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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1180

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 218/19, Urteil v. 21.08.2019, HRRS 2019 Nr. 1180


BGH 1 StR 218/19 - Urteil vom 21. August 2019 (LG München II)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Vorsatz des Kuriers und des Lotsen eines Drogenfahrzeugs hinsichtlich der Menge des transportierten Rauschgifts).

§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 16 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Ein Kurier, der sich zum Transport von Betäubungsmitteln bereit erklärt und weder auf die Menge des ihm übergebenen Rauschgifts Einfluss nehmen noch diese Menge überprüfen kann, wird in der Regel damit rechnen müssen, dass ihm mehr Rauschgift zum Transport übergeben wird, als man ihm offenbart hat. Das gilt jedenfalls dann, wenn zwischen ihm und seinem Auftraggeber kein persönliches Vertrauensverhältnis besteht. Ist ihm bei dieser Sachlage die tatsächliche Menge der Betäubungsmittel gleichgültig, so handelt er mit bedingtem Vorsatz bezüglich der tatsächlich transportierten Gesamtmenge. Der Lotse eines Drogenfahrzeugs ist insoweit mit einem Kurier vergleichbar.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München II vom 26. November 2018, soweit es die Angeklagten B. und K. betrifft, im Strafausspruch mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite hinsichtlich des Umfangs der Betäubungsmittelmenge aufgehoben.

Die weitergehenden Revisionen der Staatsanwaltschaft werden verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.

Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten B. und K. der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen und den Angeklagten B. zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und den Angeklagten K. zu einer solchen von vier Jahren verurteilt. Dagegen richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten, die ohne Erfolg bleiben. Die zuungunsten der Angeklagten eingelegten und auf sachlichrechtliche Einwendungen gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen veräußerte der nicht revidierende Mitangeklagte Ba. Ende August/Anfang September 2017 über einen unbekannten Mittelsmann mit dem Namen „G. “, der die Verkaufsverhandlungen führte, ca. 50 Kilogramm Marihuana an einen oder mehrere unbekannte Abnehmer. Zur Übergabe der Betäubungsmittel fuhr der Mitangeklagte Ba. am 1. September 2017 mit einem Pkw Toyota, dessen Kofferraum vollständig bis zur Höhe der Kofferraumabdeckung mit Marihuanapaketen gefüllt war, Richtung M. Der Mitangeklagte wurde auf einem in der Ferienzeit wenig frequentierten Schulparkplatz in O. von den Angeklagten B. und K., die mit einem gemieteten Pkw A1 fuhren, in Empfang genommen. Beide sollten den Mitangeklagten Ba. sodann zu dem eigentlichen Übergabeort und den unbekannt gebliebenen Abnehmern in A. geleiten. Die Angeklagten B. und K. hatten sich zu dieser Unterstützungsleistung gegenüber einem ihnen vertrauten - unbekannt gebliebenen - Hintermann bereit erklärt. Als die Angeklagten sich in das Fahrzeug des Mitangeklagten Ba. Begeben hatten, wurden sie von der Polizei festgenommen. Das im Pkw Toyota transportierte Marihuana - insgesamt 47,95 Kilogramm mit einer Reinmenge von 5,27 Kilogramm THC - wurde sichergestellt.

Die Angeklagten B. und K. wussten, dass in dem Pkw Toyota Marihuana zum gewinnbringenden Weiterverkauf transportiert wird. Die konkrete Menge des transportierten Rauschgifts war den Angeklagten B. und K. nicht bekannt. Sie rechneten damit, dass es eine Menge von bis zu zehn Kilogramm war; von einer größeren Menge als zehn Kilogramm gingen beide nicht aus und nahmen eine solche Menge auch nicht in Kauf.

2. Das Landgericht hat angenommen, die Angeklagten seien nicht die Endabnehmer des von dem Mitangeklagten Ba. nach O. transportierten Marihuanas, und hat sie der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen. Die Strafkammer hat zudem einen bedingten Vorsatz der Angeklagten hinsichtlich der tatsächlich transportierten Gesamtmenge verneint und für den Schuldumfang lediglich auf eine Menge von zehn Kilogramm Marihuana abgestellt.

II.

Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils deckt keine die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.

III.

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben hinsichtlich der jeweiligen Strafaussprüche Erfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet.

1. Die Schuldsprüche der Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge halten rechtlicher Überprüfung stand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Annahme einer Beihilfe der Angeklagten zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist rechtlich nicht zu beanstanden.

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - 4 StR 420/14 Rn. 9 mwN). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14 Rn. 8). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 1. Februar 2017 - 2 StR 78/16 Rn. 20 und vom 13. Juli 2016 - 1 StR 94/16 Rn. 9). Dabei muss sich aus den Urteilsgründen ergeben, dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, für die es weder eine belastbare Tatsachengrundlage noch einen gesicherten Erfahrungssatz gibt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 1996 - 2 StR 534/96 Rn. 9; Urteil vom 27. April 2017 - 4 StR 434/16 Rn. 8).

b) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist - entgegen der Auffassung der Revision - nicht bereits deshalb lückenhaft und damit durchgreifend rechtsfehlerhaft, weil es an einer Darstellung der Einlassungen der Angeklagten fehlt (zu dem Erfordernis der Wiedergabe der Einlassung in den Urteilsgründen vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. September 2017 - 4 StR 142/17 Rn. 5 ff.; vom 30. Dezember 2014 - 2 StR 403/14 Rn. 3 und vom 10. Dezember 2014 - 3 StR 489/14 Rn. 5). Die Strafkammer hat die am letzten Hauptverhandlungstag abgegebenen Einlassungen der Angeklagten eingangs der Beweiswürdigung zusammengefasst dargestellt. Auch die früheren - teilweise abweichenden - Einlassungen der Angeklagten sind den Urteilsgründen in ausreichendem Umfang zu entnehmen.

c) Nach den zuvor genannten Maßstäben ist zudem die tatrichterliche Beweiswürdigung dahingehend, die Angeklagten seien nicht die Empfänger des in dem Pkw Toyota transportierten Marihuanas gewesen, sondern hätten nur Lotsenfunktion wahrgenommen und seien daher lediglich als Gehilfen anzusehen, nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat sich mit allen für diese Frage relevanten Umständen auseinandergesetzt und es vor diesem Hintergrund nicht als erwiesen angesehen, dass die Angeklagten auch Empfänger des Rauschgifts waren, was zumindest einen möglichen Schluss beinhaltet. Diese tatsächliche Würdigung, die dem Tatrichter obliegt, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.

d) Da der Umfang des transportierten Rauschgifts - auf der Grundlage der insoweit rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts, die maßgeblich auf (Teil-)Geständnisse der Angeklagten gestützt sind - nach der Vorstellung der Angeklagten jedenfalls zehn Kilogramm und damit eine nicht geringe Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG umfasste, haben die Schuldsprüche der Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Bestand.

2. Die jeweiligen Strafaussprüche sind hingegen aufzuheben, da das Landgericht den Schuldumfang rechtsfehlerhaft bestimmt hat. Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält hinsichtlich der tatsächlichen Menge des transportierten Rauschgifts rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Für die Annahme bedingten Vorsatzes bezüglich der transportierten Menge gilt für einen Drogenkurier, der dem vorliegenden Fall eines Lotsen für das Drogenfahrzeug vergleichbar ist, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Folgendes: Ein Kurier, der sich zum Transport von Betäubungsmitteln bereit erklärt und weder auf die Menge des ihm übergebenen Rauschgifts Einfluss nehmen noch diese Menge überprüfen kann, wird in der Regel damit rechnen müssen, dass ihm mehr Rauschgift zum Transport übergeben wird, als man ihm offenbart hat. Das gilt jedenfalls dann, wenn zwischen ihm und seinem Auftraggeber kein persönliches Vertrauensverhältnis besteht. Ist ihm bei dieser Sachlage die tatsächliche Menge der Betäubungsmittel gleichgültig, so handelt er mit bedingtem Vorsatz bezüglich der tatsächlich transportierten Gesamtmenge (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 2017 - 2 StR 110/17 Rn. 8 und vom 21. April 2004 - 1 StR 522/03 Rn. 10; Beschluss vom 31. März 1999 - 2 StR 82/99 Rn. 6).

Von diesen Maßstäben ist auch das Landgericht ausgegangen. Die Beweiserwägungen lassen allerdings den von der Strafkammer gezogenen Schluss nicht zu, die Angeklagten hätten allenfalls mit einer Marihuanamenge bis zu zehn Kilogramm gerechnet. Diese Schlussfolgerung stellt sich im Ergebnis daher lediglich als Vermutung dar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Angeklagten allein Lotsendienste wahrgenommen haben. Vor diesem Hintergrund kann aus dem Umstand, dass die Angeklagten selbst in der Vergangenheit mit deutlich geringeren Betäubungsmittelmengen Handel trieben - der Angeklagte B. mit einer Menge von einem Kilogramm und der Angeklagte K. mit bis zu drei Kilogramm Marihuana -, kein Rückschluss auf die Menge Rauschgift gezogen werden, mit denen der Mitangeklagte Ba. oder der unbekannte Abnehmer, und damit für die Angeklagten dritte Personen, Handel trieben. Auch der Umstand, dass der Auftraggeber dem Angeklagten K. nach dessen Einlassung versichert haben soll, bei Begehung der Tat keine größeren Probleme im Rahmen seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu bekommen, ist für die Frage des Vorsatzes hinsichtlich der Mehrmenge ohne Bedeutung. Denn dass jedes Drogengeschäft, das eine nicht geringe Menge an Betäubungsmitteln zum Gegenstand hat, für die weitere Therapie von Relevanz ist, liegt auf der Hand. Anders als die Strafkammer meint, kommt es für die Frage des Vorsatzes auch nicht maßgeblich darauf an, ob ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Angeklagten und ihrem Auftraggeber bestand. Ein solches erlangt nach der Rechtsprechung als Umstand, der gegen einen bedingten Vorsatz (des Drogenkuriers) sprechen könnte, lediglich dann Bedeutung, wenn der Auftraggeber den Angeklagten konkrete Angaben zur Menge des transportierten Rauschgifts gemacht hätte und die Angeklagten wegen des Vertrauensverhältnisses auf dessen Angaben hätten vertrauen dürfen, was jedoch nicht festgestellt ist. Soweit das Landgericht in der Beweiswürdigung anführt, der vernommene Kriminalbeamte Kr. habe den Eindruck gewonnen, der Angeklagte K. sei aufrichtig schockiert gewesen, als er erfuhr, dass der gesamte Kofferraum randvoll mit Marihuanapaketen beladen war, vermag dieser Umstand allein und ohne weitere Würdigung die Ablehnung eines bedingten Vorsatzes hinsichtlich der Mehrmenge nicht ohne weiteres zu tragen, zumal das Landgericht sich auf diesen Gesichtspunkt erkennbar nicht maßgeblich gestützt hat. Es kann in diesem Zusammenhang aber auch Bedeutung erlangen, dass - wie das Landgericht zugleich ausgeführt hat - der Angeklagte K. in dieser Situation abgestritten habe, überhaupt von dem Betäubungsmittel im Pkw Kenntnis zu haben (UA S. 34).

b) Da der Senat nicht sicher auszuschließen vermag, dass die Strafe ohne den rechtlichen Mangel im Blick auf die erheblichen Mengenunterschiede (vorgestellte Menge: zehn Kilogramm; tatsächlich transportierte Menge: fast 50 Kilogramm Marihuana) höher ausgefallen wäre, sind die jeweiligen Strafaussprüche aufzuheben. Insoweit ist auch von Bedeutung, dass - soweit hinsichtlich der Mehrmenge lediglich Fahrlässigkeit der Angeklagten feststellbar ist - diese Menge gleichwohl als tatschulderhöhend gewertet und mithin strafschärfend berücksichtigt werden könnte (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2004 - 1 StR 522/03 Rn. 13). Die Feststellungen des Landgerichts zur subjektiven Tatseite hinsichtlich des Umfangs der Betäubungsmittel sind gemäß § 353 Abs. 2 StPO aufzuheben, da sie von dem Rechtsfehler betroffen sind. Die übrigen Feststellungen haben Bestand. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen dürfen.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1180

Externe Fundstellen: NStZ 2020, 44

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede