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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 362

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 613/14, Beschluss v. 27.01.2015, HRRS 2015 Nr. 362


BGH 1 StR 613/14 - Beschluss vom 27. Januar 2015 (LG München II)

Steuerhehlerei; Verfall (Erlangtes bei Steuerhehlerei).

§ 374 Abs. 1 AO; § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB.

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zwar kann ein Täter auch dadurch etwas i.S.v. § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangen, dass er sich Aufwendungen erspart. Infolgedessen kann bei einer Steuerhinterziehung auch ein Betrag in Höhe nicht gezahlter Steuern dem Verfall von Wertersatz unterliegen (vgl. BGH wistra 2010, 406), wobei allerdings der Verfallsanordnung regelmäßig Ansprüche des Steuerfiskus i.S.v. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen (vgl. BGH NStZ 2001, 155).

2. Der Steuerhehler hat jedoch die vom Verbringer hinterzogenen Steuern und Abgaben weder aus der Tat noch für die Tat erlangt. Er erspart sich "aus der Tat" auch nicht Aufwendungen, nur weil er die Ware günstiger beziehen kann und wegen der Tat für die (zuvor) verkürzten Steuern gemäß § 71 AO haftet. Vielmehr erlangt der Steuerhehler, indem er Zigaretten, für die keine Tabaksteuer abgeführt wurde, ankauft oder sich sonst verschafft, zunächst die Zigaretten und durch den anschließenden Weiterverkauf den hieraus erzielten Erlös (vgl. BGH wistra 2011, 394). Die Aufwendungen des Steuerhehlers für den Erwerb der Zigaretten bleiben dabei unberücksichtigt (vgl. BGH NStZ 2011, 83 mwN).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten W. wird das Urteil des Landgerichts München II vom 17. September 2014, soweit es ihn betrifft, aufgehoben

a) im Strafausspruch und

b) hinsichtlich der Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird das Urteil zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten W. wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 2 AO in zehn Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem Strafbefehl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Daneben hat es gegen ihn wegen weiterer 42 Taten der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei eine zweite Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt. Zudem hat es gemäß § 111i Abs. 2 StPO festgestellt, dass hinsichtlich eines Betrages von 352.545,10 Euro nur deshalb nicht gegen ihn auf Verfall erkannt wird, weil Rechte Verletzter im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen.

Den nicht revidierenden Mitangeklagten K. hat das Landgericht wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in vier Fällen und wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zudem hat es gemäß § 111i Abs. 2 StPO festgestellt, dass gegen ihn in Höhe eines Betrages von 16.553,88 Euro Verfall nicht angeordnet wird, weil Rechte Dritter entgegenstehen.

Mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich der Angeklagte W. gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der Angeklagte W. im Zeitraum von Mai 2009 bis Januar 2014 in 52 Fällen insgesamt 8.937 Stangen unversteuerter und unverzollter Zigaretten, um diese gewinnbringend weiterzuveräußern. Die Zigaretten waren von anderen Personen von Russland aus auf dem Landweg über einen - nicht näher festgestellten - anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Deutschland "eingeführt" worden, ohne dass dabei Einfuhrumsatzsteuer, Zoll oder Tabaksteuer "abgeführt" wurden. Nach den Berechnungen des Landgerichts waren bei der "Einfuhr nach Deutschland" Einfuhrabgaben in Höhe von insgesamt mindestens 352.545,10 Euro, bestehend aus 30.886,27 Euro Zoll, 64.850,21 Euro Einfuhrumsatzsteuer und 256.808,62 Euro Tabaksteuer, "nicht abgeführt" worden. Der Angeklagte veräußerte die Zigaretten im Inland gewinnbringend an verschiedene Abnehmer weiter. Zu seinen Abnehmern gehörte der Mitangeklagte K., der auch von weiteren Lieferanten unverzollte und unversteuerte Zigaretten zum gewinnbringenden Weiterverkauf erwarb.

II.

Der Schuldspruch der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 2 AO) in insgesamt 52 Fällen wird von den Feststellungen getragen. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen, dass beim Verbringen der unversteuerten und unverzollten Zigaretten nach Deutschland durch andere Personen zu gewerblichen Zwecken jeweils Tabaksteuer verkürzt wurde (§ 370 Abs. 1 AO), weil an den Zigarettenpackungen entgegen § 17 Abs. 1 TabStG bzw. für die vor dem 1. April 2010 begangenen Taten entgegen § 12 Abs. 1 TabStG a.F. keine deutschen Steuerzeichen (Steuerbanderolen) angebracht waren. Sie belegen auch - dies kann der Feststellung "nicht abgeführt" (UA S. 11) entnommen werden - dass der Angeklagte W. als Empfänger entgegen § 23 Abs. 1 Satz 3 TabStG bzw. gemäß § 19 Satz 3 TabStG a.F. über die von ihm erworbenen Zigaretten nicht unverzüglich bei den Zollbehörden eine Steuererklärung abgab.

III.

Der Strafausspruch hat keinen Bestand.

Das Landgericht ist bei der Bestimmung des Schuldumfangs rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass sich die Taten der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei des Angeklagten auf Einfuhrabgaben bezogen, die bei der Einfuhr in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland hinterzogen worden waren.

Eine Einfuhr von Tabakwaren ist dann gegeben, wenn diese aus Drittländern oder Drittgebieten in das Steuergebiet gelangen, es sei denn, die Tabakwaren befinden sich beim Eingang in das deutsche Steuergebiet in einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 TabStG).

Keine Einfuhr liegt dagegen vor, wenn unversteuerte Tabakwaren aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union nach Deutschland verbracht werden.

Deshalb waren hier beim Verbringen der Zigaretten nach Deutschland durch die Lieferanten des Angeklagten weder Zölle noch Einfuhrumsatzsteuer (§ 21 Abs. 2 UStG) entstanden; sie konnten daher auch nicht verkürzt werden. Bei der entstandenen und verkürzten Tabaksteuer handelte es sich hier ebenfalls nicht um eine Einfuhrabgabe.

Allerdings belegen die Feststellungen, dass hinsichtlich der vom Angeklagten erworbenen Zigaretten tatsächlich Einfuhrabgaben verkürzt worden waren, nämlich bei der Einfuhr der aus Russland stammenden Zigaretten in das Gebiet der Europäischen Union. Jedoch fand diese Einfuhr nicht in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union statt, den das Landgericht nicht näher festgestellt hat; von dort aus wurden die Zigaretten auf dem Landweg nach Deutschland verbracht. Hinterzogen wurden damit die Einfuhrabgaben eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union. Zwar sind solche Einfuhrabgaben, die im Rahmen vorgelagerter Taten verkürzt wurden, grundsätzlich auch vom Straftatbestand der (gewerbsmäßigen) Steuerhehlerei erfasst (§ 374 Abs. 4 AO). Im vorliegenden Fall hatte jedoch das Landgericht das Verfahren gemäß § 154a Abs. 2 StPO beschränkt und dabei hinterzogene ausländische Verbrauchsteuern und Einfuhrabgaben aus dem Verfahren ausgeschieden (UA S. 22).

Die von dem Angeklagten begangenen Straftaten der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 2 AO) bezogen sich somit lediglich auf die beim Verbringen nach Deutschland hinterzogenen Tabaksteuern im Umfang von insgesamt 256.808,62 Euro und nicht, wie vom Landgericht angenommen, Einfuhrabgaben in Höhe von 352.545,10 Euro. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht niedrigere Einzel- und Gesamtstrafen verhängt hätte, wenn es lediglich die verkürzte deutsche Tabaksteuer berücksichtigt hätte. Es bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Strafzumessung.

IV.

Auch die Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat den Umfang des Erlangten unzutreffend bestimmt, indem es angenommen hat, der Angeklagte habe die von den Vortätern ersparten Aufwendungen für Steuern und Abgaben erlangt.

Zwar kann ein Täter auch dadurch etwas i.S.v. § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangen, dass er sich Aufwendungen erspart. Infolgedessen kann bei einer Steuerhinterziehung auch ein Betrag in Höhe nicht gezahlter Steuern dem Verfall von Wertersatz unterliegen (BGH, Beschluss vom 13. Juli 2010 - 1 StR 239/10, wistra 2010, 406), wobei allerdings der Verfallsanordnung regelmäßig Ansprüche des Steuerfiskus i.S.v. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen (BGH, Beschluss vom 28. November 2000 - 5 StR 371/00, NStZ 2001, 155). Das Landgericht hat jedoch nicht beachtet, dass der Steuerhehler die vom Verbringer hinterzogenen Steuern und Abgaben weder aus der Tat noch für die Tat erlangt. Er erspart sich "aus der Tat" auch nicht Aufwendungen, nur weil er die Ware günstiger beziehen kann und wegen der Tat für die (zuvor) verkürzten Steuern gemäß § 71 AO haftet. Vielmehr erlangt der Steuerhehler, indem er die Zigaretten ankauft oder sich sonst verschafft, zunächst die Zigaretten und durch den anschließenden Weiterverkauf den hieraus erzielten Erlös (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2011 - 1 StR 37/11, wistra 2011, 394). Die Aufwendungen des Steuerhehlers für den Erwerb der Zigaretten bleiben dabei unberücksichtigt (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 2010 - 1 StR 245/09, NStZ 2011, 83 mwN).

Ist der Steuerhehler auch Empfänger im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG, hat er daneben die Aufwendungen für die beim Verbringen der Zigaretten in das deutsche Steuergebiet entstandene Tabaksteuer erspart (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2011 - 1 StR 37/11, wistra 2011, 394). Die Hinterziehung von Tabaksteuer ist hier nach einer entsprechenden Verfahrensbeschränkung gemäß § 154a Abs. 2 StPO (UA S. 22) jedoch nicht mehr Verfahrensgegenstand.

V.

Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil diese von den Rechtsfehlern, die zur teilweisen Aufhebung des Urteils führen, nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Das Landgericht darf weitere Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht im Widerspruch stehen. Es wird dabei im Hinblick auf § 111i Abs. 2 StPO auch Gelegenheit haben, die von dem Angeklagten aus der Veräußerung der Zigaretten erlangten Erlöse zu bestimmen.

VI.

Eine Erstreckung der Aufhebung auf den nichtrevidierenden Mitangeklagten K. gemäß § 357 StPO kommt auch insoweit nicht in Betracht, als dieser ebenfalls wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 2 AO) verurteilt worden ist. Denn die beiden Angeklagten wurden nicht wegen derselben Taten im Sinne des § 264 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 1996 - 1 StR 509/96, BGHR StPO § 357 Erstreckung 6) verurteilt. Sie haben die Zigaretten von unterschiedlichen Lieferanten angekauft. Soweit der Mitangeklagte K. unversteuerte Zigaretten auch von dem Angeklagten W. angekauft hat, kommt eine Erstreckung der Aufhebung gemäß § 357 StPO jedenfalls deshalb nicht in Betracht, weil es an einem Zusammenwirken der Angeklagten in derselben Richtung fehlt (vgl. Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 357 Rn. 9).

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 362

Externe Fundstellen: NStZ 2015, 469

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel