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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 718

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 19/19, Beschluss v. 09.05.2019, HRRS 2019 Nr. 718


BGH 1 StR 19/19 - Beschluss vom 9. Mai 2019 (LG Leipzig)

Beihilfe (Vorsatz hinsichtlich der Haupttat: erforderliche Vorstellung des Täters von der Haupttat; Tatmehrheit bei Förderung mehrerer Taten durch mehrere Handlungen); Strafaussetzung zur Bewährung (Sozialprognose).

§ 27 Abs. 1 StGB; § 15 StGB; § 52 StGB; § 56 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Für eine ausreichende Konkretisierung des Vorsatzes des Gehilfen genügt es, wenn er die zentralen Merkmale der Haupttat, namentlich den wesentlichen Unrechtsgehalt und die wesentliche Angriffsrichtung, zumindest bedingt vorsätzlich erfasst hat. Abweichungen der Haupttat vom vorgestellten Geschehensablauf sind dann für die rechtliche Bewertung bedeutungslos, wenn sie sich innerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen.

2. Bei der erforderlichen Sozialprognose bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung gibt es keinen Erfahrungssatz, dass ein Angeklagter allein deswegen, weil er Vermögensstraftaten verübte, die regelmäßig entsprechende Schadensersatzansprüche auslösen, zur Begleichung dieser Schulden erneute Taten begeht

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 28. Mai 2018 aufgehoben, soweit dem Angeklagten eine Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Steuerhehlerei in sechs Fällen, wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen Steuerhehlerei und wegen Steuerhehlerei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils stellte der Angeklagte dem rechtskräftig verurteilten Zwischenhehler W. einen Teil der von ihm angemieteten Halle zur Verfügung, damit dieser dort im Zeitraum vom 1. Dezember 2016 bis 9. August 2017 mehrere Lieferungen unverzollter und unversteuerter Zigaretten zwischenlagern konnte. W., der hierfür an den Angeklagten 1.800 € an Untermiete zahlte, veräußerte die Zigaretten durch 33 Einzellieferungen gewinnbringend weiter (Fall 7 der Urteilsgründe). Zudem lieh der Angeklagte im Zeitraum vom 24. März 2017 bis 22. April 2017 dem W. sein Fahrzeug der Marke VW Caddy für sechs Einzellieferungen. Dabei hatte der Angeklagte nur davon Kenntnis, dass W. mit unverzollten und unversteuerten Zigaretten handelte; er wusste hingegen nicht, ob W. das Fahrzeug zum Abholen oder zur Weiterlieferung nutzte (Fälle 1 bis 6 der Urteilsgründe). Am 5. April 2017 vermittelte der Angeklagte dem W. die Frau B. als neue Abnehmerin; W. übergab B. am 6. April 2017 aus dem Lager 28.000 Zigaretten (Fall 8 der Urteilsgründe).

2. Die Revision ist zum Strafausspruch teilweise begründet.

a) Der Schuld- und Strafausspruch halten der sachlichrechtlichen Nachprüfung indes stand. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:

aa) Dass das Landgericht sich in den Fällen 1 bis 6 der Urteilsgründe nicht davon zu überzeugen vermocht hat, dass der Angeklagte zumindest für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, mit dem Überlassen der Halle und des VW Caddy W. s Weiterverkäufe zu unterstützen, und daher nur Beihilfe zum Sichverschaffen gemäß § 374 Abs. 1 Variante 1 AO, § 27 StGB ausgeurteilt hat, beschwert den Angeklagten nicht. Darin liegt keine relevante Abweichung des vorgestellten vom tatsächlichen Kausalverlauf. Derartige Unterschiede sind dann für die rechtliche Bewertung bedeutungslos, wenn sie sich innerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 - 1 StR 577/13 Rn. 36 und Urteil vom 27. Juli 1994 - 3 StR 149/94 Rn. 6, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 46). Für eine ausreichende Konkretisierung des Vorsatzes des Gehilfen genügt es, wenn er die zentralen Merkmale der Haupttat, namentlich den wesentlichen Unrechtsgehalt und die wesentliche Angriffsrichtung, zumindest bedingt vorsätzlich erfasst hat (BGH, Beschlüsse vom 28. November 2017 - 3 StR 272/17 Rn. 33; vom 28. Februar 2012 - 3 StR 435/11 Rn. 4; vom 8. November 2011 - 3 StR 310/11 Rn. 8 und vom 20. Januar 2011 - 3 StR 420/10 Rn. 13). Hätte das Landgericht Vorsatz des Angeklagten bezüglich dessen Mitwirkung an der Weiterlieferung der Zigaretten an W. s Abnehmer angenommen, wäre er - wie im Fall 8 der Urteilsgründe - als (täterschaftlicher) Absatzhelfer (§ 374 Abs. 1 Variante 3 AO) zu verurteilen gewesen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2008 - 5 StR 145/08 Rn. 6). Die Beihilfehandlungen zum Sichverschaffen auf der einen und zum Absatz auf der anderen Seite sind im Ausgangspunkt gleichwertig. Weil der Absatz für den Vortäter straflos gestellt ist, bedarf es insoweit der Erfassung von Unterstützungshandlungen als täterschaftlich begangen (BGH, aaO Rn. 5 mwN).

bb) Durch das Überlassen des Fahrzeugs förderte der Angeklagte gezielt sechs einzelne Haupttaten. Daher ist es zutreffend, dass das Landgericht deswegen sechs weitere Fälle der Beihilfe zur Steuerhehlerei (§ 53 StGB) ausgeurteilt hat. Denn Tatmehrheit ist anzunehmen, wenn durch mehrere Hilfeleistungen mehrere selbständige Taten unterstützt werden, also den Haupttaten jeweils eigenständige Beihilfehandlungen zuzuordnen sind. Dass der Gehilfe bereits zuvor einen einheitlichen fortwirkenden Beihilfebeitrag zur Förderung mehrerer Haupttaten - wie hier durch die Erlaubnis zur Nutzung der Halle (Fall 7 der Urteilsgründe) - leistete, führt nicht zur Zusammenfassung zu einer Beihilfetat (BGH, Beschlüsse vom 4. März 2008 - 5 StR 594/07, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Konkurrenzen 2; vom 22. September 2008 - 1 StR 323/08, BGHR AO § 370 Abs. 1 Beihilfe 8 und vom 12. März 2012 - 3 StR 436/11 Rn. 4).

cc) Gleiches gilt für das Konkurrenzverhältnis des Falles 7 der Urteilsgründe zum Fall 8. Bis zum 6. April 2017 hatte W. bereits durch mehrere Transporte 295.000 Zigaretten in die Halle verbracht. Die Absatzhilfe des Angeklagten durch Vermittlung der weiteren Abnehmerin betraf davon nur einen deutlich geringeren Teil, nämlich 28.000 Zigaretten. Seine durch das Untervermieten geleistete einheitliche Beihilfehandlung bezüglich des überwiegenden Teils der zwischengelagerten Zigaretten ist damit weiterhin gesondert zu ahnden. Dieser Beihilfebeitrag erstreckt sich auf die nachfolgenden Zwischenlagerungen, sofern diese nicht wiederum Gegenstand der durch das Überlassen des Fahrzeugs geförderten Absatzhandlungen und damit von den weiteren sechs Beihilfetaten umfasst sind.

dd) Das Landgericht hat den Strafen keinen zu hohen Schuldumfang zugrunde gelegt. Es hat unter Annahme eines Gesamthinterziehungsbetrages in Höhe von rund 170.000 € den Teil der Verkürzungsbeträge aus dem Fall 7, die die Fälle 1 bis 6 und 8 betreffen, nicht neben diesen sieben weiteren Taten zusätzlich (doppelt) in Ansatz gebracht.

b) Die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 Abs. 2, 1 StGB) begegnet durchgreifenden Bedenken. Das Landgericht hat besondere Umstände in der Tat und der Täterpersönlichkeit, die eine Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnten, verneint. Dabei hat es ausgeführt, die Haftung des (nicht vorbestraften) Angeklagten für die verkürzten Steuern nach § 71 AO lasse befürchten, er werde zur Begleichung der Steuer- und Zollschäden „wieder in die Kriminalität abrutschen“. Dies ist aus zwei Gesichtspunkten rechtsfehlerhaft: Zum einen wäre dies bereits bei der Sozialprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) zu erörtern gewesen, die das Tatgericht mit Blick auf das bisher straffreie Leben und die familiäre Bindung zunächst bejaht hat. Zum anderen gibt es keinen Erfahrungssatz, dass ein Angeklagter allein deswegen, weil er Vermögensstraftaten verübte, die regelmäßig entsprechende Schadensersatzansprüche auslösen, zur Begleichung dieser Schulden erneute Taten begeht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 1993 - 3 StR 586/92, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Sozialprognose 2). Insgesamt ist diese Wertung nicht durch Feststellungen belegt. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht darf neue Umstände der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung zugrunde legen, sofern sie den bisherigen Feststellungen nicht widersprechen.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 718

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 249

Bearbeiter: Christoph Henckel