hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 1017

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 442/12, Beschluss v. 25.09.2012, HRRS 2012 Nr. 1017


BGH 1 StR 442/12 - Beschluss vom 25. September 2012 (LG München I)

Spezialitätsgrundsatz (Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl; andere Handlung; Abweichung bei den Tatzeiten: bloße Schreibfehler).

§ 11 IRG; § 83h Abs. 1 IRG; Art. 27 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ein Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz liegt auch nach Art. 27 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten nicht vor, wenn die Tatzeiten im Europäischen Haftbefehl mit denen nach den Urteilsfeststellungen im Anordnungsstaat übereinstimmen.

2. Es bleibt offen, inwieweit ein Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz bei Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls, wobei es sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union um kein Verfahrens-, sondern um ein Vollstreckungshindernis und ein Verbot freiheitsbeschränkender Maßnahmen handelt, grundsätzlich revisionsgerichtlicher Prüfung unterliegt und ob es dazu jedenfalls der Erhebung einer Verfahrensrüge bedarf.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 21. März 2012 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Der Beschwerdeführer ist wegen keiner "anderen Handlung" im Sinne des Art. 27 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 190 vom 18. Juli 2002, S. 1 ff.) verurteilt worden als derjenigen, die seiner Übergabe zugrunde lag. Ungeachtet der geltend gemachten Abweichungen zwischen der ungarischen Bewilligungsentscheidung und dem Urteil hinsichtlich der Tatzeiten - wobei der Generalbundesanwalt zurecht darauf hinweist, dass es sich ersichtlich um bloße Schreibfehler handelt, wie ein Vergleich der Beschreibung der Taten (z.B. Kfz-Kennzeichen und Tatorte) zeigt - stimmen die Tatzeiten im Europäischen Haftbefehl mit denen nach den Urteilsfeststellungen überein (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - C-388/08 Rn. 59, NStZ 2010, 35 mit Anm. Heine; BGH, Beschluss vom 2. November 2010 - 1 StR 544/09 Rn. 14, BGHR IRG § 83h Abs. 1 Nr. 1 Spezialitätsgrundsatz 2). Unter keinem Gesichtspunkt ergibt sich daher eine Änderung der Art der Straftat oder ein Grund für ein Absehen von der Vollstreckung nach den Art. 3 und 4 des Rahmenbeschlusses (vgl. zu diesem Maßstab EuGH aaO Rn. 57, siehe auch Heine aaO S. 40).

Deswegen braucht der Senat nicht zu entscheiden, inwieweit ein Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz bei Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls, wobei es sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union um kein Verfahrens-, sondern um ein Vollstreckungshindernis und ein Verbot freiheitsbeschränkender Maßnahmen handelt (EuGH aaO Rn. 70 ff.; BGH, Beschluss vom 27. Juli 2011, 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100; Beschluss vom 9. Februar 2012, 1 StR 148/11, NJW 2012, 1302), grundsätzlich revisionsgerichtlicher Prüfung unterliegt (dies verneinend Heine aaO S. 40; vgl. aber BGH, Beschluss vom 27. Juli 2011, 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100 zu Fallkonstellationen, in denen die revisionsgerichtliche Entscheidung unmittelbar die Vollstreckung beeinflusst) und ob es dazu jedenfalls der Erhebung einer Verfahrensrüge bedarf.

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 1017

Bearbeiter: Karsten Gaede