HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 923
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 599/17, Beschluss v. 04.07.2018, HRRS 2018 Nr. 923
1. Auf die Revisionen der Angeklagten G. und K. wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 1. Juni 2017 jeweils im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen Steuerhinterziehung in 34 Fällen und Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 33 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten und die Angeklagte K. wegen Steuerhinterziehung in 26 Fällen und Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 33 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützten Revisionen. Die Angeklagte K. beanstandet zudem das Verfahren. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Allein der Ausspruch über die jeweilige Gesamtstrafe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand und war daher mit den entsprechenden Feststellungen aufzuheben. Die Ausführungen der Strafkammer zu noch nicht eingetretener Rechtskraft der Verurteilung der Angeklagten vom 21. April 2016 durch ein französisches Gericht sind lückenhaft.
1. Zu dieser Vorverurteilung hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte G. im Zusammenhang mit dem Betrieb sog. Terminwohnungen in Frankreich wegen „Zuhältereien in jeweils näher bezeichneten besonders schweren Fällen, Menschenhandels unter Anwendung von Bedrohung, Zwang, Gewalt oder anderer Handlungen gegen Opfer oder dessen Umfeld, zum Nachteil mehrerer Personen, zum Nachteil einer besonders schutzbedürftigen Person, zum Nachteil einer Person nach deren direkten Eintreffen auf dem französischen Staatsgebiet und zum Nachteil einer Person außerhalb des französischen Staatsgebietes und wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zur Vorbereitung einer Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren geahndet wird“ zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und einer Geldstrafe in Höhe von 50.000 EUR verurteilt wurde. Die Angeklagte K. wurde wegen derselben Delikte zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und einer Geldstrafe in gleicher Höhe verurteilt. Dieses Urteil sei „- soweit bekannt - bislang nicht rechtskräftig“ (UA S. 13, 15).
2. Im Falle der Rechtskraft hätte das Landgericht die genannte Verurteilung bei der jeweiligen Gesamtstrafenbildung zu Gunsten der Angeklagten berücksichtigen müssen.
Ausländische Strafen sind wegen des damit verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit zwar nicht gesamtstrafenfähig (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2014 - 2 StR 202/13 Rn. 15, StV 2015, 353); liegen aber ansonsten - wie hier - die Voraussetzungen einer Gesamtstrafenbildung vor, muss der Tatrichter sie im Rahmen der Strafzumessung über den Gesichtspunkt des Härteausgleichs oder des Gesamtstrafübels zugunsten des Angeklagten berücksichtigen (vgl. den Überblick über die Rechtsprechung bei Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1231 mwN). Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine Aburteilung der Straftaten auch in Deutschland möglich gewesen wäre, weil entweder der Täter Deutscher war oder die Tat sich gegen ein international geschütztes Rechtsgut richtet (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschlüsse vom 26. März 2014 - 2 StR 202/13 Rn. 15, aaO und vom 27. Januar 2010 - 5 StR 432/09, NJW 2010, 2677 f. mit ausführlicher Begründung und mwN; abweichend für den Fall, dass eine Verurteilung in Deutschland nur gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB möglich gewesen wäre, vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 StR 386/08, NStZ 2010, 30 ff.). Dies ist vorliegend für beide Angeklagte gemäß § 6 Nr. 4 StGB und für die Angeklagte K. zudem gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB der Fall.
Angesichts der vergleichsweise hohen Freiheitsstrafen, die durch das französische Gericht verhängt wurden, und des engen sachlichen Zusammenhangs der Taten - es ging jeweils um den Betrieb von Terminwohnungen, die teilweise in Frankreich und teilweise in Deutschland gelegen waren - wären die Auswirkungen der Kumulation der Strafen für das künftige Leben der Angeklagten besonders ins Gewicht gefallen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB). Das mit der Verurteilung der Angeklagten verbundene Gesamtstrafübel wäre daher grundsätzlich zu erörtern (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. November 2010 - 5 StR 456/10, StV 2011, 225 und vom 2. September 1997 - 1 StR 317/97, NStZ 1998, 134). Voraussetzung wäre jedoch die Rechtskraft des französischen Urteils.
3. Das Landgericht hätte daher Feststellungen zu der Rechtskraft des französischen Urteils treffen müssen, da das Revisionsgericht sonst nicht beurteilen kann, ob die Strafkammer die durch das französische Gericht verhängten Strafen im Rahmen der Strafzumessung hätte berücksichtigen müssen. Darin, dass das Landgericht davon ausgeht, das Urteil sei - soweit bekannt - nicht rechtskräftig, ohne mitzuteilen, weshalb die entsprechenden Feststellungen zur Rechtskraft nicht getroffen wurden oder werden konnten, liegt ein Erörterungsmangel.
Dem steht die Rechtsprechung, wonach bei fehlenden oder nicht vollständigen Darlegungen zu den Voraussetzungen einer in Betracht kommenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung grundsätzlich davon auszugehen sei, dass dem erkennenden Gericht die notwendigen Unterlagen zu den Vorverurteilungen und zu deren Vollstreckung nicht zugänglich gewesen seien, und dass das Gericht deshalb die nachträgliche Gesamtstrafenbildung zu Recht dem Beschlussverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO überlassen habe (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 369/03, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 4 Rn. 11 mwN), nicht entgegen. Denn vorliegend geht es nur um die Frage der Rechtskraft, die in der Regel auch bei ausländischen Verurteilungen durch die Beiziehung ausländischer Strafregisterauszüge (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1288) oder durch eine Nachfrage bei dem ausländischen Gericht schnell geklärt werden kann, so dass fraglich erscheint, ob die Annahme der zuvor genannten Vermutung - auch angesichts der aufgrund der Dauer der Hauptverhandlung in zeitlicher Hinsicht unproblematisch bestehenden Möglichkeit, die notwendige Information zu erlangen - überhaupt sachgerecht erscheint. Dies kann aber letztlich dahinstehen, da die genannte Rechtsprechung für ausländische Verurteilungen keine Geltung beanspruchen kann, da für diese Konstellationen ein nachträgliches Verfahren entsprechend §§ 460, 462 StPO nicht vorgesehen ist und etwaigen Härten nur noch in engen Grenzen im Rahmen der Exequaturentscheidung gemäß § 54 IRG Rechnung getragen werden kann (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., § 54 Rn. 8c).
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 923
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 333; StV 2019, 603
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede