HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 212
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 213/10, Beschluss v. 08.12.2010, HRRS 2011 Nr. 212
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a), Abs. 3 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Sind die den freien Warenverkehr regelnden Art. 34, 36 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer aus der Anwendung nationaler Strafvorschriften resultierenden Strafbarkeit wegen Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten urheberrechtlich geschützter Werke entgegenstehen, wenn bei einem grenzüberschreitenden Verkauf eines in Deutschland urheberrechtlich geschützten Werkes kumulativ - dieses Werk aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Deutschland verbracht und die tatsächliche Verfügungsgewalt an ihm in Deutschland übertragen wird, - der Eigentumsübergang aber in dem anderen Mitgliedstaat erfolgt ist, in dem urheberrechtlicher Schutz des Werkes nicht bestand oder nicht durchsetzbar war?
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat über die Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts München II zu entscheiden. Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke in einer Vielzahl von Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
1. Dem Vorabentscheidungsverfahren liegt folgender, vom Landgericht festgestellter Sachverhalt zugrunde:
Es geht um Verkauf und Lieferung von in Italien hergestellten, in Deutschland urheberrechtlich geschützten Einrichtungsgegenständen an deutsche Kunden, denen die Ware mittels der Spedition des Angeklagten ausgeliefert wurde.
a) Die Firma D. mit Sitz in B. (nachfolgend D. genannt) bot durch Zeitschriftenanzeigen und -beilagen, durch direkte Werbeanschreiben und per deutschsprachiger Internet-Website Nachbildungen von Einrichtungsgegenständen im so genannten Bauhausstil in Deutschland ansässigen Kunden zum Kauf an, ohne über Lizenzen für den Vertrieb in Deutschland zu verfügen. Es handelte sich - soweit verfahrensgegenständlich - um Nachbildungen von:
- Stühlen der Aluminium-Group, entworfen von und E., Lizenzinhaber Firma V.,
- der W. leuchte, entworfen von W., Lizenzinhaber Firma T.,
- Sitzmöbeln, entworfen von L., Lizenzinhaber Firma C.,
- dem Beistelltisch "A." und der Leuchte "Tu.", entworfen von G., Lizenzinhaber Firma Cl.,
- Stahlrohr-Freischwingern (Stühle), entworfen von M., Lizenzinhaber Firma Th..
Sämtliche genannten Gegenstände sind in Deutschland als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt. In Italien bestand indes im relevanten Tatzeitraum vom 1. Januar 2005 bis 15. Januar 2008 kein beziehungsweise kein durchsetzbarer urheberrechtlicher Schutz. Die von G. entworfenen Einrichtungsgegenstände waren in der Zeit zwischen 1. Januar 2002 und 25. April 2007 in Italien nicht urheberrechtlich geschützt, da in diesem Zeitraum eine verkürzte Schutzfrist galt, die erst zum 26. April 2007 verlängert wurde. Die übrigen Einrichtungsgegenstände waren im Tatzeitraum in Italien urheberrechtlich geschützt, der Schutz war jedoch - so die Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts - nach der praktizierten italienischen Rechtsprechung nicht durchsetzbar, jedenfalls gegenüber solchen Produzenten, die bereits vor dem 19. April 2001 die Gestaltungen vervielfältigt, angeboten und / oder vermarktet haben.
b) Der Angeklagte, ein deutscher Staatsangehöriger, ist Geschäftsführer und Gesellschafter zu 90 % der Firma I., einer Spedition mit Sitz in B. (nachfolgend I. genannt). Er betrieb seine Geschäfte jedoch im Wesentlichen von seinem Wohnsitz in Deutschland aus.
Die Firma I. war seit mindestens April 1999 mit der Auslieferung der vorbenannten Einrichtungsgegenstände befasst. Der Vertrieb war zunächst in der Weise organisiert worden, dass die Möbel - ohne einzelnen Endabnehmern zugeordnet zu sein - in ein vom Angeklagten unterhaltenes Lager in Deutschland verbracht und sodann an die Kunden geliefert wurden. Wegen dieses Sachverhalts hatte die Staatsanwaltschaft München I Anklage gegen den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger unerlaubter Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke zum Strafgericht erhoben. Das vor dem Amtsgericht München geführte Verfahren wurde gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von insgesamt 120.000 € eingestellt.
Während des Laufs dieses Strafverfahrens wurde die Durchführung der Auslieferung geändert und nunmehr - was hier verfahrensgegenständlich ist - wie folgt durchgeführt: Die Firma D. unterhielt für ihr Warenangebot ein Auslieferungslager in S. (Italien). Nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen waren die Kunden verpflichtet, die bestellte Ware selbst in Italien abzuholen oder abholen zu lassen. Die Bestellung der deutschen Kunden erfolgte per Fax, per E-Mail, über ein auf der Website abrufbares Bestellformular oder telefonisch bei einer deutschsprachigen Mitarbeiterin. In den verfahrensgegenständlichen Fällen wollten die Kunden die Ware weder selbst abholen noch konnten sie selbst eine Spedition benennen. In diesen Fällen empfahl die Firma D. die Beauftragung der Firma I. Bei Bestellungen ohne direkten Kontakt wurde dem Kunden durch die Firma D. ein Werbeschreiben der Firma I. zugeleitet, in dem letztere den Transport von Italien nach Deutschland anbot. In den verfahrensgegenständlichen Fällen beauftragten die Kunden die Firma I. mit dem Transport der von ihnen gekauften Ware. In Werbematerial der Firma D. ist ausgeführt, der Kunde erwerbe die Möbel in Italien, zahle aber erst bei Übernahme der Ware. Die Rechnungen schickte die Firma D. direkt an die Kunden.
Im Auslieferungslager in S. wurden die aus Deutschland bestellten Einrichtungsgegenstände in verpacktem Zustand bereitgehalten. Auf der Verpackung waren Name und Adresse des Bestellers oder zumindest die Auftragsnummer angegeben. Die Fahrer der Firma I. holten die den Kunden konkret zugeordneten Gegenstände in S. ab, bezahlten den jeweiligen Kaufpreis an die Firma D. und zogen bei Ablieferung an den Besteller in Deutschland Kaufpreis und Frachtlohn vom Kunden ein. Jedoch immer dann, wenn ein Kunde bei der Auslieferung der Einrichtungsgegenstände diese nicht bezahlte, wurde die Ware nicht herausgegeben, sondern mit einem entsprechenden Kommentar an die Firma D. zurückgesandt. Diese erstattete der Firma I. den zuvor entrichteten Kaufpreis im Wege der Verrechnung und bezahlte die Frachtkosten.
2. Nach Auffassung des Landgerichts hat sich der Angeklagte dadurch der Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke strafbar gemacht. Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten auf §§ 106, 108a Urheberrechtsgesetz (UrhG) und § 27 Strafgesetzbuch (StGB) gestützt.
Die Firma D. habe Vervielfältigungsstücke der genannten Werke in Deutschland durch Inverkehrbringen verbreitet. Hierzu seien die Übertragung des Eigentums an dem Kaufgegenstand (vgl. EuGH, Slg. 2008, I-2731) und darüber hinaus ein Wechsel der Verfügungsgewalt vom Verkäufer auf den Käufer erforderlich. Die Eigentumsübertragung vom Verkäufer auf den Käufer sei hier in Italien nach italienischem Recht durch Einigung und Individualisierung des Kaufgegenstandes (am Lager in S.) erfolgt. Ein Wechsel der Verfügungsgewalt sei jedoch erst mit Übergabe an den Käufer gegen Kaufpreiszahlung in Deutschland mit Hilfe des Angeklagten herbeigeführt worden.
Daher sei es unerheblich, inwieweit die Einrichtungsgegenstände in Italien urheberrechtlichen Schutz genießen. Die sich aus den nationalen Regelungen zum Urheberrecht ergebende Beschränkung des freien Warenverkehrs sei zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt (Art. 36 AEUV). Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hierzu (EuGH, Slg. 1989, 79) sei erst recht heranzuziehen in Fällen, in denen - wie hier - die Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels auf einer unterschiedlichen Durchsetzbarkeit eines an sich bestehenden Schutzrechts beruhe.
3. Der Angeklagte wendet sich gegen seine Verurteilung mit der Revision zum Bundesgerichtshof. Er wendet Folgendes ein:
a) Ein Verbreiten an die Öffentlichkeit sei bereits durch Eigentumsübertragung in Italien erfolgt. Für ein Verbreiten an die Öffentlichkeit sei im Lichte von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. EG 2001 Nr. L 167, S. 10 ff.) und nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Urteil vom 17. April 2008 (EuGH, Slg. 2008, I-2731) der Eigentumswechsel notwendige und zugleich hinreichende Voraussetzung, auf einen Gewahrsamswechsel (einen Wechsel der Verfügungsgewalt) komme es nicht an.
b) Eine auf einer anders lautenden Auslegung basierende Bestrafung des Angeklagten verstoße gegen die unionsrechtlich garantierte Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV), weil dies zu einer nicht gerechtfertigten, künstlichen Abschottung der Märkte führe.
c) Jedenfalls aber sei mit Übergabe der Werke in Italien an den Spediteur, der im Kundenauftrag die Ware annehme, ein Gewahrsamswechsel erfolgt, auch unter diesem Gesichtspunkt sei die Tat daher in Italien begangen.
d) Zumindest habe der Angeklagte in einem schuldausschließenden, weil unvermeidbaren Verbotsirrtum gehandelt.
Der Senat hält die Beantwortung der Vorlagefrage für den Erlass seiner Entscheidung über die Revision für erforderlich. Er legt diese deshalb dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a), Abs. 3 AEUV zur Vorabentscheidung vor.
Der Senat geht von Folgendem aus:
1. Nach dem im Urheberrecht bislang allgemein anerkannten Territorialitätsprinzip kann ein inländisches Urheberrecht allein durch eine im Inland begangene Handlung verletzt werden. Erfolgen Verletzungshandlungen oder Beihilfehandlungen hierzu ausschließlich im Ausland, so steht das einem Schutz des inländischen Urheberrechts nach deutschem Strafrecht entgegen.
Für die Frage, welche Handlungen als unerlaubte Verwertungshandlungen unter das Schutzrecht fallen, ist das Recht des Schutzlandes - hier also deutsches Recht - maßgeblich. Soweit die demnach einschlägigen Vorschriften der §§ 106, 108a UrhG das unerlaubte Verbreiten in Deutschland urheberrechtlich geschützter Werke unter Strafe stellen, ist der urheberrechtliche Verbreitungsbegriff des § 17 Abs. 1 UrhG anzuwenden, der Art. 4 Abs. 1 21 RL 2001/29/EG umsetzt und dementsprechend richtlinienkonform auszulegen ist. Ein Verbreiten im Sinne des Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG setzt voraus, dass das in Rede stehende Werkstück "an die Öffentlichkeit" gelangt. So ist auch der Begriff des Verbreitens im Sinne des § 17 Abs. 1 UrhG - einschließlich des einzig hier in Rede stehenden Inverkehrbringens - auszulegen. Von einer Verbreitung an die Öffentlichkeit durch Verkauf kann nur dann ausgegangen werden, wenn Dritten nicht nur das Eigentum, sondern auch die tatsächliche Verfügungsgewalt an dem urheberrechtlich geschützten Werkstück übertragen wird. Dabei ist unerheblich, wie Kauf und Übereignung der Ware nach den unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten ausgestaltet sind. Während hier die Eigentumsübertragung an einer Gattungssache in Italien durch Einigung und Zuordnung erfolgte, wird in Deutschland eine Eigentumsübertragung in der Regel durch Einigung und Übergabe vollzogen (§§ 929 ff. BGB). In jedem Fall muss das Werkstück aus der internen Betriebssphäre des Herstellers der Öffentlichkeit bzw. dem freien Handelsverkehr zugeführt werden. Die Übergabe an einen eigenverantwortlich tätigen Frachtführer (Spediteur) könnte genügen, sofern dadurch das Werk die interne Betriebssphäre des Herstellers verlässt (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93). Bei rein innerbetrieblichen oder konzerninternen Warenbewegungen sind die Werke noch nicht an die Öffentlichkeit gelangt, ein geschäftlicher Verkehr mit echten Außenbeziehungen liegt in diesen Fällen nicht vor.
Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Insoweit bestehen hinsichtlich der Auslegung oder Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht (Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG) zur Überzeugung des Senats keine vernünftigen Zweifel. Aus der Entscheidung des Gerichtshofs vom 17. April 23 - 10 - 2008 in der Rechtssache C-456/06 (EuGH, Slg. 2008, I-2731) ergibt sich nichts anderes. Dieser Entscheidung lagen Handlungen zugrunde, bei denen die Werkstücke die innerbetriebliche Sphäre des Verbreiters bereits verlassen hatten (Aufstellen von Möbeln für Kunden in Ruhezonen eines Kaufhauses bzw. im Schaufenster). Wenn der Gerichtshof formuliert, der Begriff des Verbreitens "durch Verkauf oder auf sonstige Weise" im Sinne von Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG sei als eine Form der Verbreitung auszulegen, die mit einer Eigentumsübertragung verbunden sein müsse (EuGH, aaO, Rn. 33, 36), zeigt dies zweifelsfrei, dass er das Verschaffen der tatsächlichen Verfügungsgewalt neben der Eigentumsübertragung als notwendige Voraussetzung einer Verbreitung ansieht. Dafür spricht auch die weitere Formulierung, folglich stelle weder der bloße Umstand, dass der Öffentlichkeit der Gebrauch der Werkstücke ermöglicht werde, noch der Umstand, dass die Werkstücke öffentlich gezeigt werden, eine solche Verbreitungsform dar (EuGH, aaO, Rn. 41).
2. Der hier vom Landgericht aus den Besonderheiten des Falles (Bestellvorgang, Werbeflyer, Zahlungsmodalitäten, insbesondere Herausgabeverweigerung bei Nichtzahlung, Erstattung von Kaufpreis und Frachtlohn an I. etc.) in tatsächlicher Hinsicht gezogene Schluss, die Firma D. habe - entgegen einem beabsichtigten Anschein - ihre Verfügungsgewalt bis zur Ablieferung an den Kunden gegen Kaufpreiszahlung trotz erfolgter Übereignung nicht aus der Hand gegeben, ist möglich und daher nach deutschem Revisionsrecht nicht zu beanstanden. Auszugehen ist von der Annahme, dass die Einrichtungsgegenstände erst mit deren Übergabe an den Kunden die Betriebssphäre der Firma D. verlassen haben, weil die Firma I. als Hilfsorgan faktisch der Betriebssphäre der Firma D. zuzurechnen ist.
§ 106 UrhG ist auch in der Tatbestandsvariante des unberechtigten Inverkehrbringens ein Erfolgsdelikt. Vollendung tritt erst ein, wenn ein Dritter die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Werkstück erlangt hat (vgl. Hildebrandt, Die Strafvorschriften des Urheberrechts, S. 98; Haß in Schricker/ Löwenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. § 106 Rn. 18: "mit der Aushändigung des Gegenstandes an einen Boten (Post, Bahn, 'eigener' Spediteur [des Herstellers] oÄ) ist die Tat noch nicht vollendet"). Die Verbreitungshandlung im Sinne des § 17 Abs. 1 UrhG ist hier unter Mitwirkung des Angeklagten erst in Deutschland abschließend vollzogen worden.
3. Nach deutschem Strafrecht handelte der Angeklagte auch schuldhaft. Folgt man wegen des vom Angeklagten behaupteten Rechtsrats dem Landgericht in der Annahme eines Verbotsirrtums, handelte der Angeklagte gleichwohl schuldhaft, denn ein solcher Irrtum wäre hier nicht unvermeidbar gewesen.
4. Dies zugrunde gelegt erwiese sich die Verurteilung des Angeklagten als rechtsfehlerfrei. Dem könnte lediglich die Annahme entgegenstehen, die Anwendung nationaler Strafvorschriften stelle unter den Gegebenheiten des Ausgangsverfahrens eine ungerechtfertigte Einschränkung der in Art. 34 ff. AEUV geregelten Warenverkehrsfreiheit dar. Die dadurch aufgeworfene Frage zur Auslegung von Unionsrecht ist nicht in einer Weise klar oder geklärt, dass der Senat hierüber selbst entscheiden könnte.
a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist davon auszugehen, dass jede Maßnahme oder Regelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, eine "Maßnahme gleicher Wirkung" i.S.v. Art. 34 AEUV darstellt und daher unzulässig sein kann (vgl. EuGH, Slg. 1974, 837; EuGH, Slg. 2003, I-14887). Solche Maßnahmen können nach Art. 36 AEUV aus Gründen des gewerblichen und kommerziellen Eigentums, wozu auch das Urheberrecht zählt (EuGH, Slg. 1981, 147; EuGH, Slg. 1989, 79), gerechtfertigt sein, wenn sie weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen. Beschränkungen des freien Warenverkehrs zum Schutz des geistigen Eigentums einschließlich des Urheberrechts sind zulässig, solange sie nicht zu einer künstlichen Abschottung der Märkte führen (EuGH, Slg. 1989, 79; EuGH, Slg. 1981, 147; EuGH, Slg. 1971, 487).
b) Der Gerichtshof hat im Urteil vom 24. Januar 1989 (EuGH, Slg. 1989, 79) für Recht erkannt, dass Beschränkungen gerechtfertigt sind, wenn sie auf dem Unterschied in den nationalen Regelungen über die Fristen zum Schutz des geistigen Eigentums beruhen und diese untrennbar mit dem Bestehen der ausschließlichen Rechte verknüpft sind. Diese Entscheidung betraf einen Fall, in dem die Schutzfrist für den Hersteller (von Tonträgern) in einem anderen Mitgliedstaat zwar bestanden hatte, dort jedoch abgelaufen war. Nicht ausdrücklich angesprochen und somit nicht abschließend geklärt ist, ob dies auch in Fällen gilt, in denen Schutzrechte zwar gleichermaßen bestehen (sich ein "Schutzrechtsgefälle" also nicht aus der Gesetzeslage ergibt), indes - wovon nach den Feststellungen des Landgerichts hier auszugehen ist - in einem Mitgliedstaat das bestehende Schutzrecht aus nicht in der Rechtsnorm selbst liegenden Gründen praktisch nicht durchsetzbar ist.
Der Senat neigt zu der - schon vom Landgericht vertretenen - Auffassung, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs erst recht (argumentum a maiore ad minus) in Fällen Anwendung findet, in denen gleichermaßen bestehende Schutzrechte nur unterschiedlich durchsetzbar sind. Die Beschränkung des italienischen Anbieters durch ein sanktioniertes - unterschiedslos inländische und eingeführte Erzeugnisse treffendes - Verbreitungsverbot in Deutschland beruht auch in diesen Fällen nicht auf einer Handlung oder Zustimmung des Inhabers des Urheberrechts oder seines Lizenznehmers, sondern auf den in Deutschland und Italien divergierend beurteilten Schutzvoraussetzungen des deutschen und des italienischen Urheberrechts.
c) Für den Senat stellt sich daher die weitere Frage, ob der strafrechtliche Schutz des Verbreitungsrechts unter den Gegebenheiten des Ausgangsverfahrens eine unverhältnismäßige oder künstliche Abschottung der Märkte darstellen und dadurch die in Art. 34 und 36 AEUV geregelte Warenverkehrsfreiheit verletzen könnte.
Dies könnte sich daraus ergeben, dass die einem Gebrauchszweck dienenden kunstgewerblichen Erzeugnisse in Deutschland urheberrechtlich geschützt sind, während sie in Italien rechtmäßig hergestellt und dort - ohne dass dies zu einer strafrechtlichen Ahndung nach deutschem Recht führen kann - weiter verbreitet werden können. Würden die deutschen Kunden jeweils nach Italien fahren und dort neben dem Eigentum auch tatsächliche Verfügungsgewalt erlangen, führte dies nicht zu einer strafbewehrten Verbreitungshandlung in Deutschland. Gleiches würde gelten, wenn der Käufer einen nicht der Betriebssphäre der Firma D. zuzurechnenden Transporteur (Frachtführer) beauftragte, der die nachgemachten Werke für den Kunden in Italien in Empfang nimmt. Die Besonderheit ist hier, dass nach den der Revisionsentscheidung zugrunde zu legenden Feststellungen des Landgerichts das Verbreiten in einem zweiaktigen Geschehen erfolgte, das in Italien begann und in Deutschland vollendet wurde.
In der Rechtssache C-456/06 (EuGH, Slg. 2008, I-2731), war die Frage einer Beschränkung des Verbreitungsrechts - in ähnlicher Form - bereits aufgeworfen (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2006 - I ZR 247/03, Rn. 21, EuZW 2007, 191 = GRUR 2007, 50), wurde vom Gerichtshof aber nicht behandelt, weil letztlich keine Veranlassung dazu bestand.
Der Senat neigt zu der Auffassung, dass die Vorschriften der §§ 106, 108a, 17 Abs. 1 UrhG und deren Anwendung zum Schutz des spezifischen Gegenstands des Urheberrechts, zu dem auch die Verwertungsrechte gehören (EuGH, Slg. 1993, I-5145), erforderlich sind und daher die damit verbundene Handelsbeschränkung auch unter den Gegebenheiten des Ausgangsverfahrens rechtfertigen (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 17. Januar 2008 in der Rechtssache C-456/06, abgedruckt in EuGH, Slg. 2008, I-2731, 2733). Durch die - vom Angeklagten mitzuverantwortende - Übertragung der tatsächlichen Verfügungsgewalt an den Käufer in Deutschland wird das Ausschließlichkeitsrecht des inländischen Schutzrechtsinhabers zu kommerziellen Zwecken des Importeurs (hier I. und D., verstanden als "Betriebseinheit") gezielt beeinträchtigt. Ihm werden Kunden bewusst auch in dem Bereich entzogen, für den das Schutzrecht uneingeschränkt Geltung beanspruchen kann. Daher wirkt sich auch eine nur in einem Teilakt im Inland begangene unerlaubte Verbreitungshandlung gerade auf die wirtschaftliche Verwertung des Urheberrechts im Schutzland aus. Dies rechtfertigt auch eine strafrechtliche Sanktionierung. Die Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. EG 2004 Nr. L 195, S. 16 [berichtigte Fassung]) enthält zwar - abweichend zu Art. 61 des durch den Beschluss 94/800/EG des Rates (ABl. EG 1994 Nr. L 336, S. 1) gebilligten Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Übereinkommen) und entgegen dem ursprünglichen Entwurf - keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur strafrechtlichen Sanktionierung von Urheberrechtsverletzungen, sie steht einer solchen aber nicht entgegen. Der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über strafrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (KOM [2005] 276 endgültig vom 12. Juli 2005) zeigt, dass auch aus unionsrechtlicher Sicht strafrechtliche Sanktionen zur Erreichung eines wirksamen und hohen Schutzniveaus des Urheberrechts geboten sein und per se weder als Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch als verschleierte Maßnahme zur Beschränkung des Handels angesehen werden können.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 212
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2011, 178
Bearbeiter: Karsten Gaede