HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 256
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 546/18, Beschluss v. 04.12.2018, HRRS 2019 Nr. 256
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 7. Mai 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt.
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, führt zur Aufhebung des Urteils (§ 349 Abs. 4 StPO).
Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni 2017 zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten L., die sich erst kurz zuvor über die Internetplattform „Lovoo“ kennengelernt hatten, zu einvernehmlichem Oralverkehr. Der Angeklagte unterbrach diesen jedoch schon bald und schlug der Geschädigten mit der flachen Hand mit ungefähr fünf bis zehn Schlägen auf den Bauch und die Vagina. Als die Geschädigte sagte, dass dies nichts für sie sei und der Angeklagte aufhören solle, stellte dieser die Schläge zunächst ein. Auf Vorschlag des Angeklagten kam es dann zu einvernehmlichem Analverkehr. Hierbei biss der Angeklagte der Geschädigten mehrfach in beide Brüste, worauf diese vor Schmerzen aufschrie. Obwohl der Angeklagte erkannte, dass die Geschädigte mit der Zufügung von Schmerzen nicht einverstanden war, schlug er ihr auch ins Gesicht. Trotz der erneuten Aufforderung der Geschädigten aufzuhören und deren Versuch, den Angeklagten wegzudrücken, biss der Angeklagte weiter in die Brüste der Geschädigten. Nach dem Analverkehr erklärte der Angeklagte, im Mund der Geschädigten „kommen zu wollen“, wobei ihm aufgrund der vorherigen Gegenwehr und den zurückweisenden Äußerungen der Geschädigten klar war, dass diese „keinen Geschlechtsverkehr jeglicher Art und auch nicht unter gleichzeitiger Gewaltanwendung“ haben wollte. Trotzdem steckte er der Geschädigten seinen Penis in den Mund und führte den Oralverkehr aus, wobei er seitlich auf der Geschädigten lag, so dass diese nicht ausweichen konnte. Während des Oralverkehrs biss der Angeklagte die Geschädigte erneut in den Bauch und die Oberschenkel, was für diese wiederum erheblich schmerzhaft war. Trotz Schreiens der Geschädigten hörte der Angeklagte nicht mit dem Beißen auf. Während dieser Handlungen legte der Angeklagte ein T-Shirt über den Hals der Geschädigten, steckte es auf einer Seite in die Matratze und hielt es auf der anderen Seite für etwa 20 Sekunden stramm fest. Die Geschädigte fühlte sich hierdurch unwohl, war aber in der Atmung nicht beeinträchtigt. Beim Oralverkehr kam der Angeklagte schließlich zum Samenerguss. Das Ejakulat schluckte die Geschädigte herunter.
Auf die Aufforderung der Geschädigten, sie nun nach Hause zu fahren, sagte der Angeklagte, er werde dies am nächsten Tag tun. Die Geschädigte schlief hierauf ein. Als sie nach drei oder vier Stunden aufwachte, verlangte der Angeklagte erneut Oralverkehr. Er drückte den Mund der Geschädigten mit der Hand auf und spuckte hinein. Obwohl die Geschädigte nichts sagte, wusste der Angeklagte aus den Geschehnissen in der Nacht, dass diese „mit weiteren sexuellen Handlungen und sexuellen Handlungen mit Gewalt“ nicht einverstanden war. Dennoch steckte er seinen Penis in den Mund der Geschädigten und führte den Oralverkehr aus, wobei er der Geschädigten weitere Bisse in Bauch und Oberschenkel zufügte. Das Beißen stellte der Angeklagte auch nicht ein, als die Geschädigte, für die die Bisse aufgrund der Beeinträchtigung des Gewebes wegen des Geschehens in der Nacht besonders schmerzhaft waren, vor Schmerzen schrie. Nach einigen Minuten brach der Angeklagte den Oralverkehr ab, ohne dass er zum Samenerguss gekommen war. Anschließend brachte er die Geschädigte, die von dem Geschehen ausgedehnte Blutergüsse an beiden Brüsten sowie weitere Blutergüsse am Bauch und an den Beinen davontrug und seit der Tat an Schlafstörungen und Angstzuständen leidet und sich daher seit November 2017 in psychiatrischer Behandlung befindet, nach Hause.
Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Urteils.
1. Der Schuldspruch wegen Vergewaltigung in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung hat keinen Bestand.
a) Wegen Vergewaltigung wird nach § 177 Abs. 1 und 6 Satz 2 Nr. 1 StGB bestraft, wer vorsätzlich mit einer Person gegen deren erkennbaren Willen den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden und besonders erniedrigend sind (vgl. Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Frommel, StGB, 5. Aufl., § 177 Rn. 61 f.; MüKo/Renzikowski, StGB, 3. Aufl., § 177 nF Rn. 144; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 177 Rn. 143 mwN). Maßgeblich ist dabei, dass gerade hinsichtlich der sexuellen Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, erkennbar kein Einverständnis des Opfers besteht (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010 - 4 StR 92/10, StraFo 2010, 392; MüKo/Renzikowski, StGB, 3. Aufl., § 177 nF Rn. 47; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 177 Rn. 9) und der Täter dies zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt.
b) Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni 2017 den Oral- und Analverkehr mit der Geschädigten gegen deren erkennbaren Willen vollzogen und dies erkannt und billigend in Kauf genommen, wird von den Feststellungen nicht getragen und ist auch nicht hinreichend beweiswürdigend belegt.
aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts zum objektiven Tatgeschehen im Fall 2.1 der Urteilsgründe ist davon auszugehen, dass die Geschädigte dem Oral- und dem Analverkehr mit dem Angeklagten zustimmte und mit diesem jedenfalls zunächst einverstanden war, sie den Angeklagten aber aufforderte, mit den Schlägen und Bissen aufzuhören (UA S. 6). Dass sich die verbalen und physischen Versuche der Geschädigten, den Angeklagten zu einem Aufhören zu bewegen, auch auf die sexuellen Handlungen in Form von Oral- und Analverkehr bezogen, ist den Feststellungen nicht eindeutig zu entnehmen. Vielmehr kann hiernach nicht ausgeschlossen werden, dass die Geschädigte mit dem Geschlechtsverkehr als solchem weiterhin und bis zuletzt einverstanden war und sich ihr erkennbar entgegenstehender Wille nur auf das Zufügen von Schmerzen durch Schläge und Bisse bezog. Auch aus dem Umstand, dass die Geschädigte vor Schmerzen schrie und der Angeklagte ihr zeitweise den Mund zuhielt, lässt sich für ein fehlendes Einverständnis der Geschädigten mit dem Geschlechtsverkehr als solchem nichts ableiten.
Ein dem Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten erkennbar entgegenstehender Wille der Geschädigten ist auch nicht hinreichend beweiswürdigend belegt. Denn aus den Ausführungen der Strafkammer zur Beweiswürdigung ergibt sich nicht eindeutig, dass die Geschädigte mit der Vollziehung von Oral- oder Analverkehr, dem sie zunächst zugestimmt hatte, im weiteren Verlauf nicht mehr einverstanden war. Der nicht ausreichend geklärte Umfang des Einverständnisses der Geschädigten wird auch aus den Erwägungen der Strafkammer deutlich. Denn das Landgericht führt aus (UA S. 12), dass die Geschädigte die Einlassung des Angeklagten insoweit bestätigt habe, „dass sie grundsätzlich mit sexuellen Handlungen, wie dem Oral- und Analverkehr, einverstanden“ gewesen sei und sie nur verbal ihre Ablehnung gegen die vom Angeklagten vorgenommenen Schläge und Bisse geäußert und vor Schmerzen geschrien habe. Bekräftigt wird dies durch die weiteren Ausführungen des Landgerichts (UA S. 13), dass die Kammer keinerlei Zweifel habe, dass die Geschädigte „mit den sexuell motivierten Gewalthandlungen des Angeklagten, seinen Schlägen und Bissen nicht einverstanden war“.
bb) Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe vorsätzlich gehandelt, nämlich erkannt und billigend in Kauf genommen, dass die Geschädigte mit Geschlechtsverkehr jeglicher Art nicht (mehr) einverstanden gewesen sei, begegnet danach ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Schon die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen tragen nicht die Schlussfolgerung des Landgerichts, dem Angeklagten sei aufgrund der Gegenwehr und den zurückweisenden Äußerungen der Geschädigten klargewesen, dass diese keinen Geschlechtsverkehr jeglicher Art mehr gewollt habe. Zweifel daran, dass der Angeklagte erkannte und billigend in Kauf nahm, dass die Geschädigte mit dem Geschlechtsverkehr als solchem nach den Schlägen und Bissen nicht mehr einverstanden war, sind bereits deshalb gerechtfertigt, weil die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen keine eindeutige Willensäußerung der Geschädigten in diesem Sinne erkennen lassen, und die Geschädigte, nachdem sie den Angeklagten bereits nach dem ersten Oralverkehr und den ihr in diesem Zusammenhang zugefügten Schlägen aufgefordert hatte aufzuhören, sogar noch der Durchführung von Analverkehr zustimmte.
c) Die Feststellungen zu Fall 2.2 der Urteilsgründe tragen ebenfalls nicht die Annahme, der Angeklagte habe am Morgen des 17. Juni 2017 vorsätzlich den Oralverkehr gegen den erkennbaren Willen der Geschädigten mit dieser vollzogen.
aa) Ein Handeln des Angeklagten gegen den erkennbaren Willen der Geschädigten ist auch insoweit nicht eindeutig festgestellt und hinreichend belegt. Denn nach den Feststellungen des Landgerichts sagte die Geschädigte nichts, als der Angeklagte den Oralverkehr verlangte und vollzog; auch lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen, dass die Geschädigte durch ihr sonstiges Verhalten erkennen ließ, dass sie mit dem Oralverkehr als solchem nicht einverstanden war. Allein aus dem Schreien der Geschädigten ergibt sich ein dem Oralverkehr entgegenstehender Wille der Geschädigten schon deshalb nicht, weil die Geschädigte gerade nicht mit dem einsetzenden Oralverkehr zu schreien begann, sondern erst auf die erneuten Bisse des Angeklagten. Auch aus dem Vorgeschehen in der Nacht lässt sich nicht zweifelsfrei auf einen dem erneuten Oralverkehr entgegenstehenden Willen der Geschädigten schließen, weil insoweit ein gerade dem Geschlechtsverkehr erkennbar entgegenstehender Wille der Geschädigten nicht festgestellt ist. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus dem von der Geschädigten nach dem Tatgeschehen gemäß Fall 2.1 der Urteilsgründe in der Nacht geäußerten Verlangen, dass der Angeklagte sie nach Hause fahre. Denn die Geschädigte begnügte sich mit der Ankündigung des Angeklagten, er werde sie am nächsten Tag nach Hause fahren, und schlief in der Folge auf der Couch des Angeklagten ein. Auch insoweit lässt sich nicht ausschließen, dass - wie das Landgericht selbst ausführt (UA S. 12 f.) - die Geschädigte mit dem Oralverkehr einverstanden war und sich ihr entgegenstehender Wille (nur) auf die Gewalthandlungen des Angeklagten (Schläge und Bisse) bezog.
bb) Schließlich mangelt es auch an ausreichenden und widerspruchsfreien Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten bezüglich des Geschehens am Morgen des 17. Juni 2017, aus denen sich ein Schluss darauf ziehen lässt, dass der Angeklagte damit rechnete und billigend in Kauf nahm, dass die Geschädigte mit der Vollziehung von Oralverkehr nicht einverstanden war.
2. Der Rechtsfehler führt angesichts der jeweils tateinheitlichen Verwirklichung der - für sich genommen rechtsfehlerfrei ausgeurteilten - vorsätzlichen Körperverletzung zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt. Eine Berichtigung des Schuldspruchs kommt dagegen nicht in Betracht, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das neue Tatgericht Feststellungen treffen kann, die eine Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung tragen. Die Feststellungen sind, weil sie von dem Rechtsfehler betroffen sind, ebenfalls aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO). Dies ermöglicht dem neuen Tatgericht, umfassend widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das neue Tatgericht insbesondere Feststellungen dazu zu treffen haben wird, ob es nur an einem Einverständnis der Geschädigten mit der Gewaltanwendung des Angeklagten in Form von Bissen und Schlägen fehlte oder sich der erkennbar entgegenstehende Wille der Geschädigten auch auf den (von Gewalthandlungen begleiteten) Oral- und Analverkehr als solchen bezog und der Angeklagte dies erkannte und billigend in Kauf nahm. Sollte die Geschädigte zwar bis zuletzt mit dem Geschlechtsverkehr als solchem, nicht aber mit den dabei vom Angeklagten ausgehenden Tätlichkeiten einverstanden gewesen sein, käme eine Strafbarkeit wegen sexueller Nötigung (§ 177 Abs. 5 StGB) in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in Betracht, wenn die Bisse und Schläge im Zusammenhang mit dem Sexualakt ihrerseits als sexuelle Handlungen zu werten wären.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 256
Externe Fundstellen: NStZ 2019, 407; StV 2019, 537
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede