HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 667
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 289/12, Beschluss v. 26.06.2012, HRRS 2012 Nr. 667
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 26. Januar 2012 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Schmuggels gemäß § 373 Abs. 1 AO in 63 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
Die Einzelstrafen hat es jeweils dem Strafrahmen für minder schwere Fälle entnommen, der - wie der Grundtatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 AO) - Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vorsieht (§ 373 Abs. 1 Satz 2 AO).
Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg, denn die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
1. Nach den Feststellungen wirkte der Angeklagte im Zeitraum von Oktober 2006 bis einschließlich Oktober 2009 am Handel mit Keramikmonolith aus Fahrzeugkatalysatoren mit, der auf dem Luftweg aus Nigeria angeliefert wurde und im Inland an Recyclingfirmen, die der Angeklagte zunächst selbst ausfindig zu machen hatte, gewinnbringend weiterverkauft wurde. Als Bezahlung erhielt der jeweils im eigenen Namen handelnde Angeklagte eine gewichtsabhängige Provision. Nach dem Weiterverkauf der Ware zahlte der Angeklagte den von den Recyclingfirmen erhaltenen Kaufpreis abzüglich Umsatzsteuer in bar an Mittelsmänner der nigerianischen Lieferfirmen aus. Um möglichst große Gewinne aus den Geschäften nach Afrika zurücktransferieren zu können und hohe Einfuhrabgaben zu vermeiden, gab der Angeklagte jeweils bei den von ihm oder durch Bevollmächtigte bei der Einfuhr am Flughafen Frankfurt abgegebenen Zollanmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr einen zu niedrigen Warenwert an. Hierdurch wurde bei der Einfuhr des Keramikmonolith mindestens Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insgesamt 814.265,42 Euro zu niedrig festgesetzt und dadurch verkürzt. Die nach dem Weiterverkauf auf die Verkaufserlöse zu entrichtende Umsatzsteuer führte der Angeklagte "zeitnah und in vollem Umfang" an die Finanzbehörden ab.
2. Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Schmuggels (§ 373 Abs. 1 AO).
a) Durch die inhaltlich unrichtigen Zollanmeldungen hat der Angeklagte Einfuhrumsatzsteuer hinterzogen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 11 Abs. 1, § 21 Abs. 2 UStG, Art. 28, 29, 59 Abs. 1, Art. 79, 217 ZK).
b) Das Landgericht hat den Schuldumfang zutreffend bestimmt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Angeklagte jeweils die beim Weiterverkauf der Waren anfallende Umsatzsteuer anmeldete und dass er dabei gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG hinsichtlich der entrichteten Einfuhrumsatzsteuer zum Vorsteuerabzug berechtigt war. Denn dieser Vorsteuerabzug lässt die im Rahmen der Zollanmeldung bei Einfuhr der Waren begangene Hinterziehung der Einfuhrumsatzsteuer unberührt und führt bei Abführung der geschuldeten Umsatzsteuern an die Finanzbehörden nach der Weiterveräußerung allenfalls zu einer Schadenswiedergutmachung.
Zwar ist der Anspruch auf Vorsteuererstattung verfahrensrechtlich ein unselbständiger Anspruch. Denn bei der Berechnung und Festsetzung der Umsatzsteuer bilden die nach § 16 Abs. 1 UStG berechnete Umsatzsteuer und die Summe der Vorsteuerabzugsansprüche im Sinne des § 16 Abs. 2 UStG unselbständige Besteuerungsgrundlagen, deren Saldo die für den Besteuerungszeitraum zu berechnende Steuer gemäß § 18 Abs. 1 UStG darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 1989 - 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100). Dies gilt hier aber erst für die Berechnung der Steuer nach Weiterveräußerung der Waren im Rahmen der dann gemäß § 18 Abs. 1 UStG abzugebenden Umsatzsteuervoranmeldungen.
Im Rahmen der Zollanmeldungen bei Einfuhr der Waren, die allein Gegenstand der Verurteilung sind, findet kein Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG statt.
Die Umsatzbesteuerung bei der Einfuhr der Waren und der Vorsteuerabzug nach deren Weiterveräußerung beruhen mithin auf unterschiedlichen wirtschaftlichen Sachverhalten, die nicht nur zeitlich auseinanderfallen, sondern auch in unterschiedliche Steueranmeldungen Eingang finden. Es liegt daher auch kein Fall vor, bei dem die Berücksichtigung nicht geltend gemachter Vorsteuerbeträge gemäß § 15 Abs. 2 UStG lediglich wegen des Kompensationsverbots gemäß § 370 Abs. 4 Satz 3 AO bei Bestimmung des tatbestandlichen Schuldumfangs außer Betracht zu bleiben hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 24. Oktober 1990 - 3 StR 16/90, wistra 1991, 107 sowie Jäger in Klein, Abgabenordnung, 11. Aufl. § 370 AO Rn. 130 ff. mwN).
Nichts anderes ergibt sich auch aus Absatz 14 der Dienstvorschrift Einfuhrumsatzsteuer der Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung (VSF) Z 8101, auf die sich der Beschwerdeführer beruft. Danach wirkt sich ein zu viel oder zu wenig erhobener Betrag an Einfuhrumsatzsteuer infolge der "systembedingten Nachholwirkung" im Ergebnis steuerlich nicht aus, so dass der als Einfuhrumsatzsteuer erhobene Steuerbetrag für das Unternehmen wirtschaftlich lediglich einen durchlaufenden Posten darstellt. Bereits der dort verwendete Begriff der Nachholwirkung macht deutlich, dass es sich dabei um eine nachträgliche Schadenswiedergutmachung bei Anmeldung und Abführung der Umsatzsteuer für die Weiterveräußerung der Waren handelt. Soweit der Beschwerdeführer darauf hinweist, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung wegen dieser "Nachholwirkung" Bescheide über Einfuhrumsatzsteuer für zum Vorsteuerabzug Berechtigte nicht von Amts wegen zu ändern seien, übersieht er, dass dies dann nicht gelten soll, wenn die Einfuhrumsatzsteuer - wie hier - hinterzogen worden ist (vgl. Dienstvorschrift Einfuhrumsatzsteuer VSF Z 8101 Abs. 51 Satz 3 Buchst. c).
c) Die Urteilsfeststellungen belegen auch den Tatvorsatz des Angeklagten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will (vgl. nur BGH, Beschluss vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, wistra 11, 465 mwN). Für eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bedarf es dabei keiner Absicht oder eines direkten Hinterziehungsvorsatzes; es genügt, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (Eventualvorsatz; vgl. BGH aaO). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn der Angeklagte nahm die grobe Unrichtigkeit seiner Angaben zum Warenwert bei der Zollanmeldung in Kauf, um bei der Einfuhr nicht hohe Abgabenbeträge zahlen zu müssen (UA S. 8). Er wusste, dass er bei Anmeldung der tatsächlichen Warenwerte um ein Vielfaches höhere Einfuhrumsatzsteuerbeträge hätte zahlen müssen und dass er auf diese Weise Einfuhrumsatzsteuer verkürzte (UA S. 21 f.).
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers steht dem Tatvorsatz nicht entgegen, dass der Angeklagte - wie von vornherein beabsichtigt - jeweils nach der Weiterveräußerung der Waren die dabei anfallende Umsatzsteuer anmeldete (und auch an die Finanzbehörden abführte) und dass er hierbei gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG hinsichtlich der entrichteten Einfuhrumsatzsteuer zum Vorsteuerabzug berechtigt war. Denn die Anmeldung und Abführung dieser Umsatzsteuer erfolgte jeweils erst nach Vollendung der Hinterziehung der Einfuhrumsatzsteuer und führte allenfalls zu einer Schadenswiedergutmachung.
Eine beabsichtigte Schadenswiedergutmachung ist aber ein außerhalb der Tatbestandsverwirklichung liegender Gesichtspunkt und lässt deshalb den Vorsatz unberührt. Lediglich im Rahmen der Strafzumessung ist dem Täter zugute zu halten, wenn er bereits bei der Tatbegehung eine spätere Schadenswiedergutmachung vorhatte. Dies hat das Landgericht nicht verkannt (UA S. 24).
d) Der Angeklagte handelte auch gewerbsmäßig im Sinne von § 373 Abs. 1 AO. Gewerbsmäßigkeit liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn der Täter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Begehung von Straftaten der fraglichen Art eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen; dabei genügen auch mittelbare Vorteile (vgl. die Nachweise bei Jäger in Klein, Abgabenordnung, 11. Aufl. § 373 Rn. 16 f.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, denn der Angeklagte handelte in allen 63 Fällen, um hohe Einfuhrabgaben zu vermeiden. Er handelte dabei nicht nur fremdnützig, "um möglichst hohe Gewinne aus den Geschäften nach Afrika zurücktransferieren zu können" (UA S. 7), sondern auch eigennützig, um die Aufwendungen für die "hohen Einfuhrabgaben zu vermeiden" (UA S. 7) und - wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt - auch um sich die Provisionen der nigerianischen Lieferanten, die er erst nach Auskehrung der Erlöse aus dem Weiterverkauf der eingeführten Waren erhielt, zu sichern. Damit sollten nach der Vorstellung des Angeklagten erhebliche Teile der "ersparten" Einfuhrumsatzsteuer in Form der an ihn ausgezahlten "Provisionen" in seinem Vermögen bleiben.
Maßgeblich ist insoweit allein die Sicht des Angeklagten. Der Umstand, dass sich objektiv der wirtschaftliche Vorteil des Angeklagten in Form "ersparter" Einfuhrumsatzsteuer von mehr als 814.000 Euro wegen der Anrechenbarkeit entrichteter Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer auf die beim Weiterverkauf anfallende Umsatzsteuer (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG) letztlich auf einen Liquiditätsvorteil beschränkte, steht deshalb gewerbsmäßigem Handeln nicht entgegen.
Selbst wenn es dem Angeklagten von Anfang an bei der Tatbegehung vorrangig lediglich auf die Erzielung eines Liquiditätsvorteils im Zeitraum zwischen der Einfuhr und der Weiterveräußerung der eingeführten Waren angekommen sein sollte, läge gewerbsmäßiges Handeln vor; denn die von dem Angeklagten bei Zollanmeldung "deklarierten Warenwerte betrugen durchgängig nur einen Bruchteil des tatsächlichen Warenwerts" (UA S. 10).
Der Annahme gewerbsmäßigen Handelns steht auch nicht entgegen, dass die Taten nicht nur strafbar, sondern - anders als es der Angeklagte angenommen hatte (UA S. 8) - im Hinblick auf die Stundungsmöglichkeit des § 21 Abs. 3 UStG wirtschaftlich sogar unnötig waren. Maßgeblich ist allein die Vorstellung des Angeklagten, nach der die Taten erforderlich waren, um "hohe Einfuhrabgaben zu vermeiden" (UA S. 7).
HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 667
Externe Fundstellen: NStZ 2012, 639; NStZ-RR 2012, 343
Bearbeiter: Karsten Gaede