HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 802
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 627/15, Beschluss v. 11.05.2016, HRRS 2016 Nr. 802
1. Auf die Revision des Angeklagten A. wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 24. Juli 2015, soweit es ihn betrifft,
a) im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben,
b) im Strafausspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt ist.
2. Seine weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Jedoch wird die Gebühr für das Rechtsmittelverfahren um ein Viertel ermäßigt. Je ein Viertel der gerichtlichen Auslagen im Rechtsmittelverfahren und der dem Angeklagten A. insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
4. Die Revision des Angeklagten Z. gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils der Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig gesprochen. Der Angeklagte A. ist unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus dem gegen ihn ergangenen Urteil des Landgerichts Mannheim vom 12. Mai 2014 nach Auflösung der dortigen Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Die in dem früheren Urteil angeordnete Anrechnung in Frankreich erlittener Auslieferungshaft blieb aufrechterhalten. Gegen den Angeklagten Z. hat das Landgericht eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt.
Die Revision des Angeklagten A. hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie ebenso unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO wie die Revision des Angeklagten Z. insgesamt.
Revision des Angeklagten A.
1. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.
a) Das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 12. Mai 2014, durch das der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden ist, hat keinen Strafklageverbrauch (Art. 103 Abs. 3 GG) bezüglich der hier verfahrensgegenständlichen Tat bzw. Taten herbeigeführt. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend aufgezeigt hat, liegen den beiden betroffenen Verfahren jeweils unterschiedliche Taten im prozessualen Sinne (§ 264 StPO) zugrunde.
Ein innerstaatlicher Strafklageverbrauch aufgrund des genannten Urteils ergibt sich auch nicht aus Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh). Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob dieses unionsrechtliche Doppelverfolgungsverbot, das auch die mehrfache Strafverfolgung einer Tat innerhalb eines Mitgliedsstaates ausschließt (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013, C-617/10, Rn. 34 f.; näher Radtke in Böse, Europäisches Strafrecht mit polizeilicher Zusammenarbeit, EnzEuR Bd. 9, 2013, § 12 Rn. 34 mwN), auf der Grundlage von Art. 51 Abs. 1 GrCh überhaupt zur Anwendung gelangt. Selbst wenn dies so wäre, weil beide betroffenen inländischen Strafverfahren die Hinterziehung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren (hier: Alkohol und alkoholische Getränke) im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. EU L 9/12 vom 14. Januar 2009) zugrunde lag, die einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts über die Entstehung des Verbrauchsteueranspruchs und der - für die Steuerstraftat gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO täterschaftsbegründenden - Steuerschuldnerschaft auf der Umsetzung von Art. 7 und 8 Richtlinie 2008/118/EG beruhen und es sich deshalb um die „Durchführung des Rechts der Union“ gemäß Art. 51 Abs. 1 GrCh (zu den Anforderungen EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013, C-617/10, Rn. 19 ff. inbs. Rn. 25-28) handeln sollte, wäre kein Strafklageverbrauch durch das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 12. Mai 2014 eingetreten. Dort war nicht dieselbe Tat im Sinne von Art. 50 GrCh Gegenstand des Verfahrens wie im hiesigen.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 54 SDÜ ist der dort verwendete Tatbegriff unionsrechtlich autonom auszulegen; es kommt maßgeblich auf die „Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes unlösbar miteinander verbundener Tatsachen“ an, der „unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem geschützten rechtlichen Interesse“ zu verstehen ist (vgl. nur EuGH, Urteile vom 9. März 2006, C-436/04, Van Esbroeck, Slg. 2006, I-2333 ff. und vom 18. Juli 2007, C-288/05, Kretzinger, Slg. 2007, I-6442-6494 Rn. 36; BGH, Beschluss vom 9. Juni 2008 - 5 StR 342/04, BGHSt 52, 275; weit. Nachw. bei Hackner NStZ 2011, 425, 427 f.). Der Tatbegriff in Art. 50 GrCh dürfte nicht abweichend auszulegen sein (Radtke aaO § 12 Rn. 50). Da sich die den betroffenen inländischen Strafverfahren zugrunde liegenden Geschehen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht unterscheiden sowie unterschiedliche verbrauchsteuerpflichtige Waren betreffen, liegen verschiedene Tatsachenkomplexe vor. Damit fehlte es auch im Sinne des Unionsrechts an der Identität der Straftat.
b) Ebenso wenig besteht ein aus der Strafverfolgung derselben Tat in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union resultierendes, auf Art. 54 SDÜ gestütztes Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs. Zwar ist gegen den Angeklagten A. ursprünglich durch die Staatsanwaltschaft Boulogne-sur-Mer ein Strafverfahren wegen Betrugstaten im Zusammenhang mit dem in Frankreich ansässigen Unternehmen S. und damit wegen tatsächlicher Geschehnisse geführt worden, die auch Gegenstand des hiesigen Strafverfahrens sind. Am 7. Oktober 2014 hat jedoch die Generalstaatsanwaltschaft bei dem Appellationsgericht in Douai die Staatsanwaltschaft Mannheim um die Übernahme des Ermittlungsverfahrens gebeten. Dem hat die Staatsanwaltschaft Mannheim entsprochen. Derzeit wird in Frankreich daher kein Strafverfahren gegen den Angeklagten wegen der hier verfahrensgegenständlichen Geschehnisse betrieben. Erst recht fehlt es damit an einer rechtskräftigen Aburteilung derselben Tat im Sinne von Art. 54 SDÜ in Frankreich.
Angesichts dessen bedarf es auch unter dem Aspekt der Strafverfolgung durch einen anderen Mitgliedstaat keiner Entscheidung, ob Art. 50 GrCh anwendbar ist.
c) Wie der Generalbundesanwalt in der den Angeklagten betreffenden Antragsschrift weiterhin zutreffend aufgezeigt hat, resultiert aus einer Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes im Auslieferungsverkehr innerhalb der Europäischen Union ebenfalls kein Verfahrenshindernis (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008, C-388/08, Leymann und Pustovarov, Rn. 73, NStZ 2010, 35, 38 f. mit Anmerkung Heine; BGH, Beschlüsse vom 25. Juni 2014 - 1 StR 218/14, NStZ 2014, 590 und vom 3. März 2015 - 3 StR 40/15, StV 2015, 563 f. jeweils mwN; siehe auch Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG, 5. Aufl., § 83h Rn. 7).
2. Der auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung beruhende Schuldspruch enthält keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler. Durch die Annahme einer einheitlichen Beihilfe nach den Grundsätzen des uneigentlichen Organisationsdelikts ist er nicht nachteilig betroffen.
3. Das gilt insoweit auch im Hinblick auf den Strafausspruch. Das Landgericht hat das Regelbeispiel aus § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO („großes Ausmaß“ - dazu BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 1 StR 373/15 Rn. 32 ff., zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen) nicht herangezogen. Die Höhe der durch die vom Angeklagten geförderten Haupttaten verursachten Hinterziehung französischer Biersteuer wird durch die konkurrenzrechtliche Beurteilung seiner Unterstützungshandlungen nicht beeinflusst.
Die gegen den Angeklagten für die in diesem Verfahren verhängte Einzelstrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe für die Beihilfe zu 15 Taten der Hinterziehung französischer Biersteuer durch die verantwortlichen Betreiber von drei in Frankreich gelegenen Steuerlagern weist auch im Übrigen für sich genommen (aber unten I.4.d) keinen Rechtsfehler auf.
4. Allerdings kann diese im gegenständlichen Verfahren gegen den Angeklagten verhängte Strafe derzeit nicht vollstreckt werden. Daher durfte sie auch nicht in eine Gesamtstrafe mit den Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 12. Mai 2014 einbezogen werden. Das Vollstreckungshindernis ergibt sich aus dem Grundsatz der Spezialität (vgl. § 83h Abs. 1 IRG).
a) Dem Vollstreckungshindernis liegt Folgendes zugrunde:
Das Amtsgericht Mannheim hatte am 3. Januar 2013 einen Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen. Diesem wurde darin vorgeworfen, als Verantwortlicher der Brauerei W. GmbH (W.) in Deutschland verschiedenen, im Einzelnen benannten Betreibern französischer Steuerlager ermöglicht zu haben, Bier auf den Schwarzmarkt im Vereinigten Königreich zu verbringen und die in diesem Zusammenhang entstandenen (französischen) Verbrauchsteuern zu hinterziehen. Darüber hinaus war die Beteiligung des Angeklagten an der Hinterziehung deutscher Branntweinsteuer, ebenfalls unter Nutzung des Steuerlagers bei der W., Gegenstand des Haftbefehls. Auf der Grundlage dieses inländischen Haftbefehls fertigte die Staatsanwaltschaft Mannheim am 29. Januar 2013 einen Europäischen Haftbefehl.
Aufgrund dieses Haftbefehls wurde der Angeklagte in Calais festgenommen. Mit Entscheidung vom 31. Mai 2013 bewilligte die Ermittlungskammer des Appellationsgerichts in Douai (Chambre de l’instruction de la Cour d’appel de Douai) die Übergabe des Angeklagten an die deutschen Justizbehörden; die Überstellung wurde durch das Gericht aber zunächst bis zum 17. Januar 2014 befristet. In der Folgezeit kam es zu mehreren Verlängerungen der Frist durch die Generalstaatsanwaltschaft bei dem Appellationsgericht.
Mittlerweile war durch die Staatsanwaltschaft Mannheim der Vorwurf der bandenmäßigen Hinterziehung von Verbrauchsteuern im Zusammenhang mit Lieferungen von branntweinsteuerpflichtigen Getränken abgetrennt worden. Wegen dieses Komplexes wurde der Angeklagte durch das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Mannheim vom 12. Mai 2014 wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ende Juli 2014 begann die Vollstreckung dieser Strafe.
Mit Urteil vom 9. September 2014 ordnete die Ermittlungskammer des Appellationsgerichts in Douai auf Antrag des Angeklagten dessen Freilassung an. Nach dem Tenor dieses Urteils verfügte das Gericht die Freilassung des Angeklagten, sofern er nicht aus anderen Gründen in Haft sei und hob den Haftbefehl, „ausgestellt am 29. März 2013 von dem Richter des Gerichts, das von dem ersten Präsidenten des Appellationsgerichts in Douai benannt worden ist, zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls, ausgestellt am 29. Januar 2013 von den deutschen Gerichtsbehörden“, auf. Zur Begründung stellte die Ermittlungskammer darauf ab, dass die Überstellung des Angeklagten gemäß Art. 695-35 der französischen Strafprozessordnung (Code de procédure pénale) lediglich befristet erfolgt war.
Im Anschluss daran ersuchte Anfang Oktober 2014 die Generalstaatsanwaltschaft bei dem Appellationsgericht in Douai die Staatsanwaltschaft Mannheim um die Übernahme der bisher von der Staatsanwaltschaft in Boulogne-sur-Mer geführten Ermittlungsverfahren wegen Taten im Zusammenhang mit dem ein französisches Steuerlager betreibenden, in Frankreich ansässigen Unternehmen C. Die Staatsanwaltschaft in Mannheim stimmte noch im Oktober 2014 diesem Ersuchen zu. Ende Januar 2015 erfolgte die Anklageerhebung im hiesigen Verfahren wegen der Beteiligung des Angeklagten an der Hinterziehung französischer Verbrauchsteuern.
Am 11. März 2015 fertigte die Staatsanwaltschaft Mannheim einen Europäischen Haftbefehl wegen der Begehung der dem Angeklagten mit der genannten Anklage vorgeworfenen, hier verfahrensgegenständlichen Taten. Am 11. Mai 2015 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft in Douai bei dem dortigen Appellationsgericht die Erweiterung der strafrechtlichen Verfolgung auf die im Europäischen Haftbefehl vom 11. März 2015 enthaltenen Geschehnisse. Diesen Antrag wies das Appellationsgericht durch Urteil vom 25. Juni 2015 ab. Das Gericht nahm zunächst nochmals auf die lediglich vorübergehende (befristete) Überstellung des Angeklagten Bezug und stellte fest, dass ungeachtet dessen und trotz der Freilassungsanordnung des Gerichts vom 9. September 2014 diese Überstellung aufgrund des Verhaltens der deutschen Justizbehörden faktisch zu einer endgültigen geworden sei. Die Freilassungsanordnung habe keinen Einfluss auf die Situation des Angeklagten gehabt. Die Ablehnung der begehrten Ausweitung der Überstellung auf das im Europäischen Haftbefehl vom 11. März 2015 genannte Tatgeschehen stützte das Gericht auf Art. 695-24 der französischen Strafprozessordnung, weil - ausweislich des Haftbefehls - ein Teil der Taten auf französischem Staatsgebiet begangen worden war.
b) Bei dieser Verfahrenslage ist die Vollstreckung der in dem hier gegenständlichen Verfahren verhängten Freiheitsstrafe und damit deren Einbeziehung in eine Gesamtfreiheitsstrafe mit den Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 12. Mai 2014 nicht zulässig (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 25. Juni 2014 - 1 StR 218/14, NStZ 2014, 590 und vom 3. März 2015 - 3 StR 40/15, StV 2015, 563 f. jeweils mwN). Es besteht derzeit keine die verfahrensgegenständlichen Taten betreffende Bewilligung seitens der französischen Republik zur Verfolgung dieser Taten und zur Vollstreckung einer wegen dieses Verfahrensgegenstandes verhängten Strafe. Das begründet bei der hier gegebenen Auslieferung des Angeklagten aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ein Vollstreckungshindernis (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008, C-388/08, Leymann und Pustovarov, Rn. 73, NStZ 2010, 35, 38 f. mit Anmerkung Heine; BGH jeweils aaO; siehe auch Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, aaO, § 83h Rn. 7).
Eine lediglich vorübergehende Bewilligung der Auslieferung hat nach Ablauf der Frist insoweit keine anderen Rechtswirkungen als eine Strafverfolgung und/oder -vollstreckung bezüglich einer „anderen Handlung“ im Sinne von Art. 27 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. EG vom 18. Juli 2002, L 190/9; nachfolgend RBEUHb) ohne die erforderliche Zustimmung des ausliefernden Staates oder ohne einen Verzicht des Angeklagten auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes.
aa) Die ursprüngliche Bewilligung der Auslieferung durch die Ermittlungskammer des Appellationsgerichts in Douai vom 31. Mai 2013 bietet keine Grundlage mehr für die Vollstreckung der gegen den Angeklagten in dem hier anhängigen Verfahren verhängten Freiheitsstrafe. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der zugrunde liegende Europäische Haftbefehl vom 29. Januar 2013 die im hiesigen Verfahren gegenständlichen Taten erfasste oder nicht. Selbst wenn dem so ist, kommt der Bewilligung wegen der darin enthaltenen Befristung keine die Vollstreckung der Strafe rechtfertigende Wirkung mehr zu. Die gesetzten Fristen sind selbst unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erfolgten Verlängerungen abgelaufen.
bb) Die Befristung hat ihre Bedeutung auch nicht dadurch verloren, dass in der vorgenannten Entscheidung des Appellationsgerichts als Grund für die lediglich vorübergehende Überstellung nach Deutschland die Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Angeklagten in Frankreich genannt worden war, ein solches aber derzeit nicht mehr und noch nicht wieder geführt wird.
(1) Die hier durch das zuständige französische Gericht angeordnete Einschränkung der Auslieferung findet ihre Grundlage in Art. 24 RBEUHb. Nach dessen Abs. 1 kann die vollstreckende Justizbehörde nach der Entscheidung zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls die Übergabe der gesuchten Person u.a. deshalb aufschieben, damit diese im Vollstreckungsstaat gerichtlich verfolgt werden kann. Art. 24 Abs. 2 RBEUHb lässt als Alternative zum Aufschieben die vorübergehende Überstellung unter Bedingungen zu. Der französische Gesetzgeber hat die vom Rahmenbeschluss eröffnete Möglichkeit einer vorübergehenden und bedingten Auslieferung in Art. 695-39 Abs. 2 Code de procédure pénale aufgenommen. Auf diese Regelung des nationalen Rechts hat das Appellationsgericht in Douai die lediglich befristete Überstellung des Angeklagten gestützt.
Der Umstand, dass der ursprünglich genannte Grund für die lediglich befristete Auslieferung, die Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Angeklagten in Frankreich, später jedenfalls mit der auf Ersuchen der Generalstaatsanwaltschaft in Douai erfolgten Übernahme der Strafverfolgung gegen den Angeklagten durch die Staatsanwaltschaft Mannheim (derzeit) weggefallen ist, ändert nichts an der lediglich befristeten Überstellung. Das zuständige französische Gericht hat mit seinem die Freilassung des Angeklagten anordnenden Urteil vom 9. September 2014 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass nach seiner Auffassung die Voraussetzungen für die Überstellung des Angeklagten nach Deutschland nicht mehr vorliegen. Das ergibt sich nicht nur aus der Freilassungsanordnung selbst, sondern auch aus der zugleich ausgesprochenen Aufhebung des am 29. März 2013 in Frankreich ergangenen Haftbefehls als Grundlage für die dort bis zur Auslieferung erfolgte Freiheitsentziehung.
Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Freilassungsanordnung mit der Einschränkung etwaiger Inhaftierung aus anderen Gründen versehen ist. Die Haft aus anderen Gründen bezieht sich nämlich nicht auf die Freiheitsentziehung zur Verfolgung der Taten oder zur Vollstreckung von Strafen wegen Taten, die Gegenstand des Europäischen Haftbefehls vom 29. Januar 2013 gewesen sind.
(2) Die bereits im Urteil vom 9. September 2014 enthaltene Entscheidung des Appellationsgerichts, eine fortdauernde Übergabe des Angeklagten nach Deutschland auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls vom 29. Januar 2013 nicht weiter zu bewilligen, hat der Senat für die Prüfung eines aus dem Spezialitätsgrundsatz resultierenden Vollstreckungshindernisses zugrunde zu legen.
Der Spezialitätsgrundsatz bezweckt den Schutz der Souveränität des um Rechtshilfe (hier: Auslieferung im Rahmen der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls) ersuchten Staates (siehe nur Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, aaO, IRG § 72 Rn. 11). Auch wenn der hier maßgebliche Europäische Haftbefehl als Institut der Rechtshilfe zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union die früheren Instrumente der Auslieferung ersetzen soll (vgl. Erwägungsgrund 11 RBEUHb), behält der Spezialitätsgrundsatz innerhalb des durch den Rahmenbeschluss gebildeten Rechtsregimes grundsätzlich seine Bedeutung als Souveränitätsschutz. Dementsprechend hat der Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen der Auslegung von Art. 27 Abs. 3 RBEUHb entschieden, dass eine Verurteilung einer auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls ausgelieferten Person zu einer (Freiheits-)Strafe oder einer mit Freiheitsentzug verbundenen Maßregel nur wegen derjenigen „Handlung“ erfolgen darf, die der Übergabe zugrunde gelegen hat. Anderenfalls bedarf es der Zustimmung der betroffenen Person oder des ersuchten Staates (EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008, C-388/08, Leymann und Pustovarov, Rn. 73 und 74, NStZ 2010, 35, 38 f.). Dass eine Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes bei Übergabe aufgrund eines Europäischen Haftbefehls lediglich zu einem Vollstreckungshindernis (EuGH aaO) nicht aber zu einem Verfahrenshindernis führt (BGH, Beschlüsse vom 25. Juni 2014 - 1 StR 218/14, NStZ 2014, 590 und vom 3. März 2015 - 3 StR 40/15, StV 2015, 563 f. jeweils mwN), ändert an der Geltung der Spezialität nichts.
(3) Den Umfang der Spezialitätsbindung bestimmt grundsätzlich der ersuchte Staat (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2012 - 1 StR 165/12, NStZ-RR 2013, 251, 252 bzgl. einer Auslieferung auf der Grundlage des EuAlÜbk). Bei der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gilt insoweit nichts anderes. Zwar sind gemäß Art. 1 Abs. 2 RBEUHb im Hinblick auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet, einen solchen zu vollstrecken (EuGH, Urteile vom 1. Dezember 2008, C-388/08, Leymann und Pustovarov, Rn. 51, NStZ 2010, 35 und vom 16. November 2010, C-261/09, Mantello, Slg. I-11529 Rn. 36). Eine Pflicht bzw. eine Berechtigung zur Ablehnung der Vollstreckung gewähren an sich allein Art. 3 und Art. 4 RBEUHb (EuGH jeweils aaO).
Allerdings eröffnet der Rahmenbeschluss nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 24 Abs. 2 - wie dargelegt - auch die Möglichkeit einer im Hinblick auf die Durchführung eines Strafverfahrens im Vollstreckungsstaat lediglich befristeten Übergabe. Hat der Vollstreckungsstaat (hier Frankreich) von dieser Möglichkeit nach der Entscheidung über die Vollstreckung Gebrauch gemacht, entfällt die bis dahin gültige Rechtsgrundlage für die Übergabe, wenn der Vollstreckungsstaat entscheidet, die nur befristete Überstellung nicht aufrechtzuerhalten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn im Zeitpunkt dieser Entscheidung die Voraussetzungen für die Verweigerung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls vorliegen. So verhält es sich hier. Am 9. September 2014 war in Frankreich noch ein Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten wegen der Beteiligung an unversteuerte Bierlieferungen durch das französische Unternehmen C. in das Vereinigte Königreich und damit wegen eines tatsächlichen Geschehens, das auch Gegenstand des hiesigen Verfahrens ist, anhängig. Das begründete einen Verweigerungsgrund aus Art. 4 Nr. 2 RBEUHb.
Der Senat kann dies ohne eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV entscheiden, weil dieser zu Art. 3 und 4 RBEUHb bereits entschieden hat, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen der genannten Bestimmungen das Recht bzw. die Pflicht des Vollstreckungsmitgliedstaates zur Verweigerung der Vollstreckung des Haftbefehls besteht (EuGH jeweils aaO). Dann steht es dem Vollstreckungsmitgliedstaat erst recht zu, eine zunächst nur befristete Übergabe (Art. 24 Abs. 2 RBEUHb) nicht zu verlängern und die Freilassung des Betroffenen zu verlangen, wenn im Zeitpunkt dieser Entscheidung sogar die Vollstreckung des Haftbefehls verweigert werden dürfte. Auch insoweit bedarf es zur Auslegung von Art. 4 Nr. 2 und Art. 24 Abs. 2 RBEUHb keiner Vorlage gemäß Art. 267 AEUV. Denn die maßgeblichen unionsrechtlichen Vorschriften sind im Sinne der acte-clair-Doktrin (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 29. April 2014 - 2 BvR 1572/10, NJW 2014, 2489, 2490; BGH, Beschluss vom 20. Juli 2015 - NotZ(Brfg) 13/14 Rn. 23, DNotZ 2015, 944; siehe auch Gaitanides in von der Groeben/Schwarz/Hatje, AEUV, 7. Aufl., Art. 267 Rn. 66 mN zur Rspr. des EuGH) in ihren Inhalten eindeutig.
(4) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hat das nach innerstaatlichem Recht zuständige französische Gericht, die Ermittlungskammer des Appellationsgerichts in Douai (vgl. Art. 695-39 Code de procédure pénale), durch seine Urteile vom 9. September 2014 und vom 25. Juni 2015 - Letzteres auf das Ersuchen um Ausweitung der Überstellung im Rahmen der Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Mannheim vom 11. März 2015 hin - eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass wegen Wegfalls der ursprünglichen, befristeten Übergabe und der Verweigerung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls vom 11. März 2015 keine gültige Rechtsgrundlage für eine Verfolgung der verfahrensgegenständlichen Tat bzw. Taten besteht. Damit fehlt es in Deutschland zur Zeit auch an einer Grundlage für die Vollstreckung der in diesem Verfahren verhängten Strafe für die Beihilfe zur Steuerhinterziehung (für den Fall der Nichtausreise nach endgültiger Freilassung vgl. § 83h Abs. 2 IRG).
cc) Dem Senat steht es im Rahmen der Entscheidung über die Revision des Angeklagten nicht zu, die Urteile des Appellationsgerichts in Douai auf ihre inhaltliche Richtigkeit nach Maßgabe des von Art. 4 Nr. 2, Art. 24 Abs. 2 RBEUHb und des französischen Strafverfahrensrechts zu überprüfen. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (vgl. Art. 82 AEUV) gestattet eine derartige Prüfung nicht. Erwägungsgrund 11 RBEUHb legt für den Mechanismus des Europäischen Haftbefehls ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten zugrunde. Dementsprechend hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits entschieden, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung in der Systematik des Rahmenbeschlusses die grundsätzliche Pflicht der Mitgliedstaaten gebietet, einen solchen zu vollstrecken (EuGH, Urteile vom 1. Dezember 2008, C-388/08, Leymann und Pustovarov, Rn. 51, NStZ 2010, 35, 38 und vom 16. November 2010, C-261/09, Mantello, Slg. I-11529 Rn. 36; zu den aus dem Grundgesetz resultierenden Grenzen siehe aber BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2015 - 2 BvR 2735/14, NJW 2016, 1149 Rn. 38 ff.). Das „hohe Maß an Vertrauen“ zwischen den Mitgliedstaaten wirkt aber nicht nur in Richtung einer - außerhalb der im Rahmenbeschluss eröffneten Ausnahmen - Pflicht zur Vollstreckung des im Ausstellungsstaat erlassenen Haftbefehls. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung erfordert auch Vertrauen des Ausstellungsstaates in die rechtmäßige Handhabung der Ausnahmen von der Vollstreckungspflicht (Art. 3 und 4 RBEUHb) oder der Vorschriften über Abweichungen von der Übergabe des Betroffenen (Art. 24 Abs. 2 des RBEUHb) seitens des Vollstreckungsstaates.
Ob bei offensichtlicher Abweichung der Behörden des Vollstreckungsstaates von den Vorgaben des Rahmenbeschlusses anderes gilt, bedarf keiner Entscheidung. Eine solche Konstellation liegt bezüglich der Urteile des Appellationsgerichts Douai nicht vor. Das Urteil vom 9. September 2014 konnte grundsätzlich auf die in Umsetzung des Rahmenbeschlusses (Art. 4 und Art. 24 RBEUHb) statuierten Regelungen in Art. 695-24 und 695-39 Code de procédure pénale gestützt werden; das vom 25. Juni 2015 auf Art. 695-24 Code de procédure pénale.
c) Da bislang die französische Republik auch keine nachträgliche Zustimmung erklärt und der Angeklagte nicht auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet hat, darf die für die hier verfahrensgegenständliche Tat verhängte Einzelstrafe derzeit nicht in eine Gesamtstrafe einbezogen werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Juni 2014 - 1 StR 218/14, NStZ 2014, 590 und vom 3. März 2015 - 3 StR 40/15, StV 2015, 563 f. jeweils mwN).
Die in diesem Verfahren gebildete Gesamtstrafe war daher aufzuheben. Damit entfällt auch die Auflösung der durch Urteil des Landgerichts Mannheim vom 12. Mai 2014 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Diese Gesamtstrafe besteht dementsprechend fort.
Ob diese Strafe vollstreckt werden darf, ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.
d) Der Senat hat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO zur Wahrung des Verschlechterungsverbots aus § 358 Abs. 2 StPO die von der Strafkammer für die hier gegenständliche Tat verhängte, an sich rechtsfehlerfreie Freiheitsstrafe von fünf Jahren (oben I.3.) auf eine solche von drei Jahren herabgesetzt.
Der Angeklagte ist durch die Bildung einer Gesamtstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten aus der für die gegenständliche Tat verhängten Freiheitsstrafe und den Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 12. Mai 2014 nach Auflösung der dortigen Gesamtstrafe beschwert. Ohne den Rechtsfehler in Gestalt der Einbeziehung der nicht vollstreckungsfähigen Strafe aus diesem Verfahren wäre er lediglich zu einer Einzelstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Bliebe nach Auflösung der Gesamtstrafe diese Einzelstrafe neben der gerade vollstreckten Gesamtstrafe von drei Jahren und sechs Monaten aus dem früheren Urteil bestehen, träfe den Angeklagten für den rechtlich noch möglichen Fall der Vollstreckbarkeit der Einzelstrafe in dieser Sache ein Strafübel von rechnerisch insgesamt acht Jahren und sechs Monaten. Dem Angeklagten ginge dann aber der ihm durch die - rechtsfehlerhafte - Gesamtstrafenbildung gewährte Vorteil eines Gesamtstrafübels von nur sechs Jahren und sechs Monaten verloren. Das Verschlechterungsverbot erfordert aber bei einer allein zu Gunsten des Angeklagten eingelegten Revision, ihm einen solchen Vorteil zu belassen (vgl. dazu dem Rechtsgedanken nach BGH, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 4 StR 111/13, wistra 2013, 354 f.; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 7. April 2016 - 5 StR 88/16 Rn. 3 f., vom 28. Januar 2003 - 5 StR 589/02 Rn. 4 und vom 25. März 2003 - 5 StR 90/03).
Da sich der Umfang des dem Angeklagten durch die Gesamtstrafenbildung eingeräumten Vorteils aus dem angefochtenen Urteil entnehmen lässt, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (vgl. auch insoweit BGH, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 4 StR 111/13, wistra 2013, 354 f.).
Revision des Angeklagten Z.
Dessen Revision ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Die Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 1 StPO dringt nicht durch. Der behauptete Verfahrensverstoß ist angesichts des Inhalts der dienstlichen Erklärungen der Berufsrichter der Kammer, des weiteren Schöffen und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft nicht bewiesen.
1. Die das Rechtsmittel des Angeklagten A. betreffende Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass der Angeklagte sich in vollem Umfang gegen seine Verurteilung gewendet hat. Gemessen an diesem Ziel des Rechtsmittels hat er im Hinblick auf das nur derzeitige Vollstreckungshindernis und die Ermäßigung der Einzelstrafe lediglich einen Teilerfolg erzielt.
2. Die Kostenentscheidung zu dem Rechtsmittel des Angeklagten Z. beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 802
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2016, 290; StV 2017, 245
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede