HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 849
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 382/14, Beschluss v. 16.09.2014, HRRS 2014 Nr. 849
Das Verfahren wird zuständigkeitshalber an den 4. Strafsenat abgegeben.
Das Landgericht München II hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Darüber hinaus hat es ihm die Fahrerlaubnis und die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung entzogen und die Führerscheine eingezogen. Die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von drei Monaten keine neue Fahrerlaubnis und vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung zu erteilen.
Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe erstrebt.
Der 1. Strafsenat ist zur Entscheidung über die Revision der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs für das Geschäftsjahr 2014 nicht zuständig.
Zwar sind dem 1. Strafsenat Revisionen in Strafsachen u.a. für den Bezirk des Oberlandesgerichts München zugewiesen. Die abgeurteilte Tat fällt aber in die Zuständigkeit des 4. Strafsenats. Es handelt sich um eine Verkehrsstrafsache, für die gemäß Geschäftsverteilungsplan dieser Strafsenat zuständig ist.
1. Der Geschäftsverteilungsplan weist dem 4. Strafsenat die Revisionen in Verkehrsstrafsachen - einschließlich der Fälle, in denen eine Verkehrsordnungswidrigkeit mit anderen Straftaten zusammentrifft - zu (S. 16, dort Ziffer A. II.). Nach der von den Strafsenaten geübten Praxis sind "Verkehrsstrafsachen" nur solche Straftaten, durch die verkehrsrechtliche Strafbestimmungen (§§ 142, 315 bis 316 StGB) verletzt worden sind oder die Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten nach dem StVG, der StVO und der StVZO oder sich der strafrechtliche Vorwurf auf eine Verletzung straßenverkehrsrechtlicher Bestimmungen gründet, z.B. §§ 222, 229 StGB wegen nicht angepasster Geschwindigkeit oder Vorfahrtsverletzungen (BGH, Beschluss vom 17. Juni 1999 - 4 StR 216/99). Hat ein Angeklagter unter Verletzung straßenverkehrsrechtlicher Bestimmungen eine Körperverletzung oder eine fahrlässige Tötung begangen, ist die Zuständigkeit des 4. Strafsenats begründet.
2. Dem Angeklagten liegt zur Last, im öffentlichen Verkehrsraum eine Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) begangen zu haben, indem er als Taxifahrer mit seinem Taxi den von ihm abgewiesenen Fahrgast überrollt hat. Hierbei legt ihm das Landgericht die Verletzung straßenverkehrsrechtlicher Bestimmungen - § 1 Abs. 2 StVO - zur Last. Das Landgericht hat ausgeführt (UA S. 13), dass der Angeklagte den Tod des M. fahrlässig verursacht hat, "indem er ... gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen hat, sein Fahrzeug so zu führen, dass andere Personen dabei nicht geschädigt werden (§ 1 Abs. 2 StVO)."
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte als Taxifahrer in der Silvesternacht vom 31. Dezember 2012 auf den 1. Januar 2013 mit seinem Großraumtaxi unterwegs. Das Fahrzeug verfügte hinten über zwei Sitzreihen. Der Zustieg erfolgte über Schiebetüren. Der Angeklagte war auf dem Weg zu einer Kundin. Am Nachbarhaus der ihm telefonisch genannten Adresse wurde er von M. und seinen beiden Begleitern angehalten, die mit einem Taxi zum Bahnhof fahren wollten. M. war alkoholisiert. Er hatte eine Blutalkoholkonzentration von 1,02 Promille. Allerdings war er durch diese Alkoholisierung in seiner Urteilsfähigkeit und seinem Verhalten nicht wesentlich eingeschränkt. Der Angeklagte lehnte die Beförderung mit der Begründung ab, er könne sie wegen einer anderen Bestellung nicht mitnehmen. Währenddessen hatte M. die hintere rechte Schiebetür des Taxis geöffnet und war eingestiegen. Der Angeklagte forderte ihn auf, das Fahrzeug wieder zu verlassen. Während M. ausstieg, entspann sich ein Wortwechsel mit dem Angeklagten, da M. auf der Beförderung bestand. Unmittelbar nachdem M. das Taxi verlassen hatte und mit beiden Füßen auf der Straße stand, fuhr der Angeklagte mit seinem Taxi an, wobei die hintere rechte Schiebetür noch offen war. Dies war dem Angeklagten bewusst. M. wollte nun den Angeklagten dazu bewegen, das Taxi anzuhalten. Er griff mit seiner linken Hand durch die geöffnete Schiebetür in das Fahrzeug und hielt sich im Inneren fest. Dann lief er neben dem Fahrzeug her, wobei er sich mit dem Oberkörper halb im Fahrzeug befand, rief einige Male "Stopp!" und versuchte, sich in das Fahrzeug hineinzuziehen, während der Angeklagte das Fahrzeug beschleunigte. Der Angeklagte hörte die Rufe und bemerkte, dass M. an der offenen Tür neben dem Fahrzeug herlief. Gleichwohl setzte er seinen Beschleunigungsvorgang fort. Dabei nahm er in Kauf, dass das Taxi M. touchieren könnte, dieser möglicherweise zu Fall kommen und sich dabei durch Prellungen oder Abschürfungen leicht verletzen könnte. Mit diesen möglichen Folgen hatte sich der Angeklagte abgefunden. Ihm war bewusst, dass es auch zu einem schweren oder tödlichen Unfall kommen könnte, wenn das Fahrzeug die nebenherlaufende Person berühren sollte. Nach einigen Sekunden geriet M. ins Straucheln, löste seinen Griff im Inneren des Fahrzeugs und fiel hin. Im Fallen verhakte sich seine Jacke in der Schiebetüre, so dass er in eine horizontale Drehbewegung versetzt wurde, durch die sein Kopf unter das Fahrzeug geriet und vom rechten Hinterrad überrollt wurde. Er war sofort tot.
Das Landgericht führt in der rechtlichen Würdigung aus, der Angeklagte habe eine Verletzung M. s durch eine Berührung mit seinem Fahrzeug billigend in Kauf genommen und damit den Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) erfüllt. Er habe dessen Tod fahrlässig verursacht, indem er - abgesehen von der vorangegangenen Körperverletzung - gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen habe, sein Fahrzeug so zu führen, dass andere Personen dabei nicht geschädigt werden (§ 1 Abs. 2 StVO). Der Kausalverlauf (Sturz des Opfers durch die Weiterfahrt trotz der dicht neben dem Fahrzeug laufenden Person) und die mögliche Folge des Todes lägen nicht außerhalb der Lebenserfahrung und seien für den Angeklagten vorhersehbar gewesen. Bei rechtmäßigem Handeln (wenn der Angeklagte alsbald gebremst hätte, nachdem er bemerkte, dass M. in der offenen Tür neben seinem Fahrzeug herlief) wäre der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten.
Das Landgericht hat nach Abwägung für und gegen den Angeklagten sprechender Umstände einen minder schweren Fall der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 Abs. 2 StGB) angenommen.
b) Die Staatsanwaltschaft führt zur Begründung ihrer Revision aus, das Urteil weise - ohne hierdurch eine Beschränkung der allgemeinen Sachrüge vornehmen zu wollen - insbesondere folgende Mängel auf: Die Begründung des minder schweren Falls sei rechtsfehlerhaft. Das Landgericht habe die im Rahmen der Gesamtwürdigung maßgeblichen Aspekte nicht hinreichend erörtert und teilweise fehlerhaft gewichtet. So sei zu Gunsten des Angeklagten gewertet worden, dass dessen Vorsatz lediglich auf eine geringfügige Körperverletzung gerichtet gewesen sei. Zugleich aber sei festgestellt worden, dass dem Angeklagten auch bewusst gewesen sei, dass ein tödlicher Unfall die Folge sein könnte, wenn das beschleunigende Fahrzeug die nebenherlaufende Person berühren sollte. Die Schlussfolgerung, die zur Begründung des minder schweren Falles herangezogen worden sei, werde also durch die vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht getragen. Einerseits stelle das Landgericht fest, dass der Angeklagte die Möglichkeit des tödlichen Ausgangs im Falle einer Berührung zwischen dem Fahrzeug und dem Geschädigten erkannt und billigend in Kauf genommen habe, dass M. zu Fall kommen könnte. Andererseits fehlten der Kammer Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte den Tod des M. als mögliche Folge in Betracht gezogen und sich mit dieser Folge abgefunden hätte. Konkrete Gründe, warum das Landgericht lediglich davon ausging, dass der Angeklagte nur geringfügige Verletzungen als mögliche Folge seines Tuns billigend in Kauf nahm, habe es nicht genannt. Insoweit bestehe ein Erörterungsmangel. Weiterhin habe die Kammer im Rahmen der Prüfung des minder schweren Falls keine Feststellungen zum Grad der Fahrlässigkeit getroffen. Es bestünden jedoch Gründe, die dafür sprächen, dass dem Angeklagten ein erhöhtes Maß an Fahrlässigkeit zur Last zu legen sei.
Auch die Strafzumessung im engeren Sinne sei fehlerhaft, da das Landgericht strafmildernde Umstände zu Unrecht berücksichtigt und strafschärfende Aspekte nicht in ihre Abwägung eingestellt habe.
Eine korrekte Gewichtung der relevanten Strafzumessungskriterien hätte daher eine empfindlichere und mithin unbedingte Freiheitsstrafe nach sich gezogen, zumal dann auch die Anwendung des Regelstrafrahmens nahe gelegen hätte.
3. Auch wenn das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft auf den Strafausspruch beschränkt gewesen sein sollte, begründet dies die Zuständigkeit des 1. Strafsenats nicht. Sowohl bei einer wirksamen Rechtsmittelbeschränkung als auch bei einer unbeschränkten Revision besteht noch Entscheidungsbedarf.
Die Staatsanwaltschaft hat eingangs ihrer Revisionsbegründungsschrift die Verletzung materiellen Rechts gerügt und ausgeführt, das Urteil weise - ohne hierdurch die allgemeine Sachrüge zu beschränken - Mängel auf, die sie benennt. Sie hat die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt.
Aus der Revisionsbegründungsschrift ergibt sich zwar, dass die Revisionsführerin das Urteil deshalb für fehlerhaft hält, weil das Landgericht der Bemessung der Freiheitsstrafe zu Unrecht den Strafrahmen des minder schweren Falls nach § 227 Abs. 2 StGB zugrunde gelegt, das Maß der Pflichtwidrigkeit nicht erörtert, entsprechende Fehler auch bei der Strafzumessung im engeren Sinn begangen und die Freiheitsstrafe daher unangemessen milde bemessen habe. Dieser Vortrag würde lediglich den Strafausspruch berühren.
Andererseits führt die Staatsanwaltschaft aus, das Urteil sei in den Feststellungen widersprüchlich, weil es feststelle, dass dem Angeklagten bewusst gewesen sei, dass es zu einem tödlichen Unfall kommen könne, gleichzeitig aber festgestellt wird, dass sich der Angeklagte zwar mit leichten Verletzungen des Fußgängers abgefunden haben soll, nicht aber mit dessen Tod. Konkrete Gründe, warum das Landgericht davon ausging, dass der Angeklagte nur geringfügige Verletzungen billigend in Kauf genommen habe, nicht aber eine tödliche Verletzung, habe das Landgericht nicht benannt. Insoweit bestehe ein Erörterungsmangel.
Im Ergebnis rügt die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision - neben anderen Einwendungen gegen die Vollständigkeit und Gewichtung einzelner Strafzumessungserwägungen - auch eine rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung im Hinblick auf den von der Strafkammer als strafmildernd gewerteten Umstand, die Tat trage gewisse Züge eines Unglücksfalls, die Kammer habe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte den Tod M. s als mögliche Folge in Betracht gezogen und sich mit diesem Ergebnis abgefunden habe. Dieser Vortrag würde auch den Schuldspruch berühren.
War die Revision wirksam auf den Strafausspruch beschränkt, ist das Maß der Pflichtwidrigkeit, also die Schwere des Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 StVO, entscheidend für die Bemessung der Strafe. War sie nicht auf den Strafausspruch beschränkt, entscheidet das Maß der Pflichtwidrigkeit (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) über die anzuwendende Strafvorschrift.
Der 4. Strafsenat wurde zur Zuständigkeitsfrage angehört.
Der 1. Strafsenat gibt die Sache gemäß der im Geschäftsverteilungsplan getroffenen Regelung (S. 20, dort Ziffer A. VI. 1. a) an den 4. Strafsenat ab.
HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 849
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2014, 351
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel