HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 800
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 571/15, Beschluss v. 10.05.2016, HRRS 2016 Nr. 800
1. Auf die Revision des Angeklagten H. gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 15. Dezember 2014 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte H. hinsichtlich Ziffer III.8. der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen (Gewerbesteuer 2003 bis 2006) und versuchter Steuerhinterziehung (Gewerbesteuer 2007) verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen dieses Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das Urteil, soweit es den Angeklagten H. betrifft, aa) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte H. wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen, wegen versuchter Steuerhinterziehung, wegen Beihilfe zum gewerbs- und bandenmäßigen Betrug und wegen Beihilfe zur gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Beihilfe zur unrichtigen Darstellung, zum Kreditbetrug und zum Kapitalanlagebetrug verurteilt ist;
bb) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten H. sowie die Revision der Angeklagten G. werden verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten H., an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die Beschwerdeführerin G. hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagte G. wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs sowie gewerbs- und bandenmäßiger Urkundenfälschung in Tateinheit mit unrichtiger Darstellung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung und wegen Kredit- und Kapitalanlagebetrugs zu einer Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je zehn Euro verurteilt. Den Angeklagten H. hat es wegen Steuerhinterziehung in 13 Fällen, wegen versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen, wegen Beihilfe zu einem gewerbs- und bandenmäßigen Betrug und wegen Beihilfe zu einer gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Beihilfe zu einer unrichtigen Darstellung, mit Beihilfe zu einem Kreditbetrug und mit Beihilfe zu einem Kapitalanlagebetrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Die vom Angeklagten H. eingelegte Revision hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen sind die Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen, aus den vom Generalbundesanwalt angeführten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Aus prozessökonomischen Gründen stellt der Senat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit der Angeklagte H. wegen Steuerhinterziehung (Gewerbesteuer 2003 bis 2006) in vier Fällen und versuchter Steuerhinterziehung in einem Fall (Gewerbesteuer 2007) verurteilt worden ist. Die in jeder Lage des Verfahrens mögliche Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO ist vorliegend angezeigt, weil das Landgericht in den genannten Fällen zur Bestimmung der hinterzogenen Gewerbesteuer rechtsfehlerhaft sämtliche Einkünfte des Angeklagten H. herangezogen hat und es dem Revisionsgericht nicht möglich ist, den Urteilsgründen zu entnehmen, wie hoch die hinterzogene Gewerbesteuer tatsächlich ist. Der Angeklagte H. hatte nicht nur Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit im Rahmen seines stehenden Gewerbes (§ 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GewStG i.V.m. § 15 Abs. 2 EStG), sondern auch solche aus nichtselbständiger Tätigkeit (§ 19 EStG) beim T. -Konzern. Nichtselbständige Einkünfte unterliegen jedoch nicht der Gewerbesteuerpflicht, da es insoweit am Merkmal der Selbständigkeit i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG i.V.m. § 15 Abs. 2 EStG fehlt. Allein die Tatsache, dass der Angeklagte H. auch seine Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit zum Schein über die Firma W. und eine auf seine Ehefrau eingetragene Firma abwickelte, führt nicht zu einer Umqualifizierung dieser Einkünfte in solche aus selbständiger Tätigkeit. Da sich den Urteilsgründen nicht zweifelsfrei entnehmen lässt, welche Einkünfte solche aus nichtselbständiger Tätigkeit darstellen, stellt der Senat das Verfahren insoweit nach § 154 Abs. 2 StPO ein.
2. Diese Verfahrenseinstellung hat die Änderung des Schuldspruchs sowie den Wegfall der für die Taten festgesetzten Einzelfreiheitsstrafen von viermal sechs und einmal acht Monaten zur Folge. Sie zieht zudem die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs für den Angeklagten H. nach sich. Das Verfahren gegen den Angeklagten H. wird daher insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Hamburg zurückverwiesen.
Die Revisionen im Übrigen bleiben ohne Erfolg.
1. Die von den Revisionen erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
Insbesondere liegt kein durchgreifender Verstoß gegen § 243 Abs. 4 StPO darin, dass der Kammervorsitzende ein Telefonat vom 13. Oktober 2011 mit dem Verteidiger der Angeklagten G., in dem sich der Verteidiger unter anderem erkundigte, ob eine Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO in Betracht käme, nicht in der am 10. April 2013 begonnenen Hauptverhandlung mitteilte. Bei dem Angeklagten H. ist bereits fraglich, ob die Rüge zulässig erhoben wurde, da das Telefonat explizit nur die Angeklagte G. und den anderweitig Verfolgten T. betraf. Zwar sind auch Gespräche über eine vollständige Verfahrenseinstellung gemäß § 153a StPO mitteilungsbedürftig nach § 243 Abs. 4 StPO (BVerfG, Beschluss vom 21. April 2016 - 2 BvR 1422/15, Rn. 20, StV 2016, 409; a.A. noch KG, Beschluss vom 10. Januar 2014 - [2] 161 Ss 132/13 [47/13], NStZ 2014, 293), jedoch kann vorliegend ausnahmsweise das Beruhen der Verurteilung auf dem Verfahrensverstoß ausgeschlossen werden. Das im Vorfeld der Hauptverhandlung geführte Telefonat hatte einen organisatorischen Hintergrund. Die eher vage gehaltene Anfrage, ob eine Verfahrenseinstellung in Betracht komme, stellte eine sondierende Äußerung der Verteidigung ohne verbindliche Zusage des Gerichts dar, so dass der Informationsgehalt des Gespräches bereits als gering einzustufen ist. Die erst drei Jahre später erfolgten Unterredungen zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung, die schließlich Grundlage der Verfahrensabsprache wurden und das Telefonat vom 13. Oktober 2011 damit überholt erscheinen lassen, sind umfassend mitgeteilt worden. Vor diesem Hintergrund kann hier eine informelle Verfahrensabsprache schon im Ansatz ausgeschlossen werden. Die Rechtsstellung und die Verteidigungsmöglichkeit der Angeklagten werden gleichfalls nicht berührt. Selbst wenn in der Nichtmitteilung der allenfalls vagen Andeutung eine Verletzung des § 243 Abs. 4 StPO zu sehen wäre, beruht das Urteil daher nicht auf dem Verfahrensverstoß.
2. Auch die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrügen hat im verbleibenden Umfang keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Die missverständliche Verwendung des Begriffs „Gefährdungsschaden“ ist unschädlich und stellt keinen Rechtsfehler dar.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung bezüglich der Angeklagten G. beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Die Entscheidung über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten H. ist der neuen Strafkammer vorbehalten.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 800
Externe Fundstellen: NStZ 2016, 743
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede