HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 155
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 257/18, Beschluss v. 11.10.2018, HRRS 2019 Nr. 155
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 21. Dezember 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit er in den Fällen C.II.1. bis 7. der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt verurteilt worden ist;
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in Tateinheit mit vorsätzlichem Handeln ohne Erlaubnis nach dem Kreditwesengesetz sowie wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und hiervon acht Monate als vollstreckt erklärt. Hiergegen wendet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts und auf Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Die Revision zeigt keinen durchgreifenden Verfahrensfehler auf.
1. Hinsichtlich der Inbegriffsrüge wird auf die vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift näher dargelegten Gründe verwiesen.
2. Auch die Aufklärungsrüge hat keinen Erfolg.
Die Rüge ist bereits unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt neben der Bezeichnung eines bestimmten Beweismittels, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen sollen, die Angabe eines bestimmten zu erwartenden Beweisergebnisses sowie der Umstände voraus, aufgrund derer sich dem Gericht die vermisste Beweiserhebung aufdrängen musste (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1998 - 4 StR 618/97 Rn. 2, bei Kusch NStZ-RR 1999, 33, 38 mwN).
Ob dem letztgenannten Erfordernis hinreichend Genüge getan wurde, kann vorliegend dahinstehen. Jedenfalls mangelt es an Vortrag zu einem bestimmten Beweisergebnis (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 29. August 2018 - 1 StR 489/17 und Urteil vom 3. Dezember 2015 - 4 StR 223/15, NStZ 2016, 721, 723); dieses wurde nicht hinreichend konkret bezeichnet (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2010 - 1 StR 259/10, NStZ-RR 2010, 316, 317). Beweisergebnis ist das, was das Beweismittel an tatsächlichem Beurteilungsstoff für die Entscheidung der Beweisfrage ergibt (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., Einl. Rn. 48). Insofern auf den Inhalt der fraglichen Urkunden zu verweisen, genügt hier nach den Gesamtumständen nicht. Es hätte vielmehr konkret dargelegt werden müssen, dass der beratende Rechtsanwalt gegenüber dem Angeklagten eine bestimmte Vertragsversion als rechtlich unbedenklich darstellte und dieser seinem Rechtsrat vertraute.
Ob der Angeklagte darüber hinaus - entsprechend der Auffassung des Generalbundesanwalts - von dem Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO hätte Gebrauch machen müssen, kann vor diesem Hintergrund offen bleiben.
Die Sachrüge des Angeklagten führt zur Aufhebung der Verurteilung wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen in sieben Fällen. Insoweit tragen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen den Schuldspruch nicht, weil das Landgericht die Leistungsfähigkeit des Angeklagten nicht geprüft hat.
1. Das Landgericht hat keine Feststellungen zur Leistungsfähigkeit des Angeklagten als Arbeitgeber der Zeugen Z., E. und S. getroffen. Es hat allein auf die fehlende Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge abgehoben. Dies reicht nicht aus, weil der Straftatbestand des § 266a Abs. 1 StGB nur dann gegeben ist, wenn der verpflichtete Arbeitgeber auch die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit zur Erfüllung dieser sozialversicherungsrechtlichen Verbindlichkeit hatte. Insoweit gelten für das echte Unterlassungsdelikt des § 266a StGB die allgemeinen Grundsätze, wonach als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung hinzutreten muss, dass dem Handlungspflichtigen die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht möglich und zumutbar ist (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 5 StR 16/02, BGHSt 47, 318, 319 f.). Eine unmögliche Leistung darf dem Verpflichteten nicht abverlangt werden. Eine Unmöglichkeit in diesem Sinne liegt insbesondere dann vor, wenn der Handlungspflichtige zahlungsunfähig ist (BGH aaO 318, 320).
Eine eingehende Auseinandersetzung mit der Zahlungsfähigkeit des Angeklagten wäre hier schon deshalb erforderlich gewesen, weil das Landgericht für einen tatnahen Zeitraum festgestellt hat, dass der Angeklagte gezwungen war, auf Betreiben seiner Zwangsvollstreckungsgläubiger das Vermögensverzeichnis abzugeben und Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen seiner Firma sowie über sein Privatvermögen zu stellen, dem entsprochen wurde. Auch wenn die jeweilige monatliche Zahllast mit ca. 640 Euro, 1.460 Euro bzw. 1.840 Euro gering war, enthebt dies angesichts der im Rahmen der Betrugstaten geschilderten desolaten finanziellen Verhältnisse den Tatrichter nicht von der Verpflichtung, die tatsächliche Möglichkeit der Zahlung nachvollziehbar darzulegen.
2. Allerdings kann der Tatbestand des § 266a StGB auch dann verwirklicht werden, wenn der Handlungspflichtige zwar zum Fälligkeitstag zahlungsunfähig ist, sein pflichtwidriges Verhalten jedoch praktisch vorverlagert ist (sog. omissio libera in causa - vgl. im Einzelnen BGH aaO 318, 320 ff.). Vorsätzlich pflichtwidrig handelt der Arbeitgeber insoweit aber nur, wenn sich für ihn erkennbar ein Liquiditätsengpass abzeichnet, aus dem eine Gefährdung der Arbeitnehmerbeiträge resultiert, und er es dennoch unterlässt, die Abführung der Sozialbeiträge seiner Arbeitnehmer sicherzustellen, obwohl ihm dies im Zeitpunkt des Offenbarwerdens der Liquiditätsprobleme durch angemessene, rechtlich zulässige finanztechnische Maßnahmen möglich gewesen wäre (BGH aaO 318, 322 ff.).
Das Landgericht hat vorliegend aber weder geprüft, ob zum Zeitpunkt der Fälligkeit eine entsprechende Leistungsfähigkeit vorhanden war, noch - wenn diese Voraussetzung zu verneinen ist - ob hilfsweise zu einem früheren Zeitpunkt die Sicherstellung der Abführung der Arbeitnehmerbeiträge hätte veranlasst werden müssen und ob der Angeklagte dies auch erkannt hat.
3. Die Sache bedarf daher insoweit neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt hinsichtlich der Fälle C.II.1. bis 7. die Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).
Die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen C.II.1. bis 7. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der für diese Taten verhängten Einzelstrafen sowie des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 155
Externe Fundstellen: StV 2019, 748
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede