HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 315
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 691/08, Beschluss v. 17.02.2009, HRRS 2009 Nr. 315
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 26. Mai 2008 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 33 Fällen, davon in 22 Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von elf Jahren verurteilt. Zudem hat es gegen ihn den Verfall von Wertersatz in Höhe von 100.000 Euro angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Der Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, mit der die Revision eine zum Nachteil des Angeklagten vorgenommene Verwertung der Zeugenaussage des Ermittlungsrichters beim Amtsgericht Nürnberg S. über eine ermittlungsrichterliche Vernehmung des Mitangeklagten H. als unzulässig beanstandet.
1. Die Revision trägt hierzu folgenden Verfahrensablauf vor:
Der nicht revidierende Mitangeklagte H. (im Folgenden: der Mitangeklagte) sei am 7. Februar 2007 anlässlich eines Rauschgifttransports von Holland nach Deutschland auf der Autobahn Frankfurt-Würzburg von der Polizei kontrolliert und vorläufig festgenommen worden. Am 8. Februar 2007 sei er dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Aschaffenburg vorgeführt worden.
Nach einer Belehrung gemäß § 136 StPO und § 163 StPO habe der Mitangeklagte Angaben zu seiner Person gemacht und die Hinzuziehung eines Verteidigers gefordert. Erst nach dessen Erscheinen habe der Mitangeklagte Angaben zur Sache gemacht. Mit Beschluss vom selben Tag habe das Amtsgericht den erschienen Verteidiger zum Pflichtverteidiger bestellt; zudem sei der gegen den Mitangeklagten ergangene Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt worden. In der Folgezeit habe die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth das Strafverfahren übernommen. Auf deren Antrag hin sei am 5. Juni 2007 durch das Amtsgericht Nürnberg gegen den Mitangeklagten ein neuer Haftbefehl erlassen worden. Am 27. Juni 2007 sei der Mitangeklagte wieder festgenommen und am Folgetag dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Nürnberg S. vorgeführt worden. Dort sei er erneut belehrt worden, insbesondere auch über sein Recht, einen Verteidiger zu konsultieren. Anschließend habe der Mitangeklagte ein Geständnis abgelegt, mit dem er den Angeklagten erheblich belastet habe. Der damalige Pflichtverteidiger des Mitangeklagten sei bei dieser Vernehmung nicht anwesend gewesen, weil er entgegen § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO nicht von dem Vernehmungstermin benachrichtigt worden sei.
Am ersten Hauptverhandlungstag hätten sich der Angeklagte und der Mitangeklagte nicht zur Sache geäußert. Deshalb habe die Strafkammer den Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Nürnberg S. zu den Angaben des Mitangeklagten bei dessen Vernehmung vom 28. Juni 2007 vernommen. Gegen die Verwertung dieser Aussage hätten die Verteidiger des Angeklagten und des Mitangeklagten rechtzeitig Widerspruch erhoben.
Am dritten Hauptverhandlungstag habe sich der Mitangeklagte geständig zur Sache eingelassen. Sodann habe der Angeklagte auf seine - von denen des Mitangeklagten abweichenden - Angaben bei der Polizei Bezug genommen und erklärt, diese seien richtig gewesen. Die Widersprüche gegen die Verwertung der Aussage des Ermittlungsrichters seien nicht zurückgenommen worden.
Die Strafkammer sei der Einlassung des Angeklagten nicht gefolgt. Sie habe ihren Feststellungen vielmehr das Geständnis des Mitangeklagten zugrunde gelegt. Dabei habe sie ihre Überzeugung von der Glaubhaftigkeit des Geständnisses des Mitangeklagten, die sie unter anderem aus der Aussagekonstanz geschlossen habe, auf die Aussage des Ermittlungsrichters zu der Vernehmung des Mitangeklagten anlässlich der Haftbefehlseröffnung am 28. Juni 2007 gestützt, wenngleich "nur ergänzend, nicht entscheidend".
2. Die Revision ist der Auffassung, dass die Angaben des Zeugen S. über die ermittlungsrichterliche Vernehmung des Mitangeklagten vom Landgericht nicht hätten verwertet werden dürfen, auch nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers, weil der Verteidiger des Mitangeklagten entgegen § 168c Abs. 1, Abs. 5 StPO vom Vernehmungstermin nicht benachrichtigt worden sei. Auf dieses Verwertungsverbot, auf dessen Nichtbeachtung das Urteil beruhe, könne sich auch der Beschwerdeführer berufen.
3. Die Verfahrensrüge ist unbegründet, denn die Verwertung der Aussage des Ermittlungsrichters zum Nachteil des Beschwerdeführers begegnet bei dem von der Revision vorgetragenen Sachverhalt keinen rechtlichen Bedenken.
a) Die Revision weist zwar zu Recht darauf hin, dass gemäß § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO der Verteidiger eines Beschuldigten vor der Vernehmung seines Mandanten von einem Vernehmungstermin zu benachrichtigen ist; nach § 168c Abs. 5 Satz 2 StPO unterbleibt die Benachrichtigung, wenn sie den Untersuchungszweck gefährden würde. Ebenso trifft es zu, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den Fällen, in denen diese Benachrichtigungspflicht verletzt worden ist, zugunsten des vernommenen Beschuldigten ein Verwertungsverbot angenommen worden ist, wenn er der Verwertung seiner Vernehmung widersprochen hat (vgl. BGH NStZ 1989, 282, 283; NStZ 2003, 671; Griesbaum in KK 6. Aufl. § 168c StPO Rdn. 22 m.w.N.).
Der Senat muss nicht entscheiden, ob in Fällen der vorliegenden Art die unterbliebene Benachrichtigung des Verteidigers stets einen so schwer wiegenden Verfahrensverstoß darstellt, dass er die Annahme eines Beweisverwertungsverbots zur Folge haben muss. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht nämlich selbst bei einer unterbliebenen Beschuldigtenbelehrung - und damit einem Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO - ein Verwertungsverbot dann nicht, wenn dem Beschuldigten seine Rechte bei Beginn seiner Vernehmung bekannt waren; denn in diesem Fall ist er nicht in dem gleichen Maße schutzbedürftig wie ein Beschuldigter, der sein Schweigerecht nicht kannte (BGHSt 38, 214, 224). Im vorliegenden Fall könnte es an einer solchen Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit des Mitangeklagten fehlen. Ihm war nämlich bei seiner zweiten richterlichen Vernehmung vor dem Amtsgericht Nürnberg zweifelsfrei bekannt, dass er ein Recht auf Hinzuziehung eines Verteidigers zur Vernehmung hatte. Über dieses Recht war er nicht nur bei Vernehmungsbeginn belehrt worden, sondern kannte es bereits aufgrund einer entsprechenden Belehrung vor seiner ersten richterlichen Vernehmung beim Amtsgericht Aschaffenburg. Dort hatte er sogar auf der Benachrichtigung eines Verteidigers bestanden und erst Angaben zur Sache gemacht, als der Verteidiger erschienen war.
b) Selbst wenn zu Gunsten des Mitangeklagten ein Verwertungsverbot bestanden hat, vermag dies der Revision des Angeklagten nicht zum Erfolg zu verhelfen, denn ein solches Verwertungsverbot erstreckt sich nicht auf Mitbeschuldigte.
aa) Ob sich ein Angeklagter auf einen Verfahrensfehler, der lediglich einen Mitangeklagten in eigenen Rechten verletzt hat, - hier den Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht gemäß § 168c Abs. 5 StPO - berufen kann, wenn das Verfahren gegen beide Angeklagte gemeinsam geführt wird und die verfahrensfehlerhaft erlangten Erkenntnisse auch zum Nachteil des nicht durch den Verfahrensverstoß in seinen Rechten verletzten Angeklagten verwertet werden sollen, ist allerdings bislang in Rechtsprechung und Lehre umstritten.
(1) Der Bundesgerichtshof hat die Frage, ob ein Verwertungsverbot auch zugunsten von Mitbeschuldigten wirkt, entweder ausdrücklich offen gelassen (BGHSt 38, 214, 228; 42, 15, 24) oder - jeweils nicht tragend - verneint. Der 3. Strafsenat hat in einem Urteil vom 10. August 1994, das die Verwertung von Angaben eines Mitangeklagten zum Gegenstand hatte, der in der Schweiz vernommen und, weil es die dortige Rechtsordnung damals nicht vorsah, nicht über seine Beschuldigtenrechte im Sinne des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vernommen worden war, ausgeführt, dass die Regelung über die Beschuldigtenbelehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO ausschließlich den Schutz des jeweils betroffenen Beschuldigten bezwecke und nicht den Interessen von Mitbeschuldigten diene. Deren Rechtskreis werde von einem gegen andere Beschuldigte gerichteten Verstoß gegen die Belehrungsvorschrift nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO grundsätzlich nicht berührt. Insoweit müssten die zu § 55 StPO entwickelten Rechtsgrundsätze entsprechende Anwendung finden (BGHR StPO § 136 Belehrung 5). Der 2. Strafsenat hat diese Rechtsprechung aufgegriffen und ausgeführt, dass selbst das Unterbleiben einer Belehrung des einen Mitbeschuldigten die Verwertung seiner Angaben gegen einen anderen Mitbeschuldigten nicht hindern würde (BGH wistra 2000, 311, 313). Ebenso hat sich der 5. Strafsenat in einem Beschluss vom 5. Februar 2002 geäußert und geurteilt, dass sich eine Angeklagte nicht auf eine unzulängliche Belehrung einer Mitangeklagten nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO berufen könne, da ihre Rechte hiervon nicht berührt würden (BGHSt 47, 233, 234).
(2) Im Schrifttum wird dagegen zum Teil die Auffassung vertreten, dass eine Wirkungserstreckung von Beweisverwertungsverboten dann anzunehmen sei, wenn der verbotene Beweis in einem gemeinsamen Verfahren zugleich gegen den unmittelbar Betroffenen und den Mitbeschuldigten verwertet werden soll oder wenn dem Schutzzweck der Beweiserhebungsnorm nur dann Genüge getan werden kann, wenn die Verwertung auch für und gegen Dritte verboten ist (Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. Einleitung Rdn. 57b m.w.N.). Nach dieser Auffassung darf für die Frage der Verwertbarkeit nicht auf den "Rechtskreis" des Beschuldigten abgestellt werden, dessen Rechte im Ermittlungsverfahren verletzt worden sind. Dies wird zum einen damit begründet, dass der "Rechtskreis" des Betroffenen in den Fällen, in denen es um Verstöße gegen wesentliche prozessuale Vorschriften geht, die grundlegende Bedeutung für ein rechtsstaatliches Verfahren besitzen - etwa die Belehrung nach § 136 StPO - keine Rolle spiele. Deshalb müsse ein Verwertungsverbot aus Gründen des fairen Verfahrens nicht nur für den von dem Verfahrensverstoß unmittelbar betroffenen Beschuldigten, sondern auch für den nur mittelbar betroffenen Mitbeschuldigten gelten (Dencker StV 1995, 232 ff.). Zum anderen wird gegen die Anwendung des "Rechtskreisgedankens" angeführt, dieser könne zur Folge haben, dass in einem Urteil im Sinne einer "gespaltenen Beweiswürdigung" dieselbe Aussage zu Gunsten oder zu Lasten des einen Angeklagten verwertet und bezüglich des anderen Angeklagten nicht verwertet werde. Selbst wenn eine "gespaltene Beweiswürdigung" dadurch ausgeschlossen würde, dass die Verwertbarkeit der verfahrensfehlerhaft erlangten Beweismittel allein davon abhängig gemacht werde, ob der von dem Verstoß betroffene Beschuldigte der Verwertung widerspricht, wäre das nach dieser Auffassung "nicht erträglich". Denn der Inhaber des Widerspruchsrechts hätte es dann allein in der Hand, seinem Mitbeschuldigten entlastende Tatsachen zu entziehen. Eine "gespaltene Beweiswürdigung" solle daher unabhängig von der Frage des "Rechtskreises" in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren dadurch vermieden werden, dass jedem Angeklagten ein eigenes Recht eingeräumt werde, einer gegen sich gerichteten Verwertung rechtsfehlerhaft zustande gekommener Beweismittel zu widersprechen (vgl. Hamm NJW 1996, 2185, 2189).
(3) Dem wird entgegengehalten, dass diese Lösung im Hinblick auf den Grundsatz der einheitlichen Tatsachenfeststellung nicht nur zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten, sondern ebenfalls zu einer "gespaltenen Tatsachenfeststellung" führen könne, nämlich dann, wenn der von dem Verfahrensverstoß unmittelbar betroffene Angeklagte der Verwertung nicht widerspricht, weil das Beweisergebnis für ihn günstig ist (vgl. Nack StraFo 1998, 366, 373).
bb) Der Senat folgt der Auffassung, die trotz Verstoßes gegen die Benachrichtigungspflicht aus § 168c Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 StPO die Verwertung einer Beschuldigtenvernehmung zu Gunsten und zu Lasten von Mitangeklagten für zulässig hält.
(1) Die Norm des § 168c Abs. 5 StPO dient allein dem Schutz des vernommenen Beschuldigten. Sie soll verhindern, dass im Ermittlungsverfahren unter Verletzung des Anspruchs des Beschuldigten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ein für den weiteren Verlauf des Strafverfahrens möglicherweise entscheidendes Beweisergebnis herbeigeführt werden kann, ohne dass der vernommene Beschuldigte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, hierauf Einfluss zu nehmen (BGHSt 26, 332, 334). Dagegen dient die Benachrichtigungspflicht nicht den Interessen von Mitbeschuldigten. Aus diesem Grund ist bei der richterlichen Vernehmung des Beschuldigten lediglich dessen Verteidiger gemäß § 168c Abs. 1 StPO die Anwesenheit gestattet, Mitbeschuldigte oder deren Verteidiger haben dagegen kein Anwesenheitsrecht (BGHSt 42, 391, 393). Hätte der Gesetzgeber auch einem Mitbeschuldigten die Möglichkeit einer Einflussnahme auf den Ablauf der Beschuldigtenvernehmung geben wollen, hätte er für die Verteidiger von Mitbeschuldigten, wie bei richterlichen Zeugenvernehmungen gemäß § 168c Abs. 2 StPO, ein Anwesenheitsrecht normiert. Dies hat er indes nicht getan; vielmehr hat er ausdrücklich zwischen Beschuldigtenvernehmungen (§ 168c Abs. 1 StPO) einerseits und der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen (§ 168c Abs. 2 StPO) andererseits differenziert.
(2) Die Sachlage bei einem Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht aus § 168c Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 StPO entspricht auch nicht derjenigen bei einem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO, bei dem aus übergeordneten Gründen zum Schutz der Familie des Angeklagten einem verwandten Zeugen ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht gewährt wird (BGHSt 11, 213, 216) und das dergestalt mit dem Rechtskreis des Angeklagten verbunden ist, dass es sich bei untrennbaren strafrechtlichen Vorwürfen nicht zu Ungunsten eines Mitangeklagten einschränken lässt (BGHSt 7, 194, 196). Auch mit den Zeugnisverweigerungsrechten nach den §§ 53, 53a StPO werden andere Schutzzwecke verfolgt. Im Zentrum steht hier der Vernehmungsgegenstand.
Entscheidend ist, ob es sich um Erkenntnisse handelt, die dem Zeugen in seiner beruflichen Eigenschaft anvertraut oder bekannt geworden sind, was für ein und denselben Vernehmungsgegenstand aber nur einheitlich beurteilt werden kann. Wegen der prozessualen Bedeutung der berufsbezogenen Zeugnisverweigerungsrechte in Bezug auf das Geheimhaltungsinteresse und den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen der Vertrauensperson und demjenigen, der das Vertrauen in Anspruch nimmt, können Verstöße gegen die §§ 53, 53a StPO ohne Rücksicht darauf gerügt werden, ob der Beschwerdeführer selbst zu den durch das Zeugnisverweigerungsrecht unmittelbar geschützten Personen gehört oder nicht (BGHSt 38, 148, 153).
Demgegenüber fehlt es bei der Benachrichtigungspflicht nach § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO an einer entsprechenden Interessenlage, die es gebieten würde, Mitbeschuldigte, die in Bezug auf ihre eigene Person nicht von einem Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht betroffen sind, durch die Annahme eines Verwertungsverbots zu schützen. Anders als bei den Zeugnisverweigerungsrechten aus § 52 StPO oder den §§ 53, 53a StPO ist hier kein Vertrauensverhältnis betroffen, das aufgrund der diesem zugrunde liegenden Beziehungen von grundlegender prozessualer Bedeutung und damit besonders schützenswert wäre. Dies ergibt sich bereits aus der Überlegung, dass der von dem Verfahrensverstoß betroffene Angeklagte über die Verwertbarkeit der erlangten Erkenntnisse mit seinem Widerspruch disponieren kann, um auf diese Weise seiner Entlastung dienende Umstände oder Belege für seine Einlassung in die Hauptverhandlung einzuführen. Entscheidet er sich gegen einen Widerspruch, dann realisiert sich darin für den von dem Verfahrensverstoß nicht betroffenen Mitangeklagten lediglich das Risiko, das jeder Straftäter tragen muss, der gemeinsam mit anderen eine Straftat begeht. Er muss damit rechnen, dass das Prozessverhalten Mitbeschuldigter zu seiner Überführung verwendet wird (vgl. Nack in KK 6. Aufl. § 100d Rdn. 43). Ein besonderes schützenswertes Vertrauensverhältnis lässt sich aus dieser Situation somit weder für den einen noch für den anderen Angeklagten ableiten.
(3) Auch mit dem Argument der Gefahr einer "gespaltenen Tatsachenfeststellung" ließe sich eine Ausdehnung des Beweisverwertungsverbots aufgrund eines Verstoßes gegen die Benachrichtigungspflicht des § 168c Abs. 1, Abs. 5 StPO auf Mitbeschuldigte nicht rechtfertigen; denn diese Gefahr würde dadurch im Hinblick auf die Dispositionsbefugnis jedes Angeklagten über die Geltendmachung des Verwertungsverbotes nicht entfallen.
cc) Für das vorliegende Verfahren bedeutet dies, dass das Landgericht die Zeugenaussage des Ermittlungsrichters S. trotz der rechtsfehlerhaft unterlassenen vorherigen Benachrichtigung des Verteidigers des Mitangeklagten H. gegen den Angeklagten verwerten durfte. Sein Widerspruch geht ins Leere, weil seine prozessualen Rechte nicht verletzt wurden. Es wäre lediglich ein für den Angeklagten günstiger Rechtsreflex gewesen, wenn der Mitangeklagte in Anwesenheit seines vorher ordnungsgemäß benachrichtigten Pflichtverteidigers beim Ermittlungsrichter die Aussage verweigert und den Angeklagten nicht belastet hätte. Verstöße gegen Bestimmungen, die ausschließlich dem Schutz anderer Personen dienen, kann der Angeklagte auch mit seiner Revision nicht erfolgreich rügen.
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 315
Externe Fundstellen: BGHSt 53, 191; NJW 2009, 1619; NStZ 2009, 345; NStZ 2009, 524; NStZ 2010, 98; StV 2010, 9
Bearbeiter: Karsten Gaede