HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1047
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 320/17, Beschluss v. 13.09.2018, HRRS 2018 Nr. 1047
Die Entscheidung des Vorsitzenden wird bestätigt und der Antrag des Verurteilten, das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Dezember 2017 in die litauische Sprache zu übersetzen, abgelehnt.
Das Landgericht hat gegen den Verurteilten - einen litauischen Staatsbürger - wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auf eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten erkannt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat der Senat durch Urteil vom 7. Dezember 2017 verworfen. Nach Bekanntgabe der schriftlichen Urteilsgründe hat die Rechtsanwältin des Verurteilten um Mitteilung gebeten, wann mit der Zustellung einer litauischen Übersetzung des „Beschlusses“ zu rechnen sei. Daraufhin ist ihr auf Veranlassung des Senatsvorsitzenden mitgeteilt worden, dass weder eine Übersetzung noch eine Zustellung des Urteils vorgesehen seien. Durch Schriftsatz vom 29. Januar 2018 hat sie hiergegen „vorsorglich Rechtsbehelf“ eingelegt.
Sie ist der Auffassung, auch das rechtskräftige Urteil sei zu übersetzen. Ein solcher Anspruch ergebe sich aus § 187 GVG bei europarechtskonformer Anwendung bzw. unmittelbar aus Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010. Schließlich erwachse ein Anspruch auf Übersetzung jedenfalls aus Art. 3 GG, dem Grundsatz des fairen Verfahrens nach Art. 6 EMRK oder dem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Soweit der Senat die Veranlassung einer Übersetzung dennoch nicht für erforderlich halte, bestehe eine Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV.
Der Senat ist zur Entscheidung berufen.
Für § 187 GVG ist anerkannt, dass die Entscheidung, ob eine schriftliche Übersetzung des vollständig abgefassten Urteils anzufertigen und dem Angeklagten zu übermitteln ist, in die Zuständigkeit des mit der Sache befassten Gerichts fällt (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2018 - 4 StR 506/17 Rn. 3; OLG Hamburg, Beschluss vom 6. Dezember 2013 - 2 Ws 253/13, wistra 2014, 158; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 187 GVG Rn. 1a). Wegen der mit Urteilserlass eingetretenen Rechtskraft ist der Senat mit der Sache aber nicht mehr befasst, was grundsätzlich zur Beendigung seiner Zuständigkeit für Folgeentscheidungen führt (vgl. nur § 478 Abs. 1 Satz 1 StPO). Für die vorliegende Konstellation muss allerdings Anderes gelten:
1. Bei der Frage, ob eine Gerichtsentscheidung zu übersetzen ist, handelt es sich um eine Form der Bekanntgabe, über die der Vorsitzende des entscheidenden Gerichts befindet, wie es sich aus § 36 Abs. 1 Satz 1 StPO ergibt. Auch die Prüfung der Voraussetzungen des § 37 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m.
§ 187 Abs. 1 und 2 GVG obliegt als Teil der Zustellungsanordnung dem Vorsitzenden (vgl. nur Löwe-Rosenberg/Graalmann-Scheerer, StPO, 27. Aufl., § 37 Rn. 115). Dies umfasst aber nicht nur die Annahme der Voraussetzungen, sondern - wie hier geschehen - auch deren Ablehnung. Durch die unterbliebene Beauftragung einer Übersetzung zu dem Zeitpunkt, zu dem die schriftlichen Urteilsgründe zu den Akten gebracht worden sind, ist durch den Vorsitzenden bereits konkludent ein Anspruch auf Übersetzung verneint worden, was dem Verurteilten auch zeitnah mitgeteilt worden ist. Im Zusammenspiel mit dem Fehlen einer Zustellungsanordnung - über das der Verurteilte ebenfalls informiert worden ist - hat der Vorsitzende damit über die Art der Bekanntgabe entschieden.
2. Dem Betroffenen muss ein Rechtsbehelf auf Überprüfung dieser Entscheidung zur Verfügung stehen.
a) Die Prozessordnung stellt jedoch kein ordentliches Rechtsmittel zur Verfügung, sofern die Übersetzung durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs abgelehnt wurde (vgl. zur grundsätzlichen Beschwerdefähigkeit OLG Hamburg aaO). Denn gemäß § 304 Abs. 4 Satz 1 StPO ist eine Entscheidung des Vorsitzenden eines Senats des Bundesgerichtshofs (vgl. zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift auch auf Entscheidungen des Senatsvorsitzenden, BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 - 4 StR 77/12 Rn. 2) nicht mit der Beschwerde anfechtbar, da es kein übergeordnetes Gericht gibt.
b) Auch für diese Konstellationen muss aber eine Rechtsschutzmöglichkeit bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 Rn. 4, BVerfGE 107, 395, 396 f.). Dies ergibt sich aus dem im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechten verankerten allgemeinen Justizgewährungsanspruch (vgl. BVerfG aaO Rn. 16, 35 f., BVerfGE 107, 401, 407; Beschlüsse vom 7. Oktober 2003 - 1 BvR 10/99 Rn. 19 ff., BVerfGE 108, 341, 347 und vom 15. Januar 2009 - 2 BvR 2044/07 Rn. 66 ff., BVerfGE 122, 248, 270 ff.). Denn das Recht auf Dolmetschleistungen für der Sprache nicht mächtige Beschuldigte ist von zentraler Bedeutung für die Wahrnehmung von Verfahrensrechten, der Anerkennung als Prozesssubjekt und damit der Gewährleistung eines fairen Verfahrens (BVerfG, Beschluss vom 17. Mai 1983 - 2 BvR 731/80 Rn. 33 ff., BVerfGE 64, 135, 144 ff.; EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - C-216/14 Rn. 37, 43, NJW 2016, 303, 304 f.; Erwägungsgründe 14 und 17 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren; vgl. BT-Drucks. 17/12578, S. 12; Christl, NStZ 2014, 376 ff. mwN). An dem Recht auf ein faires Verfahren sind diejenigen Beschränkungen zu messen, die von den speziellen Gewährleistungen der grundgesetzlichen Verfahrensgrundrechte nicht erfasst werden (BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2009 - 2 BvR 2044/07 Rn. 69, BVerfGE 122, 248, 271). Mithin kann ein Beschuldigter grundsätzlich gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG einen grundrechtlich gesicherten Anspruch auf Übersetzung haben (BVerfG, Beschluss vom 17. Mai 1983 - 2 BvR 731/80 Rn. 33, BVerfGE 64, 135, 144 f.), für dessen Durchsetzung ihm eine Rechtsschutzmöglichkeit zur Verfügung stehen muss.
c) Es wäre aber untunlich, die Entscheidung über das Abhilfeersuchen in Ermangelung eines mit der Sache befassten Gerichts auf die Staatsanwaltschaft zu übertragen.
Dieser Rechtsschutz kann vielmehr in effektiver und sachnaher Weise durch eine eigenständige gerichtliche Abhilfemöglichkeit entsprechend § 238 Abs. 2 StPO gewährleistet werden.
Rechtsschutz gegen Akte eines Richters muss nicht zwingend zur Befassung einer höheren Instanz führen, es genügt, wenn die rechtsstaatlich notwendige Kontrolle des behaupteten Verfahrensfehlers anderweitig in hinreichender Weise gesichert werden kann (BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 Rn. 40, BVerfGE 107, 395, 408). Rechtsschutz kann vielmehr in effektiver Weise durch die Herbeiführung einer Entscheidung des gesamten Spruchkörpers gewährleistet werden. Damit wird dem Verurteilten die Möglichkeit eingeräumt, bei dem letztinstanzlich zuständigen Gericht auf Überprüfung der Entscheidung des Vorsitzenden über die unterlassene Übersetzung zu ersuchen. Ein solcher Rechtsbehelf fügt sich in das System strafprozessualen Rechtsschutzes, da hierdurch - wie in der § 238 Abs. 2 StPO zugrundeliegenden Verfahrenslage - die Verantwortlichkeit des gesamten Spruchkörpers für die Rechtsförmigkeit des Verfahrens aktiviert wird (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, BGHSt 51, 144, 147; Löwe-Rosenberg/ Becker, StPO, 26. Aufl., § 238 Rn. 2 und 16 mwN; vgl. auch BVerfG aaO Rn. 49, 54).
d) Die Gewährung einer solchen Rechtsschutzmöglichkeit steht auch im Einklang mit der Gewährleistung aus Art. 2 Abs. 5 1. Halbsatz der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 (Amtsblatt der Europäischen Union L 280 vom 26. Oktober 2010), wonach die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass eine Dolmetschleistungen ablehnende Entscheidung im Einklang mit den nach einzelstaatlichem Recht vorgesehenen Verfahren angefochten werden kann.
Ein Anspruch auf Übersetzung des letztinstanzlichen und rechtskräftigen Urteils des Bundesgerichtshofs besteht nicht.
1. Es ist bereits durchgreifend zweifelhaft, dass der Verurteilte der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig ist und damit überhaupt Dolmetschleistungen bedarf. Anknüpfend an die Feststellungen des landgerichtlichen Urteils hält er sich schon seit etwa 15 Jahren durchgehend in Deutschland auf, seine Lebensgefährtin ist Deutsche, er hat engen Kontakt mit seinen drei minderjährigen Söhnen, die Deutsche sind und in Deutschland leben. Er war in Deutschland berufstätig und betrieb nebenberuflich einen Handel mit Baustoffen. Für eine ausreichende Beherrschung der deutschen Sprache spricht auch der Umstand, dass der Verurteilte handschriftlich gefertigte, flüssig formulierte mehrseitige Eingaben in deutscher Sprache im Rahmen seiner Verteidigung zur Akte gereicht hat. Vortrag zur Sprachunkundigkeit lässt sich seinem Vorbringen zum Übersetzungsbegehren hingegen nicht entnehmen.
2. Aber selbst wenn der Verurteilte der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sein sollte, kann er eine Übersetzung des rechtskräftigen Urteils nicht verlangen.
a) Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 187 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschuldigten nur nicht rechtskräftige Urteile in der Regel zu übersetzen sind.
Diese Fassung der Vorschrift geht auf das Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren zurück, welches am 6. Juli 2013 in Kraft getreten ist. Damit wollte der Gesetzgeber die zur Umsetzung der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 (ABl. EU L 280 vom 26. Oktober 2010, S. 1 - 7; im Folgenden: Richtlinie) erforderlichen Anpassungen vornehmen. Nach dieser Fassung ist eine Übersetzung von rechtskräftigen Urteilen ausdrücklich nicht vorgesehen.
Zwar ist dem Verurteilten darin beizupflichten, dass die Richtlinie nach dem Wortlaut der deutschen Übersetzung des Art. 3 Abs. 1 und 2 eine Verpflichtung zur Übersetzung „jeglicher Urteile“ vorsieht, jedoch ist der Gesetzgeber hiervon für zwei Fallkonstellationen bewusst abgewichen, nämlich wenn die Entscheidung rechtskräftig ist oder die beschuldigte Person einen Verteidiger hat (BT-Drucks. 17/12578, S. 1, 7). Hierzu heißt es in den Begründung zu dem Gesetzentwurf u.a. (aaO S. 10 f.):
„§ 187 Absatz 2 GVGE dient der Umsetzung von Artikel 3 der Richtlinie 2010/64/EU, der den Anspruch auf Übersetzung inhaltlich konkretisiert. Die Richtlinie sieht in Artikel 3 Absatz 1 insbesondere vor, dass von der förmlichen Mitteilung der Beschuldigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Erkenntnisverfahrens alle Unterlagen zu übersetzen sind, die mit Blick auf die Wahrnehmung der Verteidigung und die Wahrung des Rechts auf ein faires Verfahren notwendig sind. … Eine generelle Verpflichtung zur vollständigen Übersetzung des Urteils, wie sie Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie durch die Formulierung ‚jegliches Urteil‘ eindeutig fordert, ist daher dem geltenden Recht ebenso wie der deutschen Gerichtspraxis fremd. Gleichwohl schließt die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung unter Verweis auf die Gewährleistung eines fairen Verfahrens nicht aus, dass ein der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtiger Angeklagter einen Anspruch auf Übersetzung in diesem Umfang haben kann, namentlich dann, wenn er nicht verteidigt ist und ein Rechtsmittel einlegen möchte … Für den wohl praktisch wichtigsten Anwendungsfall der Urteilsübersetzung soll bereits im Wortlaut des § 187 Absatz 2 Satz 1 GVGE durch die Formulierung ‚nicht rechtkräftige Urteile‘ eine erste wichtige Weichenstellung getroffen werden: Gestützt auf den Anwendungsbereich der Richtlinie 2010/64/EU, die in Artikel 1 Absatz 2 auf den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens abstellt, soll eine Pflicht zur Übersetzung dann nicht bestehen, wenn ein Rechtsmittel dagegen nicht eingelegt wurde.“ Diese Begründung unterstreicht die sich bereits aus dem Wortlaut ergebende Aussage. Danach hat der Gesetzgeber den Anspruch auf Übersetzung eines Urteils auf die Fälle beschränkt, in denen der Beschuldigte auf die Kenntnis des Urteils angewiesen ist, um seine Verfahrensrechte durch Einlegung eines Rechtsmittels wahrzunehmen. Daran fehlt es bei einem rechtskräftigen Urteil, da hiergegen kein Rechtsmittel möglich ist.
b) Dem Wortlaut nach schließt § 187 Abs. 2 GVG allerdings nicht aus, auch rechtskräftige Urteile durch das Gericht übersetzen zu lassen. Der Senat hat deswegen geprüft, ob über die nicht abschließend formulierte Aufzählung in § 187 Abs. 2 Satz 1 GVG (vgl. Löwe-Rosenberg/Krauß, StPO, 26. Aufl., § 187 Rn. 12) hinaus ein Anspruch des Verurteilten auf Übersetzung bestehen könnte, dies aber verneint.
aa) Ein solcher Anspruch lässt sich entgegen dem Vorbringen des Verurteilten nicht aus der Richtlinie ableiten. Diese erfordert eine schriftliche Übersetzung nur dann, wenn es zur Ausübung der strafprozessualen Rechte des Verurteilten erforderlich ist, was auch dem Maßstab des § 187 Abs. 1 Satz 1 GVG entspricht. An diesem Erfordernis fehlt es.
(1) Soweit Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie dem Wortlaut nach „jegliches Urteil“ (amtliche englische Fassung: „any judgment“) erfasst, bezieht sich dieser Anspruch auf ein bestimmtes Verfahrensstadium, er ist damit in zeitlicher und sachlicher Hinsicht begrenzt. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Auslegung der Richtlinie unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs und der Ziele, die mit ihr verfolgt werden (vgl. zu diesem Maßstab EuGH, Urteile vom 15. Oktober 2015 - C-216/14, NJW 2016, 303, 304 Rn. 29 und vom 21. Mai 2015 - C-65/14, NJW 2015, 3291, 3293 Rn. 43 mwN; vgl. zur richtlinienkonformen Auslegung auch BGH, Urteil vom 5. März 2014 - 2 StR 616/12, NJW 2014, 2595, 2597 Rn. 24 ff.), ergibt zweifelsfrei, dass ein Anspruch auf Übersetzung nur solange gewährleistet werden soll, wie dies zur Wahrnehmung von Verfahrensrechten erforderlich ist. Die Richtlinie ist auf der Grundlage von Art. 82 AEUV erlassen worden, um die gegenseitige Anerkennung von Urteilen und die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit zu erleichtern. Zu diesem Zweck hat der Unionsgesetzgeber für den Schutz der Rechte von verdächtigen oder beschuldigten Personen gemeinsame Mindestvorschriften zum Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen im Sinne von elementaren verfahrensrechtlichen Gewährleistungen vorgesehen (Richtlinie, insb. Erwägungsgründe 1, 3, 8, 9; EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - C-216/14, NJW 2016, 303, 304 Rn. 35 f.; Schlussanträge des Generalanwalts vom 7. Mai 2015 - C-216/14 Rn. 28 ff.). Diese Mindestvorschriften sollen gewährleisten, dass es unentgeltliche und angemessene sprachliche Unterstützung gibt, damit verdächtige oder beschuldigte Personen, die die Sprache des Strafverfahrens nicht sprechen oder verstehen, ihre Verteidigungsrechte in vollem Umfang wahrnehmen können und ein faires Verfahren gewährleistet wird (Richtlinie, insb. Erwägungsgründe 8, 14, 17, 19, 22, 30; EuGH aaO Rn. 37; Urteil vom 12. Oktober 2017 - C-278/16, NJW 2018, 142, 143 Rn. 25).
(2) Mit Abschluss des Verfahrens, wie hier mit Erlass einer nicht mehr mit Rechtsmitteln anfechtbaren rechtskräftigen Entscheidung, besteht keine Möglichkeit mehr, Verfahrensrechte im Strafverfahren als Beschuldigter (zur Beschränkung auf das Erkenntnisverfahren OLG Köln, Beschluss vom 28. August 2013 - 2 Ws 426/13, StV 2014, 552; vgl. hierzu auch Kühne, StV 2014, 553 f.) wahrzunehmen. Der Zeitraum, für den die Gewährleistungen der Richtlinie von Relevanz sein können, ist damit beendet. Eine solche Begrenzung findet eindeutigen Niederschlag auch in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie, wonach das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren bis zum Abschluss des Verfahrens gilt, worunter die endgültige Klärung der Frage zu verstehen ist, ob die beschuldigte Person die Straftat begangen hat, gegebenenfalls einschließlich der Festlegung des Strafmaßes und der abschließenden Entscheidung in einem Rechtsmittelverfahren (vgl. EuGH, Urteile vom 12. Oktober 2017 - C-278/16, NJW 2018, 142, 143 Rn. 26 und vom 9. Juni 2016 - C-25/15 Rn. 36). Mit der das erstinstanzliche Urteil bestätigenden rechtskräftigen Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist das Strafverfahren abgeschlossen, die Fragen der Strafbarkeit und des Strafmaßes sind abschließend geklärt, das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen soll nach der eindeutigen Regelung der Richtlinie keine Geltung mehr beanspruchen. Dies steht auch im Einklang mit dem Ziel der Richtlinie, die gegenseitige Anerkennung von Urteilen zu erleichtern.
(3) Diese Auslegung ist auch aufgrund des Umstands gerechtfertigt, dass das Recht auf Übersetzung gemäß Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie zum Ziel hat, dass die verdächtigen oder beschuldigten Personen wissen, was ihnen zur Last gelegt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - C-216/14, NJW 2016, 303, 305 Rn. 46). Die Entscheidung des Senats enthält insoweit aber lediglich eine Zusammenfassung der bestandskräftigen Feststellungen des mit der Entscheidung bestätigten landgerichtlichen Urteils und keine eigenen Feststellungen.
(4) Auch in Verbindung mit einem europäisch geprägten Verständnis des fair-trial-Grundsatzes ergibt sich kein Anspruch auf Übersetzung eines rechtskräftigen Urteils aus der Richtlinie. Durch die Richtlinie sollen die Gewährleistungen aus Art. 6 EMRK bzw. Art. 48 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geachtet und umgesetzt, bzw. die praktische Anwendung dieser Rechte erleichtert werden (Richtlinie, Erwägungsgründe 5, 7, 14). Für die Auslegung und Umsetzung verweist die Richtlinie auf die Auslegung der in Art. 6 EMRK verbürgten Rechte durch den EGMR (Richtlinie, Erwägungsgründe 14 und 33), um die Rechtsgarantien aus verschiedenen europarechtlichen Quellen zu harmonisieren (vgl. Christl, NStZ 2014, 376, 379 mwN).
Nach der Rechtsprechung des EGMR besteht ein Anspruch des Beschuldigten auf Übersetzung solcher Schriftstücke, auf deren Kenntnis er angewiesen ist, um ein faires Verfahren zu haben (EGMR, Urteil vom 28. November 1978 - 6210/73, NJW 1979, 1091, 1092 Rn. 48). Um die Anforderungen an ein faires Verfahren zu erfüllen, bedarf es danach nicht der schriftlichen Übersetzung jedes Beweises oder jeden Aktenstücks, es ist lediglich sicherzustellen, dass der Beschuldigte verstehen kann, was ihm vorgeworfen wird und sich verteidigen kann (EGMR, Urteile vom 19. Dezember 1989 - 9783/82, EGMRE 4, 450, 471 ff. und vom 19. Dezember 1989 - 10964/84, EGMRE 4, 438, 446 f.; vgl. auch EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 aaO Rn. 39; Kreicker in Sieber, Europäisches Strafrecht, 2. Aufl., § 51 Rn. 35).
Maßgeblich ist danach, ob der Beschuldigte für seine weitere Verteidigung auf den Wortlaut der Entscheidung angewiesen ist (EGMR, Urteil vom 19. Dezember 1989 - 9783/82, EGMRE 4, 450, 471 ff.; weitere Nachweise bei Christl, NStZ 2014, 376, 378). Dies ist aber hier zweifellos nicht mehr der Fall, da das Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, mithin eine Verteidigung gegen die rechtskräftige Entscheidung nicht mehr möglich ist. Zumal da der Verurteilte im Hinblick auf das landgerichtliche Urteil nicht auf den Wortlaut dieser Entscheidung angewiesen ist, um zu verstehen, was ihm vorgeworfen wird.
Hinzu tritt, dass der Verurteilte zwei Rechtsanwälte mit seiner Vertretung beauftragt hat - wobei sich die zweite Rechtsanwältin am 18. Dezember 2017, mithin nach rechtskräftigem Abschluss des Erkenntnisverfahrens für ihn gemeldet hat - mit denen er sein weiteres Vorgehen, insbesondere die Erfolgsaussichten außerordentlicher Rechtsbehelfe abstimmen kann.
(5) Etwas anderes ergibt sich entgegen dem Vorbringen des Verurteilten auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass der Verurteilte möglicherweise gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde einlegen oder das Wiederaufnahmeverfahren beschreiten möchte. Denn bei beidem handelt es sich nicht um Rechtsmittel, die gegen das Urteil des Senats eingelegt werden könnten. Insoweit ist von dem unionsrechtlich geprägten Begriff des Rechtsmittels auszugehen, wonach die Verfassungsbeschwerde ebenso außer Betracht zu bleiben hat wie die Möglichkeit des Wiederaufnahmeverfahrens (Streinz in Ehricke, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 267 Rn. 42; Wegener in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl., Art. 267 Rn. 27 jeweils mwN). Soweit dagegen vereinzelt eingewandt wird, der Begriff des Rechtsmittelverfahrens in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie sei nicht in einem technischen Sinne zu verstehen (so Schneider, StV 2015, 379, 380, die ihr divergierendes Verständnis an der Begrifflichkeit „any appeal“ festmacht; vgl. hierzu auch Oglakcioglu in MünchKomm, StPO, 1. Aufl., § 187 GVG Rn. 47), lässt dies sowohl den offenkundigen Gesamtzusammenhang der Vorschrift, in welcher der Abschluss des Strafverfahrens als zeitliche Grenze beschrieben wird („… until the conclusion of the proceedings, which is understood to mean the final determination of the question whether they have committed the offence, including, where applicable sentencing and the resolution of any appeal“), als auch die Ziele der Richtlinie und das herkömmliche unionsrechtliche Verständnis des Begriffs Rechtsmittelverfahren unbeachtet.
Anhaltspunkte dafür, dass die rechtskundigen Verteidiger ihrer Aufgabe, die Rechte des Verurteilten wahrzunehmen, nicht gewachsen sein könnten, wenn nicht der rechtsunkundige Verurteilte in den Stand gesetzt werde, von sich aus aufgrund eigener Kenntnis der Urteilsgründe Hilfen anzubieten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Mai 1983 - 2 BvR 731/80 Rn. 57, BVerfGE 64, 135, 155; zum ausnahmsweise berechtigten Interesse des fachkundigen Angeklagten, vgl. Krauß aaO Rn. 14), sind weder dargetan noch sonst ersichtlich.
bb) Für eine richtlinienkonforme Auslegung des § 187 GVG in dem vom Verurteilten erstrebten Sinne ist nach alldem ebenso wenig Raum wie - schon ungeachtet ihrer vollständigen Umsetzung in das deutsche Recht - für einen Anspruch auf Übersetzung unmittelbar aus der Richtlinie.
cc) Die von der Verteidigung hilfsweise beantragte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV ist schon deswegen nicht veranlasst, weil die dargelegte Auslegung der Richtlinie offenkundig und zweifelsfrei ist (vgl. zum Maßstab BVerfG, Beschlüsse vom 9. Mai 2018 - 2 BvR 37/18 Rn. 26 ff. mwN und vom 30. August 2010 - 1 BvR 1631/08, NJW 2011, 288 Rn. 47 ff.; EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs 283/81, NJW 1983, 1257 f.; BGH, Urteil vom 5. März 2014 - 2 StR 616/14, NJW 2014, 2595, 2598 Rn. 33 mwN).
c) Ein Anspruch auf Übersetzung kann sich auch nicht aus Art. 103 Abs. 1 GG ergeben. Vom Schutzbereich des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör wird die Frage nicht mehr umgriffen, ob und in welchem Umfang ein der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend mächtiger Verfahrensbeteiligter einen Anspruch darauf hat, dass das Gericht ihm über einen Dolmetscher oder Übersetzer zur Überbrückung von Verständigungsschwierigkeiten verhilft. Das Grundgesetz begegnet den aus solchen Verständigungsproblemen erwachsenden Gefährdungen nicht durch Art. 103 Abs. 1 GG, sondern durch die Gewährleistung eines rechtsstaatlichen, fairen Verfahrens, auf das der im Strafverfahren Angeklagte gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG einen grundrechtlich gesicherten Anspruch hat (BVerfG, Beschluss vom 17. Mai 1983 - 2 BvR 731/80 Rn. 33, BVerfGE 64, 135, 144 f.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2018 - 2 BvR 1961/09).
d) Aber auch aus der Gewährleistung eines rechtsstaatlichen, fairen Verfahrens folgt bei rechtskräftigem Abschluss des strafrechtlichen Erkenntnisverfahrens kein Anspruch auf Übersetzung. An dem Recht auf ein faires Verfahren sind diejenigen Beschränkungen zu messen, die von den speziellen Gewährleistungen der grundgesetzlichen Verfahrensgrundrechte nicht erfasst werden. Die Bestimmung der verfahrensrechtlichen Befugnisse und Hilfestellungen, die dem Beschuldigten nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens im Einzelnen einzuräumen und die Festlegung, wie diese auszugestalten sind, ist in erster Linie dem Gesetzgeber und sodann den Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2009 - 2 BvR 2044/07 Rn. 69 ff., BVerfGE 122, 248, 271 ff. mwN). Das ist nach den oben dargelegten Erwägungen (b) nicht der Fall.
e) Der besondere Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 GG, nach dem niemand wegen seiner Sprache benachteiligt oder bevorzugt werden darf, ist nicht verletzt. Nicht jede Benachteiligung oder Bevorzugung reicht für eine Verletzung des Art. 3 Abs. 3 GG aus, vielmehr hat dieses Differenzierungsverbot nur die Bedeutung, dass die aufgeführte Verschiedenheit keine rechtlichen, nicht aber auch, dass sie keine sonstigen Wirkungen haben dürfte. Der Verurteilte wird dadurch, dass rechtskräftige Strafurteile ihm, wie jedermann, nur in dieser Form schriftlich bekannt gegeben werden, rechtlich nicht benachteiligt. Denn damit wird seine Sprache nicht als Anknüpfungspunkt für Rechtsnachteile verwendet. Zum Ausgleich sprachbedingter Erschwernisse, die im Tatsächlichen auftreten, verpflichtet das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG nicht (BVerfG, Beschluss vom 17. Mai 1983 - 2 BvR 731/80 Rn. 61 ff., BVerfGE 64, 135, 156 f.).
3. Darauf, dass der Verurteilte rechtsanwaltlichen Beistand hat, kommt es danach nicht mehr tragend an. Ausgehend vom abgestuften System in § 187 Abs. 2 GVG (BT-Drucks. 17/12578, S. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 187 GVG Rn. 4) ist eine schriftliche Übersetzung regelmäßig dann nicht notwendig, wenn der Angeklagte verteidigt ist (§ 187 Abs. 2 Satz 5 GVG). In diesem Fall wird die effektive Verteidigung des sprachunkundigen Angeklagten schon für nicht rechtskräftige Urteile dadurch ausreichend gewährleistet, dass der Rechtsanwalt das schriftliche Urteil kennt und der Angeklagte die Möglichkeit hat, das Urteil mit ihm - gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Dolmetschers - zu besprechen (BT-Drucks. 17/12578, S. 12; vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Mai 1983 - 2 BvR 731/80 Rn. 33 ff., BVerfGE 64, 135, 144 ff.; BGH, Beschlüsse vom 22. Januar 2018 - 4 StR 506/17 Rn. 5; vom 30. November 2017 - 5 StR 455/17, NStZ-RR 2018, 57, 58 und vom 9. Februar 2017 - StB 2/17, NStZ 2017, 601, 602; OLG Braunschweig, Beschluss vom 11. Mai 2016 - 1 Ws 82/16, juris Rn. 11; OLG Stuttgart, Beschluss vom 9. Januar 2014 - 2 StE 2/12, StV 2014, 536, 537).
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1047
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede