HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 341
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 637/16, Beschluss v. 26.01.2017, HRRS 2017 Nr. 341
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mosbach vom 2. September 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beging der Angeklagte im Zustand zumindest erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB), nicht ausschließbar der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB), zwei Beleidigungen in jeweils zwei tateinheitlichen Fällen, einen Diebstahl geringwertiger Sachen und eine gefährliche Körperverletzung. Letztere bestand darin, dass der Angeklagte während eines stationären Aufenthalts im Psychiatrischen Zentrum N. „plötzlich“ einen im Flurbereich aufgestellten zylinderförmigen metallenen Getränkebehälter mit einem Durchmesser von 30 cm und einem Leergewicht von 5 kg ergriff und ihn mit Wucht in Richtung des Kopfes und des Oberkörpers einer Mitpatientin warf, die dort auf einem Stuhl saß und telefonierte. Sie wurde im Bereich der Stirn und der Nasenwurzel sowie am rechten Oberarm getroffen und erlitt Hämatome und Prellungen.
2. Die Anordnung der Maßregel hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, Rn. 3; vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, Rn. 9; vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395 und vom 10. November 2015 - 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 f. mwN).
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
aa) Die Voraussetzungen einer zumindest erheblich eingeschränkten (§ 21 StGB), nicht sicher ausschließbar vollständig aufgehobenen (§ 20 StGB) Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Anlasstaten wird nicht in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise dargestellt und beweiswürdigend belegt. Erforderlich ist auf der Ebene der Darlegungsanforderungen stets eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der jeweiligen Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten bzw. Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, Rn. 5; vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, Rn. 11; vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 und vom 23. August 2012 - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98). Daran fehlt es hier.
bb) Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte an einer gemischt schizoaffektiven Störung, einem schizophrenen Residuum und einer multiplen Substanzabhängigkeit. Dem Sachverständigen folgend geht das Landgericht davon aus, dass bei dem Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeitpunkten ausgeprägte psychotische Symptome im Rahmen einer schizoaffektiven Störung vorlagen. Der Angeklagte sei zwar jeweils in der Lage gewesen, das Unrecht seines Tuns einzusehen. Aufgrund der schweren psychotischen Symptome sei jedoch davon auszugehen, dass die Impulskontrolle bei dem Angeklagten derart eingeschränkt gewesen sei, dass seine Fähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten zumindest in hohem Maße vermindert, wenn nicht gar vollständig aufgehoben gewesen sei (UA S. 18).
cc) Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass der Angeklagte an einer schizoaffektiven Störung leide, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2015 - 4 StR 514/14, Rn. 7, NStZ-RR 2015, 169; vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142; vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, Rn. 8; vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307 und vom 14. September 2010 - 5 StR 229/10, Rn. 8; Urteil vom 21. Januar 1997 - 1 StR 622/96, BGHR StGB § 63 Zustand 20).
Insbesondere wird in dem angefochtenen Urteil nicht näher ausgeführt, wie sich die schizoaffektive Störung konkret auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei den Anlasstaten ausgewirkt haben soll. Die Einschätzung des Sachverständigen, dem das Landgericht folgt, erschöpft sich im Wesentlichen in der Aussage, dass der Übergriff mit dem Getränkebehälter das Auftreten eines schweren manischen Syndroms in diesem Zeitraum belege, das eine starke Krankheitsdynamik aufweise und zu den Tatzeitpunkten die Impulskontrolle des Angeklagten erheblich eingeschränkt habe. Dies lässt eine ausreichende Darstellung der auf den Angeklagten bezogenen konkreten Auswirkungen seiner psychischen Erkrankung zu den Tatzeiten vermissen. Zwar hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass es nach Verlegung des Angeklagten auf eine offen geführte Station im Psychiatrischen Zentrum N. und trotz adäquater mulitmodaler und polypharmazeutischer Behandlung zu einer erneuten Verschlechterung des Zustandsbildes mit unberechenbarem Verhalten und psychotischen Symptomen wie Beeinträchtigungswahn und einer verstärkten Anspannung und Reizbarkeit gekommen sei. Auch habe der raptusartige Angriff auf die ihm unbekannte Mitpatientin ohne vorherigen Kontakt und ohne normalpsychologisch nachvollziehbare Erklärungen das Auftreten psychotisch bedingter Affekt- und Antriebsstörungen belegt. Schließlich habe sich der Angeklagte, der nach dieser Tat über mehrere Tage hinweg fixiert worden sei, in hohem Maße angespannt und wahnhaft gezeigt und habe psychotische Ängste und Beeinträchtigungsideen geäußert. Die Gabe dringend notwendiger Medikamente habe er mit der Begründung abgelehnt, er solle hiermit vergiftet werden (UA S. 18). Welche Wahnvorstellungen der Angeklagte gehabt habe, wird im Urteil jedoch ebenso wenig dargestellt wie, welche psychotischen Ängste und Beeinträchtigungsideen der Angeklagte geäußert habe. Im Ergebnis bleibt damit offen, wie sich die psychische Erkrankung des Angeklagten in der konkreten Tatsituation auf seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Es ist daher dem Senat nicht möglich, die Wertung des Sachverständigen und ihm folgend des Landgerichts nachzuvollziehen, bei erhaltener Einsichtsfähigkeit sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zu den Tatzeitpunkten zumindest im Sinne des § 21 StGB erheblich eingeschränkt gewesen.
c) Der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt den Darstellungsmangel nicht entfallen.
Zwar hat das Landgericht die Krankheitssymptome geschildert, die während seinen mehrfachen Aufenthalten zur psychiatrischen Behandlung im Zeitraum vom Dezember 2003 bis zum September 2014 festgestellt wurden. Auch insoweit beschränkt sich das Landgericht aber auf allgemeine Feststellungen oder Wertungen, wie etwa „schwere psychotische Symptome“, „optische Halluzinationen“ oder „Stimmenhören“, ohne den jeweiligen Zustand des Angeklagten näher zu beschreiben (UA S. 4). Die in den Urteilsgründen wiedergegebenen Aussagen des Sachverständigen zum Krankheitsverlauf beim Angeklagten beschränken sich auf allgemeine Wertungen und lassen nicht erkennen, wie sich die psychische Störung des Angeklagten konkret auf seine Steuerungsfä1higkeit ausgewirkt hat. So wird lediglich darauf hingewiesen, dass das psychiatrische Störungsbild beim Angeklagten - durch Drogen ausgelöst - zunächst zu klassischen schizophren-psychotischen Störungen mit Halluzinationen und Ich-Störungen und später zu gereizt-manischen Krankheitsphasen geführt habe, die bei Fehlen schizophrener Symptome ebenfalls durch Wahninhalte gekennzeichnet gewesen seien (UA S. 15). Welche Halluzinationen, Ich-Störungen und Wahninhalte aufgetreten sind und wie sich diese auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ausgewirkt haben, teilt das Urteil nicht mit. Hierfür hätte aber Anlass bestanden, weil der Angeklagte die Anlasstat während einer geschlossenen Unterbringung begangen hat und deshalb die dort gegebenen Bedingungen (insbesondere die Medikation dort) Berücksichtigung hätten finden müssen.
d) Auf dem aufgezeigten Darlegungsmangel beruht das angefochtene Urteil. Es ist nach den sonstigen Feststellungen nicht ausgeschlossen, dass nähere Darlegungen zu den Auswirkungen der diagnostizierten Störung bei den Taten zu einer Verneinung der zumindest sicher erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit, eine Voraussetzung des § 63 StGB, geführt hätten.
1. Umgekehrt kann aber dementsprechend auch das Vorliegen einer schuldhaften Begehung der Anlasstaten nicht ausgeschlossen werden. Neben der Unterbringung hat deshalb auch der Freispruch keinen Bestand (vgl. § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO).
2. Der Senat hebt die getroffenen Feststellungen insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht sowohl zu den für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Anlasstaten bedeutsamen Umstände als auch zu sämtlichen prognoserelevanten Aspekten umfassende und in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Wegen der unzureichenden Feststellungen zur Schuldfähigkeit und zu den Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB kann das Tatgericht die Feststellungen auf der Grundlage eines rechtsfehlerhaften Maßstabs getroffen haben.
3. Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, einen weiteren Sachverständigen zur psychischen Störung des Angeklagten beizuziehen und näher auf deren Schwere und ihren bisherigen Verlauf einzugehen. Denn schizoaffektive Störungen verlaufen phasenhaft, wobei es zu Zeiten vollständiger Remission kommen kann, in denen keine psychischen Beeinträchtigungen zu beobachten sind (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2015 - 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169 Rn. 10 mwN). Damit kommt der Frage, mit welcher Häufigkeit es in der Vergangenheit beim Angeklagten zu Krankheitsphasen gekommen ist, für die gegebenenfalls wieder vorzunehmende Gefährlichkeitsprognose erhebliche Bedeutung zu. Der Zeitraum nach der Entlassung des Angeklagten aus der geschlossenen Unterbringung im Januar 2015 dürfte besonders in den Blick zu nehmen sein.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 341
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 202
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede