HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 750
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 BGs 148/17, Beschluss v. 28.06.2017, HRRS 2017 Nr. 750
1. Es wird festgestellt, dass der Vollzug der Beschlüsse des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. Dezember 2016 (1 BGs 150, 151 und 152/16) insoweit rechtswidrig war, als den Betroffenen Beschlussausfertigungen übergeben wurden, die keine Angaben über die Tatschen enthielten, die es wahrscheinlich erscheinen ließen, dass sich die gesuchten Beweismittel in dem jeweiligen Durchsuchungsobjekt befinden.
2. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Antragsteller trägt die Staatskasse.
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof führt gegen den Beschuldigten D. M. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der nachrichtendienstlichen Agententätigkeit, § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB.
Unter dem 1. Dezember 2016 erließ der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs drei Beschlüsse (1 BGs 150 bis 152/16), mit denen die Durchsuchung der Geschäftsräume der K. mbH, der Geschäftsräume der K. Sicherheitsconsulting ... der Person des Antragstellers M., seiner privat und geschäftlich genutzten Wohnräume, Garagen und sonstiger Bauten, belegen unter der Anschrift ..., ferner der von ihm zum Zeitpunkt der Durchsuchung genutzten Kraftfahrzeuge nach in den Beschlüssen näher bezeichneten Beweismitteln angeordnet wurde.
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof ließ die Beschlüsse am 28. April 2017 vollziehen. Den Betroffenen wurden bei Vollzug Beschlussausfertigungen ohne Gründe ausgehändigt. Mit Schriftsatz seines anwaltlichen Vertreters vom 4. Mai 2017 beantragte M. (im Folgenden: Antragsteller) in eigner Sache und als gesetzlicher Vertreter der vorgenannten Gesellschaften die Übermittlung von Ausfertigungen vollständig begründeter Beschlüsse. Hilfsweise legte er Beschwerde gegen die vorgenannten Durchsuchungsbeschlüsse ein und beantragte entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog gerichtliche Entscheidung über die Art und Weise des Vollzugs der Durchsuchungsanordnungen.
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof lehnte mit Schreiben vom 10. Mai 2017 die Übersendung von Abschriften mit Gründen versehener Durchsuchungsbeschlüsse ab.
Der Antragsteller beantragte daraufhin unter dem 16. Mai 2017 die Verbescheidung seines Antrages auf Übersendung von Ausfertigungen der begründeten Beschlüsse durch den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs und wiederholte seine zunächst nur hilfsweise gestellten Anträge.
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof übersandte dem Antragsteller daraufhin mit Schreiben vom 18. Mai 2017 beglaubigte Ablichtungen von Ausfertigungen der begründeten Beschlüsse. Mit Schreiben vom 29. Mai 2017 nahm der Antragsteller seine Beschwerde gegen die Durchsuchungsbeschlüsse zurück und beantragte die Kosten des Beschwerdeverfahrens in entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO der Staatskasse aufzuerlegen. An seinem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Art und Weise der Durchführung der Durchsuchung festzustellen, hielt der Antragsteller fest.
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof sieht in seinen Stellungnahmen vom 9. und 23. Juni 2017 keinen Grund, die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Staatskasse aufzuerlegen, da die Durchsuchungsbeschlüsse rechtmäßig ergangen seien. Für den Drittbetroffenen sei ersichtlich gewesen, dass die Beschlüsse im Original mit Gründen versehen seien. Die Bekanntmachung der Gründe sei zurückgestellt worden, um den Untersuchungszweck im Hinblick auf die beabsichtigte Zeugenvernehmung des Antragstellers nicht zu gefährden. Hierauf sei der Antragsteller durch einen Ermittlungsbeamten telefonisch hingewiesen worden. Die Art und Weise der Durchsuchung sei rechtmäßig gewesen.
Die Rechtsmittel sind zulässig.
Der Antragsteller ist als Geschäftsführer beziehungsweise Inhaber der genannten Gesellschaften sowohl hinsichtlich der diese betreffenden Durchsuchungsmaßnahmen als auch der betreffend seine Person antragsbefugt.
Die Rechtmäßigkeit der Art und Weise des Vollzuges einer richterlichen Maßnahme unterliegt der gerichtlichen Überprüfung gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 98 Rn. 23). Die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ist vorliegend gemäß § 98 Abs. 2 Satz 3, § 162 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 StPO gegeben.
Die Entscheidung über die Kosten der zurückgenommenen Beschwerden bleibt einer gesonderten Entscheidung vorbehalten.
Die Anträge auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vollzuges der Durchsuchungsbeschlüsse vom 1. Dezember 2016 (1 BGs 150 bis 152/16) haben in der Sache Erfolg.
Der Vollzug der Beschlüsse war insoweit rechtswidrig, als den Betroffenen Beschlussausfertigungen übergeben wurden, die keine Angaben über die Tatschen enthielten, die es wahrscheinlich erscheinen ließen, dass sich die gesuchten Beweismittel in dem jeweiligen Durchsuchungsobjekt befinden.
1. In Ausnahme zu § 36 Abs. 1 StPO, wonach gerichtliche Entscheidungen, die in Abwesenheit der davon betroffenen Personen ergehen, diesen mittels Zustellung durch das erkennende Gericht bekannt gemacht werden, bestimmt § 36 Abs. 2 StPO, dass Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, der Staatsanwaltschaft zu übergeben sind, die das Erforderliche zu veranlassen hat. Zweck der Norm ist es, Vollstreckung und Bekanntmachung der Entscheidung in eine Hand zu legen, um eine Gefährdung des Erfolges der Maßnahme durch eine vorzeitige Bekanntgabe der Entscheidung vor Vollzug derselben zu vermeiden (Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 36 Rn. 16).
a) Der Umfang der Bekanntgabe der richterlichen Entscheidung ist dabei nicht in das Ermessen der Staatsanwaltschaft gestellt. Grundsätzlich ist dem Beschuldigten wie auch dem Drittbetroffenen die vollständige richterliche Durchsuchungsanordnung bei Vollzug derselben auszuhändigen (BGH, Beschlüsse vom 3. September 1997 - StB 12/97, BGHR StPO § 105 Zustellung 1; vom 7. November 2002 - StB 16/02, BGHR StPO § 105 Zustellung 2 Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 105 Rn. 4; KK-StPO/Bruns, 7. Aufl., § 105 Rn. 5; KMR/Hadamitzky, StPO, Stand November 2016, § 105 Rn. 14; SK-StPO/Wohlers/Jäger, 5. Aufl., § 105 Rn. 30).
b) In Ausnahmefällen kann die Bekanntgabe der (vollständigen) Gründe der Anordnung zurückgestellt werden, wenn hierdurch der Untersuchungszweck gefährdet wäre (BGH, Beschluss vom 7. November 2002 - StB 16/02, BGHR StPO § 105 Zustellung 2 Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 105 Rn. 4; KK-StPO/Bruns, 7. Aufl., § 105 Rn. 5; KMR/Hadamitzky, StPO, Stand November 2016, § 105 Rn. 14; SK-StPO/Wohlers/Jäger, 5. Aufl., § 105 Rn. 30; anders zumindest für die Durchsuchung bei Beschuldigten: MünchKomm-StPO/Hauschild, 1. Aufl., § 105 Rn. 24).
Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks kann bei einer Maßnahme gegen einen Dritten im Sinne des § 103 StPO unter anderem dann in Betracht kommen, wenn dieser im Anschluss an die Durchsuchungsmaßnahme als Zeuge vernommen werden soll und daher die Gefahr besteht, dass die Bekanntgabe der vollständigen Gründe der Durchsuchungsanordnung den Inhalt der Aussage beeinflussen könnte.
Neben der Gefährdung des Untersuchungszweckes können im Falle einer Durchsuchung bei einem Dritten der sofortigen Bekanntgabe der vollständigen Gründe aber auch schutzwürdige Belange des Beschuldigten entgegenstehen. Die Anordnung einer Durchsuchung setzt gemäß §§ 102, 103 StPO nur einen niedrigschwelligen Verdachtsgrad, nämlich die auf zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten beruhende Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Straftat begangen wurde (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 102 Rn. 2), voraus und erfolgt im Regelfall in einem sehr frühen Verfahrensstadium. Eine Bekanntgabe des vollständigen Tatvorwurfes gegen den Beschuldigten in diesem Verfahrensstadium kann gerade im Fall besonders stigmatisierender Sachverhalte oder sensibler Beziehungen zu dem Drittbetroffenen, wie etwa im Fall einer Durchsuchung bei dem Arbeitgeber oder Geschäftspartner des Beschuldigten, zu einer irreparablen Brandmarkung des Beschuldigen führen und nach dem Rechtsgedanken des § 477 Abs. 3 StPO zunächst zurückzustellen sein.
c) Auch in den Fällen, in denen nach diesen Grundsätzen ausnahmsweise von einer Mitteilung der Gründe für die Anordnung abgesehen werden kann, ist jedoch nachfolgendes zu berücksichtigen:
aa) Dem Betroffenen ist stets eine Ausfertigung der richterlichen Entscheidung zu übergeben, in der die Gegenstände, auf die sich die Maßnahme erstecken soll, konkret bezeichnet werden. Denn nur so kann der Betroffene die Durchsuchung kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vorneherein entgegentreten (vgl. BVerfG, BVerfGE 103, 142 Rn. 35). Für den Drittbetroffenen im Sinne des § 103 StPO ergibt sich dies auch aus dem Umstand, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hier gebieten kann, dem Betroffenen eine Abwendungsbefugnis durch freiwillige Herausgabe der gesuchten Gegenstände einzuräumen.
bb) Die Gefährdung des Untersuchungserfolges beziehungsweise die schutzwürdigen Belange des Beschuldigten stehen im Regelfall der Mitteilung der Tatsachen, die die Annahme begründen, dass sich die gesuchten Gegenstände bei dem betroffenen Dritten befinden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/ Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 103 Rn. 6), nicht entgegen. Der entsprechende Teil der Beschlussgründe ist dem Drittbetroffenen daher grundsätzlich bereits bei der Durchsuchung bekannt zu geben, denn nur so kann der Drittbetroffene überprüfen, ob ungeachtet der generellen Rechtmäßigkeit einer Maßnahme gegen den Beschuldigten die Ermittlungsbehörden rechtmäßig Maßnahmen gegen ihn ergriffen haben.
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war die Bekanntgabe der Durchsuchungsbeschlüsse vorliegend nicht rechtmäßig. Zwar stand zum Zeitpunkt der Durchsuchung die beabsichtige Vernehmung des Antragstellers der Bekanntgabe des vollständigen Tatvorwurfes gegen den Beschuldigten und der diesen stützenden Beweismittel entgegen, jedoch hätte den Betroffenen die unter Ziffer III der Beschlüsse vom 1. Dezember 2016 (1 BGs 150 bis 152) aufgeführten Gründe, warum die Annahme besteht, dass sich die gesuchten Beweismittel in den Durchsuchungsobjekten befinden, mitgeteilt werden müssen. Gründe die eine Ausnahme hiervon rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473a StPO.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 750
Externe Fundstellen: NJW 2017, 2359; StV 2018, 134
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede