hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 361

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 622/17, Beschluss v. 27.01.2020, HRRS 2020 Nr. 361


BGH 1 StR 622/17 - Beschluss vom 27. Januar 2020 (LG Frankfurt a.M.)

Recht auf den gesetzlichen Richter (verfassungsrechtliche Überprüfbarkeit von Regelungen im Geschäftsverteilungsplan); Entscheidung des Gerichts in zuvor festgestellter vorschriftswidriger Besetzung (keine Rügepräklusion auch dann, wenn der tatsächlich vorliegende Besetzungsmangel nicht vom Gericht erkannt wurde; keine Abhängigkeit von Form und Begründung der Besetzungsrüge).

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; § 338 Nr. 1 Buchtst. a StPO, § 222b Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei der Prüfung, ob in einem bestimmten Verfahren dem grundrechtsgleichen Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährleistung des gesetzlichen Richters genügt worden sei, zwar die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen grundsätzlich nur zu beanstanden, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erschienen und offensichtlich unhaltbar - mithin willkürlich - sind. Jedoch ist dies anders, wenn nicht die fehlerhafte Auslegung oder Anwendung einer Zuständigkeitsregel durch das Gericht, sondern die Verfassungsmäßigkeit der Regelung im Geschäftsverteilungsplan, die der Rechtsanwendung unterliege, betroffen sei. An die verfassungsrechtliche Überprüfung der Umverteilung von bereits anhängigen Verfahren durch das Präsidium muss vielmehr ein Kontrollmaßstab angelegt werden, der über eine reine Willkürprüfung hinausgehe und in den Fällen der nachträglichen Zuständigkeitsänderung jede Rechtswidrigkeit einer solchen durch das Präsidium getroffenen Regelung im Geschäftsverteilungsplan erfasse.

2. § 338 Nr. 1 Buchst. a StPO setzt nach seinem Wortlaut nicht voraus, dass der von der Verteidigung mit dem Besetzungseinwand geltend gemachte Besetzungsmangel zu Recht vom erkennenden Gericht als Grund für seine Feststellung, dass es nicht vorschriftsmäßig besetzt sei (§ 222b Abs. 2 Satz 2 StPO), zugrunde gelegt wurde. Eine solche Verknüpfung zwischen vom erkennenden Gericht - möglicherweise rechtsirrig - angenommenen Mangel der Besetzung und einem tatsächlich zur Fehlerhaftigkeit der Besetzung führenden Mangel lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen.

3. Ebenso wenig knüpft die Regelung daran an, dass die Formvorschriften und die Begründungsvoraussetzungen nach § 338 Nr. 1 Buchst. a, § 222b Abs. 1 StPO beachtet worden sind, auch wenn eine Entscheidung des erkennenden Gerichts nach § 222b Abs. 2 Satz 2 StPO die Erhebung eines Besetzungseinwands voraussetzt.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. März 2017, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten K. unter Freisprechung im Übrigen wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen, Untreue in Tateinheit mit Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in zwei Fällen, in einem Fall tateinheitlich mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung und mit Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Den Angeklagten L. hat es wegen Steuerhinterziehung in 15 Fällen, Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 17 Fällen sowie Bestechung im geschäftlichen Verkehr in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Angeklagten M. und I. hat das Landgericht jeweils wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in Tateinheit mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren (M.) bzw. einem Jahr und acht Monaten (I.) verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Des Weiteren hat die Strafkammer Einziehungsentscheidungen getroffen.

Die hiergegen jeweils mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts geführten Revisionen der Angeklagten haben mit einer inhaltsgleichen Besetzungsrüge (§ 338 Nr. 1 StPO, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) Erfolg.

1. Dem liegt - soweit es zur Darstellung des rügespezifischen Verfahrensablaufs von Bedeutung ist - folgendes Geschehen zugrunde:

Die Staatsanwaltschaft erhob unter dem 25. März 2013 Anklage zur 2. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts. Nach Zustellung der Anklageschrift vermerkte der Vorsitzende der 2. Strafkammer, dass aufgrund der Regelung im Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts eine Sonderzuständigkeit der 12. Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer mit Blick auf die angeklagten Fälle der Bestechung bzw. Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gegeben sei und verfügte die Abgabe der Strafsache an die 12. Strafkammer. Die 12. Strafkammer übernahm am 19. Juli 2013 das Verfahren. Mit Schreiben vom 26. August 2013 zeigte der Vorsitzende der 12. Strafkammer die Überlastung der Strafkammer unter Darlegung der anhängigen Verfahren gegenüber dem Präsidenten des Landgerichts an. In der Sitzung vom 29. August 2013 erörterte das Präsidium des Landgerichts die Überlastungssituation der 12. Strafkammer und stellte eine Entscheidung zunächst zurück. In der Sitzung vom 11. Oktober 2013 erörterte das Präsidium den hohen Auslastungsgrad bei den Wirtschaftsstrafkammern und die auf sie im Jahr 2014 voraussichtlich zukommenden Großverfahren und stellte die Prüfung der Einrichtung einer weiteren Wirtschaftsstrafkammer in Aussicht.

Nach weiteren Sitzungen beschloss das Präsidium schließlich am 17. Dezember 2013 den Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2014 ohne explizit auf die Belastungsanzeige der 12. Strafkammer einzugehen oder deren aktuelle Belastungssituation zu dokumentieren. Die 24. Strafkammer wurde im Rahmen der Geschäftsverteilung als weitere Wirtschaftsstrafkammer eingerichtet und die bei ihr noch anhängigen Verfahren zum 1. Januar 2014 an eine andere Strafkammer übertragen. Darüber hinaus beschloss das Präsidium die 12. Strafkammer durch Übertragung bei ihr noch anhängiger Verfahren zum neuen Geschäftsjahr 2014 entsprechend nachfolgender Regelung zu entlasten: „Die am 31.12.2013, 24.00 Uhr, in der 12. Strafkammer anhängigen, im Zeitraum vom 02.02.2013 bis heute eingegangenen oder nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main erneut eingegangenen und noch nicht terminierten Strafverfahren in Wirtschaftsstrafsachen werden mit Wirkung vom 01.01.2014, 00.00 Uhr, von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer übertragen.“ Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 23. Dezember 2013 leitete die 12. Strafkammer die vorliegende Strafsache der 24. Strafkammer unter Hinweis auf deren Zuständigkeit ab dem 1. Januar 2014 zu. Am 24. September 2014 beschloss die 24. Strafkammer in wesentlichen Anklagepunkten die Eröffnung des Hauptverfahrens.

In der Hauptverhandlung vom 12. März 2015 erhoben die Verteidiger der Revidenten vor der Vernehmung des ersten Angeklagten einen Besetzungseinwand (§ 222b Abs. 1 StPO). Sie beanstandeten die Übertragung des Strafverfahrens von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer, weil die Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG wegen fehlender Überlastung der 12. Strafkammer nicht vorgelegen haben sollen. Sie stützten ihre Begründung aufgrund unvollständiger Gewährung von Akteneinsicht und einer unzutreffenden Auskunft zu den Besetzungsunterlagen darauf, dass eine Überlastungsanzeige der 12. Strafkammer nicht vorgelegen habe. Nach Klarstellung des Umstands, dass die 12. Strafkammer am 26. August 2013 eine Überlastung gegenüber dem Präsidium angezeigt hatte, ergänzten die Revisionsführer rechtzeitig ihren Sachvortrag und rügten, dass es an einem hinreichenden Grund für die unterjährig erfolgte Änderung des Geschäftsverteilungsplanes fehle, weil die 12. Strafkammer zum Zeitpunkt der Präsidiumsentscheidung weder überlastet noch die 24. Strafkammer ungenügend ausgelastet gewesen sei (§ 21e Abs. 3 GVG). Zudem sei die vom Präsidium konkret gewählte Maßnahme zu beanstanden, denn die Anforderungen unter denen die Übertragung ausschließlich anhängiger Verfahren allenfalls noch zulässig sein könnte, seien nicht erfüllt gewesen.

Die 24. Strafkammer des Landgerichts stellte mit Beschluss vom 14. April 2015 gemäß § 222b Abs. 2 Satz 2 StPO fest, dass „das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt“ sei. Der Besetzungseinwand der Angeklagten sei begründet, soweit das gegenständliche Strafverfahren durch die Entscheidung des Präsidiums des Landgerichts vom 17. Dezember 2013 von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer übertragen worden sei. Es handele sich zwar entgegen der Ansicht der Angeklagten nicht um eine unterjährige Änderung der Geschäftsverteilung für das Jahr 2013, sondern um eine Entscheidung über die Jahresgeschäftsverteilung für das Jahr 2014. Gleichwohl sei auch im Rahmen der Jahresgeschäftsverteilung bei Änderung der Zuständigkeit bereits anhängiger Verfahren immer ein zwingender sachlicher Grund erforderlich. Die Entscheidung zur Übertragung bereits anhängiger Verfahren müsse generell gefasst sein und auch in die Zukunft wirken. Die relevanten Gründe seien zu dokumentieren. Diesen Anforderungen genüge der Präsidiumsbeschluss vom 17. Dezember 2013 nicht, weil keine Feststellungen zur konkreten Belastungssituation der 12. Strafkammer zum Entscheidungszeitpunkt getroffen worden seien und es zudem an einer abstrakt generellen, auch in die Zukunft gerichteten Regelung hinsichtlich der abzuleitenden Verfahren fehle. Die getroffene Regelung habe ausschließlich anhängige Verfahren zum Gegenstand, die von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer übertragen worden seien; eine Erstreckung auf weitere bis zum Wirksamwerden der neuen Jahresgeschäftsverteilung 2014 eingehende Sachen sei gerade nicht erfolgt, so dass im Ergebnis lediglich einzelne Verfahren umverteilt worden seien.

Nach Anhörung des Vorsitzenden der 12. Strafkammer, der die Zuständigkeit der 24. Strafkammer für das Strafverfahren aufgrund der Übertragung im Rahmen der Jahresgeschäftsverteilung 2014 weiterhin für gegeben erachtet hatte, beschloss das Präsidium des Landgerichts mit Blick auf „Meinungsverschiedenheiten“ über die Auslegung der Geschäftsverteilung am 29. April 2015, dass die 24. Strafkammer für das Strafverfahren zuständig sei. Durch die von der 24. Strafkammer gemäß § 222b Abs. 2 Satz 2 StPO getroffene Feststellung, dass sie für das Strafverfahren nicht zuständig sei, werde das Präsidium des Landgerichts nicht gebunden. Die Übertragung des Strafverfahrens von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer sei wirksam erfolgt, weil im Rahmen der Jahresgeschäftsverteilung Bestände ohne weiteres umverteilt werden können, um starke Belastungsunterschiede zwischen den Strafkammern auszugleichen. Sachliche Gründe für die Änderung der Geschäftsverteilung hätten vorgelegen. Zudem sehe der Geschäftsverteilungsplan vor, dass bei einer Verteilung von Verfahren außerhalb des Turnus, eine Strafkammer, die über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden habe, weiter mit der Sache befasst bleibe, auch wenn sich ihre Unzuständigkeit nachträglich ergäbe. Unberührt hiervon blieben nur gesetzliche Zuständigkeitsregeln, „was die §§ 222a, 222b StPO“ nicht seien.

Mit Beschluss vom 22. Juni 2015 stellte die 24. Strafkammer des Landgerichts ihre Unzuständigkeit erneut fest und legte das Verfahren dem Oberlandesgericht analog §§ 14, 19 StPO zur Entscheidung vor. Das Präsidium des Landgerichts sei nicht zur Entscheidung über die Zuständigkeit der 24. Strafkammer zuständig gewesen, weil keine Meinungsverschiedenheit über die Auslegung des Geschäftsverteilungsplans vorgelegen habe, sondern eine bindende Feststellung der 24. Strafkammer im Verfahren nach § 222b StPO, dass sie nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei.

Das Oberlandesgericht wies mit Beschluss vom 27. August 2015 den Antrag der 24. Strafkammer auf Bestimmung einer Zuständigkeit zurück. Die Vorlage sei unzulässig, da kein Kompetenzkonflikt vorgelegen habe. Über negative Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen verschiedenen Spruchkörpern gleicher Art desselben Gerichts, die auf Meinungsverschiedenheiten über die Geschäftsverteilung zurückzuführen seien, entscheide gemäß § 21e GVG bindend das Präsidium. Dem Verfahren sei durch die 24. Strafkammer des Landgerichts der Fortgang zu geben, auch wenn sie weiterhin der Meinung sei, sie sei nicht ordnungsgemäß besetzt.

Die 24. Strafkammer terminierte das Strafverfahren sodann ab dem 28. Januar 2016. Die Angeklagten erhoben erneut rechtzeitig den Besetzungseinwand, den das Landgericht nunmehr zurückwies. In der Sache hielt es an seiner Auffassung fest, für das Strafverfahren nicht zuständig zu sein, gab dem Verfahren gleichwohl seinen Fortgang und beendete die Hauptverhandlung durch Sachurteil.

2. Die von den Beschwerdeführern erhobene Verfahrensrüge ist begründet. Die Übertragung des die Angeklagten betreffenden Verfahrens von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer ist nicht gesetzmäßig erfolgt. Diese war nicht zur Verhandlung und Entscheidung im vorliegenden Verfahren berufen; das erkennende Gericht war somit nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 338 Nr. 1 StPO).

a) Allerdings ist die Übertragung des vorliegenden Wirtschaftsstrafverfahrens von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer im Rahmen der Jahresgeschäftsverteilung 2014 nach allgemeinen, abstrakten und sachlich objektiven Merkmalen erfolgt. Entgegen der Ansicht der Revision handelte es sich nicht um eine unterjährige Änderung der Geschäftsverteilung nach § 21e Abs. 3 GVG. Das Präsidium des Landgerichts war mit Blick auf die Belastung der Wirtschaftsstrafkammern nicht gehindert, im Rahmen der Jahresgeschäftsverteilung 2014 eine weitere Wirtschaftsstrafkammer zu errichten und ihr bereits anhängige Verfahren einer anderen Wirtschaftsstrafkammer zuzuweisen, um eine gleichmäßige Auslastung der Strafkammern zu erzielen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 1982 - 2 StR 634/81 Rn. 13, BGHSt 30, 371 Rn. 13).

b) Die Besetzungsrüge dringt aber aus dem Grund durch, dass die Ableitung des vorliegenden Verfahrens aufgrund der vom Präsidium des Landgerichts getroffenen Regelung zu den Voraussetzungen der Übertragung des Verfahrens hinsichtlich der zeitlichen Festlegungen zu unbestimmt ist, so dass eine Manipulation der Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammern nicht ausgeschlossen ist mit der Folge, dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Dezember 2016 - 2 BvR 2023/16 Rn. 22 f.).

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 26. Februar 2005 - 2 BvR 581/03 Rn. 22) ist bei der Prüfung, ob in einem bestimmten Verfahren dem grundrechtsgleichen Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährleistung des gesetzlichen Richters genügt worden sei, zwar die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen grundsätzlich nur zu beanstanden, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erschienen und offensichtlich unhaltbar - mithin willkürlich - seien. Jedoch sei dies anders, wenn nicht die fehlerhafte Auslegung oder Anwendung einer Zuständigkeitsregel (etwa eines Geschäftsverteilungsplans oder der Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG) durch das Gericht, sondern die Verfassungsmäßigkeit der Regelung im Geschäftsverteilungsplan, die der Rechtsanwendung unterliege, betroffen sei. An die verfassungsrechtliche Überprüfung der Umverteilung von bereits anhängigen Verfahren durch das Präsidium müsse vielmehr ein Kontrollmaßstab angelegt werden, der über eine reine Willkürprüfung hinausgehe und in den Fällen der nachträglichen Zuständigkeitsänderung jede Rechtswidrigkeit einer solchen durch das Präsidium getroffenen Regelung im Geschäftsverteilungsplan erfasse.

bb) Nach diesem auch zugrunde zu legenden Prüfungsmaßstab (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08 Rn. 16, BGHSt 53, 268) erweist sich die Übertragung des vorliegenden Verfahrens von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer des Landgerichts aufgrund des Präsidiumsbeschlusses vom 17. Dezember 2013 als rechtsfehlerhaft. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sieht zur Gewährleistung der Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) vor, dass sämtliche Regelungen eines Geschäftsverteilungsplanes, der die gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeiten der jeweiligen Spruchkörper ergänzt, die wesentlichen Merkmale gesetzlicher Vorschriften aufweisen (BVerfG, Beschluss vom 23. Dezember 2016 - 2 BvR 2023/16 Rn. 25 mwN). Die Regelungen eines Geschäftsverteilungsplanes müssen also im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung der einzelnen Richter regeln, damit die einzelne Sache „blindlings“ aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt und so der Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen wird (BVerfG aaO mwN).

cc) Die Regelung im Präsidiumsbeschluss vom 17. Dezember 2013 zur Übertragung der bei der 12. Strafkammer des Landgerichts anhängigen Wirtschaftsstrafverfahren auf die 24. Strafkammer genügt diesen Anforderungen nicht. Die Regelung macht die Übertragung von im Zeitraum vom 2. Februar 2013 bis 17. Dezember 2013 bei der 12. Strafkammer eingegangenen Wirtschaftsstrafsachen auf die 24. Strafkammer davon abhängig, dass diese von der 12. Strafkammer bis zum Stichtag 31. Dezember 2013, 24.00 Uhr, noch nicht terminiert sind. Diese zeitlich noch mehrere Tage „offene“ Stichtagslösung verhindert jedoch die generell-abstrakte Zuständigkeitsbegründung im Voraus, weil sie die Zuständigkeit der 24. Strafkammer davon abhängig macht, dass bis zu diesem Zeitpunkt keine Terminierung durch die 12. Strafkammer stattfindet. Eine solche Delegation der Entscheidung über die Geschäftsverteilung an die Spruchkörper, die gerade Adressaten der generell-abstrakten Zuständigkeit sein sollten, ist mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar (vgl. BVerfG, aaO Rn. 31).

c) Die Besetzungsrüge ist auch nicht präkludiert. Zwar erfordert § 338 Nr. 1 Buchst. b StPO (in der Fassung bis 12. Dezember 2019 - aF), dass der Besetzungseinwand bereits in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemacht worden ist. Die Vorschrift des § 338 Nr. 1 Buchst. b StPO nimmt dabei Bezug auf § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO, der bestimmt, dass die Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, anzugeben sind.

aa) Das auf den Besetzungseinwand eröffnete Zwischenverfahren dient dazu, die Prüfung und Beanstandung der Gerichtsbesetzung auf den von § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO beschriebenen Zeitpunkt vorzuverlegen, damit ein Rechtsfehler rechtzeitig aufgedeckt und gegebenenfalls geheilt wird. Damit wird auch dem Recht des Angeklagten, sich nur vor seinem gesetzlichen Richter verantworten zu müssen, effektiver Rechnung getragen, als wenn er darauf verwiesen würde, dieses Recht erst mit der Revision geltend zu machen (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2016 - 3 StR 490/15 Rn. 11 und Urteile vom 7. September 2016 - 1 StR 422/15 Rn. 27 und vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08, BGHSt 53, 268, 279). Mit den durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1979 eingeführten Rügepräklusionsvorschriften der § 338 Nr. 1, § 222b Abs. 1 StPO wollte der Gesetzgeber erreichen, dass Besetzungsfehler bereits in einem frühen Verfahrensstadium erkannt und geheilt werden, um zu vermeiden, dass ein möglicherweise mit großem Aufwand zustande gekommenes Strafurteil allein wegen eines Besetzungsfehlers aufgehoben und in der Folge die gesamte Hauptverhandlung wiederholt werden muss (BT-Drucks. 8/976, S. 24 ff.; BGH, Urteil vom 25. Oktober 2006 - 2 StR 104/06 Rn. 7). Deshalb müssen alle Beanstandungen gleichzeitig geltend gemacht werden (§ 222b Abs. 1 Satz 3 StPO). Ein Nachschieben von Gründen ist nicht statthaft (BGH aaO). Inhaltlich erfordert der Besetzungseinwand nach § 338 Nr. 1 Buchst. b StPO daher eine klare Bezeichnung des geltend gemachten Mangels und der Darlegung der den Mangel enthaltenden Tatsachen (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 2016 - 1 StR 422/15 Rn. 29 ff.).

bb) Nach diesen Grundsätzen könnte zwar zweifelhaft sein, ob der Besetzungseinwand in der erforderlichen Klarheit den auf die Stichtagsregelung beruhenden Mangel geltend gemacht hat. Er stellt - ebenso wie der Beschluss des Landgerichts vom 14. April 2015, mit dem es seine Unzuständigkeit nach § 222b Abs. 2 Satz 2 StPO feststellt - darauf ab, dass die materiellen Voraussetzungen für eine Übertragung des Verfahrens von der 12. Strafkammer auf die 24. Strafkammer nicht vorgelegen hätten. Die Rechtsfehlerhaftigkeit der Stichtagsregelung wird hingegen nicht explizit als Mangel aufgeführt.

cc) Gleichwohl ist die Besetzungsrüge nicht präkludiert, weil die Voraussetzungen des § 338 Nr. 1 Buchst. d StPO vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts alternativ (auch) darauf gestützt werden, dass das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit es nach § 222b Abs. 2 Satz 2 StPO festgestellt hat, falls das Gericht tatsächlich nicht vorschriftsmäßig besetzt war.

dd) Diese Voraussetzungen sind vorliegend - auch wenn sich die Fehlerhaftigkeit des Präsidiumsbeschlusses vom 17. Dezember 2013 aus einem anderen Grund als dies das Landgericht in seinem Beschluss vom 14. April 2015 zugrunde gelegt hat - gegeben.

§ 338 Nr. 1 Buchst. d StPO setzt nach seinem Wortlaut nicht voraus, dass der von der Verteidigung mit dem Besetzungseinwand geltend gemachte Besetzungsmangel zu Recht vom erkennenden Gericht als Grund für seine Feststellung, dass es nicht vorschriftsmäßig besetzt sei (§ 222b Abs. 2 Satz 2 StPO), zugrunde gelegt wurde. Eine solche Verknüpfung zwischen vom erkennenden Gericht - möglicherweise rechtsirrig - angenommenen Mangel der Besetzung und einem tatsächlich zur Fehlerhaftigkeit der Besetzung führenden Mangel lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen. Ebenso wenig knüpft die Regelung daran an, dass die Formvorschriften und die Begründungsvoraussetzungen nach § 338 Nr. 1 Buchst. b, § 222b Abs. 1 StPO beachtet worden sind (aA, jedoch ohne Begründung: LR-Franke, StPO, 26. Aufl., § 338 Rn. 60), auch wenn eine Entscheidung des erkennenden Gerichts nach § 222b Abs. 2 Satz 2 StPO die Erhebung eines Besetzungseinwands voraussetzt. Hiergegen spricht bereits die Gesetzsystematik, die lediglich eine Präklusionswirkung der Besetzungsrüge nach § 338 Nr. 1 Buchst. b, § 222b Abs. 1 StPO statuiert. Würde auch für § 338 Nr. 1 Buchst. d StPO die Präklusionswirkung des § 338 Nr. 1 Buchst. b StPO Anwendung finden, verbliebe für die Norm kein Anwendungsbereich. Schließlich ist zu beachten, dass die Präklusionsvorschriften wegen ihrer einschneidenden Folgen, die Rügemöglichkeit eines Verstoßes gegen den gesetzlichen Richter geltend zu machen, strengen Ausnahmecharakter haben (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 2016 - 1 StR 422/15 Rn. 28). Schon deshalb verbietet sich eine über dem Wortsinn hinausgehende Auslegung.

Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Das neue Tatgericht wird im Falle einer neuerlichen Verurteilung eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung im Revisionsverfahren von einem Jahr zu kompensieren haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 361

Externe Fundstellen: StV 2020, 821

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede