HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 211
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 292/15, Urteil v. 02.12.2015, HRRS 2016 Nr. 211
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 19. Januar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags an seiner Ehefrau aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren auf die Sachrüge, die Nebenkläger zusätzlich auf eine Verfahrensrüge, gestützten Revisionen. Mit der sofortigen Beschwerde wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten. Alle drei Revisionen haben schon mit der Sachrüge Erfolg.
1. Die Anklage legt dem Angeklagten zur Last, am 4. Dezember 2013 unmittelbar nach 12.37 Uhr im von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Anwesen in E. seine Ehefrau tätlich angegriffen und getötet zu haben, indem er ihr mit stumpfer Gewalteinwirkung Brüche der dritten und vierten Rippe im rechten Brustkorb, Blutungen im Bereich des Rippenfells und des Mittelfellraums sowie Blutergüsse am Kopf, an der rechten Schulter, an der linken Brustdrüse sowie an beiden Armen zufügte und ihr dann den Hals komprimierte bzw. ihr Mund und Nase zuhielt und sie so erstickte.
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Am 4. Dezember 2013 nach 12.37 Uhr wurde die Ehefrau des Angeklagten im von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Anwesen in E. durch mindestens 30 Faustschläge und weitere Tätlichkeiten von einer unbekannten Person, nicht ausschließbar dem Angeklagten, erheblich verletzt und dann getötet. Sie erlitt unter anderem Brüche der dritten und vierten Rippe im rechten Brustkorb, eine Vielzahl von Blutergüssen, vornehmlich auf den Händen und im Kopfbereich, nicht zuletzt auch eine blutende Wunde, verursacht durch eine Hautaufplatzung auf Höhe der linken Augenbraue. Todesursächlich war jedoch ein Erstickungs- bzw. Würgevorgang, der im Zusammenhang mit den Tätlichkeiten am Opfer vorgenommen wurde und spätestens gegen 18.00 Uhr desselben Tages zum Tode führte.
b) Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Tat könne ihm nicht nachgewiesen werden. Der Angeklagte habe für die Zeit zwischen 12.37 bis etwa 13.20 Uhr zwar kein Alibi, habe sich am Tattag teils sonderbar verhalten und zum Alkoholkonsum seiner Ehefrau teils widersprüchliche Angaben gemacht; auch Konfliktthemen für einen Streit könnten nicht ausgeschlossen werden, wobei sich keine konkreten Anhaltspunkte ergeben hätten, dass ein bestimmtes Thema tatsächlich eskaliert sei. Letztendlich aber sei entscheidend, dass eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch den Angeklagten nicht habe nachgewiesen werden können.
Viele Gesichtspunkte seien einer unterschiedlichen Betrachtung zugänglich; solche, die den Angeklagten eindeutig belasteten, lägen jedoch nicht vor. Die Vorgehensweise des Täters bei der Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Faustschlägen und bei der Tötung weise zwar auf das Vorhandensein von Emotionen beim Täter hin und spräche zunächst für einen Täter im sozialen Umfeld. Jedoch komme nicht nur der Angeklagte als Täter in Betracht. Es habe auch ein großes Konfliktpotenzial mit anderen Personen aus dem sozialen Nahbereich bestanden, insbesondere mit Familienmitgliedern im weiteren Sinne. Auch sei nur wenig bekannt, wie die Verstorbene ihre Freizeit verbracht habe. Nach Überzeugung der Kammer könnten deshalb Fremdtäter nicht ausgeschlossen werden. Da endgültig eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch den Angeklagten nicht habe nachgewiesen werden können, habe die Kammer keine sichere Überzeugung von seiner Täterschaft gewinnen können, obwohl er als möglicher Täter nicht ausscheide.
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil sich die ihm zugrundeliegende Beweiswürdigung als nicht tragfähig erweist. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
1. Das Urteil lässt die erforderliche Gesamtwürdigung des Beweisstoffs vermissen.
a) Ist eine Vielzahl einzelner Erkenntnisse angefallen, so ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. Februar 2002 - 1 StR 513/01, NJW 2002, 2188, 2189). Erst sie entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtschau dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln. Beweisanzeichen können nämlich in einer Gesamtschau wegen ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit eines Vorwurfs begründen (vgl. Senat, Urteil vom 6. Februar 2002 - 1 StR 513/01, NJW 2002, 2188, 2189). Der Beweiswert einzelner Indizien ergibt sich zudem regelmäßig erst aus dem Zusammenhang mit anderen Indizien, weshalb der Inbezugsetzung der Indizien zueinander im Rahmen der Gesamtwürdigung besonderes Gewicht zukommt.
b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht. Statt die Indizien mit ihrem jeweiligen Beweiswert in die Gesamtwürdigung einzustellen, spricht das Landgericht einzelnen Umständen insgesamt einen belastenden Beweiswert mit der Begründung ab, diese seien keine „sicheren“, „eindeutig belastenden“ oder „zweifelsfrei belastenden“ Indizien für die Täterschaft des Angeklagten (vgl. UA S. 46, 49, 50, 53, 80, 81, 97, 108). Damit hat das Landgericht rechtsfehlerhaft einzelne Beweisergebnisse als „nicht eindeutig belastende“ Indizien aus der Beweiswürdigung vorschnell ausgeschieden, anstatt die einzelnen Beweisanzeichen mit dem ihnen zukommenden Gewicht, also mit den ihnen innewohnenden belastenden und entlastenden Aspekten, in Beziehung zu setzen und im Zusammenhang mit anderen Beweisanzeichen zu bewerten. Statt einer umfassenden Würdigung aller im Urteil dargelegten Beweisergebnisse bestätigt die Strafkammer in ihrer „Zusammenfassung“ (UA S. 124) lediglich das zuvor bei den Einzelindizien gefundene Ergebnis, indem sie darauf verweist, dass „wie sich ergab und ausgeführt wurde“, keine wesentlichen Gesichtspunkte gefunden werden konnten, welche den Angeklagten eindeutig belasteten.
2. Das Urteil beruht auch auf dem Rechtsfehler. Zwar ist in vorliegendem Fall nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Beweislage infolge polizeilicher Ermittlungsfehler (dem Angeklagten wurde etwa vor einer Sicherung der Spuren erlaubt, den Tatort zu reinigen) als schwierig darstellt. Ob der weitere Verfahrensgang zu einer Verurteilung oder einem Freispruch führen wird, ist gleichwohl angesichts der Beweislage offen.
Durch die Aufhebung des freisprechenden Urteils wird die damit verknüpfte Entschädigungsentscheidung (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG) und die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos (BGH, Urteile vom 25. April 2013 - 4 StR 551/12 und vom 25. März 2010 - 1 StR 601/09).
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 211
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2016, 150
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede