HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 94
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 200/13, Beschluss v. 29.11.2013, HRRS 2014 Nr. 94
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 15. November 2012 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Der Angeklagte wurde wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Seine Revision ist auf eine Verfahrensrüge und die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützt. Sie bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Kern der Verfahrensrüge ist eine unzulängliche Protokollierung von Gesprächen, die zu einer Verständigung führen sollten (§ 257c StPO), aber letztlich ergebnislos blieben.
a) Zum Revisionsvortrag:
(1) Gestützt auf das Protokoll der Hauptverhandlung und zum Gegenstand des Revisionsvortrags gemachte Erklärungen der (mit dem Revisionsverteidiger nicht identischen) Instanzverteidiger trägt die Revision folgenden, auch von der Staatsanwaltschaft in der Revisionsgegenerklärung bestätigten Sachverhalt vor:
Nachdem es zuvor Gespräche im Sinne des § 257c StPO nicht gegeben hatte, kam es am ersten Verhandlungstag noch vor Beginn der Beweisaufnahme auf Initiative eines Verteidigers im Dienstzimmer des Vorsitzenden zu einem Gespräch zwischen den Berufsrichtern, dem Staatsanwalt und den Verteidigern. Dabei wurden "konkretere Strafen im Falle eines Geständnisses ... erörtert". Es wurden eine "Untergrenze" und eine Strafe "nach obenhin" in Aussicht gestellt. Die Verteidiger besprachen dies mit dem Angeklagten, der aber "auf seiner Unschuld beharrte" und nicht bereit war, ein Geständnis abzulegen. Dies wurde dem Gericht offenbar noch vor dem Wiedereintritt in die Hauptverhandlung mitgeteilt. Unmittelbar nach dem Wiedereintritt in die Hauptverhandlung erklärte der Vorsitzende zu Protokoll, dass zwischen den genannten Beteiligten über eine Verfahrensverständigung gesprochen worden sei, eine Verfahrensverständigung sei aber nicht zustande gekommen. Weitere Einzelheiten teilte er nicht mit.
Nachdem die Hauptverhandlung knapp einen Monat gedauert hatte, wies das Gericht gemäß § 257b StPO darauf hin, dass auf Grund des (näher erläuterten) bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht mehr eine Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sondern nur noch eine Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu erwarten sei. Auf dieser Grundlage wünschte die Verteidigung erneut ein Verständigungsgespräch. Vergleichbar dem ersten Gespräch kamen die (selben) Beteiligten letztlich wieder zu einem Ergebnis mit Strafober- und Strafuntergrenze; zu einer Verständigung kam es jedoch nicht, weil, so ein Instanzverteidiger in seiner von der Revision vorgelegten Erklärung, "der Angeklagte ohnehin nicht zur Abgabe eines Geständnisses bereit war". Auch in diesem Fall gab der Vorsitzende nur zu Protokoll, dass über die Möglichkeit einer Verständigung gesprochen worden sei.
Eine Verständigung kam auch im Verlauf der sich noch über mehrere Monate hinziehenden Hauptverhandlung nicht zustande, weitere Gespräche hierüber wurden nicht geführt. Der Angeklagte machte während der gesamten Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache.
(2) Die Revision meint, gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO wäre nicht nur das letztendliche Ergebnis der Gespräche zu Protokoll zu geben gewesen, sondern auch ihre Genese und ihr detaillierter Ablauf. Da dies in öffentlicher Sitzung hätte geschehen müssen, liege ein unter § 338 Nr. 6 StPO fallender Mangel vor, sodass es auf Weiteres nicht ankäme.
Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat die Revision unter Hinweis auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 (2 BvR 2628/10 u.a., StV 2013, 353 ff.) ausgeführt, es wäre - anders als dort entschieden (aaO Rn. 97) - "dogmatisch schlüssiger" (Schriftsatz vom 13. Juni 2013) bzw. die "dogmatisch kohärentere Lösung" (Schriftsatz vom 17. Juli 2013 gemäß § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) gewesen, bei (fehlender oder) unzulänglicher Protokollierung von Verständigungsgesprächen einen von § 338 Nr. 6 StPO erfassten Verfahrensverstoß anzunehmen. Das Urteil könne aber dennoch keinen Bestand haben. Nach den Maßstäben, die bei verfassungskonformer Gewichtung des geltend gemachten Mangels bei der Prüfung der Frage anzulegen seien, ob das Urteil auf diesem Mangel beruhen könne (BVerfG aaO Rn. 97, 98), sei ein Beruhen des Urteils (auch) hier nicht auszuschließen.
b) In Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt teilt der Senat die Auffassung, dass auch bei dem letztendlichen Scheitern von Verständigungsgesprächen über das bloße Ergebnis hinaus deren Inhalt ähnlich wie der Inhalt nicht gescheiterter Gespräche bekannt zu geben und zu protokollieren ist: Dies folgt letztlich aus dem Grundsatz der Transparenz, der das Recht der Verfahrensverständigung insgesamt beherrscht (BVerfG aaO Rn. 96 ff.; vgl. auch schon Senatsurteil vom 29. November 2011 - 1 StR 287/11 Rn. 12 mwN).
c) Der Senat lässt offen, ob angesichts der genannten Ausführungen in den Schriftsätzen vom 13. Juni 2013 und 17. Juli 2013 die zunächst angebrachte Rüge, es liege ein von § 338 Nr. 6 StPO erfasster Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz vor, überhaupt noch als aufrecht erhalten angesehen werden kann. Selbst wenn dies so wäre, griffe § 338 Nr. 6 StPO nicht ein. Eine solche Annahme ist, wie auch die Revision nicht verkennt, ausweislich des genannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. Auch andere Gründe führen nicht zu diesem Ergebnis. Dies hat der Bundesgerichtshof bereits für den Fall entschieden, dass überhaupt nicht bekanntgegeben wurde, ob Gespräche i.S d. § 257c StPO stattgefunden haben oder nicht (BGH, Beschluss vom 3. September 2013 - 1 StR 237/13 mwN). Für die hier vorliegende Fallgestaltung, dass zwar die Durchführung von Gesprächen und deren Ergebnislosigkeit in der Hauptverhandlung mitgeteilt wurde, nicht aber der detaillierte Ablauf der Gespräche, kann nichts anderes gelten.
d) Die Revision hat auch keinen Erfolg, soweit sie unter Hinweis auf die genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (aaO Rn. 98) geltend macht, selbst wenn § 338 Nr. 6 StPO nicht eingriffe, sei ein Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Dokumentationsmangel nicht auszuschließen.
(1) Es bestehen schon aus formalen Gründen Zweifel, ob der Senat in eine entsprechende Prüfung eintreten kann:
Dies folgt daraus, dass der Revisionsführer die sog. Angriffsrichtung seiner Rüge eindeutig bestimmen muss. Eine Rüge ist vom Revisionsgericht nur insoweit zu prüfen, wie diese Bestimmung reicht. Das Revisionsgericht überprüft nämlich nicht von sich aus die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens, sondern nur form- und fristgerecht geltend gemachte konkrete Verfahrensrügen (st. Rspr.; vgl. insgesamt zusammenfassend Cirener NStZ-RR 2012, 65, 66 m. zahlr. Nachw.). Es ist fraglich, ob die Rüge, der Öffentlichkeitsgrundsatz sei verletzt, weil ein Vorgang außerhalb der Hauptverhandlung nicht in gebotener Breite in der öffentlichen Hauptverhandlung zu Protokoll gegeben worden sei, zugleich die Rüge enthält, die unzulängliche Protokollierung habe den Angeklagten (möglicherweise) zu einem für ihn im Ergebnis nachteiligen Prozessverhalten veranlasst. Wäre dies zu verneinen, wäre die Rüge hinsichtlich einer möglichen Veranlassung zu nachteiligem Prozessverhalten unbeachtlich, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 345 StPO angebracht wurde (vgl. zusammenfassend Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 352 Rn. 15). Der Umstand, dass das spätere Vorbringen auf neuerer Rechtsprechung beruht, würde daran nichts ändern (in vergleichbarem Sinne BGH, Beschluss vom 27. Juni 2001 - 1 StR 210/01 zur Frage, ob das Bekanntwerden neuerer gerichtlicher Entscheidungen Grundlage einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sein kann).
(2) Unabhängig von alledem hätte die Rüge aber auch sonst keinen Erfolg.
(a) Die Auswirkung unzulässiger Protokollierung von Verständigungsgesprächen betreffen im Kern Auswirkungen auf das Aussageverhalten des Angeklagten, das von einer Verständigung regelhaft tangiert sein wird (vgl. § 257c Abs. 2 Satz 2 StPO). Der Angeklagte soll autonom und daher nur auf der Grundlage umfassender (und angesichts ihrer Bedeutung auch umfassend protokollierter) Unterrichtung durch das Gericht über die regelmäßig in seiner Abwesenheit durchgeführten Gespräche darüber entscheiden, ob er den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit aufgibt und sich mit einem Geständnis des Schweigerechts begibt (BVerfG aaO Rn. 112).
All dies ist hier nicht einschlägig, weil der Angeklagte trotz der nur unzulänglich protokollierten Unterrichtung durch das Gericht hier den Schutz seiner Selbstbelastungsfreiheit nicht aufgegeben hat und sich nicht seines Schweigerechts begeben hat.
(b) Die aufgezeigten Gesichtspunkte gelten jedoch nicht nur für die Überprüfung verständigungsbasierter Urteile (BVerfG aaO Rn. 96), sondern auch bei Urteilen, denen zwar keine Verständigung i.S.d. § 257c StPO zu Grunde liegt, bei denen aber nicht auszuschließen ist, dass sie auf eine gesetzwidrige informelle Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgehen (BVerfG aaO Rn. 98). Auch dies ist hier nicht einschlägig. Auch wenn eine solche Möglichkeit vielfach nicht auszuschließen sein wird (aaO), so gilt hier anderes. Die Gespräche als solche wurden nicht geheim gehalten. Dass ihr Inhalt nicht auf eine wie auch immer geartete inhaltlich unzulässige Absprache gerichtet war, ergibt sich aus den Erklärungen der Instanzverteidiger, die zum Gegenstand des Revisionsvortrages gemacht wurden. Dementsprechend heißt es in der Revisionsbegründung auch zusammenfassend, dass es ausweislich der anwaltlichen Erklärungen Angebote zu gesetzeswidrigen Verständigungen nicht gab. Wenn aber die Revision ausdrücklich vorträgt, dass eine bestimmte Konstellation aus tatsächlichen Gründen nicht vorlag, so kann das Revisionsgericht seiner Entscheidung nicht diese ausdrücklich ausgeschlossene Möglichkeit zu Grunde legen.
(c) Der Senat hat schließlich auch erwogen, ob der Angeklagte durch die unzulänglich protokollierte Unterrichtung durch das Gericht zu seinem Nachteil davon abgehalten worden sein könnte, sich (auch jenseits einer Verständigung) zur Sache einzulassen. Grundsätzlich kann ein Urteil auch darauf beruhen, dass als Folge eines Rechtsfehlers Erklärungen unterblieben sind. Dementsprechend verweist das Bundesverfassungsgericht (aaO Rn. 97) im Rahmen seiner Ausführungen zu den verfassungsrechtlich gebotenen Maßstäben bei der Prüfung einer Auswirkung von Verstößen gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten (Beruhensprüfung) vergleichend auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 21, 288, 290; 22, 278, 280) zu entsprechenden Maßstäben bei Verfahrensfehlern im Zusammenhang mit dem letzten Wort (§ 258 StPO). Auch insoweit geht es darum, dass wegen eines Verfahrensverstoßes Äußerungen möglicherweise unterblieben sind.
Dennoch greift auch dieser Gesichtspunkt hier nicht durch. Ausweislich der in der Revisionsbegründung mitgeteilten anwaltlichen Erklärungen war der Angeklagte "ohnehin" zu geständigen Angaben nicht bereit, weil er (durch Schweigen) auf seiner "Unschuld beharrte". Wollte der Angeklagte aber "ohnehin" solche Angaben nicht machen, war er also keinesfalls hierzu bereit, kann seine Entscheidung nicht darauf beruhen, dass er nicht auch vom Gericht umfassend über den Ablauf der Gespräche unterrichtet worden war. Auch in diesem Zusammenhang gilt der bereits genannte Grundsatz, dass das Revisionsgericht seinen Überlegungen nicht eine tatsächliche Möglichkeit (Entscheidung des Angeklagten kann auf mangelnde Unterrichtung zurückgehen) zu Grunde legen kann, die hinsichtlich der in Rede stehenden (inneren) Tatsache mit dem Revisionsvorbringen (Entscheidung des Angeklagten wurde hiervon nicht beeinflusst) unvereinbar wäre.
2. Die nicht näher ausgeführte Sachrüge ist unbegründet, ohne dass dies weiterer Darlegung bedürfte.
HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 94
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2014, 85; StV 2014, 651
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel