HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1046
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 307/18, Beschluss v. 11.09.2018, HRRS 2018 Nr. 1046
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 24. Januar 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie in Bezug auf den Schuldspruch entsprechend der Begründung des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 3. Juli 2018 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Die Angeklagte und der Geschädigte lebten seit 2013 in einer gemeinsamen Wohnung. Im Laufe der Zeit verschlechterte sich die Beziehung der beiden zusehends und war von regelmäßigen Konflikten und Streitigkeiten mit gegenseitigen Beleidigungen geprägt. Die Angeklagte und der Geschädigte schliefen deshalb in getrennten Zimmern, die Angeklagte im Wohnzimmer, der Geschädigte im Schlafzimmer. Bereits ab 2012 hatte die Angeklagte begonnen, vermehrt Alkohol zu konsumieren, wobei sie zuletzt über den Tag verteilt regelmäßig zehn bis zwölf Bier (jeweils 0,5 l) trank, weshalb sie durchschnittlich zwei bis drei Tage pro Woche betrunken und zumindest einmal pro Woche verkatert war.
Bereits am Morgen des 20. Januar 2017 kam es in der Küche zu gegenseitigen Beleidigungen und Provokationen. Die Angeklagte konsumierte an diesem Tag ab ca. 15 Uhr bis zu dem Zeitpunkt, als der Geschädigte gegen 23 Uhr von seiner Arbeit nach Hause kam und sich schlafen legte, mindestens zehn Bier zu je 0,5 l. Am 21. Januar 2017 gegen 1 Uhr nachts begab sich die Angeklagte in das Schlafzimmer des Geschädigten, um sich dessen Tablet-Computer zum Anschauen von Musikvideos zu holen. Da der Geschädigte aber das Passwort für den Computer geändert hatte und dessen Nutzung somit nicht möglich war, ging sie erneut zurück ins Schlafzimmer und weckte gegen 1.30 Uhr den Geschädigten. Dieser weigerte sich aber, das Tablet zu entsperren. Es kam daraufhin zu gegenseitigen Provokationen und Beschimpfungen.
Die Angeklagte begab sich anschließend zurück in ihr Wohnzimmer und begann vor der Schlafzimmertür des Geschädigten Staub zu saugen, um diesen zu provozieren. Sie ging dann zurück ins Wohnzimmer, schrie weiter zu dem Geschädigten hinüber und sperrte die Wohnzimmertür von innen ab. Der Geschädigte klopfte und schlug gegen die Tür und forderte die Angeklagte auf, mit dem Lärm aufzuhören. Daraufhin öffnete sie kurz die Wohnzimmertür, so dass sich beide in kurzem Abstand gegenüber standen und sich gegenseitig anbrüllten. Dann schloss sie die Tür erneut. Der Geschädigte entfernte sich zunächst von der Tür, da es für einen Augenblick ruhig geworden war. Der Geschädigte kehrte aber nach wenigen Schritten zurück, weil die Angeklagte die Tür des Wohnzimmers erneut öffnete und kurz ihr zum Eigenschutz angeschafftes Pfefferspray auf den Geschädigten richtete, ohne dieses aber einzusetzen. Der Geschädigte forderte sie auf, sie solle ihr Maul halten, weil er seine Ruhe haben wolle.
Die Angeklagte, die unter dem Einfluss des vorangegangenen Alkoholgenusses und der negativen Erfahrungen der leidvollen Beziehungsgeschichte emotional aufgewühlt und aufgebracht war, ging dann wieder in ihr Wohnzimmer zurück und versperrte die Tür. Beide brüllten sich weiter durch die Tür an. Anschließend fasste die Angeklagte mit ihrer rechten Hand den Zimmerschlüssel im Türschloss und hielt gleichzeitig in dieser Hand ein geöffnetes Klappmesser mit ca. 7 cm Klingenlänge mit der Klinge nach unten sowie in der linken Hand das Pfefferspray. Nachdem sie so die Tür erneut geöffnet hatte, stach sie unvermittelt mit dem Messer in Richtung des Oberkörpers des Geschädigten, der eine Armlänge vor der Wohnzimmertür stand. Die Angeklagte traf den Geschädigten mit dem Messer unterhalb dessen 7. Rippe und stach ca. 3 cm tief in dessen Oberkörper ein, ohne aber innere Organe zu treffen. Der Stich war aber geeignet, lebensgefährliche Folgen beim Geschädigten hervorzurufen.
Das Landgericht ging davon aus, dass die Angeklagte bei der Tatbegehung erheblich unter Alkoholeinfluss stand und erheblich alkoholbedingt enthemmt war. Zur Tatzeit habe sie eine maximale Alkoholkonzentration von 3,09 Promille gehabt. Dem psychiatrischen Sachverständigen folgend nimmt das Landgericht an (UA S. 28 ff.), dass die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der Angeklagten bei der Tat weder aufgehoben noch wesentlich vermindert gewesen sei. Es legt für die zu bestimmende Rechtsfolge den „gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des minder schweren Falls des § 224 Abs. 1 StGB“ zu Grunde (UA S. 33) und bejaht die Voraussetzungen für eine Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (UA S. 35 f.).
Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils ist rechtsfehlerhaft. Die Ausführungen zur Verneinung einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten sowie zur Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Nach den vom sachverständig beratenen Landgericht zur Frage der Schuldfähigkeit der Angeklagten getroffenen Feststellungen (UA S. 28 ff.) ergab die der Angeklagten um 4.10 Uhr entnommene Blutprobe eine BAK von 2,22 Promille. Dies führe nach den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen unter Rückrechnung zum Tatzeitpunkt um 2.20 Uhr zu einer wahrscheinlichen BAK von 2,5 Promille und einer nicht ausschließbaren maximalen BAK von 2,79 Promille, wobei eine Umrechnung der um 2.45 Uhr durchgeführten Atemalkoholmessung einen maximalen Wert von 3,09 Promille ergebe. Ungeachtet der errechneten Werte bestünden aber nach Auffassung des Landgerichts keine Hinweise auf eine verminderte Steuerungsfähigkeit, da sich keine Hinweise auf wesentliche Bewusstseinsausfälle bei der Angeklagten ergeben hätten. Auch seien keine Hinweise auf Einschränkungen im Auffassungsvermögen oder der Orientierung und auch keine motorischen oder koordinativen Ausfälle zu erkennen. Die affektiven Verhaltensauffälligkeiten sowie Stimmungsschwankungen der Angeklagten seien auf den Schock infolge der Tatbegehung zurückzuführen.
2. Diese Ausführungen des Landgerichts ermöglichen dem Senat nicht die Nachprüfung dahingehend, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB zu Recht verneint worden sind. Sie lassen vielmehr besorgen, dass das Landgericht einzelne für bzw. gegen die Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit sprechende Indizien übersehen und infolgedessen zu einer rechtsfehlerhaften Würdigung gelangt ist.
So stellt das Landgericht einerseits fest, dass die Angeklagte bei der Tatbegehung erheblich unter Alkoholeinfluss stand und auch erheblich alkoholbedingt enthemmt war (UA S. 10). Der Senat kann hier dahinstehen lassen, ob der Atemalkoholkonzentration neben der gesicherten BAK-Konzentration aufgrund einer zeitnahen Blutprobe überhaupt Bedeutung zukommt (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2010 - 5 StR 520/09, NStZ-RR 2010, 275, 276). Jedenfalls ergibt die zugrunde zu legende BAK von 2,79 Promille eine erhebliche Alkoholisierung. Ebenso berichtet ein als Zeuge vernommener Polizeibeamter, der die Angeklagte kurz nach der Tat angetroffen hat, dass diese stark nach Alkohol gerochen habe, leicht geschwankt habe und nicht mehr ohne Probleme stehen konnte (UA S. 29). Auf der anderen Seite sieht das Landgericht aber trotz dieser Feststellungen keine Hinweise auf wesentliche Bewusstseinsausfälle bei der Angeklagten und verneint auch Hinweise auf Einschränkungen im Auffassungsvermögen sowie motorische oder koordinative Ausfälle. Gleichzeitig werden die ebenfalls bei der Angeklagten im Zusammenhang mit der Tat festgestellten affektiven Verhaltensauffälligkeiten und Stimmungsschwankungen (UA S. 9) ebenfalls nicht in die Beurteilung zur Schuldfähigkeit einbezogen, da sie nur auf den Schock infolge der Tatbegehung zurückzuführen seien. Dies lässt unberücksichtigt, dass diese durchaus im Zusammenhang mit der Alkoholisierung zu einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit geführt haben könnten. Damit lässt das Urteil eine widerspruchsfreie Würdigung aller für die Beurteilung der Schuldfähigkeit der Angeklagten relevanten Gesichtspunkte vermissen.
3. Im Hinblick auf diesen aufgezeigten Rechtsfehler kann dahinstehen, ob auch der Strafausspruch des Landgerichts in Bezug auf die Bestimmung des Strafrahmens rechtsfehlerhaft ist. Soweit das Landgericht im Einleitungssatz (UA S. 33) vom „gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des minder schweren Falls des § 224 Abs. 1 StGB“ ausgeht, dann aber einen maßgeblichen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu Grunde legt, ist dies zumindest in sich widersprüchlich.
4. Auch die Ausführungen des Landgerichts zur Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erweisen sich als rechtsfehlerhaft. Wie vom Generalbundesanwalt näher ausgeführt, sind die Urteilsausführungen zu den Voraussetzungen der Maßregelanordnung lückenhaft und leiden an einem durchgreifenden Darstellungsmangel, da sich die Erwägungen des Landgerichts zu den Erfolgsaussichten einer Therapie ausschließlich auf die eigene Wahrnehmung der Angeklagten in der Hauptverhandlung stützen, ohne in den Urteilsgründen die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen zu dieser Frage mitzuteilen.
Die aufgezeigten Rechtsfehler bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit und beim Rechtsfolgenausspruch lassen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung aber unberührt. Auf Grund der bisherigen Feststellungen zur Schuldfähigkeit der Angeklagten schließt der Senat aus, dass sich im Rahmen der neuen Verhandlung Erkenntnisse ergeben könnten, dass die Angeklagte zur Tatzeit schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB gewesen wäre und die deshalb den Bestand des Schuldspruchs gefährden würden. Der Senat hebt deshalb nur den Rechtsfolgenausspruch insgesamt mit den Feststellungen auf, um dem Tatrichter eine umfassende widerspruchsfreie Entscheidung über den neuen Strafausspruch und die neue Prüfung der Voraussetzungen für eine Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu ermöglichen. Raum.
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1046
Externe Fundstellen: StV 2019, 242
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede