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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 201

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 378/12, Beschluss v. 22.11.2012, HRRS 2013 Nr. 201


BGH 1 StR 378/12 - Beschluss vom 22. November 2012 (LG Baden-Baden)

Räuberischer Diebstahl (Betroffenheit auf frischer Tat); räuberische Erpressung; Diebstahl (Verhältnis zu einer anschließenden Nötigung: keine Tateinheit begründende Klammerwirkung des unerlaubten Führens einer verbotenen Waffe).

§ 252 StGB; § 255 StGB; § 240 StGB; § 242 Abs. 1 StGB; § 52 Abs. 1 StGB; § 52 Abs. 1 WaffG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der zwischen der Wegnahme der Beute einerseits und der Besitzverteidigung mit den Raubmitteln andererseits erforderliche unmittelbare, insbesondere Zusammenhang bei § 252 StGB ist nicht gegeben, wenn der Täter erst beim Ansichnehmen der versteckten Beute betroffen wird.

2. Räuberische Erpressung kommt regelmäßig in Betracht, wenn ein dem Transportunternehmer unbekannter Fahrgast gewaltsam seine Flucht erzwingt und so verhindert, dass der gegen ihn bestehende Fahrpreisanspruch durchgesetzt werden kann

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 26. März 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Der Angeklagte wurde wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer verbotenen Waffe und Erschleichen von Leistungen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Die Strafkammer hat festgestellt:

Der Angeklagte fuhr am frühen Morgen des 9. Januar 2011 ohne Fahrkarte im Nachtzug Richtung Zürich. Mit einem unbekannten Mittäter hat er - so wie auch oft schon früher - dort insgesamt zwei schlafenden Reisenden Bargeld, ein Mobiltelefon und Ausweise gestohlen. Dabei führte er ein Springmesser mit einer Klingenlänge von ca. 10 bis 15 cm mit sich. Da er von Abteil zu Abteil lief, fiel er gegen 4.50 Uhr im Schlafwagen einem Zugbegleiter auf. Der Zugbegleiter war vor einigen Jahren schon einmal mit dem Angeklagten in einem Zug zusammengetroffen. Auch damals bestand offenbar ein Diebstahlsverdacht, ein Nachweis konnte aber letztlich nicht erbracht werden. Jedenfalls wollte der Zugbegleiter die Fahrkarte des Angeklagten sehen, die dieser nicht vorweisen konnte.

Zunächst gingen der Angeklagte und der Zugbegleiter zum nicht jedermann zugänglichen Gepäckabteil des Fahrradwagens, wo der Mittäter war, der auch keine Fahrkarte hatte. Von dort gingen der Angeklagte und sein Mittäter an dem Zugbegleiter vorbei zu einem anderen Wagen. Dabei hatten sie mehrere Jacken über dem Arm, in denen sich das Diebesgut befand. Da sich der Zugbegleiter nicht mit "Ausreden" zufrieden gab, zog der Angeklagte die Notbremse, um "mit dem Diebesgut flüchten zu können und seine Identifizierung ... zu verhindern". Der Mittäter konnte den Zug verlassen. Auch der Angeklagte drängte zum Ausgang und drückte den Zugbegleiter an die Wand. Als der Angeklagte auf dem Trittbrett stand, lagen die Jacken mit dem Diebesgut auf dem Boden. Der Angeklagte und der Zugbegleiter griffen nach den Jacken. Der Angeklagte zog das Messer, ließ die Klinge herausschnellen und hielt es drohend gegen den Zugbegleiter. Dieser wehrte sich, am Ende lag das Messer auf dem Boden. Der Angeklagte stürzte aus dem Zug, konnte aber noch die Jacken und das Messer ergreifen. Er flüchtete und konnte erst später in Ungarn verhaftet werden.

2. Dieser Sachverhalt trägt den Schuldspruch wegen räuberischen Diebstahls nicht.

Der Angeklagte hat zwar die Diebesbeute mit Raubmitteln verteidigt, er war aber nicht "auf frischer Tat" betroffen worden.

Dies folgt schon daraus, dass sein Besitz an der Diebesbeute nicht unmittelbares Ergebnis der Wegnahme beim Diebstahl (den Diebstählen) war. Er hatte die Diebesbeute vielmehr zwischenzeitlich im Gepäckabteil versteckt und später dort wieder an sich genommen. Der zwischen der Wegnahme der Beute einerseits und der Besitzverteidigung mit den Raubmitteln andererseits erforderliche unmittelbare Zusammenhang war daher nicht gegeben, es fehlt hier schon an dem erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Diebstahl (den Diebstählen) und dem Einsatz von Raubmitteln zur Beutesicherung (vgl. Eser/Bosch in Schönke/Schröder, 28. Aufl., § 252 StGB Rn. 4).

Hierfür spricht schon allein der Zeitraum, der für das vom Zugbegleiter beobachtete Geschehen - vom auffälligen Herumlaufen des Angeklagten bis zu dem Kampf um die Jacken - erforderlich war. Es kommt jedoch auch noch der Zeitraum ab den Diebstählen hinzu; der genaue Zeitpunkt der Diebstähle ist jedoch nicht festgestellt und es liegt auch nicht nahe, dass er festgestellt werden könnte.

3. Ist räuberischer Diebstahl zu verneinen, so handelt es sich bei dem Kampf um die Jacken um Nötigung. Während zwischen einem räuberischen Diebstahl und den Diebstählen (mit Waffen) Gesetzeseinheit bestehen würde (vgl. Fischer, 59. Aufl., § 252 Rn. 12), bestünde zwischen den Diebstählen (mit Waffen) und einer Nötigung Tatmehrheit.

Der neue zur Entscheidung berufene Tatrichter wird jedoch erwägen, ob neben einer Nötigung zugleich (schwere) räuberische Erpressung vorliegen könnte. Dies kommt regelmäßig in Betracht, wenn ein dem Transportunternehmer unbekannter Fahrgast gewaltsam seine Flucht erzwingt und so verhindert, dass der gegen ihn bestehende (hier gemäß § 12 EVO erhöhte) Fahrpreisanspruch durchgesetzt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2006 - 3 StR 279/06).

4. Im Übrigen bemerkt der Senat zu den Konkurrenzen:

Das hier abgeurteilte Dauerdelikt des Verstoßes gegen das Waffengesetz kann nicht für sich genommen selbständige, schwerwiegendere Delikte, wie etwa Verbrechen, zu Tateinheit verklammern (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2012 - 1 StR 386/11 mwN).

5. Für eine teilweise Aufrechterhaltung des Urteils ist unter den gegebenen Umständen kein Raum.

Der neue Tatrichter wird vielmehr auf der Grundlage selbst getroffener Feststellungen insgesamt - unter Berücksichtigung des Spezialitätsgrundsatzes (§ 83h IRG; vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2010 - 1 StR 544/09 mwN) - umfassend neu zu entscheiden haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 201

Externe Fundstellen: StV 2013, 445

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel