HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1081
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 613/15, Beschluss v. 28.06.2016, HRRS 2016 Nr. 1081
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19. August 2015 im Maßregelausspruch insoweit aufgehoben, als die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen bewaffneten unerlaubten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Fahrerlaubnisbehörde ist angewiesen worden, der Angeklagten vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Die auf eine Verfahrensbeanstandung und die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten erzielt lediglich den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Die sowohl von Rechtsanwalt P. als auch von Rechtsanwalt H. erhobene Rüge der Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht in einer den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise erhoben worden.
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG (Fall B.I. der Urteilsgründe).
1. Soweit die Revision die Voraussetzungen des Beisichführens eines sonstigen Gegenstands bei dem Fall B.I. zugrunde liegenden Verschaffungsvorgang in Abrede stellt, geschieht dies mit urteilsfremdem Vorbringen. Dass das Fahrzeug der Angeklagten während der Übergabe der Drogen verschlossen gewesen sei, hat das Landgericht nicht festgestellt.
2. Zugunsten der Angeklagten greifen auch weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgründe ein.
a) Die Übernahme von jeweils gut 58 g Heroin und 35 g Kokain durch die Angeklagte von einem Kontaktmann des Verkäufers im Dezember 2014 war nicht durch Notstand gemäß § 34 StGB gerechtfertigt. Die Angeklagte sah sich zwar aufgrund des Schmerzverlaufs ihrer Grunderkrankung (Sarkoidose) einer gegenwärtigen Gefahr für ihre Gesundheit ausgesetzt. Diese Gefahr konnte aber anders als durch den unerlaubten Erwerb von Heroin und Kokain abgewendet werden.
aa) Eine Gefahr im Sinne von § 34 StGB (ebenso wie von § 35 StGB) ist ein Zustand, in dem aufgrund tatsächlicher Umstände die Wahrscheinlichkeit eines schädigenden Ereignisses besteht (BGH, Urteil vom 25. März 2003 - 1 StR 483/02, BGHSt 48, 255, 258 [bzgl. § 35 StGB]; siehe auch bereits BGH, Beschluss vom 15. Februar 1963 - 4 StR 404/62, BGHSt 18, 271, 272 [bzgl. der „Gemeingefahr“ in § 315 Abs. 3 StGB aF]; in der Sache ebenso Fischer, StGB, 63. Aufl., § 34 Rn. 4; Erb in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 34 Rn. 60 jeweils mwN). Ein solcher Zustand war hier für die Gesundheit der Angeklagten gegeben. Das Landgericht hat zugunsten der Angeklagten angenommen, dass die Beschaffung der Drogen ausschließlich zum Eigenkonsum bestimmt war (UA S. 9) und dem Zweck dienen sollte, die mit der Sarkoidose verbundenen starken Schmerzen zu lindern (UA S. 23). Daraus und aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils (vor allem UA S. 22) lässt sich das Sichverschaffen der Drogen in einem Zeitraum ablesen, in dem die Angeklagte einen akuten Schub ihrer Erkrankung mit entsprechenden Schmerzen erlitt.
Damit war die Gefahr für das Erhaltungsgut der Gesundheit auch gegenwärtig. Denn dies ist stets dann der Fall, wenn bei natürlicher Weiterentwicklung der Dinge der Eintritt eines Schadens sicher oder doch höchstwahrscheinlich ist, falls nicht alsbald Abwehrmaßnahmen getroffen werden (BGH, Urteil vom 30. Juni 1988 - 1 StR 165/88, NJW 1989, 176; Fischer aaO § 34 Rn. 7; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 34 Rn. 17 jeweils mwN).
bb) Die gegenwärtige Gefahr für die Gesundheit der Angeklagten hätte jedoch auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen anders als durch das unerlaubte Sichverschaffen des Heroins und des Kokains abgewendet werden können.
(1) Ob die Gefahr für das bedrohte Rechtsgut anders als durch die Vornahme der straftatbestandsmäßigen Handlung abgewendet werden kann, bestimmt sich anhand der Erforderlichkeit der Notstandshandlung. Notwendige Voraussetzung für deren Rechtfertigung über § 34 StGB ist, dass diese unter den konkreten Umständen des Einzelfalles zum Schutz des Erhaltungsguts geeignet ist und sich bei mehreren zur Gefahrabwendung geeigneten Handlungsmöglichkeiten die gewählte als das in Bezug auf das Eingriffsgut, mithin die durch die verwirklichte Strafnorm geschützten Rechtsgüter und Interessen, relativ mildeste Mittel erweist (vgl. bereits BGH, Urteil vom 25. März 1952 - 1 StR 172/51, BGHSt 2, 242, 245 f. [zu § 54 StGB aF]; Fischer aaO § 34 Rn. 9; Erb in Münchener Kommentar zum StGB, aaO, § 34 Rn. 87; Perron in Schönke/Schröder aaO § 34 Rn. 18 jeweils mwN; siehe auch Rinio, Betrifft JUSTIZ 2009, 83). Im Hinblick auf das Gebot des relativ mildesten Mittels zur Gefahrenabwehr bestehen Konstellationen, in denen straftatbestandsmäßiges Verhalten zum Zweck der Bewahrung des Erhaltungsguts nicht durch § 34 StGB gerechtfertigt ist.
(a) So ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass die Erforderlichkeit der Notstandshandlung entfällt, wenn zur Gefahrabwehr staatliche bzw. „obrigkeitliche“ Hilfe rechtzeitig in Anspruch genommen werden kann (BGH, Urteil vom 3. Februar 1993 - 3 StR 356/92, BGHSt 39, 133, 137; Fischer aaO § 34 Rn. 9a; vgl. auch Erb in Münchener Kommentar zum StGB aaO § 34 Rn. 94).
(b) Ebenso scheidet eine Rechtfertigung durch § 34 StGB regelmäßig aus, wenn die Lösung der von dieser Vorschrift vorausgesetzten Konfliktlage zwischen dem Erhaltungsgut und dem Eingriffsgut einem besonderen Verfahren oder einer bestimmten Institution vorbehalten ist (Perron in Schönke/ Schröder aaO § 34 Rn. 41; siehe auch Erb in Münchener Kommentar zum StGB aaO § 34 Rn. 192 sowie Gerhold HRRS 2011, 477, 478). Diesem Gedanken folgend ist in der jüngeren Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bezüglich des Ausschlusses einer Rechtfertigung des unerlaubten Umgangs mit Cannabis durch § 34 StGB zutreffend auf die Möglichkeit einer Genehmigung des Einsatzes von Cannabis zum Zweck der schmerzlindernden Eigenbehandlung gemäß § 3 Abs. 2 BtMG abgestellt worden (OLG Braunschweig, Beschluss vom 16. Mai 2013 - 1 Ss 20/13, StV 2013, 708 f.; zur Möglichkeit einer solchen Genehmigung BVerwG, Urteile vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04, BVerwGE 123, 352, 354 ff. und vom 6. April 2016 - 3 C 10.14, juris Rn. 12 ff.).
Die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes legen grundsätzlich fest, unter welchen Voraussetzungen zu medizinischen Zwecken ein Umgang mit an sich unerlaubten Betäubungsmitteln erfolgen kann (Erb in Münchener Kommentar zum StGB aaO § 34 Rn. 192). Die Lösung des Konflikts zwischen der bedrohten Gesundheit eines Schmerzpatienten und den hinter den betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften stehenden Gütern und Interessen kann zumindest im Grundsatz lediglich innerhalb des Rechtsregimes des Betäubungsmittelrechts gefunden werden. Das Genehmigungsverfahren gemäß § 3 Abs. 2 BtMG dient dazu, im Einzelfall unter Abwägung der Gefahren des Betäubungsmitteleinsatzes einerseits und dem möglichen Nutzen andererseits zu entscheiden, ob eine Erlaubnis für den Umgang mit einem Betäubungsmittel erteilt werden kann (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04, BVerwGE 123, 352, 360) oder bei Ermessensreduzierung auf Null sogar muss (BVerwG, Urteil vom 6. April 2016 - 3 C 10.14, juris Rn. 37). Der Nutzen kann dabei bei schweren Erkrankungen auch bereits in einer Verbesserung des subjektiven Befindens liegen (BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04, BVerwGE 123, 352, 360; siehe auch BVerwG, Urteil vom 6. April 2016 - 3 C 10.14, juris Rn. 14).
Bezüglich der Eigenbehandlung eines Schmerzpatienten mit selbst angebautem Cannabis hat das Bundesverwaltungsgericht unter bestimmten Voraussetzungen (Linderung der Beschwerden des Betroffenen; Fehlen eines gleich wirksamen und für ihn erschwinglichen Medikaments) das für die Genehmigung zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sogar verpflichtet, dem Kläger des Ausgangsverfahrens eine solche gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erteilen (BVerwG, Urteil vom 6. April 2016 - 3 C 10.14).
(2) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe war das unerlaubte Verschaffen von Heroin und Kokain durch die Angeklagte nicht erforderlich, um ihre mit dem Krankheitsschub einhergehenden Schmerzen zu lindern und ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten.
(a) Zwar war ausweislich der Beweiswürdigung des Landgerichts die von der Angeklagten gewählte Dosierung medizinisch nachvollziehbar und die Einnahme des Heroins wirkungsvoll, das dazu erforderliche Verschaffen war mithin zur Abwendung der Gefahr geeignet.
(b) Diese war aber anders, ohne Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, abwendbar. Dazu kam angesichts des bereits seit dem Jahr 2013 erfolgten regelmäßigen Konsums von Heroin aus Angst vor krankheitsbedingten Schmerzen (UA S. 6) entweder eine Behandlung mit für die Angeklagte aufgrund Verschreibung zugänglicher und für sie wirtschaftlich erreichbarer, ausreichend wirksamer Schmerzmittel oder - im Fall fehlenden Zugangs zu solchen Medikamenten - die Einleitung eines Genehmigungsverfahrens gemäß § 3 Abs. 2 BtMG in Frage.
Wie das Landgericht im Rahmen der Erwägungen zur Maßregel gemäß § 64 StGB ausführt, hatte die Angeklagte im September 2013 einen massiven Schub ihrer Erkrankung erlitten und war aufgrund der Schmerzen nicht mehr in der Lage gewesen, das Bett zu verlassen. Die ihr vom Arzt verordneten Medikamente hätten nicht geholfen bzw. habe sie ein morphinhaltiges Medikament nicht einnehmen wollen (UA S. 23). Bei weiterer Zunahme der Schmerzen habe sie dann angefangen, Drogen zu konsumieren. Aufgrund des Konsums sei sie in der Lage gewesen, ihrer Arbeit nachzugehen und sich um ihre Kinder zu kümmern (UA S. 23). Bis zur Begehung der gegenständlichen Tat im Dezember 2014 war damit mehr als ein Jahr vergangen, in dem keine legalen Möglichkeiten einer effektiven Schmerzbehandlung seitens der Angeklagten ergriffen worden sind. Vielmehr ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils, dass die Angeklagte sogleich auf unerlaubte Betäubungsmittel zugegriffen hat, ohne einen Versuch zu unternehmen, mit dem sie behandelnden Arzt eine andere Schmerzmedikation umzusetzen. Auch eine Ausnahmegenehmigung gemäß § 3 Abs. 2 BtMG ist nicht nachgesucht worden (vgl. insoweit BVerfG [3. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u.a., NJW 2000, 3126, 3127).
Eine solche kommt aber - wie dargelegt (Rn. 14 und 15) - grundsätzlich zur Sicherstellung einer notwendigen medizinischen Versorgung eines einzelnen Patienten in Betracht. Das gilt nicht allein für Cannabisprodukte, sondern auch für Heroinprodukte, die zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden sollen (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl., § 3 Rn. 58). Bei der Entscheidung über die Erteilung einer Genehmigung muss die zuständige Behörde die Wirkungen des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und die Gewährleistung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) berücksichtigen (BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04, BVerwGE 123, 352, 355 f. mwN). Der Schutzbereich des Grundrechts ist auch dann betroffen, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die verhindern, dass eine Krankheit geheilt oder wenigstens gelindert werden kann, und wenn dadurch körperliche Leiden ohne Not fortgesetzt oder aufrechterhalten werden (BVerwG aaO mwN). Die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Kriterien für die Entscheidung über einen Antrag auf Genehmigung für den Umgang mit Cannabis für eine Einzelperson zu therapeutischen Zwecken wären auch für die Verbescheidung eines Antrags auf Umgang mit anderen Betäubungsmitteln maßgeblich (vgl. Patzak aaO § 3 Rn. 58). Mit dem für die Substitutionsbehandlung unter näheren Voraussetzungen zugelassenen Diamorphin steht ein mit Diacetylmorphin (Heroin) substanzgleiches Produkt (siehe Patzak aaO Stoffe Rn. 194) mit gleichen Wirkungen zur Verfügung.
Ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach Maßgabe der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Bezug auf die Angeklagte vorliegen oder dem zwingende Versagungsgründe aus § 5 Abs. 1 BtMG entgegenstehen (dazu ausführlich BVerwG, Urteil vom 6. April 2016 - 3 C 10.14, juris Rn. 26 ff.), wäre gerade im Genehmigungsverfahren zu prüfen gewesen. Zu welchem Ergebnis dieses Verfahren geführt hätte, ist für den Ausschluss einer Rechtfertigung über § 34 StGB in Bezug auf den hier verfahrensgegenständlichen Beschaffungsvorgang bei einem bereits seit einem längeren Zeitraum bestehenden krankheitsbedingten Schmerzzustand nicht von Bedeutung. Denn das Betäubungsmittelgesetz nimmt eine abschließende Bewertung für den zulässigen Umgang mit Betäubungsmitteln vor, die den Zugriff auf § 34 StGB im Grundsatz ausschließt, auch wenn ein ansonsten unerlaubter Umgang mit erfassten Stoffen zu therapeutischen Zwecken erfolgt.
Im Hinblick auf die Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung handelt es sich vorliegend auch nicht um eine „atypische“ Konstellation, die im Regelungskomplex des Betäubungsmittelgesetzes keine Berücksichtigung gefunden hätte (vgl. zu diesem Aspekt Erb in Münchener Kommentar zum StGB aaO § 34 Rn. 192). Die Angeklagte hat die Möglichkeit eines nach den Vorgaben des Betäubungsmittelstrafrechts ausnahmsweise erlaubten Umgangs mit ansonsten nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln gar nicht in Betracht gezogen, sondern hat seit 2013 von vornherein auf Heroin, dessen konkrete Wirkstoffkonzentration und Zusammensetzung sie nicht kontrollieren konnte (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 6. April 2016 - 3 C 10.14, juris Rn. 31), als Mittel der Schmerzbekämpfung gesetzt (UA S. 6).
(c) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zum Unterbleiben der Anordnung der Maßregel des § 64 StGB belegen damit die anderweitige Abwendbarkeit der Gefahr für die Angeklagte. Weitergehender Feststellungen - wie sie gelegentlich in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zur revisionsgerichtlichen Prüfung der Voraussetzungen des § 34 StGB bei unerlaubtem Umgang mit Betäubungsmitteln zu therapeutischen Zwecken verlangt werden (etwa KG, Urteil vom 25. Mai 2007 - 1 Ss 36/07, NJW 2007, 2425; OLG Braunschweig, Beschluss vom 16. Mai 2013 - 1 Ss 20/13, StV 2013, 708 f.) - bedurfte es daher nicht.
b) Eine Entschuldigung gemäß § 35 StGB scheidet ebenfalls wegen der aus den vorgenannten Gründen gegebenen anderweitigen Abwendbarkeit der Gefahr für die Gesundheit der Angeklagten aus (zur Identität des Maßstabs in § 34 und § 35 StGB siehe Perron in Schönke/Schröder aaO § 35 Rn. 13 mwN).
3. Anhaltspunkte für einen auf die hinsichtlich § 34 oder § 35 StGB maßgeblichen tatsächlichen Umstände bezogenen Irrtum der Angeklagten enthalten die Feststellungen ebenso wenig wie für einen auf die rechtlichen Voraussetzungen der Notstandsregelungen gerichteten Irrtum.
Die Schuldsprüche in den Fällen B.II. und III. der Urteilsgründe halten revisionsrechtlicher Überprüfung ebenfalls stand. Die von der Angeklagten schriftlich selbst vorgebrachten Erwägungen erschöpfen sich weitgehend in urteilsfremdem Vorbringen und einer eigenen Beweiswürdigung.
Aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen enthalten weder die Einzelstrafen noch die Gesamtstrafe die Angeklagte im Ergebnis benachteiligende Rechtsfehler. Die Teilaufhebung des Maßregelausspruchs (nachfolgend V.) beeinflusst den Strafausspruch nicht. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht niedrigere Strafen (Einzelstrafen oder Gesamtstrafe) verhängt hätte, wenn neben der Gesamtstrafe die Maßregel gemäß § 64 StGB verhängt worden wäre.
Der Maßregelauspruch bedarf allerdings auf die - die Nichtanordnung des § 64 StGB nicht vom Rechtsmittelangriff ausnehmende - Revision der Angeklagten insoweit der Aufhebung, als das Landgericht die Anordnung ihrer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat.
1. Das Landgericht hat zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend den Hang im Sinne von § 64 StGB dahingehend verstanden, dass es sich dabei um eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, handelt (siehe nur BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271 mwN). Diese Voraussetzungen sind bereits dann gegeben, wenn der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (BGH aaO). Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die erfolgte Berücksichtigung indizieller Umstände wie die massiven, mehrwöchiger medikamentöser Behandlung bedürfenden Entzugserscheinungen nach ihrer Inhaftierung einerseits sowie der durch den Drogenkonsum hergestellten Fähigkeit der Angeklagten, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen und sich - zeitweilig - um ihre Kinder zu kümmern, andererseits.
Allerdings lassen die Erwägungen des sachverständig beratenen Landgerichts besorgen, dass es nicht alle für das Vorliegen eines Hangs bedeutsamen, festgestellten Umstände in die Beurteilung einbezogen hat. So ist nicht erkennbar der bereits vor dem Auftreten ihrer Sarkoidoseerkrankung in erheblichem Umfang erfolgte Konsum von Betäubungsmitteln, einschließlich Heroin, bedacht worden. Ebenso wenig setzt sich die Strafkammer mit den im Zeitraum zwischen 2000 und 2013 beständig wechselnden Phasen des Gebrauchs von Heroin und Kokain mit solchen der Abstinenz (näher UA S. 6) auseinander. Auch die mehrfachen Entgiftungen, denen jedoch Rückfälle in den Konsum „harter“ Drogen folgten, bezieht das Landgericht nicht in die Bewertung des Hangs ein, obwohl dieser gerade durch die Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, geprägt ist. Mit dem letztlich ausschließlichen Abstellen auf das Herstellen der Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Angeklagten durch den Konsum von Heroin und Kokain „aus selbsttherapeutischen Gründen“ verliert die Strafkammer auch aus dem Blick, dass die Angeklagte nach den zu ihrer Person getroffenen Feststellungen seit dem Jahr 2013 bis zu ihrer Verhaftung im Dezember 2014 durchgängig Heroin und Kokain, zuletzt bei Tagesdosen von drei Gramm Heroin und einem Gramm Kokain, konsumierte. Damit fand dieser Konsum auch außerhalb akuter, von großen Schmerzen begleiteter Krankheitsschübe statt. Wegen der unzureichenden Einbeziehung für das Bestehen eines Hangs bedeutsamer Umstände fehlt der Ablehnung der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine tragfähige Grundlage.
2. Da es sich lediglich um einen Wertungsfehler des Landgerichts handelt, können die bisherigen, der Entscheidung über die Maßregel zugehörigen Feststellungen aufrecht erhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzender, dazu nicht in Widerspruch stehender Feststellungen bedarf es vor allem zur Gefährlichkeitsprognose und zum hinreichend sicheren Therapieerfolg.
3. Die Verhängung der Sperrfrist gemäß § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB ist dagegen nicht zu beanstanden.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1081
Externe Fundstellen: BGHSt 61, 202 ; NJW 2016, 2818; StV 2017, 310
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede