HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1054
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 362/15, Beschluss v. 16.09.2015, HRRS 2015 Nr. 1054
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 23. März 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Daneben hat es den Angeklagten in einer Adhäsionsentscheidung zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Nebenklägerin verurteilt.
Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, mit der er seine Verurteilung beanstandet, hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Nach den Urteilsfeststellungen besuchte die damals vierjährige Nebenklägerin A. im September oder Oktober 2013 den damals 75 Jahre alten Angeklagten, den Nachbarn ihrer Großmutter, in dessen Wohnanwesen. Das Mädchen traf den Angeklagten auf der Toilette an, deren Tür offen stand. Der Angeklagte stand mit nach unten gezogener Hose in der Toilette. Derart entblößt begab er sich dann in sein Wohnzimmer; die Nebenklägerin folgte ihm. Im Wohnzimmer berührte die Nebenklägerin den Angeklagten am nackten Penis und streichelte diesen, was der Angeklagte zuließ. Nach einigen Sekunden beendete der Angeklagte die Situation und schickte die Vierjährige nach Hause.
Der Angeklagte war zuletzt im Oktober 2006 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 20 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Im Oktober 2010 erließ die zuständige Strafvollstreckungskammer einen Beschluss, wonach die nach der Haftentlassung bezüglich des Angeklagten eintretende Führungsaufsicht nicht entfällt und fünf Jahre beträgt. In diesem Beschluss wurde der Angeklagte u.a. angewiesen, zu Jugendlichen unter 16 Jahren keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren und sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen sowie jeglichen Kontakt zu Jugendlichen unter 16 Jahren zu unterlassen, es sei denn die Kontaktaufnahme erfolgt mit ausdrücklicher und nachweisbarer Genehmigung der Erziehungsberechtigten sowie des Bewährungshelfers.
2. Das Landgericht hat den geständigen Angeklagten im Hinblick auf die einschlägige Vorverurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§ 176a Abs. 1 und Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 176 Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (§ 145a StGB) verurteilt. Es hat sich zudem davon überzeugt, dass der Angeklagte infolge eines Hangs zu erheblichen Straftaten, namentlich zu schwerem Kindesmissbrauch, für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Die Verurteilung wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (§ 145a StGB) wird von den Feststellungen nicht getragen.
Die Weisung, keinen Kontakt zu Jugendlichen (gemeint auch: Kinder) unter 16 Jahren aufzunehmen, hat ihre gesetzliche Grundlage in § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB. Dort ist ausdrücklich bestimmt, dass die verurteilte Person angewiesen werden kann, zu Personen einer bestimmten Gruppe, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, keinen Kontakt aufzunehmen. Dies ist dahin zu verstehen, dass es dem Verurteilten untersagt ist, aus eigenem Antrieb und aktiv einen unmittelbaren Kontakt zu einem Mitglied der Personengruppe herzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2013 - 3 StR 486/12, NJW 2013, 1894 sowie BT-Drucks. 16/1993, S. 18). Nichts anderes gilt für das Verständnis der hier vorliegenden, die Terminologie des Gesetzestextes insoweit wortgleich übernehmenden Weisung, der das vom Angeklagten zu erwartende Verhalten ausreichend deutlich zu entnehmen ist (vgl. BGH aaO mwN).
Einen Verstoß gegen diese Weisung belegen die Urteilsfeststellungen jedoch nicht. Es ist nicht festgestellt, dass der Angeklagte den Besuch der vierjährigen Nebenklägerin bei sich oder zumindest deren an ihm vorgenommene sexuelle Handlungen veranlasst hatte. Vielmehr bleibt offen, ob die Nebenklägerin den Angeklagten von sich aus besuchte und unaufgefordert die sexuellen Handlungen an dem Angeklagten vorgenommen hat. In diesem Fall hätte der Angeklagte den Kontakt mit der Nebenklägerin weder aus eigenem Antrieb noch aktiv hergestellt, sondern - was nicht ausreichend ist - lediglich den von der Nebenklägerin hergestellten Kontakt nicht unterbunden. Ein dem Angeklagten ebenfalls verbotenes „Verkehren“ im Sinne der Fortführung oder des Unterhaltens eines bestehenden Kontaktes (vgl. BT-Drucks. 16/1993, S. 18 sowie OLG Nürnberg, Beschluss vom 29. November 2007 - 1 Ws 716/07, BeckRS 2008, 05974 sowie Schneider in LK-StGB, 12. Aufl. 2007, § 68b Rn. 22) liegt in dem vom Landgericht festgestellten Verhalten des Angeklagten ebenfalls nicht.
Der Schuldspruch wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (§ 145a StGB) hat daher keinen Bestand. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass noch ergänzende Feststellungen getroffen werden können, die einen strafbaren Weisungsverstoß belegen, etwa eine zuvor von dem Angeklagten gegenüber der Nebenklägerin ausgesprochene Einladung. Anhaltspunkte für ein Bemühen des Angeklagten um Kontakt mit der Nebenklägerin ergeben sich bereits daraus, dass die polizeiliche Vernehmungsbeamtin M. in der Hauptverhandlung ausgesagt hat, die Nebenklägerin habe ihr gegenüber angegeben, sie habe auch Schokolade oder Geld bekommen, wenn sie an den „Wurmi“ des Angeklagten gelangt habe (UA S. 30).
2. Angesichts der vom Landgericht angenommenen Tateinheit und der Möglichkeit, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (§ 145a StGB) tragen, hat auch der Schuldspruch wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§ 176a Abs. 1 StGB) keinen Bestand.
Es bedarf daher keiner abschließenden Entscheidung, ob das festgestellte Verhalten des Angeklagten dahingehend gewertet werden kann, dass der Angeklagte eine sexuelle Handlung der Nebenklägerin an sich vornehmen ließ, wozu auch das Gewähren-Lassen zählt, wenn es eine Bestärkung einer von dem Kind ausgehenden Initiative enthält, oder er eine solche lediglich passiv erduldet hat (vgl. dazu Fischer, StGB, 62. Aufl., § 176 Rn. 6 und Hörnle in LKStGB,12. Aufl. 2009, § 176 Rn. 11). Auf die von der Nebenklägerin gegenüber Familienangehörigen und der Kriminalbeamtin M. geschilderten sexuellen Übergriffe des Angeklagten gegenüber ihr (UA S. 28 ff.) konnte die Verurteilung jedenfalls nicht gestützt werden, weil diese Übergriffe weder Gegenstand der Anklage waren, noch als geschehen vom Landgericht festgestellt worden sind.
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des Maßregelausspruchs nach sich. Der Senat hebt zudem sämtliche Urteilsfeststellungen auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1054
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2016, 10; StV 2017, 37
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede