HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 526
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 159/17, Beschluss v. 09.05.2018, HRRS 2018 Nr. 526
Gemäß § 169 Abs. 3 Satz 1 GVG in der Fassung des Gesetzes über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren (EMöGG) vom 8. Oktober 2017 werden bei der Verkündung einer Entscheidung Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts unter folgenden Auflagen zugelassen:
1. Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts von der Verlesung der Urteilsformel - Entscheidungstenor - (§§ 268 Abs. 2 Satz 1, 356 StPO) werden nicht zugelassen. Die entsprechenden Aufnahmen dürfen erst mit der Eröffnung der Urteilsgründe durch den Vorsitzenden (§§ 268 Abs. 2 Satz 1, 356 StPO) beginnen.
2. Zugelassen sind höchstens zwei TV- bzw. Filmkameras auf Stativen an festgelegten Plätzen im Sitzungssaal. Es sind geräuscharme Kameras zu verwenden.
3. Es wird ein Akkreditierungsverfahren, gegebenenfalls mit der Bildung von Medienpools, angeordnet. Das Verfahren wird durch die Pressestelle des Bundesgerichtshofs durchgeführt. Es gelten die auf der Homepage des Bundesgerichtshofs veröffentlichten Akkreditierungsbedingungen.
4. Der Aufbau der Kameras ist spätestens 10 Minuten vor Beginn der Verkündung einer Entscheidung abzuschließen.
5. Während der Eröffnung der Urteilsgründe sind die Kameras an ihren Plätzen zu belassen. Soweit aus technischen Gründen eine fortwährende Bedienung der Kameras unabdingbar ist, darf je Kamera eine Person bei der Kamera verbleiben. Ein Hin- und Herlaufen dieser Person ist zu unterlassen.
6. Während der Eröffnung der Urteilsgründe sind die Kameras ausschließlich auf die Richterbank zu richten. Kameraschwenks sind nur innerhalb des Bereichs der Richterbank zulässig. Aufnahmen der Verfahrensbeteiligten und der Zuhörer sind nicht zugelassen.
7. Nach Ende der Eröffnung der Urteilsgründe sind die Kameras unverzüglich zu entfernen. Den Anweisungen des Gerichtspersonals (insbesondere Sitzungswachtmeister, Mitarbeiter der Pressestelle) ist Folge zu leisten.
Nach § 169 Abs. 3 Satz 1 GVG kann das Gericht für die Verkündung von Entscheidungen in besonderen Fällen Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts zulassen. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen oder deren Übertragung teilweise untersagt oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig gemacht werden (§ 169 Abs. 3 Satz 2 GVG).
Die Entscheidung steht danach im Ermessen des Gerichts. Abzuwägen sind dabei das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an dem gerichtlichen Verfahren und die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten (vgl. BT-Drucks. 18/10144, S. 17). Die Abwägung und Ausübung des Ermessens führt vorliegend zu der im Tenor genannten Untersagung und den genannten Auflagen. Diese dienen dem Persönlichkeitsschutz der Angeklagten, um eine potentiell unbegrenzte Verbreitung der persönlichen Daten, insbesondere von deren Namen, durch die rundfunköffentliche Verkündung der Urteilsformel zu verhindern (vgl. BT-Drucks. 18/10144, S. 17). Denn - vorbehaltlich einer Endberatung der Sache durch den Senat - würde bei unterschiedlichen Entscheidungen über die Revisionen der Angeklagten eine Nennung ihrer Namen in der Urteilsformel (§§ 268 Abs. 2 Satz 1, 356 StPO) erforderlich. Dies wäre mit den Persönlichkeitsrechten der Angeklagten nicht zu vereinbaren.
Die Angeklagten und ihre Angehörigen würden - in unterschiedlicher Weise - durch die Gefahr der öffentlichen Verbreitung ihrer Namen in ihrem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt und haben daher einen Anspruch auf Untersagung der Aufnahme in dem genannten Umfang (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. September 2016 - 1 BvR 2022/16, NJW 2017, 798 Rn. 6 zu einem Anonymisierungsgebot für Aufnahmen („Verpixelungsanordnung“) durch eine sitzungspolizeiliche Anordnung). Die Angeklagten selbst oder ihre Familienangehörigen haben neue Beschäftigungsverhältnisse. Die inhaltliche Nähe dieser Beschäftigung zum vorliegenden Strafprozess kann erhebliche Beeinträchtigungen im beruflichen Fortkommen sowie Ansehen der Beteiligten hervorrufen. Dies wäre aufgrund der bereits lange zurück liegenden Taten aus dem Jahr 2009 und der eher am unteren Rand anzusiedelnden Strafen der Angeklagten und damit vor dem Hintergrund ihres Resozialisierungsinteresses sowie unter Berücksichtigung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit nicht angemessen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 620/07, BVerfGE 119, 309 Rn. 35 zum Erlass sitzungspolizeilicher Anordnungen).
An den persönlichen Daten besteht - auch unter Berücksichtigung der bisherigen Medienberichterstattung - kein besonderes Interesse, da die Medienöffentlichkeit - soweit ersichtlich - über das Verfahren gegen die Angeklagten allein wegen der Vorgänge bei der D. Bank berichtet hat und die Angeklagten selbst dabei völlig im Hintergrund standen. Die in diesem Zusammenhang notwendigen Informationen für die Öffentlichkeit werden durch die Aufnahme der Eröffnung der Urteilsgründe durch den Vorsitzenden ausreichend gewährleistet.
Um eine Namensnennung der Angeklagten im Rahmen der Eröffnung der Urteilsgründe durch den Vorsitzenden (§§ 268 Abs. 2 Satz 1, 356 StPO) zu verhindern, wird diese in abstrakter Form unter den (damaligen) Funktionsbezeichnungen der Angeklagten oder anonymisiert mit deren bloßen Anfangsbuchstaben erfolgen.
Foto-, Bild-, Fernseh- und Tonaufnahmen vor Beginn der Hauptverhandlung und außerhalb der Verkündung der Entscheidung bleiben unberührt und sind - vorbehaltlich einer anderweitigen sitzungspolizeilichen Anordnung - zulässig.
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 526
Externe Fundstellen: NStZ 2019, 45 ; NStZ-RR 2018, 257
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede