HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 551
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 642/18, Beschluss v. 07.02.2019, HRRS 2019 Nr. 551
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 8. August 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt. Die vom Angeklagten mit der Sachrüge geführte Revision, mit der er insbesondere die Nichtanordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angreift, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Hingegen hat das Urteil keinen Bestand, soweit das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat.
a) Nach den Feststellungen trank der in den Niederlanden wohnhafte, im Jahr 1984 geborene Angeklagte schon seit seiner Schulzeit Alkohol und steigerte den Konsum stetig. Nach der Geburt seines Sohnes im Februar 2016 trank er „manchmal täglich zehn bis zwölf Bier zu je 0,5 Litern und bis zu 0,5 Liter Schnaps“. Cannabis nahm er bereits im Alter von 15 oder 16 Jahren zu sich und steigerte den Konsum zum Ende seiner Schulzeit auf ein bis zwei Gramm täglich. Kokain nahm er erstmals mit 20 oder 21 Jahren zu sich, zunächst an Wochenenden, dann auch unter der Woche. Sein Konsum belief sich auf fünf Gramm die Woche. Im Jahr 2016 versuchte er vergeblich, den Konsum einzustellen; es gelang ihm jedoch, diesen zu reduzieren, so dass er bis zu seiner Festnahme im Dezember 2017 „zumindest zwei- bis dreimal Kokain im Monat“ zu sich nahm. Seit ein „paar Jahren vor seiner Festnahme konsumierte er auch etwa einmal die Woche Amphetamin und selten MDMA“. Bislang ist der Angeklagte wegen seines Konsums weder behandelt worden noch hat er Beratungsleistungen in Anspruch genommen.
b) Das Landgericht hat unter Zugrundelegung der „wenn auch nur sehr oberflächlichen Angaben des Angeklagten zu seinem Drogenkonsum“ in den letzten Jahren von seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen. Sachverständig beraten hat es zwar angenommen, dass beim therapiewilligen Angeklagten ein Hang vorliege, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen; darüber hinaus liege ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang und der begangenen Straftat vor. Jedoch gebe es keine hinreichend konkrete Aussicht auf Erfolg, dass er durch eine Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder Satz 3 StGB geheilt oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang bewahrt werden könne. Es sei insoweit zu berücksichtigen, dass der Angeklagte zwar über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfüge, um eine Therapie durchführen zu können. Gleichwohl könne ein Heilungserfolg „sehr wahrscheinlich nicht eintreten“, weil ein sozialer Empfangsraum - jedenfalls in Deutschland - nicht zur Verfügung stehe, so dass der Angeklagte durch Lockerungsmaßnahmen im Maßregelvollzug nicht schrittweise an ein suchtmittelfreies Leben in Freiheit herangeführt werden könne. Eine „spätere Integration“ des Angeklagten in Deutschland sei auch nicht zu erwarten. Aufgrund der verhängten Strafe sei mit einem Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 6 Abs. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern zu rechnen, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass der Angeklagte als bosnisch-herzegowinischer und niederländischer Staatsbürger aus Deutschland abgeschoben werde und schon aus diesem Grund keine Lockerungsmaßnahmen gewährt werden könnten.
2. Die Ablehnung der Maßregel hat keinen Bestand, weil eine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Therapieerfolg (§ 64 Satz 2 StGB) nicht mit den vom Landgericht vorgenommenen Erwägungen rechtlich begründet werden kann. Der Angeklagte verfügt nach den Feststellungen über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache, um eine Therapie erfolgreich durchführen zu können, so dass eine Maßregelanordnung grundsätzlich in Betracht zu ziehen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2018 - 1 StR 132/18, NStZ-RR 2018, 273, 274 mwN). Schon bei sprachunkundigen Ausländern ist ein Absehen von einer Maßregelanordnung nur in Ausnahmefällen möglich (vgl. BGH aaO, S. 275). Entgegen den Ausführungen des Landgerichts ist auch nicht ersichtlich, dass der ausländerrechtliche Status des Angeklagten etwaigen Lockerungsmaßnahmen im Maßregelvollzug entgegenstehen könnte. Dazu, dass bereits Maßnahmen zum Verlust des Freizügigkeitsrechts des Angeklagten und zu seiner Abschiebung ergriffen werden, verhält sich das Urteil nicht (vgl. BGH aaO, Rn. 12, s. auch § 67 Abs. 2 Satz 4, Abs. 3 Satz 2 StGB).
3. Die Frage der Maßregelanordnung bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht insgesamt eine neue Überprüfung der Maßregelvoraussetzungen zu ermöglichen. Der Strafausspruch hat Bestand. Es ist auszuschließen, dass die Strafkammer bei Anordnung der Unterbringung auf eine geringere Strafe erkannt hätte.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 551
Externe Fundstellen: StV 2020, 586
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede