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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1094

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 140/18, Beschluss v. 10.10.2018, HRRS 2018 Nr. 1094


BGH 1 StR 140/18 - Beschluss vom 10. Oktober 2018 (LG Stuttgart)

Gesamtstrafenbildung (Bemessung der Gesamtstrafe).

§ 54 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Bildung der Gesamtstrafe ein eigenständiger und zu begründender Strafzumessungsakt, der gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB durch die Erhöhung der höchsten Einzelstrafe (sog. Einsatzstrafe) erfolgt und sich nicht an der Summe der Einzelstrafen oder an rechnerischen Grundsätzen zu orientieren hat, sondern an gesamtstrafenspezifischen Kriterien (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 40 f.). Dabei sind bei der erforderlichen Gesamtschau der Taten namentlich das Verhältnis der einzelnen Straftaten zueinander, insbesondere ihr Zusammenhang, ihre größere oder geringere Selbständigkeit, ferner die Häufigkeit der Begehung, die Gleichheit oder Verschiedenheit der verletzten Rechtsgüter und der Begehungsweise sowie das Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts zu berücksichtigen. Ferner ist in einer Würdigung der Person des Täters seine Strafempfindlichkeit, seine größere oder geringere Schuld im Hinblick auf das Gesamtgeschehen und seine innere Einstellung zu den Taten zu erörtern.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 7. März 2017 - soweit es ihn betrifft -

a) im Schuldspruch dahingehend berichtigt, dass der Angeklagte schuldig ist des Betrugs in sieben Fällen, davon in einem Fall in 521 tateinheitlichen Fällen,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten P. wegen Betrugs in sieben Fällen, davon in einem Fall in 522 tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Als Kompensation für die überlange Verfahrensdauer gelten sieben Monate der Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt.

Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 8. Mai 2018 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Soweit der Angeklagte mit Schreiben vom 12. April 2018 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision beantragt, ist dieser Antrag gegenstandslos, da der Verteidiger des Angeklagten die Revision form- und fristgerecht begründet hat.

2. Der Senat hat den Schuldspruch betreffend den Angeklagten P. dahingehend korrigiert, dass der Angeklagte schuldig ist des Betrugs in sieben Fällen, davon in einem Fall in 521 tateinheitlichen Fällen. Da lediglich ein Zählfehler vorliegt, der die eigentliche Schadenssumme unverändert lässt, kann der Senat eine entsprechende Berichtigung vornehmen, ohne dass es zu einer inhaltlichen Änderung der Entscheidung kommt (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2012 - 3 StR 408/11 Rn. 4 mwN).

3. Der Gesamtstrafenausspruch von elf Jahren und sechs Monaten hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Bildung der Gesamtstrafe ein eigenständiger und zu begründender Strafzumessungsakt, der gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB durch die Erhöhung der höchsten Einzelstrafe (sog. Einsatzstrafe) erfolgt und sich nicht an der Summe der Einzelstrafen oder an rechnerischen Grundsätzen zu orientieren hat, sondern an gesamtstrafenspezifischen Kriterien (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Oktober 2009 - 5 StR 394/09, NStZ-RR 2010, 40 f. und vom 5. August 2010 - 2 StR 340/10 Rn. 1; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 54 Rn. 6 mwN). Dabei sind bei der erforderlichen Gesamtschau der Taten namentlich das Verhältnis der einzelnen Straftaten zueinander, insbesondere ihr Zusammenhang, ihre größere oder geringere Selbständigkeit, ferner die Häufigkeit der Begehung, die Gleichheit oder Verschiedenheit der verletzten Rechtsgüter und der Begehungsweise sowie das Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts zu berücksichtigen. Ferner ist in einer Würdigung der Person des Täters seine Strafempfindlichkeit, seine größere oder geringere Schuld im Hinblick auf das Gesamtgeschehen und seine innere Einstellung zu den Taten zu erörtern.

b) Diesen Anforderungen wird das Landgericht nicht gerecht.

Zwar hat das Landgericht im Rahmen seiner Ausführungen zur Gesamtstrafenbildung dem Grunde nach zutreffend erkannt, dass bei den auf Dauer angelegten Taten des Angeklagten ein besonders enger sachlicher Zusammenhang bestand und der aus den tatmehrheitlichen Fällen folgende „weitere“ Schaden im Verhältnis zu dem im Wege des uneigentlichen Organisationsdelikts verursachten Schaden nicht erheblich ins Gewicht fällt (UA S. 309). Aus der Einsatzstrafe von acht Jahren und sechs Monaten für das uneigentliche Organisationsdelikt mit einem Schaden von gerundet 15,2 Mio. Euro wird aber eine Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten gebildet, obwohl die weiteren in die Gesamtstrafe einzubeziehenden sechs Taten mit Einzelstrafen von drei Jahren, dreimal einem Jahr und sechs Monaten, einem Jahr und drei Monaten sowie einem Jahr nur Schadenssummen in Höhe von 263.076 Euro, 89.451 Euro, 76.410 Euro, 11.538 Euro und 2.500 Euro betreffen. Diese deutliche Erhöhung der Einsatzstrafe trotz der bei den weiteren Einzeltaten hinzukommenden verhältnismäßig geringen zusätzlichen Schadenssummen hat das Landgericht nicht nachvollziehbar begründet. Ohne eine plausible Erklärung für die erhebliche Erhöhung der Einsatzstrafe wird die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe dem Unrechtsund Schuldgehalt der festgestellten Taten nicht mehr gerecht und legt nahe, dass das Landgericht die aufgestellten Grundsätze nicht ausreichend bedacht hat. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Bemessung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe auf diesem Wertungsfehler beruht.

4. Die Feststellungen werden durch den aufgezeigten Wertungsfehler nicht berührt. Sie können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen kann das neue Tatgericht treffen, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1094

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede