HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 777
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 614/18, Beschluss v. 26.02.2019, HRRS 2019 Nr. 777
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 16. August 2018 im Straf- und Maßregelausspruch aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit versuchter schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten, die er mit der jeweils nicht ausgeführten Verfahrens- und Sachrüge begründet hat.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begab sich die Geschädigte am Morgen des 6. August 2017 an ihren Arbeitsplatz. Den Angeklagten, den sie vorübergehend in ihre Wohnung aufgenommen hatte, hatte sie zuvor der Wohnung verwiesen. Im Lauf des Tages schichtete der Angeklagte brennbares Material neben dem Bett der Geschädigten auf und montierte die Brandmelder ab. Als sie von der Arbeit zurückkehrte, ließ sie der Angeklagte nicht in ihre Wohnung. Zugleich forderte er, aus der Wohnung heraustretend, eine herbeieilende Nachbarin mit den Worten: „Wenn Du nicht sofort runtergehst, passiert etwas Schlimmes“ zum Gehen auf und berührte sie mit einem Fleischmesser. Die Nachbarin zog sich in ihre Wohnung zurück. Nun versetzte der Angeklagte der Geschädigten in Tötungsabsicht einen Messerstich in den Bauch und einen weiteren Stich in den Hals. Dieser verletzte die Halsschlagader. Der Angeklagte ging in der Annahme, die Geschädigte werde nun versterben, in deren Wohnung zurück, verbarrikadierte die Wohnungstür von innen, setzte die Matratze des Bettes und das vorbereitete brennbare Material in Brand und sprang mit dem Kopf voraus aus dem Fenster.
Die Geschädigte wurde durch eine Notoperation gerettet. Sie leidet seit der Tat an Schmerzen, Taubheitsgefühlen und einer posttraumatischen Belastungsstörung. An Bauch und Hals sind deutlich sichtbare Narben zurückgeblieben. Sie ist zu 50 % schwerbehindert.
Der Angeklagte ist wegen Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigungen, Körperverletzungen und Zuwiderhandlungen gegen das Gewaltschutzgesetz vorgeahndet. Diese Straftaten verübte der Angeklagte während oder aus Anlass der Beendigung der jeweiligen Beziehung gegen seine Partnerin.
2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte spätestens seit 2001 an einer kombinierten - aus narzisstischen, emotional-instabilen, selbstunsicheren und paranoiden Elementen bestehenden - Persönlichkeitsstörung leidet. Der emotional-instabile Persönlichkeitsanteil führe zum Ausagieren von Impulsen ohne Rücksicht auf Konsequenzen, der narzisstische Anteil zu äußerst konfliktreich verlaufenden Partnerschaften und der paranoide Anteil zu einer übertriebenen Empfindlichkeit bei Zurückweisungen. Im Anschluss an das psychiatrische Gutachten ist die Strafkammer von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit und dem für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB erforderlichen länger andauernden und (zumindest) eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit sicher begründenden Zustand ausgegangen. Es bestehe eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Angeklagte aufgrund der Persönlichkeitsstörung ähnlich gelagerte Gewalttaten bis hin zu Tötungsdelikten gegen seine jeweilige Partnerin verüben werde. Er sei in der Vergangenheit gegenüber seinen Partnerinnen aus Eifersucht, bei Trennungsabsichten oder Trennungen gewalttätig geworden und habe damit zahlreiche gleichgelagerte Delikte begangen. Diese bagatellisiere er und weise den jeweiligen Geschädigten die Schuld zu. Die bislang durchgeführten stationären psychiatrischen und ambulanten psychotherapeutischen Behandlungen hätten keine Änderung seines Verhaltens bewirkt. Er habe bis heute keine ausreichende Krankheitseinsicht.
3. Die Strafe hat das Landgericht aus dem über § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 StGB zugemessen, nachdem es einen sonstigen minder schweren Fall nach § 213 Alternative 2 StGB nach einer Gesamtabwägung abgelehnt hatte. In die Gesamtabwägung hat die Strafkammer zugunsten des Angeklagten neben verschiedenen allgemeinen Strafmilderungserwägungen dessen erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) und das Verbleiben der Tat im Versuchsstadium (§ 23 StGB) eingestellt.
Eine weitere Verschiebung des Strafrahmens über §§ 21, 49 StGB hat die Strafkammer abgelehnt. Bei der Ermessensentscheidung, ob von der fakultativen Strafrahmenverschiebung Gebrauch zu machen sei, habe eine Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände zu erfolgen, wobei schulderhöhende Umstände zur Versagung der Strafrahmenmilderung führen könnten. Auch ein Vorverschulden des Täters könne schulderhöhend berücksichtigt werden, wenn der Täter die Wirkung seines auf einer psychischen Störung beruhenden Defekts vorwerfbar verursacht oder verstärkt habe und damit hätte rechnen können, Straftaten solcher Art zu begehen, soweit sich das betreffende Verhalten nicht seinerseits als Ausdruck der Störung darstelle. Die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten wirke sich jedoch außerhalb einer Beziehung oder beim Eingehen einer neuen Beziehung nicht aus.
Der Angeklagte neige - ausweislich der Vorverurteilungen - in partnerschaftlichen Beziehungen und vor allem nach deren Ende aufgrund seiner extremen Eifersucht zu fremdaggressivem Verhalten bis hin zu Gewaltdelikten. Dessen sei er sich bewusst gewesen. Er habe selbst angegeben, dass wegen seiner Eifersucht frühere Beziehungen in die Brüche gegangen seien, weshalb er seit dem Jahr 2010 keine neue Beziehung mehr eingegangen sei. Aufgrund der Aufenthalte in den psychiatrischen Kliniken habe er die Diagnose der kombinierten Persönlichkeitsstörung gekannt.
Bei Eingehen der Beziehung zur Geschädigten sei der Angeklagte uneingeschränkt einsichts- und steuerungsfähig gewesen. Es sei für ihn vorhersehbar gewesen, dass es nun wieder zu Straftaten, insbesondere auch zu Gewaltdelikten, kommen könne. Dass er krankheitsbedingt einem nicht widerstehbaren inneren Drang zur Eingehung einer partnerschaftlichen Beziehung ausgesetzt war, könne ausgeschlossen werden. Er sei, wie er durch die selbst auferlegte Abstinenzphase gezeigt habe, in der Lage, die Aufnahme von partnerschaftlichen Beziehungen und somit Situationen, in welchen sich seine Persönlichkeitsstörung manifestiere, zu vermeiden. Deshalb sei bei einer Gesamtschau von einem Überwiegen der schulderhöhenden Umstände auszugehen.
Die Strafkammer hat weiterhin eine Unterbringung nach § 63 StGB angeordnet. Unter Bezugnahme auf den Sachverständigen führt sie aus, dass der Angeklagte keine ausreichende Krankheitseinsicht entwickelt habe. Bei Eingehung einer Partnerschaft werde es deshalb aufgrund der vorliegenden Persönlichkeitsstörung mit Sicherheit wieder zu symptomatischen Auseinandersetzungen mit seiner jeweiligen Partnerin kommen. Es bestehe dann eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für ähnlich gelagerte Gewalttaten.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Die Annahme einer tateinheitlichen Begehung mit der versuchten schweren Brandstiftung beschwert ihn nicht. Der Straf- und Maßregelausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Es liegt hier schon nahe, dass die Ausführungen der Strafkammer zu der Nichtgewährung einer Milderung nach §§ 21, 49 StGB und zur Unterbringung nach § 63 StGB in einem unaufgelösten Spannungsverhältnis stehen. Dies gilt deshalb, weil die Kammer einerseits von dem Angeklagten eine volle Abstinenz verlangt, was die Eingehung von Beziehungen angeht, und andererseits die Gefährlichkeitsprognose im Rahmen des § 63 StGB damit begründet, dass die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten mit höherer Wahrscheinlichkeit zu ähnlich gelagerten Gewalttaten führen werde. Letztlich kann es aber dahinstehen, ob darin schon ein so gravierender Widerspruch zu erblicken ist, dass allein deshalb der Strafausspruch ebenso wie die Entscheidung über die Unterbringung keinen Bestand haben können.
1. Die Strafkammer hat dem Angeklagten nämlich die fakultative Strafmilderung nach § 21 StGB mit rechtlich fehlerhafter Begründung versagt.
a) Ob bei Annahme des § 21 StGB eine Milderung vorzunehmen oder zu versagen ist, hat der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen aufgrund einer Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände zu entscheiden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04 Rn. 10, BGHSt 49, 239, 241; Beschluss vom 24. Juli 2017 - GSSt 3/17, BGHSt 62, 247). Dabei ist bei verminderter Schuldfähigkeit grundsätzlich davon auszugehen, dass der Schuldgehalt der Tat verringert ist (BGH, Urteile vom 10. November 1954 - 5 StR 476/54 Rn. 17, BGHSt 7, 28, 30 f.; vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04 Rn. 12 mwN, BGHSt 49, 239, 241 und vom 7. Mai 2009 - 5 StR 64/09 Rn. 8 f.), so dass eine Strafrahmenmilderung vorzunehmen ist, wenn nicht andere, schulderhöhende Gesichtspunkte dem entgegenstehen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05 Rn. 10; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 386/03 Rn. 10 und vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04 Rn. 24, BGHSt 49, 239, 246; Beschlüsse vom 18. Juni 1985 - 4 StR 232/85 und vom 25. März 2014 - 1 StR 65/14 Rn. 4 mwN).
b) Schulderhöhend sind besondere Umstände der Tatbegehung wie die näheren Umstände der Tatausführung - etwa eine besonders gefühlskalte, rücksichtslose oder brutale Tatbegehung (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04 Rn. 24 mwN, BGHSt 49, 239, 246), eine besondere Handlungsintensität (vgl. BGH, Urteile vom 14. Juli 1992 - 1 StR 302/92 Rn. 8 und vom 29. März 1988 - 1 StR 70/88 Rn. 11), eine Mehrzahl von Geschädigten, mitverwirklichte Straftatbestände oder andere Tatmodalitäten. Auch der erheblich in seiner Steuerungsfähigkeit verminderte Täter ist für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung grundsätzlich verantwortlich (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 14. Juli 1992 - 1 StR 302/92 Rn. 8 und vom 7. Juli 1993 - 2 StR 17/93 Rn. 14; Beschlüsse vom 29. Juni 2000 - 1 StR 223/00 Rn. 11 und vom 8. Oktober 2002 - 5 StR 365/02 Rn. 4).
c) Sind Handlungsmodalitäten indes Ausdruck und Folge der Minderung der Hemmungsfähigkeit, dürfen sie dem Täter in dem Umfang, in dem die Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt war, nicht zum Vorwurf gemacht und deshalb auch nicht straferschwerend angelastet werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 17. November 1961 - 4 StR 373/61 Rn. 10, BGHSt 16, 360, 364; vom 7. Juli 1993 - 2 StR 17/93 Rn. 14 mwN und vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04 Rn. 24, BGHSt 49, 239, 246; Beschlüsse vom 8. Oktober 2002 - 5 StR 365/02 Rn. 4 und vom 3. November 2004 - 2 StR 295/04 Rn. 7).
d) Nach den Grundsätzen der actio libera in causa (Grundsatz der Vorverlagerung der Schuld) kann allerdings eine spätere Minderung der Verantwortlichkeit des Täters zur Tatzeit ohne Bedeutung bleiben (Eschelbach, BeckOK StGB, 42. Ed., § 20 Rn. 72 ff.; ders., BeckOK StGB, 42. Ed., § 21 Rn. 33 mwN; von Heintschel-Heinegg, BeckOK StGB, 42. Ed., § 46 Rn. 25.10).
Auch Vorverschulden des Täters kann schulderhöhend berücksichtigt werden, so dass an ein konkret tatbezogenes Verschulden des Täters vor Tatbeginn angeknüpft und eine Strafmilderung trotz Tatbegehung im Zustand verminderter Schuldfähigkeit aufgrund vorhergehender schulderhöhender Momente versagt werden kann (BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04 Rn. 20, BGHSt 49, 239, 245). Das gilt stets dann, wenn der Täter die Wirkung des auf einer psychischen Störung beruhenden, in der konkreten Tatsituation zur erheblichen Minderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit führenden Defekts vorwerfbar verursacht oder verstärkt hat oder damit hätte rechnen können, Straftaten solcher Art zu begehen. Dies ist grundsätzlich bei allen Persönlichkeitsstörungen denkbar, deren tatfördernde Wirkung der Täter kennt. Die Zurechnung eines Vorverschuldens kommt aber nur in Betracht, wenn das betreffende Verhalten sich nicht seinerseits als Ausdruck der Störung darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 1995 - 4 StR 694/94 Rn. 6).
e) Schon das ist nicht tragfähig begründet. Ob und wie lange der Angeklagte in einer „Abstinenzphase“ von einer Partnerschaft lebte, ist hier ohne Belang. Maßgeblich ist nämlich, inwieweit das Verhalten des Angeklagten insgesamt als Ausdruck seiner psychischen Störung zu verstehen ist. Das ist hier aber offensichtlich der Fall, weil die Tat selbst durch die Persönlichkeitsstörung geprägt ist, hinsichtlich deren Vorliegen der Angeklagte - was wiederum ein Bestandteil dieser Störung sein kann - nicht einmal Krankheitseinsicht hatte. Damit fehlt es bereits an einer trennbaren Vorverlagerung der Schuld.
f) Daneben bestehen auch Bedenken, ob dem Angeklagten das Eingehen einer neuen Beziehung im Sinne des Leistens eines notwendigen Beitrags dafür, dass er bei Beendigung der Beziehung infolge seiner Persönlichkeitsstörung gewalttätig werden kann, überhaupt im Sinne eines Vorverschuldens zur Last gelegt werden dürfte. Die Aufnahme einer Beziehung ist eine der menschlichen Natur entsprechende und sozial gebilligte Verhaltensweise, an die sich kein strafrechtlicher Vorwurf oder Verschuldensvorwurf anknüpfen könnte. Denn ein zu Lasten des Täters berücksichtigungsfähiges Vorverschulden setzt ein konkret tatbezogenes Verschulden des Täters vor Beginn der Tat voraus.
Das Eingehen einer neuen Beziehung wäre kein solches tatbezogenes Verschulden. Das Vorstellungsbild des Angeklagten bezieht sich zu diesem Zeitpunkt auf die Aufnahme der neuen Beziehung und nicht auf die Begehung bestimmter Straftaten für den Fall der Beendigung der Beziehung durch die Partnerin oder sonstiger, noch nicht absehbarer Ereignisse während der Beziehung.
Im Grunde wirft die Strafkammer dem Angeklagten vor, dass er die Taten nicht durch ein ihm mögliches Unterlassen der Aufnahme einer neuen Beziehung verhindert habe. Mit dieser an die Rechtsfigur der actio libera in causa angelehnten Vorverlagerung des Schuldvorwurfs kann die Nichtannahme verminderter Schuldfähigkeit aber schon deswegen nicht begründet werden, weil der bereits an der kombinierten Persönlichkeitsstörung leidende Angeklagte den Zustand der verminderten Steuerungsfähigkeit weder vorsätzlich noch fahrlässig herbeigeführt hat (vgl. zur actio libera in causa BGH, Urteil vom 21. Oktober 1970 - 2 StR 313/70 Rn. 13, BGHSt 23, 356, 358), es jedenfalls aber in dem maßgeblichen Zeitpunkt an der erforderlichen Vorstellung bestimmter Rechtsgutsverletzungen fehlte.
2. Die Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.
Die Strafkammer hat im Rahmen ihrer Gefährlichkeitsprognose die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Angeklagten nicht berücksichtigt. Nach den Feststellungen der Strafkammer ist er derzeit auf den Rollstuhl angewiesen, wobei mit dauerhaften körperlichen Beeinträchtigungen - welche, hat die Strafkammer nicht näher dargelegt - zu rechnen sei. Über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus muss daher - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden.
3. Im Übrigen wird der neue Tatrichter auch Gelegenheit haben, bei der Prüfung der Annahme eines minder schweren Falls die gesetzlich vorgesehene Prüfungsreihenfolge zu beachten.
Sieht das Gesetz einen besonderen Strafrahmen für minder schwere Fälle vor und ist auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, muss bei der Strafrahmenwahl im Rahmen einer Gesamtwürdigung zunächst geprüft werden, ob die allgemeinen Milderungsgründe die Annahme eines minder schweren Falls tragen. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, so sind zusätzlich die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter die Anwendung des milderen Strafrahmens danach weiterhin nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. z.B. BGH, Beschlüsse vom 4. April 2017 - 3 StR 516/16 Rn. 6; vom 7. März 2017 - 2 StR 567/16 Rn. 6 und vom 13. Oktober 2016 - 3 StR 248/16 Rn. 5, jeweils mwN). Bei Vorliegen eines zweiten gesetzlich vertypten Milderungsgrundes ist entsprechend zu verfahren und, soweit das Vorliegen eines minder schweren Falls bei Annahme nur eines gesetzlich vertypten Milderungsgrundes abzulehnen ist, der zweite vertypte Strafmilderungsgrund zusammen mit dem ersten in die Gesamtwürdigung einzustellen (vgl. z.B. BGH, Beschlüsse vom 21. November 2007 - 2 StR 449/07 Rn. 6 und vom 16. November 2017 - 2 StR 404/17 Rn. 2).
4. Die Sache bedarf daher im Straf- und Maßregelausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine Aufhebung der zugehörigen Feststellungen war indes nicht erforderlich, weil es sich um reine Wertungsfehler handelt (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter wird die Strafrahmenwahl und die anschließende Strafzumessung auf der Grundlage der bislang rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen vorzunehmen haben, die er durch weitere Feststellungen ergänzen darf, die den bisherigen nicht widersprechen.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 777
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 302; StV 2021, 84
Bearbeiter: Christoph Henckel