HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 791
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 77/16, Beschluss v. 11.05.2016, HRRS 2016 Nr. 791
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 20. November 2015, soweit es sie betrifft, im Schuldspruch dahin abgeändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchter vorsätzlicher Körperverletzung entfällt; der Strafausspruch wird aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchter vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Ihre auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang mit der Sachrüge Erfolg. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Nach den Urteilsfeststellungen veräußerte die Angeklagte Haschisch, das ihr Abnehmer jedoch nicht vollständig bezahlte. Die Angeklagte begab sich daher mit ihrem Lebensgefährten zur Wohnung des Abnehmers, um den noch ausstehenden Kaufpreis in Höhe von 400 Euro einzutreiben. Da auf Klingeln nicht geöffnet wurde, trat ihr Lebensgefährte die Scheibe der Terrassentür ein und forderte von dem im Wohnzimmer sitzenden Geschädigten Geld. Um diese Forderung zu unterstreichen, packte er - für die Angeklagte überraschend - eine am Boden liegende Kordel und legte sie dem Geschädigten um den Hals, um ihm durch Würgen kurzzeitig Schmerz zuzufügen. Der Geschädigte nahm ihm die Kordel ab; er blieb unverletzt. Nun wollte ihm der Lebensgefährte mit Billigung der Angeklagten mit der Faust in das Gesicht schlagen. Er traf jedoch nicht und forderte weiter lautstark Geld. Der Geschädigte gab ihm unter dem Eindruck der Gewaltanwendung 100 Euro. Die Angeklagte sah daher von weiteren Tätlichkeiten ab und verließ mit ihrem Begleiter die Wohnung. Ein paar Tage später suchte die Angeklagte den Geschädigten erneut auf, um ihn zur Zahlung des Restbetrags zu veranlassen. Sie drohte, sie werde ihm erneut ihren Lebensgefährten schicken, wenn er nicht zahle. Weitere Zahlungen erfolgten jedoch nicht.
1. Die tateinheitliche Verurteilung der Angeklagten wegen versuchter (vorsätzlicher) Körperverletzung gemäß §§ 223, 23 Abs. 1, 22, 25 Abs. 2 StGB kann nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt (§ 24 Abs. 2 StGB, vgl. zum Rücktritt bei Mittäterschaft durch einvernehmliches Nichtweiterhandeln auch Senat, Urteil vom 14. Mai 1996 - 1 StR 51/96, BGHSt 42, 158, 162) mit der nicht tragfähigen Erwägung verneint hat, es habe sich um einen fehlgeschlagenen Versuch gehandelt, denn der Faustschlag sei fehlgegangen.
Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder (subjektiv) die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. März 2014 - 1 StR 735/13, NStZ 2014, 396 sowie BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 - 4 StR 346/12, NStZ 2013, 156 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Den Urteilsgründen lassen sich keine Umstände entnehmen, die aus Sicht der Angeklagten sie selbst oder ihren Lebensgefährten daran gehindert haben könnten, erneut zuzuschlagen; ein Fehlschlag des Körperverletzungsversuchs ist daher nicht belegt. Dass sie möglicherweise deshalb nicht weiter auf den Geschädigten eingewirkt haben, weil ihnen dieser 100 Euro ausgehändigt hatte, schließt einen Rücktritt vom unbeendeten Versuch nicht aus. Ein solcher ist auch dann möglich, wenn der Täter von weiteren Handlungen absieht, weil er sein außertatbestandliches Handlungsziel erreicht hat (BGH, Beschlüsse vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221 und vom 20. September 2012 - 3 StR 367/12, NStZ-RR 2013, 105).
2. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchter vorsätzlicher Körperverletzung. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es insoweit nicht. Der Senat kann ausschließen, dass sich weitere Feststellungen treffen lassen, die einen fehlgeschlagenen Versuch in Person der Angeklagten belegen. Der Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung entzieht dem Strafausspruch die Grundlage.
3. Eine Revisionserstreckung (§ 357 StPO) auf den Nichtrevidenten kommt nicht in Betracht. Der Nichtrevident ist vom Landgericht schon wegen des als Mittäterexzess zu wertenden Würgeversuchs zu Recht wegen des infolge erfolgreicher Gegenwehr des Geschädigten fehlgeschlagenen Versuchs einer gefährlichen Körperverletzung verurteilt worden. Dieser Schuldspruch wird von dem bei der Angeklagten aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt. Auch der Rechtsfolgenausspruch bezüglich des Nichtrevidenten beruht nicht auf einer etwa fehlerhaften Berücksichtigung des Versuchs einer einfachen Körperverletzung. Kann sich der Rechtsfehler - wie hier - nicht im Ergebnis zu Gunsten des Nichtrevidenten auswirken, findet eine Erstreckung nach § 357 StPO nicht statt (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 1988 - 4 StR 297/88, NStZ 1989, 113, 114).
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 791
Externe Fundstellen: NStZ 2016, 720
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede