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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1166

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 107/18, Urteil v. 23.07.2019, HRRS 2019 Nr. 1166


BGH 1 StR 107/18 - Urteil vom 23. Juli 2019 (LG Hildesheim)

BGHSt 64, 161; Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel (Begriff der Bedenklichkeit, erforderlicher Vorsatz hinsichtlich zugrunde liegender tatsächlicher Umstände); Einziehung (Umfang: Berücksichtigung von Aufwendungen des Täters, wenn er das Verbotensein seiner Tat fahrlässig verkennt).

§ 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG; § 5 Abs. 2 AGM; § 15 StGB; § 16 StGB

Leitsätze

1. Um den sozialen Bedeutungsgehalt der Bedenklichkeit eines Arzneimittels zu erfassen, bedarf es auch der Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die für die Abwägung des Verhältnisses zwischen dem bekannten Risiko und dem Nutzen von Relevanz sind. Diese muss der Täter nach einer Parallelwertung in der Laiensphäre richtig in sein Vorstellungsbild aufgenommen haben, um einen Vorsatzschuldvorwurf zu begründen. (BGHSt)

2. Verkennt der Täter das Verbotene des von ihm vorgenommenen Geschäfts fahrlässig, tätigt er die ihm entstandenen Aufwendungen nicht bewusst für eine Straftat im Sinne des § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB, so dass sie für das Geschäft bei der Bestimmung des Erlangten zu berücksichtigen sind. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 27. Oktober 2017 werden verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Der Angeklagte hat die durch sein Rechtsmittel verursachten Kosten zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässigen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln in zwei Fällen sowie wegen Steuerhinterziehung in fünf Fällen unter Einbeziehung rechtskräftiger Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Es hat außerdem die „Einziehung von Wertersatz“ in Höhe von 200.000 € angeordnet.

Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, die sie auf die Verurteilung wegen fahrlässigen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln beschränkt hat. Sie beanstandet, dass das Landgericht nicht von vorsätzlichem Handeln ausgegangen ist.

Der Angeklagte wendet sich mit einem verfahrensrechtlichen Angriff und der Sachrüge gegen seine Verurteilung. Er beanstandet vor allem, nicht auf die Möglichkeit einer Verurteilung wegen fahrlässiger Begehung der Arzneimitteldelikte hingewiesen worden zu sein und dass weder seine Täterschaft insoweit noch die Bedenklichkeit der vertriebenen Stoffe ausreichend belegt worden sei. Hinsichtlich der Steuerdelikte sei der konkrete Steuerschaden nicht tragfähig festgestellt worden.

Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

A.

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte vertrieb zwischen Dezember 2008 und Mai 2013 die Präparate MMS und MMS2 über eine von ihm betriebene Website und über verschiedene Internetplattformen. Hierzu trat er unter dem Namen L. Limited, auch nach deren im Oktober 2011 erfolgten Löschung, und W. UG, deren Geschäftsführer er war, auf.

a) Bei MMS handelte es sich um eine 28-prozentige Natriumchloritlösung, die bei oraler Einnahme in Kontakt mit Magensaft oder Speichel zu Salzsäure, Chlordioxid - ein giftiges Gas mit stechendem, chlorähnlichen Geruch - und Wasser zerfällt. MMS2 stellt ein 70-prozentiges Calciumhypochlorit dar, welches sich unter Einwirkung von Salzsäure im Magen in giftiges Chlorgas zersetzen kann. Chlorgas reagiert mit menschlichem Gewebe und zerstört es. Bei neutralem Magensaft wirkt Calciumhypochlorit ätzend und je nach verabreichter Dosis unspezifisch reizend bis schädigend auf Schleimhäute. Sowohl Chlordioxid als auch Chlorgas führen bei oraler Einnahme typischerweise zu Durchfall, Übelkeit und Erbrechen, es können aber dosisabhängig auch schwerere Folgen wie eine Magenperforation oder Bauchfellentzündung eintreten.

Vor der Aufnahme seines Vertriebs hatte sich der Angeklagte bei anderen Anbietern MMS beschafft und mit der oralen Einnahme begonnen. Er fühlte sich dadurch besser. In von ihm gelesenen Publikationen zu den Präparaten war deren desinfizierende Wirkung im Wasser auf den menschlichen Organismus übertragen und daraus geschlussfolgert worden, dass Bakterien und Keime als Auslöser von Krankheiten durch die Einnahme vernichtet würden. Auf diesen vermeintlichen Wirkungsmechanismus wurde auch auf der Vertriebswebsite hingewiesen, auf der von der zufälligen Entdeckung als „Medikament“ berichtet wurde. Dort gab sich der Angeklagte als „geprüftes Laboratorium“ aus, welches im Bereich Krankheitsbekämpfung tätig sei und durch von der Pharmaindustrie unabhängige Studien alle positiven und negativen Wirkungen des MMS herausfinden werde. Auf der Website waren zudem Links eingerichtet, auf denen über die angeblich gesundheitsfördernde Wirkung der Präparate bei Krankheiten wie Diabetes, Asthma, Aids, Herpes und Tuberkulose berichtet wurde.

Der Angeklagte kannte bei seinen Vertriebshandlungen zwar die möglichen schädlichen Wirkungen der Präparate, ging aber „in der Gesamtabwägung von einer heilenden Wirkung“ aus.

Die Annahme einer solchen Wirkung entspricht nicht dem Stand der Wissenschaft. Zwar wirken beide Substanzen unspezifisch lokal keimtötend, eine spezifische Wirkung ist nicht plausibel zu begründen. Eine Generaldesinfektion des menschlichen Organismus ist aber weder möglich, noch sinnvoll, so dass die schädlichen Wirkungen durch keine zuträgliche Wirkung auf die Gesundheit relativiert werden, mithin in keinem sinnvollen Verhältnis zu der nicht nachgewiesenen Wirkung stehen. Gleichwohl kann ein gewisser Placebo-Effekt nicht ausgeschlossen werden. Keiner der Bezieher der Präparate klagte gegenüber dem Angeklagten über negative Folgen, manche tätigten erneute Bestellungen.

Die fehlende Eignung, der menschlichen Gesundheit zuträglich zu sein, hätte der Angeklagte erkennen können.

b) Für den Vertrieb ging der Angeklagte wie folgt vor: Zwischen September 2008 und dem 1. April 2011 bestellte er in 15 Tranchen über insgesamt 1.011 kg Natriumchlorit zum Gesamtpreis von 20.034 € und zudem Calciumhypochlorit bei demselben Lieferanten. Dabei versicherte er jeweils, die Chemikalien für die Desinfektion von Schwimmbädern verwenden zu wollen. Er bestätigte wahrheitswidrig zudem, die für die Weitergabe erforderliche Erlaubnis zum Inverkehrbringen nach der Chemikalienverordnung zu haben. Jeder Lieferung war ein Sicherheitsdatenblatt beigefügt, welches Hinweise auf die ätzende Wirkung enthielt und die Stoffe mit Gefahrenpiktogrammen als giftig, gesundheits- und umweltgefährdend kennzeichnete.

Da sein bisheriger Lieferant danach nicht mehr an ihn liefern wollte, musste er sich nach dem Erschöpfen seines Vorrats eine andere Bezugsquelle suchen. Ab Mitte April 2012 konnte er aus einer anderen Quelle Natriumchlorit beziehen. Hier tätigte er bis Januar 2013 vier Bestellungen über insgesamt 1.230 kg der Chemikalie für 5.356,20 €.

Für die Herstellung des Präparats MMS vermischte der Angeklagte das erworbene Natriumchlorit mit destilliertem Wasser und füllte die Lösung in 110 ml fassende, braune Glasfläschchen, das Etikett war u.a. mit der Aufschrift „zur Behandlung“ versehen. Das Präparat MMS2 vertrieb er als Granulat in Kapselform, welches er in weißen Dosen mit jeweils 75 Kapseln zu je 600 mg darreichte. Die Packungsbeilagen enthielten jeweils den Hinweis, dass die Präparate nur für die Desinfektion von Trinkwasser und nicht für die Behandlung von Krankheiten zugelassen seien. Enthalten waren zudem Anweisungen für die verdünnte Einnahme, wobei die Dosis bei Ausbleiben starker Reaktionen, wie Übelkeit und Durchfall, erhöht werden sollte. Für MMS2 wurde zudem auf eine besondere Dosierung bei akuten Krankheiten hingewiesen.

Allein zwischen Dezember 2008 und Mai 2012 wickelte der Angeklagte etwa 10.000 Einzelbestellungen ab, die er jeweils an die Kunden versandte. Die Kunden überwiesen das Geld auf ein im September 2008 eingerichtetes Konto des Angeklagten. Später verwendete der Angeklagte für Zahlungseingänge andere Kontoverbindungen.

Die mit den Präparaten und werbenden Nebenprodukten versandten Rechnungen wiesen jeweils Umsatzsteuer in Höhe von 19 % aus.

2. Tatsächlich führte der Angeklagte für die erzielten Umsätze weder Umsatzsteuer ab noch gab er eine Umsatzsteuererklärung ab. Durch das Inverkehrbringen der Präparate erzielte er im Jahr 2011 162.073 €, im Jahr 2012 83.899 € und im ersten Quartal 2013 24.234 €.

Auch die mit dem Onlinehandel verbundenen Gewinne der Jahre 2011 und 2012 erklärte der Angeklagte nicht. Betriebsausgaben hatte er in Höhe von jeweils 25 % der Nettoeinnahmen. Da er keine Einkommenssteuererklärungen abgab, ergingen im Sommer 2013 zu niedrige Schätzbescheide.

II. Diesen Sachverhalt hat das Landgericht wie folgt gewürdigt und bewertet:

1. Es hat die Präparate MMS und MMS2 aufgrund des vom Angeklagten vermittelten Gesamtbildes für den durchschnittlichen Verbraucher als Präsentationsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG eingeordnet und sie für bedenklich im Sinne des § 5 Abs. 2 AMG erachtet. Jedoch konnte es sich nicht davon überzeugen, dass der Angeklagte diese für ihn erkennbare Bedenklichkeit zumindest billigend in Kauf genommen hat, weswegen es ihn wegen fahrlässiger Begehung des Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel verurteilt hat. Es ist von zwei Taten ausgegangen, da es für die gesamten Bestellungen beim ersten Lieferanten von einer Bewertungseinheit ausgegangen ist, die erst durch das Aufbrauchen der Bestände abgeschlossen gewesen sei. Durch die Bestellung beim neuen Lieferanten sei eine neue Vorratsmenge angelegt worden, aus der dann weitere Verkäufe erfolgten. Es hat auf Einzelstrafen von zehn Monaten (Tat 1 - erste Bewertungseinheit) und sieben Monaten (Tat 2 - zweite Bewertungseinheit) erkannt.

Für die Einziehungsentscheidung hat es die anhand von Erkenntnissen aus beschlagnahmten Buchhaltungsdateien ermittelten Umsätze in Höhe von 347.095,99 € zugrunde gelegt. Hiervon hat es Betriebsausgaben abgezogen, die es auf 25 % geschätzt hat und den so errechneten Betrag auf 200.000 € abgerundet, auch um höhere Aufwendungen bei Aufnahme der Vertriebstätigkeit zu erfassen.

2. Die Steuerverkürzungsbeträge hat das Landgericht ausgehend von den auf dem vom Angeklagten verwendeten Konto eingegangenen Beträgen, die sie ausschließlich dem Handel mit den Präparaten und werbenden Nebenprodukten zugeordnet hat, berechnet. Es hat unter maßgeblicher Berücksichtigung der Höhe des Steuerschadens für die Hinterziehung der Einkommensteuer für 2011 (Tat 6) auf die Einsatzstrafe von einem Jahr und vier Monaten erkannt, für die übrigen Steuerdelikte hat es Freiheitsstrafen von neun Monaten (Tat 7 - Einkommensteuer 2012), einem Jahr (Tat 3 - Umsatzsteuer 2011), acht Monaten (Tat 4 - Umsatzsteuer 2012) und vier Monaten (Tat 5 - Umsatzsteuer erstes Quartal 2013) verhängt.

3. Sodann hat es 108 Einzelstrafen zwischen zwei und acht Monaten Freiheitsstrafe aus einer noch nicht vollstreckten Verurteilung aus dem Jahr 2016 nach der Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen und auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten erkannt.

B.

Revision der Staatsanwaltschaft

Das auf die Verurteilung wegen der Arzneimitteldelikte beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel zeigt auf die sachlichrechtliche Überprüfung hin keinen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf.

I. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht sich nicht vom vorsätzlichen Handeln des Angeklagten überzeugen konnte. Die diesem Schluss zugrundeliegende Würdigung hält sachlichrechtlicher Überprüfung stand.

1. Die Überzeugung des Landgerichts davon, dass der Angeklagte entgegen dem Stand der Wissenschaft von einer heilenden Wirkung der Präparate MMS und MMS2 in der von ihm mit der Packungsbeilage empfohlenen Dosis in verdünnter Einnahmeform ausgegangen ist, ist nicht zu beanstanden.

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 28. Februar 2019 - 1 StR 604/17, juris Rn. 58 und vom 11. Februar 2016 - 3 StR 436/15, juris Rn. 20). Dabei hat das Revisionsgericht die tatgerichtliche Ãœberzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 2. Februar 2017 - 4 StR 423/16, juris Rn. 8 und vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14, juris Rn. 8). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 - 1 StR 94/16, juris Rn. 9 mwN).

b) Ein solcher Rechtsfehler liegt nicht vor. Die Schlussfolgerung, dass der Angeklagte von einer heilenden Wirkung der Präparate ausging, ist tragfähig belegt. Insbesondere hat sich das Landgericht bei der Würdigung des Vorstellungsbildes des Angeklagten mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinandergesetzt. So hat es auch die gegen eine heilende Wirkung sprechenden und dem Angeklagten bekannten Aspekte - die Hinweise des Lieferanten auf die Giftigkeit der Ausgangsstoffe, den stechenden Chlorgeruch der Präparate, der zu Beeinträchtigungen geführt habe, sowie die von ihm selbst in der Packungsbeilage aufgeführten möglichen Wirkungen wie Übelkeit und Erbrechen - in den Blick genommen. Dass es sich angesichts der Einnahme durch den Angeklagten selbst und seines verbesserten Befindens, was es durch den vom Sachverständigen für möglich erachteten Placebo-Effekt gestützt sah, den wiederholten Bestellungen einiger Verbraucher und dem Ausbleiben von negativen Rückmeldungen dennoch davon überzeugt hat, der Angeklagte habe diese schädlichen Wirkungen als „hinnehmbare Nebenwirkung“ für die von ihm angenommenen positiven Effekte - eine Abtötung krankheitsauslösender Keime im Körper - angesehen, ist ein möglicher Schluss und revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

2. Dass das Landgericht auf dieser Grundlage, nämlich dem Vertrauen auf eine heilende Wirkung, nicht von einem vorsätzlichen Handeln bei dem Inverkehrbringen ausgegangen ist, erweist sich ebenfalls als rechtsfehlerfrei.

a) Das Landgericht hat die Präparate MMS und MMS2 zutreffend als bedenkliche Arzneimittel im Sinne des § 5 Abs. 2 AMG eingeordnet. Danach sind Arzneimittel bedenklich, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen (BGH, Urteil vom 19. September 2017 - 1 StR 72/17, juris Rn. 15; Hofmann in Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 2. Aufl., § 5 Rn. 12, 27). Das Merkmal der Vertretbarkeit ist ein wertausfüllungsbedürftiger Begriff, der dahin auszulegen ist, dass darunter solche schädlichen Wirkungen fallen, denen ein überwiegender therapeutischer Nutzen gegenübersteht (BGH, Beschluss vom 11. August 1999 - 2 StR 44/99, juris Rn. 2 mwN). Dies setzt sowohl eine Bewertung der schädlichen Wirkungen als auch des therapeutischen Nutzens nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und eine Abwägung zwischen diesen beiden Elementen, mithin von Risiko und Nutzen voraus (BGH aaO; Hofmann aaO Rn. 28).

Sachverständig beraten hat das Landgericht solche schädigenden Wirkungen der Präparate festgestellt, angesichts eines fehlenden therapeutischen Nutzens waren diese auch nicht vertretbar.

b) Zu Recht hat das Landgericht die Vorsatzprüfung auf die beiden oben dargelegten Elemente der Bedenklichkeit bezogen. Denn diese ergibt sich nicht allein aus der Schädlichkeit der Wirkungen. Deswegen genügt - anders als vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vertreten - das Wissen um mögliche schädliche Wirkungen für sich genommen nicht, um das Wissenselement des Vorsatzes zu erfüllen. Um den sozialen Bedeutungsgehalt des Tatbestandsmerkmals der Bedenklichkeit zu erfassen, bedarf es vielmehr auch der Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die für die Abwägung des Verhältnisses zwischen dem bekannten Risiko und dem Nutzen von Relevanz sind, mithin des therapeutischen Nutzens der Arzneimittel. Diese müsste der Angeklagte nach einer Parallelwertung in der Laiensphäre richtig in sein Vorstellungsbild aufgenommen haben, um einen Vorsatzschuldvorwurf zu begründen.

Auf der Grundlage der Feststellungen unterlag der Angeklagte allerdings einem Irrtum über den therapeutischen Nutzen der Präparate. Sein Irrtum bezog sich nicht auf eine rechtliche Wertung, wie sie in der Abwägung zwischen zutreffend erkanntem Risiko und Nutzen zu sehen ist. Vielmehr konnte er aufgrund einer Verkennung von tatsächlichen Umständen ein Merkmal des Tatbestands, nämlich das nicht vertretbare Maß der schädlichen Wirkungen, noch nicht einmal in seiner Laiensphäre inhaltlich zutreffend nachvollziehen. Ihm fehlte damit die vollständige Tatbestandskenntnis, er unterlag einem Tatbestandsirrtum (vgl. hierzu Raum in Kügel/Müller/Hofmann, aaO, vor § 95 Rn. 17 ff.; Radtke in Gedächtnisschrift für Joecks, 2018, S. 543, 549 mwN).

c) Aus den Feststellungen zu den dem Angeklagten bewussten möglichen schädlichen Wirkungen der Präparate - reizende bis ätzende Wirkung, Durchfall und Erbrechen - ergibt sich nicht, dass diese bei bestimmungsgemäßem Gebrauch (vgl. Raum, aaO, § 95 Rn. 15), also der empfohlenen Dosis derart zu gewichten wären, dass sie auch bei Annahme eines therapeutischen Nutzens, wie er vom Angeklagten irrtümlich angenommen wurde, außer Verhältnis gestanden hätten.

II. Auch die an die fahrlässige Begehung anknüpfende Einziehungsentscheidung hat Bestand.

Das Landgericht hat sich darauf gestützt, dass die Betriebsausgaben nicht willentlich und bewusst für Straftaten eingesetzt worden sind und deswegen nicht dem Abzugsverbot des § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB unterfallen. Dies lässt sich mit dem Gesetzestext vereinbaren und entspricht der gesetzgeberischen Intention. Danach hat der Täter, der das Verbotene des Geschäfts fahrlässig verkennt, seine Aufwendungen nicht bewusst für eine Straftat getätigt, so dass sie für das Geschäft bei der Bestimmung des Erlangten zu berücksichtigen sind (BT-Drucks. 18/9525, S. 68, 69; vgl. hierzu auch Fischer, StGB, 66. Aufl., § 73d Rn. 6; Hiéramente/Schwerdtfeger, BB 2018, 834, 838; Saliger, ZStW 2017, 995, 1013; Schilling/Corsten/Hübner, StraFo 2017, 305, 307).

Die Schätzung der Betriebsausgaben nach § 73d Abs. 2 StGB ist noch nachvollziehbar dargelegt und angesichts der Einkaufspreise für die Ausgangsstoffe und die zu veranschlagenden Versandkosten für die etwa 10.000 Bestellungen ebenfalls nicht zu beanstanden.

C.

Revision des Angeklagten

I. Die Verurteilung wegen fahrlässigen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel weist auch keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler auf.

1. Die Verfahrensrüge erweist sich als unbegründet. Ein Verstoß gegen § 265 Abs. 1 StPO liegt nicht vor.

Denn in der Hauptverhandlung ist ein rechtlicher Hinweis an den Angeklagten ergangen, wonach auch eine Verurteilung wegen fahrlässigen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in Betracht kommt. Dabei ist auf die einschlägigen Vorschriften des § 95 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 AMG hingewiesen worden. Dies genügt, um den Angeklagten in den Stand zu setzen, seine Verteidigung darauf einzurichten (vgl. nur BGH, Urteil vom 16. Oktober 1962 - 5 StR 276/62, BGHSt 18, 56, 57).

Der Einwand des Revisionsführers, der Hinweis sei nicht ausreichend gewesen, da das Gericht nur die Rechtsansichten der Verteidigung referiert habe, ohne selbst zu erkennen zu geben, ob es diesen Ansichten möglicherweise folgen würde, erschließt sich angesichts des Wortlauts des Hinweises nicht. Dieser war mit „Rechtliche Hinweise an die Angeklagten“ betitelt und enthielt dementsprechend u.a. auch den Hinweis, „wäre hingegen den Ausführungen … zur subjektiven Tatseite des Angeklagten … zu folgen, käme dessen Verurteilung wegen fahrlässigen Inverkehrbringens in Betracht“. Dass dieser Hinweis mit der ablehnenden gerichtlichen Auseinandersetzung mit einem Antrag auf Einstellung des Verfahrens verknüpft war, lässt die inhaltliche Eindeutigkeit, dass eine fahrlässige Begehung in Betracht komme, unberührt. Die tatsächlichen Anknüpfungspunkte für einen solchen Vorwurf ergaben sich bereits aus der Anklage.

2. Auch auf die sachlichrechtliche Überprüfung hin hat das Urteil Bestand. Die nur eingeschränkt der revisionsgerichtlichen Überprüfung zugängliche Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf.

a) Die Überzeugung des Landgerichts von der Täterschaft des Angeklagten ist nachvollziehbar begründet und beruht auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Sie stützt sich zum einen auf die Einlassung des Angeklagten, wonach er stets darauf hingewiesen habe, dass die Einnahme von MMS und MMS2 eigenverantwortlich geschehe, worin das Landgericht eine geständige Einlassung für den Vertrieb gesehen hat. Diese hat es vor allem durch das Auffinden der dem Vertrieb dienenden Gerätschaften unter seiner Wohnanschrift, der Inhaberschaft für das Konto, auf dem die Zahlungen für die Bestellungen eingegangen sind, den Bestellungen des Natriumchlorits unter seinem Namen und der Verwendung derjenigen Adresse als Scheinanschrift für die beiden für den Vertrieb genutzten Firmenbezeichnungen, die der Angeklagte auch für andere Angebote im Internet nutzte, erhärtet und ergänzt gesehen. Dass der Bruder des Angeklagten ebenfalls unter der Wohnanschrift lebte und die für den Vertrieb genutzte Website auf ihn angemeldet war, hat das Landgericht in den Blick genommen, diesen Umständen aber aufgrund einer Gesamtschau der für und gegen die Täterschaft sprechenden Aspekte kein maßgebliches, den Angeklagten entlastendes Gewicht beigemessen.

b) Die Beurteilung der Bedenklichkeit der Präparate hat das Landgericht am zutreffenden Maßstab ausgerichtet und sachverständig beraten plausibel begründet. Die Beanstandung der Revision, die vom Angeklagten mit der Packungsbeilage empfohlene Verdünnung durch Trinken von Wasser sei als bestimmungsgemäßer Gebrauch nicht berücksichtigt worden, verkennt, dass das Landgericht dem Sachverständigen folgend festgestellt hat, dass ein Verdünnungseffekt auf die schädlichen Wirkungen keinen Einfluss habe. Denn der Versuch, den pH-Wert des Magens durch Trinken von Wasser zu senken, sei untauglich.

c) Die Schlussfolgerung des Landgerichts, der Angeklagte habe angesichts der Gesamtumstände des Ankaufs der Ausgangsstoffe und ihrer wahrnehmbaren reizenden Ausdünstung um die schädlichen Wirkungen gewusst, ist ebenfalls tragfähig. Es hat auch keinen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkt, der geeignet ist, das Beweisergebnis zu beeinflussen, unerörtert gelassen. Anders als die Revision meint, musste die empfohlene Verdünnung nicht als ein solcher relevanter Umstand berücksichtigt werden. Das Landgericht stellt insoweit darauf ab, dass der Angeklagte in den Packungsbeilagen selbst auf die Nebenwirkungen wie Durchfall und Erbrechen hingewiesen hat. Daraus ergibt sich, dass er trotz der empfohlenen Verdünnung um die Möglichkeit des Eintritts solcher Wirkungen wusste. Auf dieser Grundlage wird auch der Fahrlässigkeitsschuldvorwurf von den Feststellungen getragen.

d) Auch die Annahme von zwei Bewertungseinheiten und dementsprechend zwei Taten (vgl. BGH, Beschluss vom 7. August 2018 - 3 StR 345/17, juris Rn. 17 ff.) begegnet wegen des deutlichen zeitlichen Abstands zwischen den Lieferungen auch mit Blick auf das Merkmal des Feilbietens im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 17 AMG hier keinen Bedenken.

II. Die Verurteilung wegen der Steuerstraftaten hält revisionsgerichtlicher Überprüfung ebenfalls stand. Insbesondere hat das Landgericht angesichts des einfach und überschaubar gelagerten Sachverhalts den Steuerschaden noch hinreichend nachvollziehbar ermittelt. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift gilt hierzu Folgendes:

1. Zwar lässt die Berechnung der geschuldeten Einkommensteuer nicht die Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände erkennen. Der Senat kann aber hier ausschließen, dass sich bei vollständiger Darstellung ein geringerer Steuerschaden ergeben hätte. Für das Vorliegen von negativen Umsätzen oder Verlustvorträgen fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten.

2. Der Senat kann offen lassen, inwieweit die Voraussetzungen seiner geänderten Rechtsprechung vorliegen, wonach der Vorsteuervergütungsanspruch insoweit bereits beim Schuldumfang zu berücksichtigen ist, als ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsumsatz besteht (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 2018 - 1 StR 642/17, BGHSt 63, 203 Rn. 16 ff.). Denn vorliegend ist auszuschließen, dass sich die nur auf Strafzumessungsebene erfolgte Berücksichtigung des wirtschaftlichen Schadens nachteilhaft für den Angeklagten ausgewirkt hat, da das Landgericht keine besonders schweren Fälle angenommen und die Höhe des tatsächlich geringeren Steuerschadens, den es sogar um 25 % gemindert hat, im Rahmen der Strafzumessung umfassend berücksichtigt hat.

3. Wie oben bereits dargelegt, ist die Schätzung der Betriebsausgaben in Höhe von 25 % zuzüglich der Abrundung nicht rechtsfehlerhaft.

4. Der von der Strafkammer selbst aufgezeigte Berechnungsfehler belastet den Angeklagten nicht.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1166

Externe Fundstellen: BGHSt 64, 161; NJW 2019, 3392; StV 2020, 368

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede