HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 200
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 336/12, Urteil v. 04.12.2012, HRRS 2013 Nr. 200
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 13. Februar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben; ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichteten, auf die jeweils näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger, mit denen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes erstrebt wird, haben weitgehend Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Angeklagte unterhielt seit 2002 zu dem späteren Tatopfer C. eine Liebesbeziehung. Ende Mai 2011 beendete C. diese Beziehung und wandte sich dem Zeugen B. zu. Der Angeklagte fühlte sich emotional und, weil er während der Beziehung nicht unerhebliche materielle Aufwendungen für C. getätigt hatte, auch finanziell ausgenutzt.
Bereits am 1. Juli 2011, dem Tag vor der Tat, suchte er "in aufgebrachter Stimmung" das früher gemeinsam, nun allein von C. bewohnte Haus in S. auf, in dem sich zu diesem Zeitpunkt auch B. aufhielt. Dabei hatte er zunächst versucht, mit einer Leiter ins Obergeschoss des Hauses zu gelangen, weil ihm zuerst der Zugang von C. verwehrt worden war. Nachdem sie ihn dann doch eingelassen hatte, kam es zu einer zunächst verbalen Auseinandersetzung, in deren Folge der Angeklagte C. ins Gesicht schlug und mit den Worten "Hure" und "Schlampe" beleidigte. Dann drohte er ihr unter Vorhalt eines Messers, sie zu erstechen, und später noch, sie zu erschießen. Hierauf reagierte C. "völlig unaufgeregt". Es gelang ihr, den Angeklagten zu beruhigen, wobei sie ihm auch eine betragsmäßig noch nicht näher bestimmte Entschädigung für seine finanziellen Aufwendungen zusagte.
Am Morgen des 2. Juli 2011, einem Samstag, traf der Angeklagte gegen 9.00 Uhr erneut "in erregter Stimmung" auf B. auf dem Parkplatz eines Hotels und verwickelte diesen in ein Streitgespräch. Er beruhigte sich erst, als B. ihm mitteilte, dass er die Nacht allein verbracht habe, und ließ C. ausrichten, er wolle sich mit ihr um 11.00 Uhr in seinen Büroräumen treffen, um Einzelheiten der finanziellen Entschädigung zu regeln. Dabei stellte er B. frei, ebenfalls bei dem Gespräch anwesend zu sein.
Nachdem das Treffen telefonisch auf 13.00 Uhr verschoben worden war, trafen C. und B. gegen 13.00 Uhr in den Büroräumen des Angeklagten in E. ein. Der Angeklagte schloss, nachdem B., C. und er das Büro betreten hatten, die Tür von innen ab und warf die Schlüssel auf einen im Eingangsbereich stehenden Schreibtisch. Er forderte B. und C. auf, sich zu setzen, was diese auch taten. Anschließend holte er einen zuvor im hinteren Teil des Büros versteckten, geladenen Revolver und setzte sich B. und C. gegenüber an den Schreibtisch. Er beabsichtigte, C. unter Vorhalt der Waffe zu einem schriftlichen Schuldanerkenntnis über 28.000 Euro und zu der Zusicherung zu zwingen, sich bis zu ihrem Wegzug aus S. dort nicht mehr mit B. in der Öffentlichkeit zu treffen. Nach den Feststellungen der Kammer war der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Tötung seiner früheren Lebensgefährtin entschlossen, hielt es jedoch für möglich, "in eine Situation kommen zu können, in der er von der Schusswaffe - gegen C. und gegen sich selbst - Gebrauch machen würde".
Trotz Vorhalts der Waffe blieb C. "völlig ruhig" und signalisierte dem Angeklagten, dass sie allenfalls bereit sei, seinen finanziellen, jedoch nicht den übrigen Forderungen nachzukommen; auch werde sie nichts unterschreiben. Hierauf begann eine etwa halbstündige verbale Auseinandersetzung, während derer der Angeklagte sich mehr und mehr in Rage redete. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, bedrohte er C. mehrfach unter Vorhalt der Waffe mit dem Tod und verlas ein vorgefertigtes Testament, "um den Eindruck zu erwecken, dass er bereits mit dem Leben abgeschlossen habe". C. blieb dennoch gelassen, da 6 7 sie sich sicher war, den Angeklagten, der bis zum Vortag nie gegen sie tätlich geworden war, erneut beruhigen zu können.
Diese Gelassenheit und C. s Bitte, er möge doch zum Rauchen einen Aschenbecher benutzen, kränkten den Angeklagten bis aufs Äußerste. Er "schrie und tobte herum, er sei sein ganzes Leben lang ausgenutzt und gedemütigt worden". Auf erneuten Vorhalt der Waffe sagte C., die sich noch immer nicht ernstlich in Gefahr wähnte: "R., dann musst Du tun, was Du tun musst". Hierauf setzte ihr der Angeklagte, der nun entschlossen war, sie zu töten, seine Waffe an den Kopf und drückte ab. Dann begab er sich, ohne B. weiter zu beachten, in den hinteren Bereich des Büros und schoss sich in die rechte Schläfe, um auch sich zu töten. Nachdem er am Boden lag, gelang es B., den Revolver zur Seite zu schieben und mit den zu Boden gefallenen Schlüsseln die Tür zu öffnen.
C. verstarb gegen 15.43 Uhr desselben Tages im Klinikum Freiburg. Der Angeklagte erlitt durch den selbst beigebrachten Kopfschuss multiple Kopfverletzungen, die zu dauerhafter Erblindung, Schwerhörigkeit, Anosmie, Konzentrations- und Schlafstörungen sowie Schwindelanfällen führten.
Die insoweit sachverständig beratene Kammer hat bei dem Angeklagten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und histrionischen Persönlichkeitsmerkmalen (ICD-10:F61.0) festgestellt, die sich in einem überhöhten Selbstbild, mangelndem Empathievermögen und besonderer Empfindlichkeit gegenüber Kränkungen ausdrücke. Die Störung habe aber weder allein noch in Verbindung mit seiner im Tatzeitpunkt bestehenden affektiven Erregung zu einer Verminderung seiner Fähigkeit zu normgerechtem Verhalten geführt.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags (§ 212 StGB) verurteilt. Eine Verurteilung wegen Mordes (§ 211 StGB) hat es hingegen abgelehnt.
Nach Auffassung der Strafkammer erfüllt das Verhalten des Angeklagten insbesondere nicht das Mordmerkmal der Heimtücke, denn er habe nicht den Willen gehabt, die Arg- und Wehrlosigkeit von C. zu deren Tötung auszunutzen. Vielmehr sei er "unentwegt darum bemüht" gewesen, ihre Arglosigkeit zu beseitigen; er habe gewollt, "dass sie ihn ernst nehmen sollte".
Die Tötung sei auch nicht aus niederen Beweggründen begangen worden. Nicht Eifersucht, sondern die durch das Verhalten von C. erlittene Demütigung sei bestimmendes Motiv des Handelns des Angeklagten gewesen. Das Gefühl, "sowohl in emotionaler als auch in finanzieller Hinsicht ausgenutzt worden zu sein", sei nachvollziehbar, ebenso der Versuch, die Kränkung "durch einen finanziellen Ausgleich gleichsam abzumildern". Zudem sei der Tatentschluss vor dem Hintergrund der krankheitswertig narzisstischen Persönlichkeit des Angeklagten zu bewerten. Er habe infolge des "aus seiner Sicht nicht hinnehmbaren Gesichtsverlustes" letztlich subjektiv "gar keine andere Möglichkeit mehr" gehabt, als zu schießen. Aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung sei er auch nicht in der Lage gewesen, eine etwaige Niedrigkeit seiner Beweggründe zu erkennen und zu beherrschen.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage haben im Wesentlichen Erfolg. Beide beanstanden zu Recht, dass das Landgericht die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe abgelehnt hat.
1. Beim Mordmerkmal der Heimtücke (§ 211 Abs. 2 StGB) ist die Kammer - mit revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Begründung - davon ausgegangen, dass C. im Zeitpunkt der Abgabe des Schusses arg- und wehrlos war. Rechtsfehlerhaft hat der Tatrichter jedoch in der Folge das Bewusstsein des Angeklagten verneint, diese Arg- und Wehrlosigkeit zur Tötung ausgenutzt zu haben.
Das subjektive Merkmal des Ausnutzungsbewusstseins liegt vor, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers in ihrer Bedeutung für dessen hilflose Lage und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634 ff. mwN; Urteile vom 10. November 2004 - 2 StR 248/04, NStZ 2005, 688 ff.; vom 20. Juli 2004 - 1 StR 145/04; vom 30. April 2003 - 2 StR 503/02, NStZ 2003, 535 ff. mwN; vom 20. April 1989 - 4 StR 87/89, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 9 mwN).
Eines darüber hinausgehenden, voluntativen Elements in dem Sinne, dass der Täter die Arglosigkeit des Opfers für seine Tat instrumentalisieren oder anstreben muss, bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 20. April 1989 - 4 StR 87/89, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 9 mwN). Das Landgericht durfte deshalb das Ausnutzungsbewusstsein nicht mit der Begründung ablehnen, der Angeklagte habe "nicht den Willen" gehabt, die Arglosigkeit C. s zur Tötung auszunutzen (UA S. 25), bzw., er habe die Arg- und Wehrlosigkeit C. s nicht "ausnutzen wollen" (UA S. 25 f.).
Gleichsam fehlerhaft ist die Erwägung der Strafkammer, der Angeklagte habe sich darum bemüht, die Arglosigkeit C. s zu beseitigen (UA S. 25). Denn wenn es schon grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob der Täter die Arglosigkeit seines Opfers anstrebt, ist auch ein entgegengesetzter Wille unbeachtlich; der Täter muss nur erkennen, dass das Opfer arglos ist und sich deshalb des Angriffs auf sein Leben nicht oder nur in geringerem Umfang erwehren kann.
2. Auch die Prüfung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe leidet an einem durchgreifenden Rechtsfehler. Bezüglich der Anforderungen an die subjektive Tatseite geht die Kammer von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab aus.
Der Vertreter der Nebenkläger, RA Prof. Dr. W., hat in seiner Revisionsbegründung hierzu u.a. ausgeführt:
"Rechtlich fehl geht auch die Hilfserwägung der Kammer, wonach jedenfalls die subjektive Seite des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe nicht gegeben sei. ... Bei der Prüfung der niedrigen Beweggründe ist erforderlich und zugleich genügend, dass der Täter die Umstände kennt und bewusst erfasst, welche die Bewertung seines Handlungsantriebes als niedrig begründen. Dagegen braucht er ihre Bewertung als weder niedrig vorzunehmen noch nachzuvollziehen; auf seine eigene Einschätzung oder rechtsethische Bewertung kommt es nicht an (BGHSt 6, 329, 331; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 6, 13, 15, 23, 24; st. Rspr.)."
Dem ist vom Senat nichts hinzuzufügen.
Diese Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen. Ausgenommen sind die - rechtsfehlerfrei - getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die bestehen bleiben können. Der neue Tatrichter kann ergänzende, nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen; die subjektive Tatseite ist neu festzustellen.
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 200
Externe Fundstellen: NStZ 2013, 339; NStZ 2013, 470
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel