HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 935
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 329/15, Beschluss v. 04.08.2015, HRRS 2015 Nr. 935
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 27. Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt; im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
Die Revision des Angeklagten, mit der er seine Verurteilung beanstandet, hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Nach den Urteilsfeststellungen lernte der Angeklagte die Geschädigte, die auf einer Internet-Plattform sexuelle Dienstleistungen anbot, über eine Anfrage zu einer möglichen Sado-Maso-Beziehung, in welcher er den unterwürfigen Teil übernehmen wollte, kennen.
Im Anschluss an ein Abendessen am 9. April 2014 in seiner Wohnung, zu dem er die Geschädigte eingeladen hatte, kam es zu einem „intimeren Kontakt“ zwischen beiden, bei welchem die Geschädigte auf dem Schoß des Angeklagten zu sitzen kam. Nachdem es der Geschädigten „schlecht und etwas schwindelig“ geworden und sie anschließend auf der Toilette eingeschlafen war, wollte sie nach Hause gehen. Dem Angeklagten gelang es jedoch, sie unter der Bitte um einen „kleinen Nachtisch“ zu weiteren sexuellen Handlungen zu bewegen. Hierbei manipulierte die auf einem Stuhl sitzende Geschädigte mit der Hand am Glied des Angeklagten und begann, den Oralverkehr auszuüben.
Als die Geschädigte dann äußerte, dies nicht mehr zu wollen, packte der Angeklagte sie, zog sie gewaltsam hoch und schob sie in Richtung seines Bettes. Die Geschädigte wehrte sich und äußerte, dass er damit aufhören solle, sie wolle nach Hause. Darauf sagte der Angeklagte, dass er sie „ficken“ wolle. Auf ihre ablehnende Bemerkung hin, das sei nicht ausgemacht, das wolle sie nicht, äußerte der Angeklagte, das sei ihm egal. Dann schubste der etwa 140 kg schwere Angeklagte die Geschädigte auf das Bett und legte sich neben sie, wobei er mit einem Bein über ihrem Bein lag. Dabei hielt er ihre Arme an den Handgelenken umfasst neben ihrem Kopf fest und äußerte, dass er sie jetzt „ficken“ wolle. Die Geschädigte weinte und wehrte sich, konnte sich jedoch aus dem Griff des Angeklagten nicht befreien.
Nach einem nicht näher feststellbaren Zeitraum lockerte der Angeklagte seinen Griff um die Handgelenke der Geschädigten, worauf diese sich aus dem Griff befreien und das Bett verlassen konnte. Anschließend nahm die Geschädigte ihre Jacke und verließ die Wohnung. Auf der Treppe kehrte sie noch einmal um und ging in die Wohnung des Angeklagten zurück, weil sie ihr Mobiltelefon dort vergessen zu haben meinte, verließ dann aber umgehend das Gebäude. Der Angeklagte, der merkte, dass er seinen Plan, mit der Geschädigten den Geschlechtsverkehr auszuüben, nicht mehr zu Ende bringen konnte, hinderte sie nicht am Verlassen der Wohnung und entschuldigte sich später per SMS für sein Verhalten.
2. Die Überzeugung vom Tatgeschehen stützt das Landgericht allein auf die Aussage der Geschädigten, die das Geschehene wie festgestellt geschildert habe (UA S. 31).
3. Das Landgericht hat das Verhalten (statt als versuchte Vergewaltigung) lediglich als versuchte sexuelle Nötigung gewertet. Einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Versuch (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB) hat es mit der Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs verneint.
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Zwar hat sich das Landgericht rechtsfehlerfrei vom Handeln des Angeklagten mit dem Vorsatz, die Geschädigte zum Geschlechtsverkehr zu nötigen, überzeugt. Jedoch erweisen sich die Erwägungen, mit denen es zur Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs gelangt ist und daran anknüpfend einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch verneint hat, als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
a) Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. März 2014 - 1 StR 735/13, NStZ 2014, 396 sowie BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 - 4 StR 346/12, NStZ 2013, 156 mit zahlreichen weiteren Nachweisen), so dass ein Rücktritt vom Versuch nach allen Varianten des § 24 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB ausscheidet. Mithin kommt es auf das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an.
b) Im Rahmen der rechtlichen Würdigung ist das Landgericht hinsichtlich des für einen Rücktritt vom Versuch bedeutsamen Vorstellungsbilds von einem falschen Zeitpunkt ausgegangen. Denn es stellt nicht auf die Sicht des Angeklagten nach der letzten Ausführungshandlung ab, sondern darauf, dass der Angeklagte nach dem Herauswinden der Geschädigten aus dem kurzzeitig gelockerten Festhaltegriff und deren Flucht vom Bett und aus der Wohnung der von ihm beabsichtigte Handlungserfolg nicht mehr erreichbar war, ohne dass er eine völlig neue und nicht geplante Handlungskette in Gang gesetzt hätte (UA S. 36 f.). Den Umstand, dass der Angeklagte die Geschädigte nicht am Verlassen der Wohnung hinderte (UA S. 24), sie also jedenfalls freiwillig gehen ließ, nimmt das Landgericht dabei rechtsfehlerhaft nicht in den Blick.
c) Auf diesem fehlerhaften rechtlichen Ansatz würde das Urteil jedoch an sich nicht beruhen, weil den Urteilsfeststellungen zu entnehmen ist, dass der Angeklagte die Geschädigte nicht am Verlassen der Wohnung hinderte, nachdem er erkannt hatte, dass er seinen Plan, mit der Geschädigten den Geschlechtsverkehr auszuüben, nicht mehr zu Ende bringen konnte (UA S. 24). Diese Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach der letzten Ausführungshandlung beruhen jedoch auf einer lückenhaften Beweiswürdigung und sind damit durchgreifend rechtsfehlerhaft.
Es wird bereits nicht deutlich, auf welche Tatsachen das Landgericht seine Überzeugung stützt, der Angeklagte habe sein Vorhaben schon als gescheitert angesehen, als die Geschädigte seine Wohnung noch nicht verlassen hatte. Dem Angeklagten, der einen völlig anderen als den festgestellten Geschehensablauf geschildert hatte, hat das Landgericht nicht geglaubt. Woran die Geschädigte gegebenenfalls erkannt haben will, dass der Angeklagte sein Vorhaben für fehlgeschlagen gehalten habe, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Auch die auf der nicht näher mitgeteilten Aussage der Geschädigten beruhenden Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf belegen die Annahme, der Angeklagte könnte nach der letzten Ausführungshandlung gemeint haben, die Tat nicht mehr vollenden zu können, nicht.
Das Landgericht hätte daher im Einzelnen darlegen müssen, aus welchen Umständen es auf dieses Vorstellungsbild des Angeklagten geschlossen hat. Insbesondere hätte es sich dabei mit der Frage auseinandersetzen müssen, aus welchem Grund der 140 kg schwere Angeklagte, der es geschafft hatte, die Geschädigte auf sein Bett zu werfen und dort für einige Zeit an den Handgelenken zu fixieren, geglaubt haben sollte, er sei nicht in der Lage, die Geschädigte am Verlassen der Wohnung zu hindern und könne sie auch nicht erneut auf das Bett werfen, um nun den Geschlechtsverkehr auszuüben.
Zwar könnte der Umstand, dass sich die Geschädigte aus dem Griff des Angeklagten befreien konnte, dafür sprechen, dass der Angeklagte der Geschädigten für einen gewaltsam durchgesetzten Geschlechtsverkehr nicht ausreichend körperlich überlegen war. Das Landgericht lässt jedoch offen, ob der Angeklagte den Griff freiwillig oder aus mangelnder Kraft gelockert hatte. Auch wird nicht erörtert, ob die Umstände, dass der Angeklagte die Geschädigte nicht am Verlassen der Wohnung hinderte und diese unmittelbar danach sogar noch einmal in die Wohnung zurückkehrte, um ihr Mobiltelefon zu holen, für ein vorheriges freiwilliges Abstandnehmen des Angeklagten von der weiteren Tatausführung sprachen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. Mai 2003 - 4 StR 140/03, StraFo 2003, 386). Damit können die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs und die Verneinung eines freiwilligen Rücktritts keinen Bestand haben. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht diejenige des Maßregelausspruchs nach sich. Der Senat hebt das Urteil mit sämtlichen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zum Tatgeschehen und zur Frage eines Rücktritts zu ermöglichen.
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 935
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel