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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 534

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 404/17, Urteil v. 21.03.2018, HRRS 2018 Nr. 534


BGH 1 StR 404/17 - Urteil vom 21. März 2018 (LG Traunstein)

Misshandlung von Schutzbefohlenen (Begriff der rohen Misshandlung: gefühllose Gesinnung des Täters).

§ 225 Abs. 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Eine rohe Misshandlung im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB ist anzunehmen, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert wobei sich diese Tatalternative - anders als das Quälen - auf ein einzelnes Körperverletzungsgeschehen bezieht. Eine solche für die rohe Misshandlung notwendige gefühllose Gesinnung liegt nur vor, wenn der Täter bei der Misshandlung das notwendig als Hemmung wirkende Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 369, 371 f.).

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 16. Mai 2017 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte ist der leibliche Vater des am 14. Februar 2015 geborenen Nebenklägers D. Zusammen mit der Kindsmutter hat er das gemeinsame Sorgerecht für das Kind und wohnte zum Zeitpunkt der Tat mit der Familie in einer gemeinsamen Wohnung. D. war bis zum Tattag ein ruhiges und im Wesentlichen ziemlich pflegeleichtes Kind und vollkommen gesund. Nur die operativ behandelten Verformungen der Füße führten dazu, dass er Spezialschuhe tragen und den größten Teil des Tages anbehalten sollte.

Am 24. August 2015 vertraute die Mutter gegen 17.00 Uhr den gemeinsamen Sohn dem Angeklagten an und begab sich für circa zwei Stunden außer Haus. Der Angeklagte sollte dem Kind den Rest des Fläschchens geben und ihm seine Spezialschuhe anziehen. Als der Angeklagte gegen 18.00 Uhr begann, dem Kind diese Schuhe anzuziehen, wehrte es sich dagegen, so dass dies geraume Zeit dauerte. In der Folge wurde das Kind weinerlich, so dass der Angeklagte gegen 18.30 Uhr das Kind auf den Arm nahm, um es zu beruhigen, was aber nicht gelang. Das Kind machte plötzlich eine Vorwärtsbewegung mit dem Kopf, wobei es versehentlich den Angeklagten mit dem Kopf an der Nase traf, was diesem geringe Schmerzen zufügte. Der Angeklagte, der durch die vorherigen Probleme mit dem Kind schon aufgebracht und überfordert war, geriet nun in Rage, packte es mit beiden Händen unter den Achseln und schüttelte es mehrfach mit ganz erheblichem Krafteinsatz in schneller Abfolge, wobei er das Kind heftig, ruckartig und sehr schnell vor seinem eigenen Körper hin und her bewegte. Durch dieses unkontrollierte Vor- und Zurückschlagen und durch Rotationsbewegungen des Kopfes kam es bei dem Kind zu einem schweren Schütteltrauma mit Subduralblutungen, einer Hirnschwellung, schweren Substanzverletzungen des Gehirns und Netzhautblutungen an beiden Augen. Dem Angeklagten war zuvor bekannt, dass ein solches heftiges Schütteln von Kindern lebensgefährlich ist und zu schwersten Verletzungen bis hin zum Tod führen kann.

Nachdem sich der Angeklagte nach wenigen Sekunden des Schüttelns wieder beruhigt hatte, bemerkte er, dass sein Sohn leblos war, nur noch Schnappatmung aufwies und unkontrolliert mit den Extremitäten zuckte. Daraufhin stellte der Angeklagte sich mit seinem Sohn gegen 18.40 Uhr unter die kalte Dusche, um diesen wieder zu beleben und begann mit Herzdruckmassage und Mund-zu-Nase-Beatmung. Nachdem diese Maßnahmen keinen Erfolg zeigten, verständigte er den Rettungsdienst, der das Kind in die Klinik einlieferte, wo wegen akuter Lebensgefahr auf Grund der durch Blutungen verursachten Gehirnschwellung eine Notoperation durchgeführt wurde. Durch das Schütteltrauma kam es beim Kind zu irreversiblen Schädigungen mit einem vollständigen Verlust des Sehvermögens, des Sprechvermögens, einer erheblichen Verminderung des Hörvermögens sowie zu schweren spastischen Lähmungen, einer schweren geistigen Behinderung und einer durch die Hirnschädigung weiter hervorgerufene Epilepsie, so dass das Kind für den Rest seines Lebens ein voller Pflegefall mit 24-stündiger Betreuungsnotwendigkeit bleiben wird.

II.

Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

1. Der Schuldspruch wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen ist rechtsfehlerfrei. Der Erörterung bedarf allein die Frage der Verurteilung des Angeklagten wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen.

a) Eine rohe Misshandlung im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB ist anzunehmen, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369, 370 f.; Beschlüsse vom 19. Januar 2016 - 4 StR 511/15, NStZ 2016, 472; vom 28. Februar 2007 - 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405 und vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97 Rn. 8 mwN), wobei sich diese Tatalternative - anders als das Quälen - auf ein einzelnes Körperverletzungsgeschehen bezieht. Eine solche für die rohe Misshandlung notwendige gefühllose Gesinnung liegt nur vor, wenn der Täter bei der Misshandlung das notwendig als Hemmung wirkende Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369, 371 und Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 13).

b) Gemessen daran kann aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe den Feststellungen und Wertungen des Landgerichts noch zweifelsfrei entnommen werden, dass der Angeklagte die Tat aus einer gefühllosen Gesinnung heraus begangen hat.

Insbesondere ist der vom Landgericht gezogene Schluss, dass es dem Angeklagten bei seinem sich nur über einen Zeitraum von wenigen Sekunden heftigen Schüttelns hinziehenden Vorgehens (UA S. 5) in subjektiver Hinsicht darum ging, „das Kind zu maßregeln und ohne Rücksicht auf Verluste zur Ruhe zu bringen, ohne dass eine besonders belastende Situation für den Angeklagten selbst vorgelegen hätte“ (UA S. 13), nicht zu beanstanden. Den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Schreien und dem unmittelbar darauf folgenden Schütteln des Kindes mit massivster Gewalt aus einem relativ nichtigen Anlass, ohne dass es nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 13) - anders als im Fall von BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405, Rn. 8 - zuvor zu einem dauerhaften Einwirken auf das Nervenkostüm des Angeklagten mit einer besonders belastenden Situation der Überforderung über einen längeren Zeitraum gekommen war, durfte das Landgericht als Zeichen dafür werten, dass der Angeklagte bei der Tatausführung das als Hemmung wirkende Gefühl für das Leiden seines Sohnes verloren hatte. Er handelte mithin aus gefühlloser Gesinnung, was eine rohe Misshandlung kennzeichnet (vgl. BGH aaO Rn. 6).

2. Auch der Strafausspruch weist, wie im Antrag des Generalbundesanwalts näher ausgeführt, keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 534

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 209; StV 2020, 310

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede