegen habe [UA S. 27] einerseits und Aussage am 24. Januar 2019, wonach sich die Zeugin diesbezüglich nicht mehr sicher gewesen sei [UA S. 31] andererseits). An einer näheren Auseinandersetzung des Landgerichts mit diesen Abweichungen in den Aussagen der Zeugin W. fehlt es.
bb) Das Landgericht hat auch keine tragfähigen außerhalb der Zeugenaussage liegenden gewichtigen Gründe für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin W. benannt.
(1) Soweit es auf die Vereinbarkeit der Schilderung der Zeugin mit dem ihr zu dieser Zeit noch nicht bekannten Obduktionsergebnis sowie der objektiven Spurenlage am Tatort abgestellt hat, hat es nicht in den Blick genommen, dass das Obduktionsergebnis und auch die Spurenlage am Tatort lediglich Rückschlüsse auf den Tathergang als solchen zulassen, nicht jedoch auf die Frage der Tatausführung durch den Angeklagten; sowohl das Obduktionsergebnis als auch die Spurenlage am Tatort ist mit einer Ausführung des tödlichen Stichs durch die Zeugin selbst ebenso vereinbar wie mit einer Tatausführung durch den Angeklagten.
Der Aussage der Zeugin W. zur Stichführung und ihrer Veranschaulichung des Hergangs durch das Nachstellen der Tatsituation kommt, anders als das Landgericht meint, auch kein besonderer Beweiswert zu, nur weil der Zeugin W. das Obduktionsergebnis zur fraglichen Zeit noch nicht bekannt war; das Landgericht hat insoweit nicht in seine Überlegungen eingestellt, dass die Zeugin die Stichführung auch dann in gleicher Weise hätte beschreiben können, wenn nicht der Angeklagte, sondern sie selbst den Stich geführt hätte.
(2) Soweit das Landgericht für die Würdigung der Aussage der Zeugin W. als glaubhaft zusätzlich darauf abgestellt hat, dass deren Behauptung, sie habe zur Zeit des Tatgeschehens auf der Couch gesessen, mit der ersten polizeilichen Aussage der Zeugin M. in Einklang stehe, begegnet dies im Übrigen Bedenken, weil das Landgericht die Aussage der Zeugin M., die zu dem eigentlichen Tatgeschehen ohnehin keine Angaben machen konnte, in weiten Teilen - auch zur Rolle und dem Standort der Zeugin W. - als „wenig konsistent“ erachtet hat (UA S. 49).
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs entzieht dem Rechtsfolgenausspruch und den getroffenen Feststellungen die Grundlage (§ 353 Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1189
Externe Fundstellen: NStZ 2019, 746; StV 2019, 816
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede