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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 311

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 633/08, Beschluss v. 19.02.2009, HRRS 2009 Nr. 311


BGH 1 StR 633/08 - Beschluss vom 19. Februar 2009 (LG Regensburg)

Steuerhinterziehung (Umsatzsteuerkarussell; Scheingeschäfte: Verneinung einer innergemeinschaftlichen Lieferung bei Missbrauch, Anwendung auf einen Warenkreislauf); Vorlagepflicht nach Europarecht (CIFIT-Rechtsprechung).

§ 370 AO; Art. 234 Abs. 3 EGV; § 6a UStG; § 4 Nr. 1 lit. b UStG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Lieferung von Gegenständen an einen Abnehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet stellt keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung im Sinne des § 6a UStG dar, wenn der inländische Unternehmer unter Zwischenschaltung von Scheinfirmen kollusiv mit dem Abnehmer zusammenwirkt, um diesem die Hinterziehung von Steuern zu ermöglichen (Senat, Beschl. vom 20. November 2008 - 1 StR 354/08). Eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht ist nicht erlaubt. Das Gemeinschaftsrecht erlaubt nicht, dass missbräuchliche Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern gedeckt werden. Bei denjenigen Umsätzen, die nicht im Rahmen normaler Handelsgeschäfte, sondern nur zu dem Zweck getätigt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu kommen, sind diese Vorteile zu versagen (EuGH, Urt. vom 21. Februar 2006 - Rechtssache C-255/02 - Halifax, Rdn. 69).

2. Dies gilt nicht nur dann, wenn innerhalb einer Lieferkette Scheingeschäfte vorgenommen werden. Vielmehr müssen die aus dem gemeinschaftsrechtlichen Missbrauchsverbot folgenden Grundsätze erst recht Anwendung finden, wenn ein Warenkreislauf in Gang gesetzt wird, dessen alleiniges Ziel ist, die jeweilige Ware durch Scheingeschäfte künstlich zu verbilligen.

3. Das im Gemeinschaftsrecht verankerte grundsätzliche Verbot missbräuchlicher Praktiken führt für alle Beteiligten eines oder mehrerer Umsatzgeschäfte, die auf die Hinterziehung von Steuern gerichtet sind, zur Versagung der insoweit für die einzelnen Geschäfte grundsätzlich vorgesehenen Steuervorteile (EuGH, Urt. vom 6. Juli 2006 - Rechtssache C-439/05 - Kittel, Rdn. 56 f.). Dies gilt unabhängig davon, ob die sonstigen objektiven Tatbestandsmerkmale der jeweiligen Norm, die den Steuerpflichtigen begünstigen soll (hier: § 6a UStG), gegeben sind. Demnach ist insbesondere auch unerheblich, ob der Abnehmer die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG erfüllt.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 6. August 2008 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen unter Einbeziehung einer Einzelstrafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 22. Januar 2009, die auch durch die Erwiderung der Revision vom 10. Februar 2009 nicht entkräftet wird, unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Verfahrensrüge, die im Zusammenhang mit der Verwertung von Erkenntnissen aus einer Telefonüberwachungsmaßnahme erhoben wurde, ist zulässig aber unbegründet. Darüber hinaus bedarf lediglich Folgendes der Erörterung:

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit April 2003 Alleingesellschafter und Geschäftsführer der C. GmbH mit Sitz in K. Geschäftsgegenstand der Gesellschaft war der Handel mit Mobilfunktelefonen.

Im Laufe des Jahres 2003 vereinbarte der Angeklagte mit anderweitig in Italien verfolgten Personen, durch Karussellgeschäfte mit Mobilfunktelefonen den Abnehmern der Telefone in Italien unberechtigte Steuervorteile zu verschaffen. Die vom Angeklagten geführte Gesellschaft erwarb in Vollzug des Tatplans von einem in Italien ansässigen Unternehmen Mobilfunktelefone in größerer Stückzahl. Unmittelbar daran anschließend veräußerte die Gesellschaft die Geräte an ein in Italien ansässiges Unternehmen, das in der Rechtsform einer Società a responsabilità limitata (s.r.l.) geführt wurde. An diese Gesellschaft wurden die Mobiltelefone auch tatsächlich geliefert. Diese Lieferung deklarierte der Angeklagte in den Umsatzsteuervoranmeldungen der GmbH als umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung. Von dem Abnehmer in Italien wurden die Telefone an einen italienischen Zwischenhändler unter offenem Ausweis italienischer Umsatzsteuer zu einem geringeren Nettopreis weiterverkauft.

Die insoweit anfallende Umsatzsteuer wurde dem Tatplan entsprechend zu keiner Zeit erklärt oder gar abgeführt. Der Zwischenhändler verkaufte die Geräte dann an den ursprünglichen Lieferanten der vom Angeklagten geführten Gesellschaft ebenfalls unter offenem Ausweis italienischer Umsatzsteuer zu einem Nettopreis, der unter dem lag, der der Gesellschaft des Angeklagten in Rechnung gestellt worden war. Der Zwischenhändler und dessen Abnehmer machten die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend.

Nach den weiteren Feststellungen der Strafkammer handelte es sich bei dem Verkaufskreislauf um Scheingeschäfte, die - wie der Angeklagte wusste - von dem italienischen Lieferanten der Gesellschaft des Angeklagten initiiert wurden, um in Italien einen unberechtigten Vorsteuerabzug zu ermöglichen und die Mobiltelefone dann zu einem günstigeren Preis verkaufen zu können.

II.

Auf der Grundlage dieser rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht bei den Lieferungen nach Italien das Vorliegen von innergemeinschaftlichen Lieferungen im Sinne des § 6a UStG verneint, die zur Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG geführt hätten. Da der Angeklagte in den Umsatzsteuervoranmeldungen der Gesellschaft für Juli, Oktober und November 2003 die Umsätze aus den Geschäften mit seinem italienischen Abnehmer demnach zu Unrecht als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen deklarierte, hat der Angeklagte in drei Fällen Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 622.962,42 EUR hinterzogen.

1. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem unmittelbaren Abnehmer der C. GmbH um einen Unternehmer im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1, § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a UStG handelt oder ob bei den vorliegenden Gegebenheiten die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStG erfüllt sind.

2. Unabhängig davon waren die Lieferungen nicht nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG umsatzsteuerbefreit, da die Geltendmachung der Umsatzsteuerbefreiung bei dem festgestellten Sachverhalt rechtsmissbräuchlich wäre.

a) Der Senat hat auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften bereits entschieden, dass die Lieferung von Gegenständen an einen Abnehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung im Sinne des § 6a UStG darstellt, wenn der inländische Unternehmer unter Zwischenschaltung von Scheinfirmen kollusiv mit dem Abnehmer zusammenwirkt, um diesem die Hinterziehung von Steuern zu ermöglichen (Senat, Beschl. vom 20. November 2008 - 1 StR 354/08). Eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht ist nicht erlaubt. Das Gemeinschaftsrecht erlaubt nicht, dass missbräuchliche Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern gedeckt werden. Bei denjenigen Umsätzen, die nicht im Rahmen normaler Handelsgeschäfte, sondern nur zu dem Zweck getätigt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu kommen, sind diese Vorteile zu versagen (EuGH, Urt. vom 21. Februar 2006 - Rechtssache C-255/02 - Halifax, Rdn. 69).

b) Dies gilt nicht nur dann, wenn innerhalb einer Lieferkette Scheingeschäfte vorgenommen werden. Vielmehr müssen die aus dem gemeinschaftsrechtlichen Missbrauchsverbot folgenden Grundsätze erst recht Anwendung finden, wenn - wie hier - ein Warenkreislauf in Gang gesetzt wird, dessen alleiniges Ziel ist, die jeweilige Ware durch Scheingeschäfte künstlich zu verbilligen.

c) Das im Gemeinschaftsrecht verankerte grundsätzliche Verbot missbräuchlicher Praktiken, das auch auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer gilt (EuGH aaO Rdn. 70 f.) und das auch in der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 27. September 2007 auf die Vorlagefrage des Bundesfinanzhofs vom 10. Februar 2005 (BStBl II 2005, 537) bekräftigt wurde (EuGH, Urt. vom 27. September 2007 - Rechtssache C-146/05 - Collée), führt daher für alle Beteiligten eines oder mehrerer Umsatzgeschäfte, die auf die Hinterziehung von Steuern gerichtet sind, zur Versagung der insoweit für die einzelnen Geschäfte grundsätzlich vorgesehenen Steuervorteile (EuGH, Urt. vom 6. Juli 2006 - Rechtssache C-439/05 - Kittel, Rdn. 56 f.). Dies gilt unabhängig davon, ob die sonstigen objektiven Tatbestandsmerkmale der jeweiligen Norm, die den Steuerpflichtigen begünstigen soll (hier: § 6a UStG), gegeben sind. Demnach ist insbesondere auch unerheblich, ob der Abnehmer die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG erfüllt.

3. Eine Vorlagepflicht an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 Abs. 3 EGV besteht in diesem Zusammenhang nicht. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage liegt nicht vor. Die maßgeblichen gemeinschaftsrechtlichen Fragen waren - wie dargelegt - bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof, so dass eine gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vorliegt, durch die die betreffende Rechtsfrage gelöst ist (vgl. EuGH, Urt. vom 6. Oktober 1982 - Rechtssache 283/81 - Cilfit = NJW 1983, 1257, 1258).

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 311

Bearbeiter: Karsten Gaede