HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 918
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 141/15, Beschluss v. 09.07.2015, HRRS 2015 Nr. 918
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 30. Oktober 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (besonders) schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung und versuchter räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Die Verurteilung des Angeklagten hat keinen Bestand, weil das Landgericht einen Beweisantrag des Angeklagten unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt hat. Dem liegt folgendes Prozessgeschehen zu Grunde:
Der Verteidiger des Angeklagten stellte in der Hauptverhandlung vom 21. Oktober 2014 einen Antrag auf Einnahme eines Augenscheins und Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zum Beweis der Tatsache, dass die Zeugin D. entgegen ihrer Aussage vom 21. Oktober 2014, an den Oberschenkeln kaum Varizen zu haben, tatsächlich an beiden Oberschenkeln ungewöhnlich massiv ausgeprägte Varizen, wie vom Angeklagten angegeben, aufweist. Die Ausführung dieses Beweisantrags werde nicht nur ergeben, dass die Zeugin an beiden Oberschenkeln ungewöhnlich massiv ausgeprägte Varizen hat, sondern auch, dass die Aussage der Zeugin, der Angeklagte habe sie niemals unbekleidet gesehen, nicht richtig ist.
Das Landgericht wies diesen Beweisantrag zurück, weil es für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung sei, ob sich an beiden Oberschenkeln der Zeugin ungewöhnlich massiv ausgeprägte Varizen befänden oder nicht. Die behauptete Tatsache sei nur eine bedeutungslose Indiztatsache, die selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen könne. Die beantragte Beweisaufnahme könne nur zur Feststellung führen, dass die Oberschenkel der Zeugin zum Zeitpunkt der Inaugenscheinnahme Varizen aufweisen oder nicht. Selbst wenn sich die unter Beweis gestellte Tatsache bestätigen würde, wäre dies für die Sachverhaltsannahmen und den Urteilsspruch nicht relevant, da daraus keine zwingenden Rückschlüsse auf die mutmaßliche Täterschaft des Angeklagten oder den Tatablauf gezogen werden könnten. Überdies könne selbst im Fall sichtbarer Varizen nicht der zwingende Schluss gezogen werden, dass diese zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt bereits bestanden hätten. Da der Schluss von dieser Tatsache auf unmittelbar erhebliche Umstände, insbesondere die mutmaßliche Täterschaft des Angeklagten, nicht zwingend, sondern nur möglich sei und die Kammer diesen Schluss nicht ziehen wolle, sei die insoweit unter Beweis gestellte Tatsache weder für die Schuld- noch für die Straffrage von Bedeutung.
2. Die Ablehnung des Beweisantrags durch das Landgericht hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst. Erforderlich sind hierzu regelmäßig eine Würdigung der bis dahin durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen sowie konkrete Erwägungen, aus denen sich ergibt, warum das Gericht aus den behaupteten Tatsachen keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen würde. Die Würdigung erlaubt eine Beweisantizipation, bei der die unter Beweis gestellte Tatsache ohne Abstriche zu berücksichtigen ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. § 244 Rn. 56 mN). Geht es um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen, bedarf es der Begründung, warum die zu beweisende Tatsache das Gericht auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst ließe. Die Anforderungen an die Begründung entsprechen grundsätzlich den Darlegungserfordernissen bei der Würdigung von durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen (BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2006 - 4 StR 251/06, NStZ-RR 2007, 84, 85 mwN).
Dem genügt der Beschluss des Landgerichts nicht. Er setzt sich nicht damit auseinander, welche Bedeutung eine Bestätigung der Beweisbehauptung für die Glaubwürdigkeit der Zeugin haben würde, denn die Zeugin hat auf die Frage des Angeklagten, ob sie auffällige, ganz schwere Varizen an den Oberschenkeln habe, wie ihm beim Vaginalverkehr aufgefallen sei, bekundet, dort keine ausgeprägten Krampfadern zu haben (UA S. 54). Das Landgericht hätte in der Beschlussbegründung ausführen müssen, dass es selbst dann, wenn sich diese Antwort der Zeugin als falsch erweisen sollte, an seiner Überzeugung, dass der Angeklagte die Taten, so wie sie von der Zeugin geschildert wurden, begangen hat, nichts ändert. Der Beweisantrag zielte nicht darauf ab, aus dem Vorhandensein ungewöhnlich massiv ausgeprägter Krampfadern im Zeitpunkt der Inaugenscheinnahme einen Rückschluss auf den Zustand der Oberschenkel bei Tatbegehung zuzulassen, wovon die Kammer offenbar ausgegangen ist, sondern es sollte nachgewiesen werden, dass die Zeugin in einem Punkt, nämlich zum Zustand ihrer Oberschenkel zur Zeit der Hauptverhandlung, die Unwahrheit gesagt hat. Dies hat die Kammer verkannt.
Auf diesem Verfahrensfehler beruht der Schuldspruch für beide Taten. Der Senat kann letztendlich nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass das Landgericht trotz gewichtiger gegen den Angeklagten sprechender Umstände zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Der gesamte Schuldspruch nebst den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) unterliegt daher der Aufhebung.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Das Landgericht hat bei der Prüfung der materiellen Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ausgeführt, dass es sich als erheblich nachteilig auswirke, dass der Angeklagte bereits einschlägig wegen Vergewaltigung vorbestraft sei und diesbezüglich eine relativ rasche Rückfallgeschwindigkeit vorliege. Diese Erwägung ist nicht zu beanstanden.
Rechtsfehlerhaft ist jedoch die daran anschließende Überlegung, es sei in diesem Zusammenhang „ferner als ungünstig zu bewerten, dass der Angeklagte den Inhalt dieses rechtskräftigen Straferkenntnisses in der hiesigen Hauptverhandlung in Abrede stellte und behauptete, man habe ihm schon damals etwas untergeschoben“. Mit einem zulässigen Verteidigungsverhalten des Angeklagten kann dessen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten oder dessen hangbedingte Gefährlichkeit nicht begründet werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 11. März 2015 - 1 StR 3/15 und vom 21. August 2014 - 1 StR 320/14, NStZ-RR 2015, 9 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 918
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel